Virus "Eisenbahn"


Virus „Eisenbahn“

Die Geschichte ist noch nicht fertig geschrieben,
man braucht Zeit dazu, weil sie doch so lang wird, wie der Virus intus ist:

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Ich weiß nicht genau, wann mich die Liebe und Sehnsucht nach allem, was mit der Eisenbahn zu tun hat, befallen hat. Ein echter Virus, den man wohl nicht bekämpfen kann, den man immer mit sich schleppt. Mal stärker, mal schwächer steuert er das Verhalten, die Aufmerksamkeit und das Operieren in allem, was die Schiene, die Antriebe, die das Ganze umgebende Struktur und Logistik und auch das Erleben des Ganzen.

Richtig nachrechenbar muss das so um 1933 gewesen sein. Nicht, dass ich mit meinen zwei Jahren da etwas von der „Neuen Zeit“ wusste zu verstehen – nein: ich erlebe (noch heute lebendig) in einem Personenwagen „Reisende mit Traglasten“, wie meine Mutter unter der mit einem blauen Überzug abgedunkelten Gasleuchte auf der Lattenbank des 3.Klasse-Abteils meine in dem Jahr geborenen ersten Schwester wickelte – damals noch ganz ohne „Pampers“. Aus einem Album, das unser Vater in dieser Zeit gebastelt hatte, ist festzustellen: war das auf einer Reise nach Hannover zu Verwandten. Warum wir gerade des Nachts fuhren, kann ich weder Mutter noch Vater fragen. Eben so ist das erste Erinnerungsfoto im Kopf.

Andere Bilder sind aus Fahrten mit der S-Bahn, mindestens von Berlin-Schöneweide wenigstens zu den Großeltern nach Berlin-Eichkamp. Da ging es über die Stadtbahnstrecke quer durch Berlin, morgens hin und abends wieder zurück. Blieben wir aber mal in Eichkamp, dann konnten wir des Nachts erleben, wie die Feldbahnen den Aushub aus der Baugrube für die entstehende Deutschlandhalle hinauf auf den daraus entstehenden „Messeberg“ schleppten – sie stießen einen Funkenregen aus ihren Schornsteinen aus. Wann war das denn?

Ich war vier Jahre alt, als der Virus handliche Formen annahm: der Weihnachtsmann, sein Vertreter bei der „Friedrich Wilhelm“ (Lebensversicherung in der Behrenstraße, wo Vater und Großvater arbeiteten) brachte auf der Weihnachtsfeier eine Lokomotive, einen „Bullen“, so wie er in der Wilhelminenhofstraße bei der AEG fuhr, einer E69 ähnlich. Dazu noch einen Personenwagen und drei Güterwagen, ein Rondell Schienen, eine Weiche und eine Gleissperre. Alles Märklin in Spur Null.
Und zu Weihnachten hatte Vater einen großen Bahnhof gebastelt und dazu auch Schranken, ein Wärterhaus, alles aus Sperrholz und von Mutter schön angepinselt, und zwei Läutewerke dazu. Hee! Als wir zur „Schlafenszeit“ durch den Flur schlichen, sich die Küchentür einen Spalt öffnete, sahen wir auf dem Grudeofen diese Basteleien für einen kurzen Augenblick.

Das war dann aber eine Freude, als wir nach der Bescherung im Kinderzimmer die Schienen auf dem Fußboden zusammenstecken, die Gebäude dazustellen und mit einem Schlüssel das Uhrwerk der Lok aufziehen konnten. Etwas mühselig war das An- und Abkoppeln der Fahrzeuge, bis dann der Zug seine Runden im Oval drehen konnte, ja bis nach einigen Runden der Lok „die Puste ausging“.

Die Kugeln der Lampen zum Bahnhof waren Pingpong-Bälle, die Birnchen darin bekamen Strom von einem Klingel-Trafo. Der Bahnhof war mit Ha-kenkreuz-Flaggen geschmückt, der Zeit entsprechend.

In den Ferien ging es mit dem Zug nach Karlshagen auf der Insel Usedom. Gestartet wurde im Stettiner Bahnhof. Im Bahnhof Eberswalde muss es gewesen sein, wo der Zug hielt, kein hoher Bahnsteig – ich sehe noch die Trittbretter an dem Abteilwagen, im Blick so hoch oben. Vater hatte mich bei dem längeren Halt mit hinunter genommen. 1935 waren wir das letzte Mal da im Urlaub.

1936 Olympiade! Die S-Bahn bekam eine neue Zugausstattung, nicht mehr das kantige Gesicht am Führerstand, sondern schön abgerundet. Die Bahnen kamen von Grünau und rollten vorbei am Reichssportfeld nach Spandau-West und zurück. Eigentlich wären wir gerne immer nur mit den Neuen mitgefahren, eben ein Glück, wenn so ein Zug kam.
1936 Herbst! Wir zogen von Oberschöneweide hinaus nach Eichwalde Kreis Teltow. Wir waren inzwischen drei Geschwister, und die sollten raus aus der Stadt, aus Berlin, so mit Garten und – na ja, ich sollte doch Ostern 1937 in die Schule.

Die S-Bahn ging nur bis Grünau. In Eichwalde hielten nur die Vorortzüge zwischen Berlin-Görlitzer Bahnhof und Königs Wusterhausen. So mussten wir in Grünau in die S-Bahn umsteigen. Und das mussten Vater und Großvater morgens und abends, damals so auch am Samstagnachmittag. Und wir eben auch, wenn es nach Eichkamp ging.

Das war schon spannend, wenn wir in der Stadtbahn abends auf der hochgebauten Trasse die Straßen überquerten, der Verkehr so aus der Dunkelheit in unsere Bahn blinzelte. Und wenn in den Bahnhofshallen von Warschauer Straße bis Charlottenburg gehalten wurde, dann konnte man das Treiben aus der innen schwach beleuchteten Bahn kurz beobachten.

Für uns Kinder war das Surren der Elektromotoren so präg-nant, dass wir es im Bett noch eine Weile nachsummten, langsames Ansteigen im Ton, dann so lange den Ton haltend, und dann gerade noch soviel Luft zu haben, um das Abfallen des Tones bis zum Zughalt nachzumachen.

Im Sommer 1936 wurde Schwester Nummer zwei in Schöneweide getauft. Zu Besuch waren auch Verwandte, Cousinen aus Dessau gekommen. Nach der Feier nahmen sie mich mit. So ging es via Anhalter Bahnhof zunächst bis Belzig, wo sie eine Tante aufsuchten. Zum Mittag gab es Eierpfannkuchen mit Blaubeeren, danach eine Zitronenscheibe zum Weißeln der Zähne. Schließlich brachte uns der nächste Zug nach Dessau.

Ach, wann war das? Beim Halt im erweiterten Schlesischen Bahnhof konnte man auf einem der Fernbahngeleise den Schienen-Zepp, den Kruckenberg, stehen sehen. Nur für einen Augenblick, bis uns die S-Bahn weiter mitnahm.

Überhaupt war das oft spannend, wenn neben der S-Bahn auf den Fernbahngleisen ein Fernzug, gezogen von einer Dampf-Lok, in fast gleichem Tempo Schritt hielt und zu erleben war, bis nur die S-Bahn eine Bahnhofshalle bekam und halten musste.
Eichwalde! Es gab Hühner, Kaninchen, Enten, Ziegen zu versorgen. Vater hatte einen Koffer, in dem zwei Weißblech-Kanister genau Platz hatten. Mit denen zog er morgens zur „Friedrich Wilhelm“ los. Abends schleppte er die Kanister voll mit Essenresten aus der Kantine wieder hinaus nach Eichwalde. Wir durften Vater dann mit dem Handwagen zum Bahnhof begleiten, morgens früh raus – noch vor dem Gang zur Schule. Im Sommer konten wir in der Schmöckwitzer Straße im ungepflasterten Bürgersteig Champignons ernten. Abends warteten wir am Treppenaufgang am Bahnhof.

Und wenn Ultimo war, ging es da am Ausgang in den Kiosk, und jeder durfte sich eine Süßigkeit aussu-chen. Auch das gehört zum Virus-Erhalt.

Wenn wir schon mal auf dem Bahnsteig warten durften, dann war es immer spannend zu sehen, wie in der Ferne der Vorortzug aus Berlin heran kam. Erst ab der im Grünauer Forst liegende Blockstelle, wenn der Zug da durch die Kurve fuhr, konnten wir ihn ganz winzig ausmachen. Und die Dampf-Lok der Baureihe BR74 mit der Tenderseite voraus hob und senkte ihre Pleuelstangen auf um ab, nicht gegenläufig, nein etwas versetzt zueinander. Das Gesicht der Lok wuchs und wuchs, etwas nach der Schranke in der Dreyer-Allee (heute wieder Waldstraße) konnte man dann das vor dem Kohlenkasten hängende Richtungsschild lesen: Königs Wusterhausen.

Der stadteinwärts fahrende Zug trug sein Schild vor der Rauchkammer-Tür. Die Lok fuhr also „richtig“ in die Stadt. Der Lok folgte im Zug der Packwagen. Du, der hatte da eine Kammer für Hunde – da hätten wir nie unseren Pucki abgegeben. Die Ladetüren des Packwagens blieben immer aufgeschoben. Dem Packwagen folgten Preussische Abteilwagen, paarweise kurzgekoppelt. Diesen Wagenpaaren war in der Mitte des Zuges ein 4.Klasse-Wagen zwischengekoppelt, der für „Reisende mit Traglasten“ bestimmt war.

Im Görlitzer Bahnhof lief der Zug in ein Stumpfgleis in der Bahnhofshalle aus. Die Lok wurde abgekoppelt. Eine draußen wartende Lok setzte sich am Ende des Zuges an, und mit dem Zug verbunden. Diese Lok trug das Schild wie eben beschrieben mit dem Zielnamen Königs Wusterhausen. Die Züge fuhren im Zwanzigminuten-Takt hin und her.

Wir wurden größer und älter. Selbständiges Fahren mit dem Zug war angesagt. Und da ließ ich schon einmal einen Zug sausen, nur um zu beobachten, wie Triebzugführer und sein Begleiter sich beim Halt und zum Weiterfahren verständigten: Die vordere Tür, im Dienstabteil, schloss sich nicht, wenn der Zugführer das Türschließen auslöste. Der Begleiter stand draußen neben dem seitlichen Führerstandfenster, beobachtete das Aus- und Einsteigen der Reisenden, wartete den Befehl „Zurückbleiben!“ ab oder rief den selbst aus, um dann schließlich mit dem Bleistift an das Fenster zu klopfen, worauf der Zugführer den Fahrschalter stückchenweise vorschaltete. Danach ging der Begleiter zu der offenen Tür, stieg ins Dienstabteil und schloss die Tür. Der Zug rollte an und aus dem Bahnhof.

Zu Weihnachten 1937 wurde die Eisenbahn im Kinderzimmer – unter meinem Bett stand eine große, flache Holzkiste für das ganze Eisenbahnmaterial - elektrifiziert. Vater baute aus billig aufgekauften Schienen (Spur 1) schöne lange Schienen, die Stromschiene in der Mitte dazu. Die Schienen wurden mit Blaupinnen auf zugeschnittene „Schwellen“ (Buchenleisten) genagelt. Zwei Schienen waren mindestens zwei Meter lang – mit denen konnte man über die Türschwellen fahren.

Eine E-Lok kam dazu, der Bulle durfte pausieren.
Was mich störte, war dieser Fahrregler, der Trafo, der zum Versorgen der E-Lok da war. Na, da habe ich mal eben die beiden Anschlussdrähte zum Trafo kurzerhand genommen und in die Steckdose an der Wand gesteckt. Patsch! Das Licht ging aus – ich schnell die Strippen wieder abgezogen. Die Eltern wunderten sich, dass ich die E-Lok immer nur schob: die hatte das „Fullpower“ nicht vertragen. Viele Jahrzehnte habe ich die Eltern „aufgeklärt“, wieso und warum ich die Lok schob.

Mit Vater ging es an einem Sonntag in das Museum für Meereskunde. Da gab es ganz tolle Modelle von Hafenanlagen. Dabei packte mich so das Gleisgelände mit den (nicht fahrenden) Güterzügen und Kränen.

Dann kam der Krieg! Am Betriebsbahnhof Schöneweide stapelten sich die Bordwände der Offenen Güterwagen, die beim Transport von Militärfahrzeugen nur gestört hätten.
Vom Görlitzer Bahnhof fuhr nun regelmäßig ein Fronturlauberzug nach Przemysl. Das liegt in dem besetzten Polen nahe der mit den Sowjets im Vertrag von Brest-Litowsk vereinbarten Ostgrenze. Wenn nicht nur Soldaten und Rotkreuz-Schwestern den Zug bevölkertet hätten und Normalreisende nicht mitfahren durften, konnte man annehmen, es wäre ein üblicher D-Zug, den eine Lok der Baureihe BR17 bewegte.

Und in Eichwalde konnten wir so dann und wann – war das täglich oder wöchentlich? – zwei nagelneue Dampf-Loks der Baureihe BR44 erleben, die von Schwarzkopff aus Wildau in maschinengrau anrollten, in Eichwalde kurzen Halt machten, um dann mit kräftigen Dampfschlägen in Richtung Grünau und Schöneweide weiterfuhren. Mal zogen sie einen Wannentender, mal hatten sie einen Kondenser-Tender angehängt. Und auch Kriegs-Loks der Baureihe BR50 kamen mal vorbei.

1941 wurde der Schuljahr-Wechsel von Ostern in den Herbst verlegt. Das bedeutete besonders lange Ferien. Mutter zeichnete ein Pappschild voll mit den Daten zu meiner Reisen zur Großmutter in Stolberg im Südharz, dass ich in der neuen Pimpfen-Uniform tragen sollte. Sie brachte mich mit der S-Bahn zum Anhalter Bahnhof. Dort übergab sie mich einer im selben Eilzug-Wagenabteil reisenden Dame, mir beim Umsteigen in Halle an der Saale beizustehen. Als sich der Zug dann aus der Halle des großen Bahnhofes bewegte, sah ich die zurückbleibende und winkende Mutter weinen. Ich winkte zurück, sah Mutter kleiner und kleiner werden bis der Zug in einer Kurve den Blick zurück sperrte. Ich versteckte mein Umhängeschild im Hemd hinter dem Knotentuch. Ich machte meine erste Eisenbahnfahrt alleine (eben neben der „angeheuerten Dame).

Das Umsteigen in Halle: noch ein kurzer Fingerzeig, und ich musste nun auf mich selbst aufpassen. Ein Bummelzug in Richtung Nordhausen. Ich fand in einem Wagen der früheren 4.Klasse Platz, also bei „Reisenden mit Traglasten“. Ich weiß nicht, wo plötzlich soviele Menschen zu stiegen, die wohl von einem Markt kamen – Obstkörbe, Kiepen, Käfige mit Getier – der Wagen war auf einmal brechend voll. Aber auf der Fahrt mit vielen Halten wechselte das Publikum, wurde lichter. Nach Durchfahrt durch einen Tunnel – war der vor oder hinter Sangerhausen? – lag links der Kyffhäuser (das hatten wir ja im Erdkundeunterricht gelernt). Und dann kam der Bahnhof Berga-Kelbra. Hier musste ich nach Stolberg umsteigen. Ach und da war Oma – richtig erinnern konnte ich mich nicht an sie, aber sie fischte mich aus den wenigen ausgestiegenen Reisenden heraus – klar: ich in Pimpfen-Uniform. Der Zug nach Stolberg hinauf rollte durch eine Landschaft, die ich nun in dieser langen Ferienzeit kennenlernen durfte. Eine schöne Zeit. Sie ging schließlich zu Ende. Meine Heimreise verlief ohne fremde Hilfe ab Berga-Kelbra mit Umsteigen in Halle bis zum Anhalter Bahnhof, wo mich Mutter wieder abholte.

Vater war 1940 eingezogen worden. In den Saal, der zu einer Gaststätte in der Berlin in der Chausseestraße gehörte, musste er mit anderen Frischeingezogenen auf einem großen aus Zeltbahnen geknüpften Strohsack schlafen. Nach seiner ersten Grundausbildung (Weißer Jahrgang) in Polen, hinter Przemysl, kam er nach Holzkaten über Stolp im Pommern. Weil er mit seinen „Plattfüßen“ den Dienst beim Grenzschutz da an der Ostseeküste nicht durchstand, hatte man in wieder entlassen. Nicht lange, da wurde er wieder eingezogen und landete für lange Zeit beim Wehrmeldeamt II in Jüterbog. Wie so unser Vater war, entstand da im Ort mit den Bäckersleuten Böttcher eine Freundschaft aus der Gefälligkeit, mal eben die Ladenglocke zu reparieren. Und so durfte ich dann auch mal für vierzehn Tage nach Jüterbog mit, durfte beim Backen helfen. Und nach Eichwalde durfte ich dann schon alleine zurückfahren – via Anhalter Bahnhof.

Jungvolk! Sammeln für’s NS-Winterhilfswerk. Jeder bekam eine Sammelbüchse zum Anbetteln der Passanten. Viel kriegte man in Eichwalde so nicht zusammen. Zwei Kameraden und ich kauften jedem eine Bahnsteigkarte und fuhren nach Berlin rein – ohne gültige Fahrkarte! Wir sammelten in der S-Bahn, stiegen aus und im nächsten Zug wieder ein. So ging’s munter den ganzen Ring herum. Und es klapperte immer mehr in der Büchse – ein beachtlicher Betrag kam beim Entleeren heraus.

Und unsere Mutter, die war ja nach der Geburt unseres Bruders und ihrem Unfall an der vereisten Türklinke da Mitglied beim DRK geworden. Sie nahm die WHW-Figuren aus dem Erzgebirge, drapierte sie auf dem Rucksack-Absetztisch neben den Fahrkartenschalter, genau da, wo doch die Leute ihre Geldbörse zücken mussten – da kam einen Menge Geld in die Büchse.

Sommer 1942: Reise ins Glatzer Bergland
Wir hatten es nicht bemerkt: Mutter war wieder schwanger. Sie nahm mich in den angebrochenen Ferien mit hinaus ins Glatzer Bergland. Die Fahrt im Eilzug auf der Görlitzer Strecke gen Süden. Am Spreewald vorbei, Cottbus, Görlitz, Hirscherg im Riesengebirge. Eine tolle Fahrt bis nach Glatz. Dort Umsteigen und dann über Habelschwerdt bis nach Mittelwalde, vor dem Schneegebirge, 5/4 Stunden zu Fuß in ein Dorf unweit der Grenze zum Protektorat Böhmen und Mähren.

Einmal bei einer Wanderung in den Bergen konnte man ganz winzig klein die dampfende Eisenbahn tief unten im Tal erkennen. Virus „Eisenbahn“. Die Schulferien forderten frühzeitig meine Rückkehr nach Eichwalde. Mutter blieb noch dort, ich fuhr alleine zurück – ich (elf Jahre alt) war ja groß genug, die Reise alleine durchzuführen.

Mutter nahm uns „Großen“ mit ins Verkehrsmuseum in Berlin. Zu gerne wäre ich da in den aufgestellten Führerstand eines S-Bahn-Zuges geklettert – viel zu wenig Zeit! Aber der Französische Salon-Wagen aus dem Wald von Compiegne war ausgestellt, den hatte man nach der Besetzung Frankreichs nach Berlin mitgenommen..

Und weil es in Eichwalde keinen Friseur mehr gab, durfte ich zu Vater nach Berlin in die Kaserne in die Greifswalder Straße fahren, wo mir auf der Achtmannstube ein Soldat den Militär-Haarschnitt verpasste – Vater saß den ganzen Krieg über in der Schreibstube.

Am Betriebsbahnhof Schöneweide stand ein Zug Eisenbahn-Flak. Wenn wir mit der S-Bahn stadteinwärts daran vorbei fuhren, zählten wir ganz schnell die weißen Ring an den Geschützrohren, die anzeigten, wieviele Abschüsse von feindlichen Flugzeugen die Luftwaffen-Einheit erzielt hatte.

1943/44! Das Haus in Eichkamp hatte was abbekommen, war ausgebrannt. Gottseidank waren die Großeltern und Mutters Schwester mit den Kindern bereits nach Erbach im Odenwald umgezogen. Im Keller der Ruine zerfiel Großvaters Zeitungssammlung durch die Hitze in der Ruine.
Die Bomben fielen nun auch in Eichwalde. Am 23./24. Dezember traf eine Mine oder Bombe die Taut-Siedlung, um die dreißig Tote. Trauer. Am 16. Januar wieder ein Angriff, wo Eichwalde ganz schlimm was abbekam. Mutter organisierte die Evakuierung nach Erbach. Der Vater wurde herbeigerufen. Die Zugverbindung ausgekundschaftet, die Fahrkarte besorgt. Auf der Gemeinde die Erlaubnis zur Mitfahrt unserer Ukrainerin Wera geholt. Das Nötigste wurde zusammengepackt.
Der Vater brauchte lange, bis er in Eichwalde ankam, war doch so einiges mehr in der Nacht getroffen worden. So ging es um 17 Uhr vom Bahnhof in Eichwalde ab zum Anhalter Bahnhof. Um 19 Uhr verließ der D-Zug den Anhalter in Richtung Frankfurt am Main. Vater blieb alleine zurück, fuhr dann in die Kaserne.
Mutter nahm mit fünf Kindern Platz im Abteil „Mutter und Kind“. Wera und ich mussten draußen im Gang auf unseren Koffern Platz nehmen. Der Zug wurde unterwegs angehalten: „Fliegeralarm! Licht aus“. Weiterfahrt. Halle an der Saale: Die Bahnhofshalle hell beleuchtet! Weiterfahrt. Sangerhausen. Weiterfahrt durch die Dunkelheit. Nordhausen: die Stadt brennt! Weiterfahrt. Kassel! Die Bahnhofshalle hell beleuchtet. Fahrtrichtungswechsel! Weiterfahrt. Fulda! Nacht. Kaum Möglichkeit zum Schlafen, mal ist es der Schaffner oder der Zugführer, oder die Kettenhunde kontrollieren alles, was da reist.
Im Morgengrauen erreichen wir Hanau. Umsteigen. Unser Zug hatte Verpätung, damit war der Anschlusszug schon weg. Warten. Dann weiter bis nach Wiebelsbach-Heubach im Odenwald. Da ging nun gar nichts mehr weiter. Warten auf einem simplen Knotenbahnhof. Luftschutzmäßig war er gut ausgestattet. Wegen des Anfluges feindlicher Kampfverbände steckte uns der Bahnhofsvorsteher in seinen Bunker. Draußen abgestellt war eine älter Güterzug-Lok, deren Bremsluftpumpe sein Piff-Peff Piff-Peff ausstieß. Am Spätnachmittag kam dann endlich der Zug aus Darmstadt und nahm uns mit nach Erbach. Man holte uns mit dem Handwagen ab.

Bei der Familie Arras in Ober-Kainsbach fand Mutter eine Bleibe für uns. Dorthin konnten wir zur Besichtigung noch mit dem Bus von Erbach hinauf zur Spreng fahren – kurz danach wurde diese Buslinie stillgelegt. Für die Rückfahrt nach Erbach konnten wir am Haltepunkt Nieder-Kainsbach in das „Odenwäller Lieschen“ einsteigen, das uns nach Reinheim brachte. Von da ging es weiter mit dem Zug aus Darmstadt über Wiebelsbach-Heubach nach Erbach.

Wir zogen zu den Arras auf den Sonnesch-Hof. Wir beiden Großen durften nun nach Groß-Bieberau ins Gymnasium wandern. Zu Fuß nach Nieder-Kainsbach und dann mit dem „Liesche“ dorthin. Das „Liesche“ war eine Dampf-Lok T3 mit zwei bis drei Personenwagen und manches Mal auch mit ein paar angehängten Güterwagen. Der Zug kam von Reichelsheim und brachte Fahrgäste und Güter zum Knotenbahnhof Reinheim. In Reinheim ging eine Strecke nach Groß-Zimmern, eine andere nach Dieburg, die Ludwigsbahn
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Heute geht es mit dem Auto nach Schlesien nein nach Sachsen, wozu jetzt Niesky gehört.
Pause im Schreiben!


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Kommentare (2)

Kublig Eine tolle Geschichte. Geht es noch weiter?
Traute Wie interessant das wieder war. Dann hab ich eine Info über die ich schon lange grübelte gefunden, 1941 wurde der Schulanfang auf September gelegt.Ich wusste, es war mal um Ostern, aber ich entsann mich, den Schulprobeweg an hoch stehenden Getreidefeldern vorbei gelaufen zu sein. Nun bin ich erlöst, also 1944 als ich eingeschult wurde war schon Herbstanfang. In Ostpreußen hat man etwas später gesät und geerntet als im Großdeutschland...
Ich verstehe auch Deine Sympathie für die Bahn, da bist Du in einer großen Liebhabergemeinde.
Mal sehen ob ich den AEG Triebwagen hier rein bekomme. Den hat ein Liebhaber gerettet und in einer Gartensparte aufgestellt.
Mit ganz freundlichen Grüßen, an Dich und Spatz,
Traute
Traute(Traute)




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