Zum ersten Mal in London


So gelangten wir kurz vor Mittag zum gebuchten Hotel. Es war ein kleines einfaches Haus, wie wir es auch erwartet hatten. Außerdem hatten wir während der Anfahrt schon gemerkt, wie weit es vom Zentrum entfernt war.
An der Rezeption wurden wir freundlich begrüßt und ich legte unseren Voucher vor. Die Rezeptionistin schaute mich mitleidig an und sprach einen langen englischen Satz. Jetzt hoffte ich, nicht richtig zu verstehen, denn was ich verstanden hatte, war alles andere als erfreulich. Das Hotel sei ausgebucht und wir müssten in eine andere Unterkunft. Wahrscheinlich zum Trost legte sie einen Brief und vier Pfund auf den Tresen.
Zur Sicherheit fragte ich: „You have no room for us?“
Sie nickte bedauernd und deutete auf den Brief und den Stapel Pfund-Münzen. „Yes, I'm very sorry, Sir. Please take a Taxi and go to this hotel.“
Dabei wies sie auf den großen Briefumschlag, der adressiert war an das InterContinental London Park Lane.

Wir waren ziemlich ratlos. Schon mehrmals hatten wir davon gehört, dass Hotels überbucht waren und die Leute einfach weggeschickt wurden. Jetzt waren wir also mal dran. Aber was sollten wir machen? Vielleicht war das mit dem anderen Hotel ja kein Trick, sondern die ehrliche Bemühung uns doch noch irgendwie unterzubringen. Wir waren ja bescheiden und hatten keine großen Ansprüche. Dennoch hofften wir natürlich, dass es sich bei dem uns zugedachten Hotel um keine Absteige handelte. Park Lane deutete auf eine abgelegene Gegend irgendwo am Stadtrand hin.

So nahmen wir unsere Koffer sowie den Umschlag samt Geld und verließen traurig das Hotel. Draußen war ein Taxistand und wir stiegen in eines der berühmten Londoner Taxis ein. Der Fahrgastraum war so groß, dass wir unsere Koffer mit hineinnehmen konnten und trotzdem noch genug Platz für unsere Beine hatten. Ich reichte dem Fahrer den Umschlag mit der Adresse und er fuhr los. Natürlich auf der für uns ungewohnten linken Straßenseite.
Zu unserem Erstaunen näherten wir uns wieder dem Stadtzentrum. Vor einem imposanten Gebäude hielt der Fahrer das Taxi an. Der Fahrpreis betrug 3,90 £ und die restlichen 10 Pence waren sein Trinkgeld. Aus meinen Englisch-Lektionen wusste ich sogar, dass man an dieser Stelle sagt: „Keep the change.“
Kaum hatten wir bezahlt, da wurden auch schon die Autotüren aufgerissen. Ich staunte nicht schlecht, als es um uns herum nur so von Hotelpersonal wimmelte. Bevor wir uns versahen, waren die Koffer in das Hotel transportiert und wir gingen unbeschwert zur Rezeption. Wo waren wir denn hier hingeraten? Hatten wir mit dem Schlimmsten gerechnet, so wurden wir jetzt überaus angenehm überrascht. Das war ja eine ausgesprochene Luxusherberge!
Aber konnten wir uns diesen Komfort überhaupt leisten? Das war ja eine Hotelkategorie, die wir wegen der Preise im Reisebüro kategorisch ausgeschlossen hatten.
Ich legte den Briefumschlag vor. Die Hotelangestellte entnahm den Brief, nickte und hieß uns auf Englisch herzlich willkommen. Sie händigte uns den Schlüssel aus und teilte uns die Frühstückszeiten mit, die ich zwar verstand, aber in der Aufregung sofort wieder vergaß.
Dann folgten wir einem Hotelangestellten, der uns mit dem Lift nach oben bis in unser Zimmer brachte. Er ging wieder und schon klingelte es an der Tür und unser Gepäck wurde gebracht. Ich hatte keine Ahnung, ob man in dem Fall Trinkgeld gibt und wenn ja, wie viel. Also ließ ich es ganz. Beim Anblick unserer alten Koffer hatte der Boy sicherlich schon vorher geahnt, dass es in diesem Fall nichts geben werde.
Als er weg war, schauten wir uns um und konnten es nicht fassen. Das war kein Hotelzimmer – das war ein Palast. Es war alles ein bisschen altmodisch, aber vom Feinsten. Die Wände waren nicht tapeziert, sondern mit Stoff bespannt und die Möbel hätten in jedem gehobenen Antiquitätenladen stehen können. Die Wasserhähne im Marmorbad waren verschnörkelt und auf dem Waschtisch standen richtige Glasflaschen mit Haarshampoo und anderen uns unbekannten Flüssigkeiten.
Wir hatten beide das Gefühl, hier nicht wirklich hinzugehören. Das war mehrere Nummern zu groß. Die Sorge, die wir hatten, war, dass am Ende jemand (natürlich auf Englisch) sagen würde: „Sie hatten ein Luxuszimmer für drei Nächte. Das macht 900 £.“ Wobei wir uns über die genaue Höhe des Zimmerpreises gar nicht im Klaren waren.
Trotz aller Sorgen und Ängste nahmen wir uns vor, die Zeit in London zu genießen. Dazu gehörte, dass wir uns in der Stadt umschauten, denn deshalb waren wir schließlich hier.

Anmerkung: Wir mussten tatsächlich am Ende nichts zuzahlen.

Aus dem Buch "Reisehusten" von Wilfried Hildebrandt


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Kommentare (1)

Edit

Habe das Buch gelesen. War toll!
Viele Grüße 
Edith


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