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Aktuelle Themen Eine moralisch-ethische Frage?

eleonore
eleonore
Mitglied

Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von eleonore
Ich las heute morgen in SPON, dass der zustand der ehemalige israelische Ministerpräsident, Ariel Scharon (85) der seit 8 Jahren nach einen Schlaganfall in Koma liegt, verschlechtert haben soll.

Aus aktuellen Anlass,(Schumacher) und da ich durch meine Ausbildung medizinisch Ahnung habe,- und da wir 2013 just mit diesen Dilemma konfrontiert waren, frage ich mich wieweit ist es moralisch vertretbar, ohne zu wissen, welche Schäden zurückbleiben, jemanden um jeden preis am leben zu halten.



Wobei denke ich, dass Herr Schumacher der ja um einiges jünger ist als Sharon, bessere Chancen hat.
Und auch da bleibt die Frage offen, welche Schäden bleiben?
Karl
Karl
Administrator

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von Karl
als Antwort auf eleonore vom 02.01.2014, 07:53:45
Und auch da bleibt die Frage offen, welche Schäden bleiben?
Wichtig sollte nicht die Frage sein, ob Schäden bleiben, sondern ob Hoffnung auf Wiedererwachen besteht.

Ich lese gerade das Buch 'Bewusstsein: Bekenntnisse eines Hirnforschers' von Christof Koch. Demnach gibt es je nach Gehirnverletzungen fließende Übergänge zwischen bewusstlosem Koma und äußerlich offensichtlichem Koma, das aber - wie mit Magnetresonanz gemessen - Bewusstsein enthalten kann. Die Gehirnaktivität ließ sich in diesen sehr seltenen Fällen durch Ansprache so verändern wie es von wachen, gesunden Personen her bekannt ist. Dieser Zustand ist nicht mit den sogenannten "Wachkomapatienten" zu verwechseln, die trotz offener Augen und reflexhaften Bewegungen meistens keinerlei Anzeichen bewusster Hirnaktivität zeigen. Christof Koch und Kollegen ist es gelungen, einige der Aktivitätsmerkmale herauszuarbeiten, die im bewussten Gehirn immer vorliegen.

Es muss also bei Komapatienten sehr genau differenziert werden! Gut ist, dass es heute mit den bildgebenden Verfahren möglich ist, Aktivitäten im Gehirn eines Komapatienten zu beobachten und damit ein wesentlich qualifizierteres Urteil über die Chancen einer weiteren Behandlung aussprechen zu können. Im Zweifel muss sich m. E. sowieso immer für das Leben entschieden werden. Es widerstrebt sicherlich jedem, wenn hier ausschließlich Kosten - Nutzen Erwägungen zugrunde gelegt würden.

Aus Patienten- und Ärztesicht ist es wichtig, ob eine Patientenverfügung vorliegt oder nicht.

Zum konkreten Fall von Sharon sind mir Details nicht bekannt.

Karl
Drachenmutter
Drachenmutter
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von Drachenmutter
als Antwort auf Karl vom 02.01.2014, 10:38:28
Es muss also immer sehr genau differenziert werden! Gut ist, dass es heute mit den bildgebenden Verfahren möglich ist, Aktivitäten im Gehirn auch eines Komapatienten zu beobachten, also ein wesentlich qualifizierteres Urteil über die Chancen einer weiteren Behandlung ausgesprochen werden kann - und im Zweifel muss sich m. E. sowieso immer für das Leben entschieden werden. Es widerstrebt sicherlich jedem, wenn hier ausschließlich Kosten - Nutzen Erwägungen zugrunde gelegt würden.
geschrieben von Karl


Im Grunde gebe ich Dir hier Recht, aber................

Die Kosten - Nutzen Erwägung kann für die Angehörigen des Komapatienten von großer Wichtigkeit sein. Zahlt die Kasse alles und wie lange? Wieviel der Kosten hat der Patient und damit die Familie zu zahlen? Kann sie das überhaupt oder gerät sie dadurch in den wirtschaftlichen Ruin?
Kann nicht eigentlich nur eine sehr reiche Familie, wie bei Herrn Schumacher, diese Kosten tragen, ohne daran finanziell zugrunde zu gehen?

Mit anderen Worten, ist das Amlebenerhalten eines Langzeitkomapatienten wichtiger, als die wirtschaftliche Lebenssituation seiner Familie?

Krankenkassen zahlen nicht alles und auch nicht über Jahre hinweg. Ich spreche aus Erfahrung. Unsere private KK hat uns seit dem Schlaganfall meines Mannes etliche Felsbrocken zwischen die Füße geworfen und die wichtigsten Hilfsmittel mit fadenscheinigen Begründungen nicht bezahlt. Hätten wir nicht in die eigene Tasche gegriffen, hätte mein Mann jetzt keinen Rollstuhl, keinen Badewannenlifter, nicht einmal eine Toilettensitzerhöhung und den dazugehörigen Haltegriff an der Wand. Was würde diese KK wohl alles ablehnen, wenn er ein Komapatient wäre?
Die Ärzte würden wohl kaum auf ihr Honorar verzichten, ebensowenig die Kliniken auf ihre Kosten. Das hieße für die Angehörigen, Kredite aufnehmen, um die Rechnungen bezahlen zu können, sich hoch verschulden, ohne zu wissen, wann das ein Ende hat und ob der Angehörige jemals wieder aus dem Koma erwacht.

Dürfen solche Dinge nicht bedacht werden, weil es wichtiger ist, einen Komapatienten am Leben zu erhalten?

Das Leben geht vor. Wessen Leben? Das des Komapatienten, von dem niemand sagen kann, ob er wieder erwacht, oder das der Familienangehörigen, die dabei wirtschaftlich über die Wupper gehen?

Ich kann all diese Fragen auch nicht beantworten, aber sie schwirren in meinem Kopf herum und beunruhigen mich.

woelfin

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Edita
Edita
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von Edita
als Antwort auf Karl vom 02.01.2014, 10:38:28
[quote=eleonore] Die Gehirnaktivität ließ sich in diesen sehr seltenen Fällen durch Ansprache so verändern wie es von wachen, gesunden Personen her bekannt ist. Dieser Zustand ist nicht mit den sogenannten "Wachkomapatienten" zu verwechseln, die trotz offener Augen und reflexhaften Bewegungen meistens keinerlei Anzeichen bewusster Hirnaktivität zeigen. Christof Koch und Kollegen ist es gelungen, einige der Aktivitätsmerkmale herauszuarbeiten, die im bewussten Gehirn immer vorliegen.

Es muss also bei Komapatienten sehr genau differenziert werden! Gut ist, dass es heute mit den bildgebenden Verfahren möglich ist, Aktivitäten im Gehirn eines Komapatienten zu beobachten und damit ein wesentlich qualifizierteres Urteil über die Chancen einer weiteren Behandlung aussprechen zu können. Im Zweifel muss sich m. E. sowieso immer für das Leben entschieden werden. Es widerstrebt sicherlich jedem, wenn hier ausschließlich Kosten - Nutzen Erwägungen zugrunde gelegt würden.
Karl
geschrieben von karl


Diese Aussage kann ich nur bestätigen, Karl. Vor nun mehr 13 Jahren war meine Tochter das letzte Mal wegen eines schweren Status Epileptikus in einem künstlichen Koma, ließ man sie währenddessen einfach nur so " dahinschlafen ", waren ihre Kurven auf dem Überwachungsmonitor flach und regelmäßig, wie eben bei einem schlafenden und ruhenden Menschen, habe ich ihr aber Geschichten erzählt, oder ihre Lieblingskinderlieder vorgesungen, kam "Leben" auf den Monitor! So haben wir sie tagsüber oft und ausgiebig " unterhalten ", z.E. zur Beruhigung für mich, daß ich sah das sie noch lebt, und z.A. für sie, daß sie merkte, daß sie nicht alleine war! Unbedingt verboten war für mich sie spüren zu lassen, daß ich Angst hatte, und auch Fragen zu behandeln wie z.B. " hat der Status irgendwelche neue Schäden am Hirn hinterlassen " oder überhaupt negative Dinge! Den Beweis, daß sie alles mitgehört hat, hat sie danach selbst geliefert, indem sie uns erzählt hat, "daß wir ganz viel gesungen und erzählt haben"! Und " zusätzliche " Schäden haben sich gottseidank nicht eingestellt, aber........ihr Gehirn war ja auch "nur" verkrampft, und nicht wie bei M.S. durch Außeneinwirkung schwerst verletzt!

Edita
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Drachenmutter vom 02.01.2014, 11:03:32
Liebe Woelfin,

genau an diesem Punkt bin ich gedanklich auch angekommen.

Mein Mann trug im Alter von 53 Jahren bei einem Verkehrsunfall schwerste Kopfverletzungen davon.
Er wurde zunächst künstlich beatmet.

Wir wurden nicht gefragt, ob und wie lange versucht werden sollte sein Leben zu retten ...

Jetzt rückblickend, nach gut 18 Jahren, bin ich froh nicht gefragt worden zu sein.
Unser Leben ging und geht weiter.
Nicht die Zahl der Lebensjahren entscheidet, ob ein Leben erfüllt war oder ist.

Der finanzielle Aspekt sollte sehr wohl bedacht werden, wenn die Frage der Lebensverlängerung unter moralisch-ethische Aspekte betrachtet werden soll.

Lebensverlängerung auf und für jeden Preis und auf der andere Seite eine mangelnde Grundversorgung von Kranken, Behinderten, Pflegebedürftigen kann mE moralisch-ethisch nicht befürwortet
werden.
Hier braucht das Gesundheitswesen klare Richtlinien, auch wenn es uns sehr, sehr schwer fällt, dies zu akzeptieren.

Mareike
pippa
pippa
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von pippa
als Antwort auf Drachenmutter vom 02.01.2014, 11:03:32
Zunächst gab es auch für mich nur eine Antwort:
Im Zweifel für das Leben.

Deine Fragen, liebe woelfin, sind allerdings sehr berechtigt und veranlassen mich, auch einmal die andere Seite zu betrachten.

Inwieweit eine gesetzliche KK die in solchen Fällen sehr hohen Kosten übernimmt kann ich nicht beurteilen, weiß aber, dass auch dort wegen jeder Lappalie gestritten wird.

Wenn die Lebenden (Familie) nicht in den wirtschaftlichen Ruin getrieben werden soll, übernimmt dann der Steuerzahler die Kosten - und wer entscheidet das? Ist das überhaupt eine Aufgabe der Allgemeinheit?

Wenn ein Komapatient wider Erwarten nach Jahren aus dem Koma erwacht, ist das dann für einen solchen Menschen ein Glück? Ich wage es zu bezweifeln.

Die alles entscheidende Frage aber ist, WER soll die Entscheidung treffen?

Selbst bei dem Patienten Schumacher, der vielleicht sogar eine Patientenverfügung erstellt hat, wird doch niemand wagen, lebenserhaltende Apparate abzustellen.

Pippa

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lupus
lupus
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von lupus
als Antwort auf Drachenmutter vom 02.01.2014, 11:03:32
Abgesehen vom Kostenproblem bleibt in wenigen Fällen auch ein organisatorisches Dilemma.
Konstruiertes Beispiel: Ein Krankenhaus hat zwei Herz-Lungen-Maschinen die besetzt sind und bekommt einen neuen Unfall hinzu.
Hier scheint mir die Entscheidung bei den Ärzten zu liegen. Diese sollte nicht öffentlich breitgetreten werden und ich beneide die Ärzte nicht um diese Situation.

Auf jeden Fall ist eine persönliche Verfügung notwendig und für alle Beteiligten von Vorteil.

lupus
Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Ich denke man kann die beiden "Fälle" Sharon und Schumacher nicht vergleichen und es sollte auch niemand "ethisch und moralisch" in Frage stellen, ob das Leben dieser Männer erhalten werden soll oder nicht. Bei Mr. Sharon, der aus dem "natürlichen" Koma nicht erwachte, war es eine eindeutige Patientenverfügung, die seine Söhne auch bis heute befolgen und in der steht !Leben! Darüber gab es in der Jerusalem Post vor einiger Zeit noch einen Bericht.

Bei Schumacher, der im künstlichen Koma liegt (was bei diesen Verletzungen üblich ist) stellt sich doch die Frage gar nicht, der Mann ist akut verletzt, die Schwellungen im Kopf sind noch gar nicht zurück gegangen und man weiß gar nicht, welche Prognosen es da geben wird. Da hat er noch einen langen Weg, bis die Akutphase vorbei ist, man weiß mehr, wenn er wieder bei Bewußtsein ist und dann hat er sicher einige Rehabilitationsbehandlungen vor sich, die lange dauern können. Erst nach einem Jahr, so lernte ich es, kann man sagen, ob es noch weitere Verbesserungen bei verletztem Großhirn geben wird oder nicht. Jeder Angehörige befindet sich da in großer Gewissensnot und die lässt sich von Außenstehenden in einem Forum glaube ich nicht diskutieren. Und jeder Angehörige hofft auf ein Wunder. Da jetzt die Frage zu stellen, ob sein jetziges Leben ethisch und moralisch vertretbar ist, das ist ... crass
Edita
Edita
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von Edita
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.01.2014, 13:01:53
Da jetzt die Frage zu stellen, ob sein jetziges Leben ethisch und moralisch vertretbar ist, das ist ... crass


Das sehe ich auch so, vielmehr sollten "Außenstehende" oder besser gesagt, "familiär nicht Involvierte", sich, wenn es sich nicht um eine ganz Personenneutrale Diskussion handelt, sich selber den moralisch-ethischen Maulkorb verpassen!
Ich habe vor ganz vielen Jahren, es könnten jetzt vielleicht 35 sein, mal inständigst gebetet, daß "der Liebe Gott" doch meine Tochter sterben lassen sollte, es war in der Kinderklinik und in regelmäßigen Abständen flog sie in ihren epileptischen Anfällen ca. 30 cm auf dem Krankenhausschragen herum, es war ganz, ganz furchtbar, denn man konnte ihr damals noch nicht so helfen, wie heute, zwischen den Anfällen wimmerte sie nur immer ganz jämmerlich, so ging das tagelang und die ganz natürlich vorhandene eigene Körperkraft schwand bei ihr zusehends, während der Ruhephasen zwischen den Anfallsserien lag sie da wie ein Pudding! Gott sei Dank ist sie nicht gestorben, und somit kann ich heute beurteilen, daß mein Gebet von damals, eine krasse Fehleinschätzung war!
Aber..........ich bin ja nicht getauft, meine Kinder sind auch nicht getauft, vielleicht wurde das Gebet darum überhört?
Aber auch ein Beweis dafür, daß auch " Ungläubige " in ganz schlimmen Zeiten beten können !

Edita
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Eine moralisch-ethische Frage?
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Edita vom 02.01.2014, 13:57:04
Ethik und Moral haben nicht unbedingt etwas mit Glauben zu tun, sondern mit Verhaltensnormen in einer Gesellschaft.
Dabei ist die Ethik die Theorie, die Moral die gelebte Praxis, mal so grob gesagt.

Es geht somit nicht so sehr um die Entscheidung des Einzelnen, sondern um Grundlegendes in Hinblick auf das gute Zusammenleben in der Gesellschaft.

Wir werden uns als Gesellschaft schon damit auseinandersetzen müssen, ob alles was (technisch) möglich ist, auch zu verantworten ist, eben auch in der Frage der Finanzierung.

Da gibt es keine einfache Antworten.

Und es ist nicht richtig, die Verantwortung und den Entscheidungsfreiraum den Ärzten zuzuschieben. Erst recht nicht ohne Kriterien, die in diesen Fragen Orientierung geben.

Mareike

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