Wildkaninchen und Münchner Schlachtschüssel


Wildkaninchen und Münchner Schlachtschüssel

Advents - und Weihnachtsessen in Gaststätten vor über 100 Jahren

Kulturhistorisch wurde bisher wenig über die Angebote an Essen und Trinken im sogenannten öffentlichen Raum, d. h. in den Gaststätten und Kneipen Radebergs geschrieben. Dabei gehörte das „Schmausen“ zu den Attraktionen zwischen der Gewerbefreiheit 1863 und dem einsetzenden Mangel, kriegsbedingt im Jahre 1914. Das Schmausen im vorweihnachtlichen Zeitraum war eng verbunden mit den Begriffen des Genießens oder gar des Schlemmens. In Radeberg und der Umgebung war permanenter Bestandteil des Essens der Genuss von Bier. Und trotz oder vielleicht auch wegen der zunehmenden Dominanz des Radeberger Bieres wurden in Radeberg Kulmbacher, Münchner, Pilsner aus Böhmen und Biere aus kleinen Brauereien angeboten. Damit erreichte man für einige Tage ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal und quasi eine Art „Stammkundschaft“.

Unmittelbar nach Martini ging es los. In der ersten Zeit bis zum 2. Advent dominierten Wildangebote. So war eben um 1890 das Wildkaninchen mit Kartoffelbrei und Rotkohl an elf Stellen in Radeberg zu haben. Gefolgt von der Rehkeule und den Rehblättern (Rehschulter). Und dazu immer Kartoffeln, entsprechende Soßen. Wacholderbeeren, Preiselbeeren und Johannisbeergelee verfeinerten den Geschmack. In Rassers Restaurant verwendete man Speiseöl aus Nizza, wie es überhaupt nach 1900 Mode wurde, Wild eher in mediterranen Rezepten anzubieten. Konträr dem gegenüber standen die Bockbierfeste. Hier gab es die Bockwürstchen in allen erdenklichen Ausführungen. Dazu wirbt man mit „Rettich gratis“.

Und wem dies nicht genug war, der konnte zu den zahllosen Schlachtfesten gehen. Am Anfang Wurstbrühe und Wellfleisch, später die Münchner Schlachtschüssel. Die Original Schlachtschüssel hatte als Grundlage zwei Pfund Sauerkraut und fast anderthalb Pfund Schweinefleisch bzw. geräuchertes Bauchfleisch. In das Sauerkraut waren zuvor Leber- und Blutwürstchen gegeben worden. Auch hier gab es in der Regel Kartoffelbrei dazu. Wegen der Konkurrenz wurden neue Arten der Veranstaltung erfunden: Doppelschlachtfest, das zweite zum halben Preis oder Nachtschlachtfeste. Da feierte man bis früh durch, eine Polizeistunde wurde wegen des unbedingten Verzehrs der Ware aufgehoben.

Als Außenseiter etablierte sich ab etwa 1895 das „Radeberger Genussfleisch“. Das war Kochschinken, angereichert mit einer Senf-Honig- Mischung. Dazu gab es frisches Brot, direkt aus dem Backofen. Erstaunlich ist, dass sich die normalen Portionen im Preissegment um die 60 bis 70 Pfennig bewegten, lediglich die Schlachtschüssel kostete ab 1.20 Mark aufwärts. Und selbst für das ganz kleine Portemonnaie gab es etwas zum genießen. So boten vor allem Ladengeschäfte an: Frankfurter Würstchen mit Meerrettich, die Radeberger Gallertschüssel oder der Händler Wöhlermann „Täglich abends: geräucherte, warme Heringe“. Dort gab es Flaschenbier dazu. Kostenpunkt ab 20 Pfennig aufwärts,

Nach dem 2. Advent wechselte man das Angebot oft in Gänsebraten mit Klößen oder alle Varianten des gepökelten Schweinefleischs. Dazu gab es z. B. im Restaurant Heinrichsthal als Besonderheit: Windbeutel mit Schlagsahne als Nachtisch. Mittagessen zu Weihnachten geschah zu Hause. Nachmittags ging man zu Plinsen mit Kaffee und wer abends blieb, hatte oft erneut das Schlachtfest bereits ab 26. Dezember wieder zur Auswahl.

Einzige Alternativen hierzu waren Bratwurst – oder beginnende Karpfenschmäuse. Man muss anhand der vorhandenen Gaststättenplätze in Radeberg davon ausgehen, dass durchaus in den Spitzenzeiten bis zu 3000 Einwohner und ihre Gäste die Angebote wahrnahmen. Denn auch in der Woche gab es in den Lokalen „launige Unterhaltung“. Was immer das gewesen sein mag.

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