Zu spät …

Zu spät …

 
Offensichtlich macht es den meisten Leutchen hier im Seminar Spaß, zu spät zu kommen. Ich rege mich innerlich auf, nach außen gebe ich mich gelassen, weil ich nicht als Spießer gelten will. Ich gehöre nicht zur Fraktion jener Künstler, die so präzise abschätzen können, wie spät man zu spät kommen kann, ohne in die Riege der notorischen Zuspätkommenden eingereiht zu werden. Dann posaune ich mein Credo doch noch heraus: „Ich komme pünktlich - oder gar nicht!“
 
Ein paar Teilnehmer geben mir recht, andere nicken zustimmend, bei den Zuspätkommenden ist meine Maxime natürlich nur schwer aufrecht zu halten. Die Stimmung ist jedenfalls im Eimer. Wie soll ich jetzt aus dieser Nummer schadlos herauskommen? Zum Glück gibt der Seminarleiter den heutigen Themenimpuls bekannt: „Zufallstreffen”.
 
Wir haben 90 Minuten Zeit aus dieser Vorgabe eine veritable Geschichte zu bauen. Meine Spezialität sind True-Storys, mit Fiktion tue ich mir schwer. Also reiße ich mich am Riemen und verlier mich wieder einmal in alten Zeiten. Mir fällt eine passende Story ein, die ich noch nie erzählt und auch nicht aufgeschrieben habe. Ich denke, dass ich damit bei der nachfolgenden Feedback-Runde reüssieren kann und man mir mein kleinliches Denken nachsieht.
 
Titel: ELFRIEDE
 
Es ist schon ein paar Jahre her, es war die Zeit, in der ich dem Trunke nicht abgeneigt war und zuweilen gewaltig über die Stränge schlug. Da traf ich zufällig Elfriede, eine alte Bekannte. Wir hatten früher einmal ein Gspusi – ein schlampiges Verhältnis. Weil wir grade nicht Zeit hatten, aber trotzdem an das Gleiche dachten, beschlossen wir quasi im Vorübergehen – dass wir uns demnächst bei einem Gläschen an alte Zeiten erinnern sollten … Ein Rendezvous war schnell ausgemacht: Freitag um 15 Uhr im Bajazzo, dem Theatercafé, wollten wir uns treffen. Wie gesagt, es war die Zeit, in der ich den lockeren Umgang mit geistigen Freudestiftern pflegte. Da war es normal, dass ich so ein freudiges Ereignis dementsprechend begießen musste.
 
Freitag, 15 Uhr, ich war pünktlich. Und wartete auf Elfriede, aber sie kam nicht. Die Barfrau hatte mich die ganze Zeit beobachtet und gesehen, dass ich alle fünf Minuten auf die Uhr und zur Tür schielte und seufzend einen weiteren Drink bestellte. Nach einer Stunde fragte sie: „Warten Sie auf jemand?“ Ich antwortete: „Ja, auf Elfriede, sieht so aus, als würde sie nicht mehr kommen.“ Ein schallender Lacher aus dem Mund der Barfrau ließ mich ziemlich blöd aus der Wäsche schauen. „Was ist so witzig an mir?”, fragte ich. Sie hörte auf zu lachen, beugte sich zu über den Tresen und sagte: „Sie sind der Witz der Woche. Elfriede saß vorigen Freitag, genau hier wo Sie jetzt sitzen, sie hielt es nicht so lange aus wie Sie, verließ ziemlich wütend nach einer halben Stunde das Lokal. Sie war stinksauer auf einen Freund, der sie anscheinend versetzt hatte.”
 
Verdammte Sauferei, dachte ich, zahlte und ging. Ich hatte begriffen, dass ich um genau eine Woche zu spät gekommen war.
 
© Ferdinand F. Planegger 2020-10-30


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Kommentare (7)

Tulpenbluete13

Lieber Ferdinand,

ich mag es nicht wenn jemand zu spät kommt...auch nicht die "akademische" Viertelstunde...
ein paar Minuten das geht..aber  nicht eine ganze Woche...lach...

Eine hübsche Geschichte so richtig zum Schmunzeln..Ich frage mich ob Du Dich bei Elfriede entschuldigt hast....? oder hast Du sie in "Ruhe" gelassen....(Neugierig sind sie die "Weiber"..lach...)

Das Leben schreibt die besten Geschichten..kuriose und auch traurige und auch glückseligmachende.....

darüber freut sich mit lieben Grüßen zum Sonntag
Angelika😊

 

Eisenwein

@Tulpenbluete13  
Hallo Angelika, ich bin ganz deiner Meinung. Es soll ja Leute geben, die als Imagepflege, zehn Minuten vor der Tür warten, wenn sie zufällig einmal pünktlich sind. 
Die besagte Elfriede habe ich nie mehr getroffen. Ich weiß aber, dass sie auch ohne mich glücklich geworden ist. 😊

Schönen Sonntag!
Ferdinand

Eisenwein

Was damals ziemlich beschämend war, ist heute Erinnerung, eine Episode, die ich mir mittlerweile verziehen habe. Danke für eure Wortmeldungen! 😊

ahle-koelsche-jung

Dumm gelaufen würd ich sagen 😂
So spielt das Leben schonmal einen Streich. Schön deine Story hier zu lesen.

VG Wolfgang

ladybird

Hallo Eisenwein,
wer weiß, hat bei diesem " von einander vorbei- Treffen" das Schicksal seine Finger im Spiel gehabt?
Oder wie Muscari schon schrieb: es hat nicht sollen sein......
schön spannend erzählt, wenn es auch nicht mit happy end ausgeht,
freut sich
ladybird

 

Eisenwein

@ladybird  
Das war nicht Schicksal, liebe Ladybird, das hab' ich Idiot selbst verbockt.

Liebe Grüße und schönen Sonntag!😊
Ferdinand

Muscari


Warst also ein Pechvogel.
Hatte eben nicht sollen sein - sein sollen -, wie man so schön sagt.
😞
Aber schön, Dich hier nochmal zu lesen.
Andrea

 


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