Von einem der auszog um richtig sprechen zu lernen (Von Ernesto Gallipoli )


Von Ernesto Gallipoli

Es ist nun schon eine Weile her, da geschah in Nordsibirien eine merkwürdige Geschichte. Der Winter hat sich dem Ende zugeneigt, das Eis der Seen war bereits geschmolzen und ganz zaghaft kündigte sich der Frühling an. Man sah es daran, dass sich die Tundra langsam grün verfärbte. Die Anemonen und Sumpfdotter­blumen öffneten ihre Blütenknospen und verhalfen der Landschaft zu einer ein­maligen Schönheit.
Dies war die Zeit, in der auch die Tierwelt zu neuem Leben erwachte.

Die Schneehasen, Schneehühner und alle Tiere, die in der Gegend des Polar­kreises zu Hause waren, benahmen sich jetzt recht merkwürdig. Es war Paarungs­zeit.

So auch bei Familie Polarfuchs. Obwohl Vater und Mutter Fuchs schon einige Jahre zusammenlebten und bereits viele Kinder hatten, waren sie jetzt besonders zärtlich zueinander.

Sie liebten und kosten sich, und einige Wochen später brachte die Füchsin vier niedliche Welpen zur Welt. Es waren drei Mädchen und ein Junge!

Inzwischen hatte sich die Tundra sehr verändert. Hohes Gras wiegte sich im Winde, soweit das Auge reichte. Blumen wie Akelei, Lupinen und Schwertlilien verliehen der Tundra das Aussehen eines in vielen Farben leuchtenden Ozeanes. Die vier jungen Füchse entwickelten sich prächtig. Das Nahrungsangebot für Mutter Fuchs war groß, denn der vergangene Winter war nicht so streng wie die Jahre zuvor, somit hatte sie auch genügend Milch für die Jungen.
Leider ist es jedoch in der Tierwelt oft so eingerichtet, dass, wenn ein Tier sich und seine Nach­kommen ernähren möchte, das den Tod eines anderen schwächeren Tieres bedeutet, und so ist es auch bei Familie Fuchs. Für die Jungtiere verlief die Zeit wie im Fluge, denn nachdem sie laufen gelernt hatten, galt es, die nähere Umgebung auszukundschaften. Während die Eltern auf Nahrungssuche waren, wur­den sie von den beiden größeren Schwestern beaufsichtigt. Die Rangordnung bei den Füchsen ist sehr streng. Während ein junger Fuchs spätestens nach einem Jahr die Familie verlassen muss um sich eine Frau zu suchen, dürfen die weiblichen Tiere bei den Eltern bleiben um sich bei der Aufzucht der nächsten Geschwister nützlich zu machen. Derart behütet entwickelten sich die Jungtiere natürlich prächtig.

Es war nun Frühsommer, das schneeweiße Fell der Eltern und das der um ein Jahr älteren Schwestern wechselte bereits in die typische schwarzblaue Sommerfarbe. Einzelne weiße Fellfetzen hingen noch an den Flanken der Tiere herunter, während der Rücken schon das dunkle Sommerkleid trug.
n dieser Zeit sollten die Jungen sprechen lernen. Während die gleichaltrigen Schwestern schnell die Sprache und Gestik nach Fuchsart lernten, tat sich der Junge schwer. Naja, Jungens brauchen halt immer etwas länger, meinten die Eltern.

Aber oh weh, nach einigen Wochen konnte er immer noch nicht sprechen, geschweige denn Bellen, was jedoch für einen Fuchs sehr wichtig war.

Immer, wenn er etwas sagen wollte, kam nur ein heiseres Gekrächze aus seinem Munde. Und wenn er bellte, war es ein Geheul, das seine Familie und alle Tiere, die sich in der Nähe aufhielten, zutiefst erschreckte.

Die Blicke seiner Eltern wurden immer besorgter, während die gleichaltrigen Ge­schwister sich über ihn lustig machten, ja sie lachten über ihn. Das tat ihm sehr weh. Auf diese Weise gedemütigt, beschloss er, nur noch das zu sagen, was unbedingt nötig war. Bellen wollte er schon gar nicht mehr.

Da er aber schlau und intelligent war und sich trotz allem zu einem schönen Jung­fuchs entwickelte, konnte er sich in der Familiengemeinschaft behaupten. Mit der Zeit lernte er doch noch die Sprache seiner Sippe, aber eben mit einer krächzenden Stimme. Vater gab sich große Mühe mit ihm, er nahm ihn auch schon frühzeitig mit auf die Jagd, weil er wusste, dass es sein Sohn im nächsten Jahr sehr schwer haben würde mit seiner Behinderung alleine zurechtzukommen und gar eine Partnerin zu finden.

Eigentlich war der Jungfuchs mit seinem Leben in der Familie sehr zufrieden, wenn da nicht Vaters strenges Bellverbot gewesen wäre. Er begründete es damit, dass sonst die Tiere, die sie ja alle dringend als Nahrung brauchten, sich erschrecken und weglaufen würden.

Aber wer ein richtiger Fuchs sein will, muss einfach bellen. Also ging er immer öfter weit weg von seinem Rudel, um sich nach Herzenslust im Bellen zu üben. So sehr er
sich jedoch anstrengte, es war immer dasselbe Geheul. Mit der Zeit resignierte das Jungfüchslein und ließ das Bellen bleiben.

So verging der Sommer und der Herbst zog ins Land. Der Herbst ist in Nordsibirien von kurzer Dauer. Schon bald gab es die ersten strengen Nachtfröste. Die schwarz­blauen Haare der Füchse wurden abgestoßen und machten wiederum einem schönen schneeweißem Haarkleid Platz.

Der Winter kam nun sehr schnell und mit ihm auch der Schnee.

Der Tisch war jetzt für die Füchse nicht mehr so reichlich gedeckt, weil alle Tiere, die sie zur Nahrung brauchten, sich genauso wie die Füchse ein weißes Fell oder Gefieder zulegten.

Dies erschwerte die Jagd, konnte man doch das weiße Tier im Schnee nicht gleich erblicken. Das Murmeltier, das auch auf dem Speiseplan der Füchse stand, hatte sich tief in seinen Bau zurückgezogen und hielt seinen Winterschlaf.
Ja und nun stand ein langer kalter Winter bevor. Die Füchse wurden während dieser Jahreszeit alle gertenschlank, denn oftmals hatten sie sehr wenig zu Essen.
Aber als es wieder Frühling wurde, und sie alle den strengen Winter überlebt hatten, galt es bald für den inzwischen erwachsen gewordenen Jungfuchs Abschied von seiner Familie zu nehmen. Vater und Mutter gaben ihm noch gute Ratschläge mit auf den Weg, und seine Schwestern, mit denen er sich ohnehin nicht gut verstand meinten, er solle endlich verschwinden. Also gut dachte er, dann gehe ich eben. Einige Zeit hielt er sich noch immer in der Nähe seiner Familie auf, aber da niemand mehr von ihm Notiz nahm, ging er endlich seines Weges.

Es war schon ein eigenartiges Gefühl für ihn so alleine durch die zu neuem Leben erwachte Tundra zu ziehen. Zu fürchten hatte er sich eigentlich nur vor den Polarwölfen und den Bären, aber von denen gab es sowieso nicht mehr so viele. Er konnte nun nach Herzenslust bellen, oder besser gesagt heulen. Niemand war da, der es ihm verbot oder ihn dafür auslachte – er war frei !

Einige Zeit genoss er diese Freiheit in vollen Zügen. Aber irgendwann wurde er des Alleinseins überdrüssig. Es waren wohl schon einige Wochen des Umherstreifens vergangen, als er die Witterung eines Artverwandten aufnahm. Mal sehen wer das ist, dachte er und folgte der Spur. Es dauerte nicht lange und zu seiner Überra­schung saß da im hohen Gras eine Füchsin, die mit großem Interesse seinen Bewegungen folgte.
Was für ein schöner Kerl dachte sie. Er setzte sich ebenfalls und wollte sie fragen, woher sie komme. Aber als er den Mund auftat kam nur ein für sie unverständliches Gekrächze heraus.

Nun ja, er war fürchterlich nervös, nach so langem Alleinsein einen Artgenossen anzutreffen, und dazu noch in Gestalt einer wunderschönen Fuchsdame.

Die Füchsin schaute ihn ob diesem Gekrächze verständnislos an. Na ja versuch ich es halt noch einmal, dachte er. Also meine Liebe: Woher kommst du? Diesmal verstand sie ihn und antwortete:

„Von zu Hause.“ Sie stand auf und lief weg. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen, drehte sich um und sagte: „Lerne zuerst mal richtig sprechen, bevor du eine Dame ansprichst.“ So, nun war es heraus. Und wo er auch hinging und wen er auch ansprach, überall das gleiche! Wenn er eine Fuchsdame ansprach, lief sie gleich davon. Mit der Zeit hatte er sich damit abgefunden, dass er wahrscheinlich den Rest seines Lebens alleine verbringen muss. Doch schon bald gab es eine überraschende Wende in seinem einsamen Junggesellendasein.

Es war schon später Nachmittag, als er auf einem Hügel saß und traurig in die Ferne starrte. Plötzlich rauschte es am Himmel. Das Rauschen verstärkte sich und was er da zu sehen bekam, war neu für ihn.
Eine große Schar Kraniche kreiste über seinem Kopf, die von ihrer langen Reise aus dem Süden zurückkamen, um hier zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie kreisten mehrere Male über ihm und setzten dann zur Landung an. Den Fuchs sahen sie wohl, hatten aber keine Angst vor ihm. Von dem langen Flug müde und steif geworden, staksten sie etwas unbeholfen hin und her.
Der Fuchs schaute ihnen eine Weile zu, verlor aber bald das Interesse und schaute wieder gelangweilt in die weite Ferne.
Eine etwas ältere, weiße Kranichdame sah dies und wurde neugierig. Sie lief langsam den Hügel hinauf geradewegs auf ihn zu. Nun, es ist nicht gerade nach Kranichart, sich mit einem Feind einzulassen. Der Fuchs sah jedoch nicht so aus, als könnte er der Kranichdame gefährlich werden.

Sie blieb geradewegs vor ihm stehen und fragte „Hast du ein Problem“? Langsam schaute er auf und krächzte: „Ach wenn es auch nur eines wäre, nein, es sind so mancherlei. Du hörst es ja selbst, sprechen kann ich nicht richtig und wenn ich belle, laufen alle davon. Niemand will mich, dabei hätte ich so gerne eine liebe Frau, mit der ich glücklich sein und auch eine Familie gründen könnte, wie alle meine Geschwister.“
Nach geraumer Zeit - Frau Kranich stand immer noch neben ihm - schaute er auf und fragte: „ Woher kommt ihr überhaupt? “ „Aus Ostafrika, da fliegen wir jedes Jahr im Winter hin, es ist schön warm und zu Essen haben wir auch genug.“ „So, so .....“ meinte er, weil ihm nichts gescheiteres einfiel; wie denn auch, ein Land in dem es immer schön warm ist, konnte er sich sowieso nicht vorstellen.

Die Kranichdame hatte richtig Mitleid mit dem Fuchs. Sie überlegte angestrengt, wie sie dem armen Kerl helfen könnte und plötzlich hatte sie eine Idee! Ja, das ist es, das könnte klappen! „Hör mal, in Afrika, genauer gesagt in Nairobi, gibt es eine Sprachschule für Füchse und Schakale, die genau wie du, nicht richtig sprechen können.“ Ungläubig dreinblickend stand er auf und fragte: „Ja stimmt das denn, ist das wirklich wahr?“ „Ja, wenn ich es dir doch sage.“ „Wo ist denn Afrika und Nairobi?“ „Na ja, es ist schon sehr weit entfernt, aber wenn du richtig sprechen lernen willst, musst du halt den weiten Weg auf dich nehmen.“ „Hör mal, ich komme morgen zur selben Zeit wieder hierher.“ „Du kannst dir inzwischen überlegen, ob du das Wagnis Nairobi auf dich nehmen willst, ich werde dir dann den Weg erklären.“ „Also tschüss bis morgen.“ Ja, ja meinte der Fuchs und starrte wieder in die Ferne, jetzt aber mit einem kleinen Hoffnungsschimmer in seinen Augen.

Die Kranichfrau stakste davon und begab sich zu ihren Artgenossen. Unterwegs dachte sie: Hoffentlich geht er auf mein Angebot ein, denn hier wäre ein guter Platz um ein Nest zu bauen und Eier zu legen. Und da kann man natürlich keinen Fuchs in der Nähe dulden, auch wenn er noch so traurig aussieht. Eier und Jungvögel gehören schliesslich zu den Leibspeisen der Füchse.

Am anderen Tag, fast zur selben Zeit, trafen sich die beiden ungleichen Geschöpfe wieder. Der Fuchs war schon etwas früher da und wartete sehr ungeduldig auf die Kranichdame. Ganz aufgeregt hat er die Kranichfrau gebeten, ihm doch den Weg nach Ostafrika, genauer gesagt nach Nairobi zu erklären. „Also, pass gut auf, du gehst von hier aus zunächst gerade aus, dann nach links bis zu den Menschen.“ „Was sind Menschen“, unterbrach er sie?

„Menschen sind gefährliche Wesen mit zwei Armen und zwei Beinen. Sie gehen aufrecht. Sobald du ein Mensch siehst, der einen Stock trägt, lauf so schnell du
kannst davon, denn es könnte sein, dass der Stock Feuer speit und dir ein Loch in das Fell brennt.“ „ Aha“, ja mit dem Feuer hatte er im letzten Jahr schon Bekannt­schaft gemacht, als ein Flächenbrand in der Tundra wütete. Danach hatten sie tagelang zu essen, weil viele kleine Tiere in dem Feuer umkamen. Allerdings hatte er sich damals auch beide Vorderläufe verbrannt, weil er nicht auf Vaters Warnung hören wollte, nämlich der Glut fernzubleiben. „Nun gut, auf welche Gefahren und Hindernisse muss ich sonst noch achten?“ „Gehe nicht zu nahe an die Städte.“ „Was sind Städte“, unterbrach er sie wieder. „Städte, das sind viele Gebäude aus Stein, in denen die Menschen leben, so wie ihr Füchse in euerem Bau.“ „Aha, und weiter?“ „Geh immer nur nachts und verkrieche dich tagsüber. Frage nur Füchse nach dem Weg. Sie sehen aber anders aus als du.“
„So wie denn?“ „Sie haben ein rotes Fell, aber komme ihnen besser nicht zu nahe, denn es könnte sein, dass sie dich anstecken. Viele von ihnen sind nämlich krank, die Menschen nennen diese Krankheit Tollwut. Ernähre dich nur von lebendig erlegter Beute, die du selbst fängst, denn die Menschen legen oft vergiftetes Fleisch aus, damit wir Tiere daran zugrunde gehen. Nun habe ich dir alles gesagt, glaube ich. Also noch einmal: Du gehst immer geradeaus, dann links, und wieder geradeaus und irgendwann musst du dann noch einen Verwandten nach dem weiteren Weg fragen. Wenn du dann auf jemanden triffst, der einen eigenartigen Akzent hat, so kannst du sicher sein, dass du jetzt in Afrika bist. Aber du bist dann noch nicht in Nairobi sondern erst in Ägypten.“

Der Fuchs traute sich nicht mehr, Frau Kranich zu unterbrechen; denn er war so verwirrt von all dem Gesagten. Also ließ er sie einfach weiter reden. „Von Ägypten ist es dann nicht mehr so weit. Du gehst immer nur den großen Fluss entlang, den die Menschen Nil nennen. Meide weiterhin Menschen und Städte und bedenke; die Menschen sehen immer wieder anders aus. Hier im Norden haben sie helle Haut, aber je südlicher du kommst, je dunkler wird ihre Haut und in Nairobi sind sie fast schwarz. Ob hell oder dunkelhäutig, gefährlich sind alle für dich. Für alle Menschen ob hell oder dunkel ist dein Fell besonders jetzt, wo es schneeweiß ist, sehr begehrenswert.“ Das sind ja schöne Aussichten, dachte der Fuchs, und hörte dem Kranich weiter gespannt zu. „Irgendwann wird der Fluss dann schmaler und Du kommst an einen großen See. Dort gehst du am linken Ufer entlang und am Ende des Sees musst du halbschräg nach rechts laufen und schon bist du in Nairobi. Also was ist, habe ich dich neugierig gemacht, willst du dich auf den Weg machen?
Hier kannst du nicht bleiben, weil das hier schon seit vielen Jahren unser Brutplatz ist und wir hier unseren Nachwuchs aufziehen.

„Na, ja, darüber möchte ich erst einmal schlafen.“ Am nächsten Morgen stand sein Entschluss fest. Die halbe Nacht hatte er über seine Situation nachgedacht.

Wenn ich hier bleibe, werde ich keine Frau bekommen. Man lacht mich aus ächtet und verstößt mich, und die Kraniche vertreiben mich sowieso. Also mir reicht es, ich wandere aus nach Nairobi und lerne richtig sprechen. Wenn ich es dann geschafft habe, komme ich wieder zurück und werde es allen zeigen, was aus mir geworden ist. Dann steht mir nichts mehr im Wege, endlich auch eine Familie zu gründen. Langsam lief er den Hügel hinunter. Von den Kranichen wurde er schon erwartet. „Hast du dich entschlossen, gehst du?“ fragte seine Bekannte, die Kranichfrau. „Ja, mich hält hier nichts mehr.“ Man gab ihm noch einige Ratschläge und wünschte ihm eine gute Reise.

Da es in dieser Gegend der Tundra keine Menschen gab, konnte er Tag und Nacht gehen, denn er wollte so schnell wie möglich dieses ungastliche Land verlassen. Irgendwann sah er den ersten Menschen; der trug aber keinen Stock bei sich, also keine Gefahr. Er lief hinter zwei großen vierbeinigen Tieren her, die ein Gerät zogen, das die Erde umwühlte, so dass das Gras unten war und die dampfende Erde oben.

Der Fuchs erinnerte sich nun an die mahnenden Worte des Kranichs: Gehe niemals am Tage! Fortan beherzigte er diesen Rat, lief nur noch in der Nacht und am Tage erholte er sich von den Strapazen. Er war nun schon einige Monate unterwegs , als er endlich in Ägypten ankam. Die lange Reise hat ihn sehr mitgenommen. Seine Pfoten waren wund und mit tiefen Rissen versehen. Auch sah er sonst ziemlich mitgenommen aus. Man konnte seine Rippen sehen, so abgemagert war er, denn zu essen gab es nicht viel. Ich muss unbedingt eine Pause einlegen, damit meine Wunden verheilen können, dachte er. Also suchte er einen verlassenen Fuchsbau und ruhte sich tagsüber darin aus und nachts jagte er Mäuse und andere Tiere die es in Ägypten gab.

Nach einigen Tagen zog er dann weiter am Nil entlang bis er schließlich an dem großen See ankam an dessen Ufer er dann in Richtung Süden marschierte, genau so, wie es Frau Kranich gesagt hatte. Unterwegs bekam er viele fremdartige Tiere zu Gesicht, die er in seinem ganzen Fuchsleben noch nie gesehen hat. Auch Rotfüchse begegneten ihm. Manchmal unterhielt er sich mit ihnen; aber nicht mit allen, sie stellten ihm manchmal wirklich dumme Fragen, zum Beispiel: „Wie siehst denn du aus?“ Oder „wieso hast du so eine komische Aussprache?“ und er hatte wirklich keine Lust, hierzu Rede und Antwort zu stehen. Endlich war das Ende des Sees erreicht und er überlegte, welchen Weg muss ich nun gehen? Ach ja, halbschräg nach rechts oder war es nach links? Hätte ich doch bloß besser aufgepasst, als der Kranich mir die Route erklärte.

Nun, ich laufe einfach los. Gesagt, getan und weiter ging es viele Tage lang. Irgend­wann müsste ich doch bald da sein, fragte er sich. Aber nirgendwo waren Häuser oder schwarze Menschen zu sehen. Die Landschaft veränderte sich ständig und sah bald so aus wie die Tundra in Nordsibirien.
Man nannte diese Gegend Savanne. Die Savanne ist ein mit hohem Gras bewachsenes, ebenes Gelände, unter­brochen von kleinen Hügeln und schirmartigen Laubbäumen.

Es fiel ihm auf, dass es hier viele Tiere gab. Zum Beispiel große schwarze Kolosse mit langen Hörnern. Außer­dem einige, die denen ähnelten, die ein Gerät hinter sich herzogen und andere wiederum hatten eine Mähne und waren schwarzweiß gestreift.
Riesengroße dicke Kerle mit einem langen Rüssel und großen weißen Zähnen sah er auch. Sie alle traten in großen Herden auf, so wie er es in seiner Heimat von den Rentierherden kannte.

Immer wieder setzte er sich hin und beobachtete staunend diese Tiere. Einmal kam er an einem Rudel gelber langmähniger Wesen vorbei, die gerade ein schwarzweiß gestreiftes Tier verspeisten. Oha, jetzt heißt es vorsichtig sein, sonst bin ich auch noch dran, dachte er und lief etwas schneller, immer wieder zurückblickend. Dabei stieß er mit einem riesengroßen Tier zusammen. Vor Schreck musste er sich erst einmal setzen. Mann - war das ein Riese. Er musste sich weit zurücklehnen, um das obere Ende des Tieres zu sehen. Es knabberte langsam und behäbig an den Blättern eines Baumes der sehr viele Dornen hatte. Das Wesen hatte lange Stelzenbeine, ein endlos langer Hals, und darauf ein kleiner Kopf mit Hörnern.

Nachdem er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und sagte laut: „Guten Tag, kannst du mir sagen wo es nach Nairobi geht?“ Keine Reaktion, der Riese knabberte seelenruhig weiter an den saftigen Blättern. Ungeduldig, von einem Vorderlauf auf den anderen tretend, rief der Fuchs nun wütend: „He du, ich rede mit dir.“ Immer noch keine Reaktion. Das große Ungetüm ignorierte ihn einfach. So jetzt reichts, wer nicht hören will, muss fühlen dachte der Fuchs, lief seitlich an den rechten Hinterfuß des Riesentieres, hob sein Bein und machte ungeniert sein Geschäft. Vorsichtshalber trat er ein paar Schritte zurück und wartete ab, was passieren würde; jedoch es geschah nichts, rein gar nichts.
Nach einer halben Ewigkeit neigte das Tier seinen Kopf ein wenig. „ So etwas macht man nicht junger Mann ,“ lispelte eine glockenhelle Stimme. Dem Fuchs verschlug es fast die Sprache. Er hatte mit einem Wut­ausbruch gerechnet und nun dies.

„ Bitte, bitte, erkläre mir doch den weg nach Nairobi.“

Der Riese hielt nun mit seiner Mahlzeit inne und meinte: „So, jetzt habe ich genug gegessen, nun bist du dran“. Dabei stieß es bei jedem Wort mit der Zunge an den Zähnen an, es lispelte.

Dem Fuchs fiel das nicht auf, weil er ja noch nie ein solches Tier hatte reden hören. Nun senkte der Riese ganz langsam seinen Kopf zu ihm herunter, schaute ihn genau und neugierig an und meinte dann: „Wenn du nicht „ bitte “ gesagt hättest, würde ich überhaupt nicht mit dir sprechen und für das was du gerade eben getan hast, entschuldigst du dich sofort, verstanden?“ Dem Fuchs wurde ganz mulmig, denn er wurde aus großen gütigen Augen angesehen. Das hatte er nicht erwartet, furchtbar schämte er sich jetzt. „Bitte, bitte entschuldige, ich werde so etwas nie wieder tun. Aber meine Nerven sind sehr, sehr strapaziert. Viele Tage und Wochen bin ich jetzt schon unterwegs, um nach Nairobi zu gelangen, aber anscheinend habe ich mich verlaufen. Überhaupt wer bist du denn?“

„Ich heiße Lisa und bin eine Schabrackengiraffe.“ Während sie das sagte, blinzelte sie mehrmals. „Und wie ist dein Name?“ „Das weiß ich nicht,“ sagte der Fuchs traurig. „Das gibt es doch nicht,“ meinte Lisa nun lispelnd. „Jeder hat doch einen Namen. Also noch einmal, woher kommst du?“ „Vom Polarkreis.“ „Gut, da haben wir doch schon einen Namen für dich. Ich werde dich von nun an Polar nennen.“ „Gut; dann heiße ich eben Polar.“ „Jetzt also noch mal“ sagte Lisa. „Du kommst also vom Polarkreis?“ „Ja, krächzte Polar.“ „Was willst du denn in Nairobi?“ „Ich habe, wie du hörst einen Sprachfehler. Ein Kranich, der von seinem Winterquartier in Ostafrika nach Sibirien zurückkehrte, erzählte mir, dass es in Nairobi eine Sprachschule für Füchse und Schakale gibt.“ „Aha und da willst du jetzt hin, um richtig sprechen zu lernen?“ „Ja natürlich, sonst hätte ich den weiten Weg nicht gemacht.“ „So, so, mein lieber Polar, da muss ich dich leider enttäuschen. Erstens: eine Sprachschule für Füchse und Schakale gibt es schon, aber da werden nur einheimische Tiere aufgenommen. Zweitens: Bist du jetzt in Südwestafrika und nicht in Ostafrika.“

„Oh nein, nun muss ich wieder viele Tage zurücklaufen meinte Polar enttäuscht.“ „Ja da bleibt dir nichts anderes übrig,“ meinte Lisa. „Sag mal Polar, welche Richtung hast du von Ägypten aus eingeschlagen?“ „Frau Kranich hatte gesagt, ich solle den Nil entlang bis zum großen See laufen, dann am linken Ufer bis zum Ende des Sees und dann halblinks weiter. Dann würde ich direkt nach Nairobi kommen. Aber weil ich doch nicht weiß, was links und rechts ist, bin ich wahrscheinlich am rechten Ufer entlang marschiert.“

„Ja“ seufzte Lisa, „für die Kraniche ist es natürlich einfach, einen Weg zu finden. Bei denen gibt es weder rechts noch links, die fliegen einfach so hoch sie können und sehen sich dann die ganze Welt von oben an. Nun , Frau Kranich hat es jedenfalls gut mit dir gemeint. Du hast einfach Pech gehabt und bist am falschen Ufer des Sees entlang gelaufen und bist jetzt in Botswana gelandet. Die Gegend hier heißt Kalahari und hier, wo wir uns gerade befinden, ist die Savanne. Also Polar, du bleibst jetzt eine Weile bei mir, ich zeige dir meine Heimat und wenn du willst, kannst du später immer noch nach Nairobi reisen. Vielleicht macht man eine Ausnahme und hilft auch einem Ausländer beim sprechen lernen. So, wie du jetzt aussiehst, kannst du sowieso nicht dort hin.“ „So, und warum nicht?“ „Schau dich doch einmal an, dein Fell sieht ja zum Erbarmen aus, überall hängen schmutzigweiße Zotteln herunter.“ „Ja, aber das ist doch bei uns Polarfüchsen ganz normal. Im Winter tragen wir ein schneeweißes Fell, damit wir das Schneehuhn und die andere Tiere, die wir als Nahrung brauchen, besser jagen können, weil sie uns im Schnee nicht sehen. Wenn wir uns im weißen Schnee anschleichen, ist unser Fell die beste Tarnung.“ Dass sich das Schneehuhn und die anderen Tiere ebenfalls ein weißes Kleid zulegten und deshalb gar nicht so einfach zu fangen waren, verschwieg er. „Im Frühjahr stoßt mein Fell die weißen Haare ab und dann wachsen schöne schwarzblaue nach.“ „Na, so etwas gibt es natürlich in der ganzen Savanne nicht, da wirst du aber auffallen,“ sagte Lisa begeistert.

„Sag mal Lisa, mir ist aufgefallen, dass die meisten Tiere, die ich bis jetzt gesehen habe, in großen Rudeln umherziehen. Hast du eigentlich keine Verwandten?“ „Oh doch, sehr viele sogar.“ „Ja wo sind sie denn, fragte Polar?“ „Du kannst sie von hier aus nicht sehen, das Savannengras ist zu hoch. Komm mit, wir steigen auf den Hügel dort drüben, da wirst du sie schon sehen.“ Als beide auf dem Hügel standen und Ausschau hielten, vergaß Polar beinahe das Atmen. In einiger Entfernung war eine große Giraffenherde zu sehen, die langsam und majestätisch von einem Savannenbaum zum anderen zog, um ein paar Blätter zu naschen. „ Siehst du ,“ das ist meine Familie. „Wunderschön sehen deine Verwandten aus.“ Und weil gerade Sonnenuntergang war, beleuchteten die letzten Sonnenstrahlen die Felle der Tiere, die einmal erdfarben und dann wieder kupferrot aussahen, einfach umwerfend. „Ja aber warum bist du nicht bei ihnen, fragte Polar?“ „ Ich habe auch einen Sprachfeh­ler, genau wie du. Deshalb ziehe ich auch alleine durch die Savanne. Man erlaubt mir zwar mich in der Nähe meiner Familie aufzuhalten, aber ich darf nicht zu nahe an sie heran. Unser Anführer hat gemeint, dass ich durch meine schlechte Aussprache kein gutes Vorbild für die Kinder wäre. Deshalb muss ich mich von der Herde fernhalten. Man gestattet mir aber, in Rufweite zu bleiben, denn wenn unsere Feinde die Löwen, eine einzelne Giraffe angreifen ist ihnen diese hilflos ausgeliefert. Sollte ich einmal angegriffen werden, schreie ich laut um Hilfe, damit mich meine Familie hört.“ „Ja ist das denn schon einmal vorgekommen, fragte Polar?“ „Nein ich hatte Glück, bis jetzt noch nicht.“ „Löwen stromern hier zwar überall herum, aber ich habe mich auch noch nie außer Rufweite von meiner Familie begeben. Du siehst, ganz verstoßen wurde ich nicht, seufzte Lisa.“ „Welcher Art ist denn deine Behinderung?“ „Ich stoße beim sprechen mit der Zunge an den Zähnen an. Das nennt man Lispeln. Ich wurde deshalb ausgelacht und verhöhnt. Besonders die Kinder liefen hinter mir her und riefen: Lispel Lisa; Lispel Lisa!! Das tat weh. Ich kann ja auch nichts dafür, es ist doch ein Geburtsfehler. Und trotzdem bin ich so ganz zufrieden auch wenn ich alleine bin, aber manchmal brauche ich doch jemanden, mit dem ich sprechen kann. Morgen gehen wir in die Nähe meiner Verwandten, ich möchte ein paar Worte mit meiner Mutter sprechen, da hörst du dann den Unterschied zwischen mir und den anderen.“

Am nächsten Morgen begab sich das ungleiche Paar zunächst einmal auf Nahrungssuche. Lisa stand an einem Baum und knabberte an den Blättern und Polar fing sich ein paar magere Springmäuse. Nach dem Frühstück suchten sie die Giraffenherde. Bis sie diese erreicht hatten, wollte Polar von Lisa noch einige wichtige Tipps, damit er ja nichts falsch machte. „Sag mal Lisa, vor welchen Tieren müssen wir uns denn fürchten?“ „Wir Giraffen fürchten nur die Löwen.“ „Was sind Löwen?“ „Lisa beschrieb sie bis in alle Einzelheiten.“ „Ja die habe ich schon gesehen, als sie ein schwarzweiß gestreiftes Tier verspeisten.“ „ Das gestreifte Tier war ein Zebra ,“ sagte Lisa. Nach und nach beschrieb Lisa alle Tiere, die in der Savanne lebten, besonders machte sie aber auf jene aufmerksam, die Polar gefährlich werden könnten.
„Deine Feinde sind vor allem die Löwen, sie fressen zwar lieber die großen Tiere, aber als Zwischenmahlzeit eignest du dich allemal, außerdem musst du dich vor Leoparden, den Geparden, den Hyänen und auch vor dem Warzenschwein in acht nehmen.“
Inzwischen haben sie sich der Giraffenherde genug genähert, um einige Worte mit Lisas Verwandten zu wechseln. „Bevor ich sprechen kann, muss ich zuerst sehen, wo sich der Anführer aufhält, meistens befindet er sich vor der Herde, um die Gegend abzusichern. Ja, sieh, dort vorne ist er. Nun können wir noch etwas näher heran. Schau mal Polar, dort ist Tante Ella und ein Stück weiter ist meine Mutter mit meinem kleinen Bruder Bruno.“ So ganz wohl war es nun Polar doch nicht mehr in seinem Fell. Die unmittelbare Nähe der Riesen beunruhigten ihn. Lisa, die das bemerkte sagte: „Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja bei dir.“ Tante Ella bemerkte nun die beiden und lief freudig auf sie zu.

„Guten Tag Lisa, wie geht es dir, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Wen hast du denn da mitgebracht?“ Typisch Tante Ella, immer nur geschwätzig und vorlaut dachte Lisa. Laut sagte sie: „Mir geht es gut und dies ist mein neuer Freund; er kommt aus dem nördlichsten Teil der Erdkugel und ist ein Polarfuchs.“ Tante Ella schaute den Fuchs von oben herab an, sie versuchte ihren Hals noch etwas zu strecken und sagte dann voller Verachtung: „ Das ist aber ein ziemlich vergammelter Typ, einen seltsamen Umgang hast du.“ Lisa und Polar waren sprachlos von soviel Arroganz.

Lisas Mutter hatte sie nun auch bemerkt und kam mit Bruno zu ihr. Sie sprach zuerst kein Wort, dafür aber rieb sie eine geraume Zeit ihren Hals an dem von Lisa. Dies ist die höchste Geste der Zuneigung nach Giraffenart. Auch Bruno kam näher und das Ritual wiederholte sich. „Mein lieber Bruder, du bist aber ein ganzes Stück gewachsen, seit ich dich zum letzten Mal sah.“ Und dann ging es los. Mutter sprach nun sehr schnell, sie wollte alles wissen, wie es Lisa seit dem letzten Zusammensein
ergangen ist, und was sie so alles erlebt hat. Während der Unterhaltung schielte sie immer wieder zum Anführer, der aber schien Lisa nicht bemerkt zu haben.

Polar, der zwischen den beiden stand, verstand kein Wort von dem, was sich die beiden zu erzählen hatten. Nur eines war ihm aufgefallen; während Lisa etwas langsamer sprach, weil sie ja lispelte, war die Aussprache der Mutter glockenhell und klar. Zuletzt fragte Mutter: „Warum bist du überhaupt hierher gekommen? Du weißt doch es ist immer gefährlich und unser Anführer duldet dich nicht bei uns.“ „Ich wollte dir eigentlich meinen neuen Freund Polar vorstellen.“ Polar sagte artig: „Guten Tag Frau Giraffe.“ Auch Mutter schaute skeptisch von oben herab und meinte, ziemlich zerzaust, „dein neuer Freund, nicht wahr!“ Lisa erklärte ihr, wie sich das Fell der Polarfüchse zweimal im Jahr abstößt, und es deshalb im Moment so scheußlich aussieht.

„Bitte geh jetzt, bevor euch unser Anführer sieht.“ „Ja, liebe Mutter, du hast recht, wir gehen. Auf Wiedersehen alle zusammen.“ Als sie dann außer Hörweite waren fragte Lisa: „Na kennst du nun mein Problem?“ „Ja ich habe es ganz deutlich gehört, jedoch finde ich es ungerecht, dich wegen dieser kleinen Behinderung aus der Gemein­schaft auszuschließen.“ “Na ja, du hast ja auch nur einen kleinen Sprachfehler und wurdest wie ich ebenfalls ausgestoßen.“ „Nein das stimmt nicht ganz. Ein Jungfuchs muss seine Familie sowieso nach einem Jahr verlassen. Und wenn er keine Frau findet, muss er halt alleine bleiben. Das ist so ob mit oder ohne Behinderung.“ „Ja aber mein lieber Polar, weshalb die lange Reise um sprechen zu lernen?“ „Nun ja, ein Fuchs der etwas auf sich hält, muss eben auch bellen können.“

„Ja ist denn das so wichtig?“ „Ja, für einen Fuchsmann schon.“ „Also Polar, nun zeige mir wie bellen funktioniert, ich möchte das einmal hören.“ „Ich warne dich Lisa, du wirst dich zu Tode erschrecken und alle anderen Tiere, die in der Nähe sind, auch.“ Sie stiegen auf einen Hügel, um die Wirkung des Gebells besser beobachten zu können. Lisa ließ mit ihren großen Augen ihre Blicke schweifen und sah direkt vor sich einen Schirmakazienbaum. Akazienbaumblätter waren Lisas Leibspeise, eine absolute Delikatesse für alle Giraffen. Aber leider ruhen sich gerne Löwenrudel im Schatten dieser Bäume aus und solange die Löwen den schattigen Platz beanspruchen mussten die Giraffen auf die Akazienblätter verzichten. Auch hier hatte sich leider eine Löwenfamilie im Schatten der Akazie breitgemacht. Lisa dachte, dass dies ein guter Test wäre, ob Polars Gebelle wirklich so furchterregend sei.
„So, Polar, hier hat es überall Tiere und dort drüben sind sogar Löwen, jetzt belle endlich, damit ich sehe, was geschieht.“ „Also gut, ich fange jetzt an.“ Und er jaulte und heulte so laut und jämmerlich wie es ihm nur möglich war. Es war ein grauenhaftes Getöse, so etwas Schreckliches hatten die Savannentiere noch nie gehört. Es gab zwar ab und zu ein Gewitter mit Blitz und Donner, aber nein, so etwas, das war einfach zuviel für sie. Alle Tiere die sich in der Nähe aufhielten, ergriffen sofort die Flucht. Selbst das Löwenrudel unter dem Akazienbaum sprang voller Entsetzen auf, dem großen Löwenmann sträubte sich die Mähne und in wilder panikartiger Flucht rannten alle davon. „Starkes Gebrüll lobte Lisa,“ auch sie war mächtig erschrocken, obwohl sie ja vorgewarnt war. „Komm Polar, die Löwen hast du mit deinem Gebrüll verjagt, nun können wir getrost zu meinem Leibspeisenbaum gehen.“

Sie gingen langsam den Hügel herunter in Richtung Akazie. Unterwegs hing jeder seinen Gedanken nach. Polar war zum ersten Mal stolz auf sein Gebell, weil er dadurch Lisa zu ihrer Leibspeise verhelfen konnte. Lisa ihrerseits dachte sich, dass sich doch aus dem Geheul von Polar sicher etwas machen ließe, aber es kam ihr im Moment nichts gescheites in den Sinn. Plötzlich, als sie unter der Akazie stand, wusste sie es.

Während sie die ersten Blätter mit Genuss verzehrte, sagte sie: „Hör mal Polar, so­lange du hier bist, könnten wir doch fusionieren, was meinst du?“ „Was ist fusionie­ren?“ „Fusionieren ist, wenn du mir etwas gibst, was mir Vorteile verschafft, um die Löwen zu vertreiben und ich dir etwas gebe, was dir Vorteile verschaft.“ „Ja, und was soll das sein?“ „Ich stampfe für dich.“
Polar, der sich unter stampfen nichts vorstellen konnte, fragte, wie meinst du das? „Pass auf:“ Lisa hob zuerst ihr vorderes linkes Bein und stampfte damit auf den Boden, dann machte sie dasselbe mit dem vorderen rechten Bein und dann mit den Hinterbeinen. Sie stampfte nun mit allen vier Beinen hintereinander mit voller Wucht auf den Boden, so dass es sich anhörte wie ein Trommelwirbel. Plötzlich hörte Lisa mit der Trampelei auf, und siehe da, aus vielen Löchern flüchteten verängstigte Mäuse und Kaninchen und so war auch für Polar der Tisch reichlich gedeckt.
„Siehst du, das nennt man fusionieren.“ „Einverstanden, die Idee ist gut, ich bin dabei.“ Und so zogen sie gemeinsam, jeder mit dem beruhigenden Gefühl, einen Freund an seiner Seite zu wissen, durch die Savanne. Zu Essen hatten sie immer vom Feinsten. Polar hatte inzwischen ein ebenmäßig glänzend schwarzblaues Fell, nur das letzte drittel seines Schwanzes blieb schneeweiß. „Gut siehst du aus, lobte Lisa,“ sie war fast stolz auf ihren neuen fremdartigen Freund. Bei den gras- und blätterfressenden Tieren hatte es sich herumgesprochen, dass es Lisas Freund war, der so schrecklich heulte. Inzwischen war ihnen das Geheul nicht mehr fremd und sie mussten sich auch nicht mehr davor fürchten. Einzig die Löwen, die immer noch nicht wussten, wer da solch einen Lärm machte, hatten noch Angst davor. Es fiel ihnen auch nicht auf, dass es immer nur dann heulte, wenn sie unter einer Schirmakazie lagen.

Lisa hatte inzwischen bei ihren Verwandten sehr an Ansehen gewonnen, denn wer so einen großartigen Freund hatte, der musste ebenfalls etwas besonderes sein. Der Anführer erlaubte ihr auch, sich zeitweise bei ihrer Mutter aufzuhalten. Das Blatt hat sich gewendet und die Giraffenherde folgte Lisa und Polar, denn immer, wenn Polar heulte, gab es für die ganze Herde genügend zu essen. Ja, das war eine gelungene Fusion, von der viele profitierten. Ab und zu musste Polar ermahnt werden. Vor lauter Übermut wurde er manchmal leichtsinnig, zum Beispiel, wenn er beim Heulen aufrecht stehen wollte. „Duck dich,“ sagte Lisa dann streng, „wenn sie dich sehen, ist es aus mit dem Respekt vor deiner Heulerei und dann ist unsere Fusion wertlos!“

Und so verging die Zeit wie im Fluge. Irgendwann fragte Lisa: „Nun mein lieber Polar, hast du dir schon Gedanken über deine Zukunft gemacht?“ „Ja schon, aber wenn ich nun in die Sprachschule nach Nairobi gehen würde und wieder den langen Weg nach Sibirien zurück, wird mir Angst und Bange. Hier stört sich niemand an meinen Sprachfehler. Im Gegenteil, ich habe endlich Freunde gefunden und wenn ich belle, ist es für alle hier nur von Vorteil. Und außerdem, die Löwen zu erschrecken macht richtig Spaß. In Sibirien habe ich weder Freunde noch kann ich dort durch mein Gebelle für andere etwas nützliches tun. Nein Lisa, ich bleibe hier bei dir.“

Und so zogen sie weiterhin friedlich durch die Savanne, gefolgt von Lisas Verwandt­schaft. Beide hatten nun ihren Frieden. Ihre Behinderung störte keinen mehr und endlich wurden sie von den anderen akzeptiert. Sie wanderten viele Jahre glücklich und zufrieden umher und wo immer sie auftauchten, sagten die anderen Tiere ehrfurchtsvoll: „Seht, da geht Lisa mit ihrem außergewöhnlichen Freund vom Polarkreis.“

Ende der Geschichte vom User "Polar"

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