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Aktuelle Themen Einige Worte zum Kapitalismus; nicht nur für Herrn Ziesemann.

telramund
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Re: Natur und Kultur
geschrieben von telramund
als Antwort auf Karl vom 14.07.2007, 16:27:59
Karl,

hier darf ich eine Ergänzung anmerken, um Mißinterpretationen zu vermeiden:

Ich glaube nicht, daß hier die reine kapitalistische Lehre - die nie praktiziert wurde (soziale Marktwirtschaft) - propagiert wird.

Andererseitw wurde die Entmachtung des Nationalstaates durch die fortschreitende Globalisierung und letztlich auch weitgehende Abgabe von Souveränitätsrechten an die EU sowie die damit verbundene Schwächung des Sozialstaates, bereits erwähnt.
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telramund
niederrhein
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Eine Anmerkung, eine Ergänzung ...
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf Karl vom 14.07.2007, 16:27:59
Eine kleine Ergänzung
(Zunächst danke, lieber Karl, für Deinen Beitrag!)

Ich darf einiges ergänzen. Methodologisch war bzw. ist mein Beitrag inhomogen, denn er enthält neben dem historischen Teil auch Folgerungen, "Gegenpositionen" zu bereits geschriebenen „Thesen“ etc., aber eigentlich - so sehe ich es - keinerlei wie auch immer gearteten politischen Appell oder gar eine eigene dezidiert politische Meinung. (Das wäre ein anderes Thema ...)

Noch eine weitere Anmerkung: natürlich kann jeder (m)einen Artikel so rezipieren wie er will: intensiv wie z.B. Karl und andere; oder eben auch nur oberflächlich oder nur gestreift (nach dem Motto: Stichwort reicht) ... ob das für einen Gedankenaustausch oder ohne eine intensive, sachorientierte Diskussion aussreicht, sei dahin gestellt.


Hier allerdings nur eine "sarkastische" Anmerkung
Offenbar ist die erträgliche soziale und existentielle Schmerzgrenze (oder sollte man sagen: die Schamgrenze) für die Menschen noch nicht erreicht.
Auch wenn es zynisch klingt – wenn sich der ökonomisch skandalöse Zustand der Welt noch weiter verschlechtert (Siehe den zentralen Artikel im Wirtschaftsteil der aktuellen ZEIT!), die globale oder auch nur nationale soziale Schere noch weiter auseinanderklafft ... irgendwann wird der große Teil der Menschen sich das vermutlich nicht mehr gefallen lassen. So hoch können die Mauern und Grenzen gar nicht sein, so raffiniert und ausgeklügelt die Gesetzesapparate nicht, als daß nicht jene ausgebeuteten Menschen versuchen werden, sich dagegen zu wehren.
Da helfen nicht jene bewachten und gesicherten Wohlstandsburgen in den USA, Indien, Brasilien, da helfen nicht die bis jetzt noch diskreten Bewachungen und Sicherungen in München-Grünwald und am Starnberger See ...

(Wobei ausgerechnet das „Evangelium“ der kapitalistischen Wohlstands- und Konsumgesellschaft, dieses trügerisch-verführerische Bild aus ewiger Freizeit, Gaudi, Frohsinn, voller (alter) gebräunter, wohlhabender Menschen, voller überflüssiger Dinge etc. etc. dank der modernen Medien und Kommunikation offenbar bis in den letzten armen Winkel dieser Welt verbreitet wird. Es würde zu weit führen, allein die Folgen für die jungen Leute in den bis zu sechziger und siebziger Jahren mehr oder weniger intakten dörflichen Agrargemeinschaften in Afrika zu beschreiben, wobei da noch die ebenfalls skandalöse Subventions- und Exportpolitik als existenzgefährdender Faktor dazukommt.)


Doch „ad rem“, zur Sache ...
Da ja die Kernthese zur Verteidigung des Kapitalismus ist, daß jener der menschlichen Natur entspräche, soll noch einmal der Blick auf diese Aussage gerichtet werden.

Wie skizziert ein (von mir sehr geschätztes) Mitglied innerhalb unserer kleinen ST-Gemeinschaft indirekt den Menschen: Neid, Egoismus, abhängige Leistungsanreizen, Niedertracht und Unterdrückung ...

Abgesehen davon, daß diese Begriffe semantisch und logisch nicht einfach aneinandergereiht werden können, nehmen wir die beiden Phänomene „Neid“ und „Egoismus“ heraus.
Ohne jede weitere Erörterung über genauere Beschreibung, Ursachen, Folgen etc. implizieren, diese beiden Eigenschaften wären gleichsam unverrückbar fest dem Menschen angeboren.

Im Gegensatz zur diesem scheinbar angeborenen „unsozialen“ Verhalten (genau das Gegenteil ist jedoch der Fall!) ist dennoch erstaunlich, daß es sehr, sehr viele Menschen gibt, die sich in normalen Zeiten, aber vor allem auch in Krisen- und Kriegszeiten, in Zeiten der Katastrophen sozial verhalten. (Man beachte nur z.B. das Spendenverhalten der Menschen, aber auch: Ärzte ohne Grenzen etc. etc.) Noch stärker: Ohne ein entsprechendes Sozialverhalten der Menschen hätte sich die Gattung Mensch weder entwickelt noch bis heute überlebt bzw. gelebt. Weitaus über neunzig Prozent des homoniden Daseins waren die Menschen Sammler und Wildbeuter. Ich wiederhole: Evolutionsbiologen, Biologen, Genetiker, Anthropologen haben nachgewiesen, daß die Menschen – und zwar genetisch verankert! – nur mit einem entsprechenden Sozialverhalten überlebt haben.
Der Mensch ist (ich weiß, ich wiederhole mich) auch oder vor allem ein „zoon politikon“ (Aristoteles), ein „animal sociale“.
Allerdings sind für die konkrete Ausprägung des Menschen Sozialisation (von mir aus auch: Erziehung) und Kulturation notwendig. Aber der Mensch wird von Biologen als „lebenslang lernendes Wesen“ definiert, als „homo ludens“, als „spielender Mensch“.

Aber noch einmal (wie bereits schon geschrieben): Implizieren wir, der Mensch wäre von Natur aus tatsächlich böse etc., dann gibt es drei mögliche Antworten bzw. Reaktionen:

(1) Wir geben uns dieser vermeintlichen „Natürlichkeit“ hin (frei nach dem „homo homini lupus“ = Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf) und bringen uns letztlich gegenseitig um. (Jeder Biologe wird hier einwenden, daß so etwas die Evolution, das Leben nicht vorgesehen hat.)
Dann können wir auch auf jede Spielregel des Zusammenlebens verzichten; denn es ist ja nicht einzusehen, daß auf der einen Seite das Klauen eines halben Pfundes Butter im Supermarkt juristisch geahndet wird, andererseits die Ausbeutung der Menschen, globale Raffgier (bis zur indirekten und indirekten Kriminalität) letztlich straffrei ist und sogar als „natürlich“ verteidigt wird. Dann kann jeder tun und lassen, was er will, weil es eben „natürlich“ ist, der Natur des Menschen angemessen.
Bloß zwei Dinge sind in diesem Zusammenhange kurios: Das kleine Kind, das sich durchaus öfters „unsozial“ verhält (aufgrund fehlender Erfahrung etc.) – das erziehen wir, daß es so nicht handeln dürfe. Aber das Menschen mit ihrem ökonomischen Reichtum andere Men-schen ausbeuten, Dörfer, Städten, Regionen, sogar ganzen Volkswirtschaften und Staaten ihre ökonomisches Diktat aufzwingen – zur Akkumulation ihres Kapitals – das nehmen wir nicht nur hin, sondern dies wird noch von Menschen verteidigt, die nicht einmal einen ökonomischen Vorteil davon haben. (Warum eigentlich?)
In einem anderen Bereich setzen wir sehr wohl Grenzen, ob es sich hier wirklich um eine im der menschlichen Natur, genetisch fest verankerte Eigenschaft handelt: Die Sexualität. Sie ist neben Essen, Schlafen, Ausscheidungen eine Elementarfunktion, deren biologische Notwendigkeit und konstitutionelle Bedeutung für den Menschen evident ist. Also warum freie Bahn für Raffgier etc, dann auch hier erst recht freie Bahn ...
(Mich wird mein Alter entschuldigen, daß ich mich an die Libertinage-Globalisierung nicht mehr beteilige ...)

(2) Wenn diese dem Kapitalismus immanenten „Eigenschaften“ gleichsam unausrottbar und (über)dominant in den Genen verankert sind, dann können wir uns Erziehung etc. sparen, denn diese wäre ja dann „widernatürlich“.

(3) Oder – wieder unter der irrtümlichen Annahme der „Natürlichkeit“ das Kapitalismus – wir alle, die einzelnen Menschen, Erzieher, Pädagogen, Philosophen, Politiker etc., müßten uns alle bemühen, den Menschen zu erziehen und zu sozialisieren, um die Folgen dieser „Eigenschaften“, die Ausbeutung des Menschen durch Menschen, zu vermeiden. Eine (eben gar nicht) neue: Ethik: Nächstenliebe, Teilen statt Raffen und Anhäufen, ein empathisches Zusammenleben.
(Eine solche Ethik mit den entsprechenden politischen Implikationen wäre interessant ...)


Aber noch einmal (als wenn ich es bereits das erste Mal nicht geschrieben hätte!) Wer hat denn diese These eigentlich in die Welt gesetzt und vor allem immer wieder verteidigt?
Welch ein merkwürdiger Widerspruch: Auf der einen Seite wird Profit- und Besitzgier, die skandalöse Verteilung der Güter dieser Welt zugunsten von ein, zwei Prozent der Menschen gleichsam als natürlich verteidigt, weil es eben der menschlichen Natur entspräche.
Auf der anderen Seite wird ungeheuer moralisiert; vermeintliche Faulheit, mangelnde Leistungsbereitschaft (wohlbemerkt der Habenichtse, nicht der Reichen!), Neid (!) etc. werden angeklagt.
Wie naiv, wie weltunerfahren, wie unverschämt, wie bescheuert, letztlich auch arrogant-dumm muß jemand sein, jetzt einfach zu präjudizieren: Ein paar Prozent der Menschen sind tüchtig, fleißig, möglichst auch noch „gut“, der Rest der Menschen unfähig, faul, dumm etc. Das ist nicht einmal komisch.

(Wohlbemerkt: Hier wird nicht die charakterliche (was auch immer darunter letztlich zu verstehen ist) und/oder die Gleichheit bezüglichen Anlagen, Begabung etc. postuliert, bloß diese durch Gene, aber vielmehr durch Umwelt, Umfeld, durch die soziale und auch (oder vor allem) ökonomische Situation, Erziehung, sonstige Sozialisation und Kulturation „Ungleichheit“ rechtfertigt nicht die skandalöse ökonomische, immer nochj weiter wachsende Ungleichheit auf der Welt; sie ist auch keine Erklärung dafür.)

Da ja vorwiegend oder nur moralisch (eben nicht deskriptiv-sachlich) argumentiert wird:
Interessant ist, daß selbst in der griechisch-römischen Antike, im Mittelalter etliche Philosophen etc. bezüglich der Menschen, der Gesellschaft weiter waren, als die eifrigen Vertreter der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Aber schauen wir, wie die mittelalterliche Ständeordnung verteidigt wurde: Als eine von Gott gegebe-ne „ordo“, eine Ordnung, die der Mensch nicht durchbrechen darf. Damit wurde der gesellschaftliche Aufbau, die politische und ökonomische Ungleichheit verteidigt, eben die Position der Kirche und vor allem der weltlich Herrschenden.
Mit Karl dem Großen und dem Reichskirchensystem Ottos I. beginnt die „segensreiche“ Zusammenarbeit von geistlicher und weltlicher Herrschaft, die übrigens bis in unsere Zeit reicht.
Und jetzt – wie blind muß man eigentlich sein, um dies nicht zu bemerken – wird die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit anderen Parolen gerechtfertigt und verteidigt – trotz der massiven sozialen, ökologischen etc. Schäden, die sie weltweit hinterläßt. Und alle, die diesen schrankenlosen Kapitalismus nicht als so „gut“ empfinden, werden als „Gutmenschen“ (was wäre eigentlich das Gegenteil?) diffamiert und lächerlich gemacht, der Wunsch und die Forderung nach einer sozial gerechten Gesellschaft als bestenfalls utopisch beschimpft und lächerlich gemacht? Oder gleich als Vaterlandsverräter, Juden, Kommunisten und neuerdings mit dem neuen Allerweltsetikett „Terroristen“ belegt.

Ich glaube, eines läßt sich festhalten: Die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung trägt ethisch offenbar weder zur "Verbesserung" der Gatttung Mensch noch zum Gemeinwohl bei.


Hätte ich die Chance eines beruflichen Neubeginns, ich wollte Lehrerin werden und würde meinen mir anvertrauten Kindern keine Nächstenliebe, soziales Verhalten etc. lehren, sondern eine fundierte Einführung in Korruption, Raff- und Profitgier, ökonomische Rücksichtslosigkeit, Manipulation der Öffentlichkeit (ich verweise auf das von mir neulich ins Forum gestellt Zitat von John Swinton, Herausgeber der New Yorks Times!/ "Schwarzes Brett"), die Ausbeutung der Menschen (ich höre während dieser Zeilen im Radio ein Feature über die Kinderarbeit im peruanischen Bergbau), die Sophistitik, Kritiker des Ganzen als Neidhammel zu bezeichnen, die eigene Gier als gerechten Leistungsentgelt zu darzustellen.
Damit würde ich sie doch fit für die Welt machen?

Über siebzig Jahre, aber gar nicht ausgeglichen und weise,
sondern voller politischer Betroffenheit und Wut

Die Bertha
vom Niederrhein
senhora
senhora
Mitglied

Re: Natur und Kultur
geschrieben von senhora
als Antwort auf Karl vom 14.07.2007, 16:27:59
Dennoch frage ich mich immer wieder, warum das menschliche Verhalten so unterschiedlich, teilweise konträr verläuft. Warum bei manchem Egoismus, Empathie, soziale Kompetenz usw. stark ausgeprägt ist, bei anderen sehr gering. Und das bei oftmals bei gleicher Sozialisation.

Dazu habe ich folgenden Text von Prof. Fred Sinowatz gelesen:

Neue Nahrung für die Hypothese, dass Gene auch das soziale Verhalten steuern, haben in den letzten Jahren Untersuchungen an verschiedenen Tiermodellen geliefert, bevorzugt an wirbellosen Tieren und Insekten.
Wie Professor Kendrick vom Cresham College, London, postuliert, können genetische und epigenetische Veränderungen an einzelnen Genen auch komplexe Verhaltenmuster beeinflussen. So bewirkt bei Bienen die Umschaltung des Gens "for", ob die Bienen für die Nachwuchspflege im Bienenstock oder für das Pollen Sammeln im Freien programmiert werden.
Bei Säugetieren gibt es bislang noch relativ wenig untersuchte Beispiele, die den Zusammenhang von Genen und Verhalten eindeutig belegen.
Nach Meinung von Professor Kendrick könnte beim Menschen die Mutation eines einzelnen Gens positives Sozialverhalten, wie Altruismus oder Kooperationsfähigkeit in ein negatives Verhaltensprogramm umschalten. Er befürchtet, dass dann eine Gesellschaft, in welcher der persönliche Vorteil als einzige Maßzahl für Erfolg gilt, sehr schnell in eine asoziale Ansammlung verantwortungsloser Individuen kippen könnte.


Wenn Gene, die altruistisches Verhalten begünstigen, sich also nicht erfolgreich bewähren, z.B. in der heutigen kapitalistischen Welt, dann gehen sie verloren oder mutieren? Dann nähern wir uns ja der o.a. These.


senhora

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ehemaligesMitglied45
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Re: Einige Worte zum Kapitalismus; nicht nur für Herrn Ziesemann.
geschrieben von ehemaligesMitglied45
als Antwort auf niederrhein vom 12.07.2007, 23:30:43
Antwort an Frau Bertha – und nicht nur für sie

Liebe Bertha vom Niederrhein (meinst Du nicht, Du solltest das Kokettieren „alte senile Frau“ langsam lassen? Denn Frau magst Du sein, aber die Adjektive stimmen nicht.)
So wie man Tadel und Beschwerde vor der Absendung eine Nacht überschlafen soll, müsste man es auch mit Lob halten. Denn als ich heute morgen Deinen Beitrag ausgedruckt noch einmal sorgfältig las, fielen mir doch gravierende Mängel auf. Das ändert aber nichts daran, dass ich Deiner Fleißarbeit unverändert großes Lob zolle. – Nun denn also unter Weglassung von Marginalien:
Ich hatte weder eine Antwort auf noch eine Definition von Kapitalismus (= K.) gegeben. Doch Deine ist es gewiss nicht „...der K. dient nur dem eigenen egoistischen Profit- und Machtstreben“ – Wenn ich nur das Wort „nur“ lese, sträuben sich bei mir schon die letzten Haare. „Nur“ ist selten etwas. Was Du schreibst, ist ein wertendes Urteil, trifft aber definitionsmäßig weder als Begriffsinhalt noch -umfang.
Der moderne Privat-K. ist ein Wirtschaftssystem (System = als sinnvoll gedachte Einheit) mit folgenden Merkmalen:
1. Privateigentum an Produktionsmitteln
2. Entscheidung des Besitzers über das Was, Wie, Wo und Wann der Produktion
3. Freie Entfaltung mit dem Ziel der Gewinnmaximierung
4. Prinzipielle Trennung von Staat und Wirtschaft – kein direkter Interventionismus.
5. Staat setzt Ordnungsrahmen fest (z.B. Arbeits- und Sozialschutzrechte usw.) innerhalb dessen die Unternehmer im staatlich überwachten Wettbewerb konkurrieren.

Gerade der Ordoliberalismus bejaht die marktkonformen Eingriffe des Staates zur Sicherung dieses Wettbewerbs, gegen Markt- und Machtmissbrauch und zur sozialen Hilfe für jene, die sich im Wettbewerbsleben nicht aus eigener Kraft behaupten können. – Natürlich gibt es im K. krassen Missbrauch, verheerende Auswüchse, bitteres Unrecht; aber bitte Bertha, nenne mir ein einziges, nur ein einziges von Menschen geschaffenes System, in dem es keine Fehlentwicklungen gibt. Kein Gesellschaftssystem ist per se aus sich selbst heraus sozial, auch nicht bei den Jagdvölkern. Der bessere Jäger dürfte immer das größte Stück Fleisch erhalten haben – weil man ihn brauchte.
(Am Rande: Meine Eltern gaben ihren drei Kindern über viele Jahre hinweg Leitungswasser zu trinken, wenn wir Durst hatten. Ich vermag deshalb keine Diskriminierung darin zu erblicken, wenn ich Sozialhilfeempfängern anrate, statt morgens das gewohnte Pils zu trinken es mal mit Wasser zu versuchen, wenn ihnen dürstet.)
Ich habe nicht gesagt, dass der K. der menschlichen Natur entspricht sondern nur dass er es am ehesten ist. Geschenkt sei Dir der Hinweis, dass Privateigentum erst mit der Sesshaftwerdung entsteht; mir erschien das aber so selbstevident, dass ich meinte, auf diese Differenzierung verzichten zu können.
Aber was die Gegner des Alt- oder Neoliberalismus nie verstanden haben (vielleicht ist es so schwer, es zu verstehen), dass Gewinnstreben und Wohlstand für alle eben keinen Widerspruch zu bilden brauchen sondern sich ergänzen, ja einander bedingen. – Ich raffe A. Smith zusammen: Der Bäcker backt die warmen Semmel nicht um unserer schönen Augen willen, sondern für seinen Profit. Indem er diesen aber sucht, muss er genau das tun, was wir wünschen: Brötchen backen.
Darin liegt gerade der geniale „Trick“ des Liberalismus. Die Neigung des Menschen nach „more“ – die der Arbeitnehmer genauso hat, sonst würde er ja nicht für Lohnerhöhungen streiken – macht er sich nutzbar für die gesamte Gesellschaft. Kein anderes Wirtschaftssystem hat auch nur annähernd so viel Wohlstand gebracht wie der staatlich gebändigte K. Niemals (Smith als Urvater der Liberalismus war Moralphilosoph!) hat irgendein Liberaler behauptet, dass Profitstreben und damit Kapitalvermehrung „das höchste Ziel menschlichen Daseins“ sei ja, „das wichtigste Ziel des Menschen überhaupt“. Verzeih mir bitte Bertha, aber das ist schlicht und ergreifend einfach blühender Unsinn. Gewinn ist stets nur Mittel zum Zweck, schafft übrigens Arbeitsplätze (schon mal gehört?) und ermöglicht Innovationen, ohne die wir auf dem Weltmarkt scheitern würden, und wir träten den Marsch in ein Viert-Welt-Land an.

Ach Jottchen! Was sollen nur die die irrwitzige Steuergesetzgebung, die nur noch ein Stück aus dem Tollhaus ist, gegen den K. beweisen. Das hat doch mit dem System K. 0,nix zu tun! Was wurde denn aus F. Merz, ein Erzliberaler, der die E-Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen wollte! Wie diffamiert wurde denn P.Kirchhof, als er eine drastische Vereinfachung vorschlug! Beide wollten das System der Marktwirtschaft (also gut: des rheinischen K.) transparenter und damit gerechter machen; sie scheiterten an der Politik, aber doch nicht am System des K. Wer hindert denn den Bundestag, die Steuergesetzgegbung im K. einfacher zu machen - wie es die USA getan haben. Wir haben nach der Zahl der Vorschriften das umfangreichste Steuerrecht der Welt! Immer im Streben nach mehr Steuergerechtigkeit und haben so das ungerechteste System erhalten.

Natürlich darf in einer solchen Philippika wie der Deinen der Antiamerikanismus nicht fehlen, er ist generell populär und insonderheit im Forum des ST. Manchmal können einem die Amerikaner fast leid tun. Sie können machen was sie wollen, es ist immer falsch. Ob sie bomben oder Schokolade verteilen, ob sie Hilfsgüter verschenken (Marshallplan) oder Reparationen eines besiegten Landes (D) in Höhe von genau 0,0 $ fordern, ob sie einen Kontinent von einer Terrorherrschaft befreien (1944) oder auf Bitten Militärhilfe leisten, weil die EU unfähig war, auch nur den Kosovokrieg aus eigener Kraft zu beenden – immer ist alles falsch was sie machen und stets „nur“ vom Egoismus und Machtstreben getragen. Selbst dem gläubigen Klingelbeutelspender wird nicht verübelt, wenn er dabei hofft, dass der Große Buchhalter ihm das Scherflein auf der Habenseite gutschreibt. Aber wenn die Amis die Lebensmittellieferungen und die CARE-Pakete – nach 1945 alles zu Lasten des US-Steuerzahlers! – auf ihren eigenen Schiffen transportieren, dann hält man schon das eines MEMENTO für wert. – Kleinlich und undankbar!
Nochmals: Die Hilfe der USA für Europa nach 1945 geschah nicht nur, nicht mal primär aus Selbstlosigkeit – natürlich nicht. Aber leisten wir etwa heute Entwicklungshilfe aus purer christlicher Nächstenliebe oder nicht doch auch aus Eigeninteresse, schon um nicht eine Migrationslawine zu erleben.

Auf die vielen kleinen sonstigen Fehler der voluminösen Ausführungen mag ich gar nicht mehr eingehen. Nur Stichworte: 1948 gab es real keine Sparguthaben mehr, die standen nur noch auf dem Papier, der reale Gegenwert war im Wortsinne verpulvert. - Wer hat denn den Unsinn gesagt, dass nach 1945 „alles gleich gewesen“ sei? Kein Mensch. Sie schießen auf selbst aufgestellte Pappkameraden, liebe Bertha. - Und was will man Bismarck verübeln, dass er mit seiner GSV auch das monarchische System retten wollte. Na und! Sollte er als Reichskanzler auf seine Abschaffung hin arbeiten?! Das SV-System Bismarcks wurde zum Vorbild in ganz Europa und darüber hinaus. Nochmals: Auch eigennützige Motive können Gutes bewirken, darin liegt kein Widerspruch. – Ohne sie mit Namen zu nennen, prangern Sie die Hedge-Fonds (vulgo: Heuschrecken) an. Wissen Sie, dass diese Kapitalien von Millionen Kleinanleger (künftige Renter!) verwalten, die ein sehr eigensüchtiges Interesse daran haben, dass profitreich gewirtschaftet wird. – Und die wohl rd. 100 000 Arbeitnehmer in D, die Aktien „ihrer“ Firma zu Vorzugskonditionen erwerben konnten, schauen sehr genau darauf, ob ihr Laden auch Profit = Dividende abwirft, wiewohl nur der kleinste Teil ausgeschüttet wird, der Rest wird re-investiert zur Erhaltung der Arbeitsplätze. – Ach und das arme Afrika! Seit der Verselbständigung haben sich die Afrikaner zahlreicher umgebracht als in allen Kolonialkriegen gegen die Europäer je gestorben sind. Und die Armut ist auch – ich sage auch und nicht nur – eine Folge davon, dass die kurzfristigen Machthaber Millionenbeträge auf Schweizer Nummernkonten deponieren und die War-Lords Hilfsgüter der UN und aus der EU für ihre Stammeskriege abzweigen. – Den ärmsten der armen Länder wurden erst jüngst alle Schulden erlassen – doch schon wieder sind sie hoch verschuldet. Aber an all dem Elend, Leid, der Ausbeutung, der Rekrutierung des Kindersoldaten ist natürlich nur der K. schuld, insonderheit die Wallstreet – oder?
Ein Letztes: Der Lebensstandard eines deutschen Sozialhilfeempfängers liegt real ziemlich beim Durchschnittseinkommen eines Arbeiters in der BRD von 1950 – dank der Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft als Konkretisierung des Systems Kapitalismus.

Viel wäre noch zu sagen – aber mir reicht’s jetzt und ich vermute anderen auch.


--
ziesemann
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Re: Gehört nur der 'Egoismus' zur Natur des Menschen auch der 'Altruismus'
geschrieben von ehemaligesMitglied45
als Antwort auf Karl vom 14.07.2007, 10:55:14
Nur zur Klarstellung, Karl: Ich habe an keiner Stelle je behauptet, der Kapitalismus "verkörpere die menschliche Natur"; ich habe lediglich gesagt, dass er die Neigung des Menschen zum Egoismus systemtheoretisch nutzt. Aber das schließt doch nicht aus, dass jeder einzelne auch altruistisch handeln kann. Obwohl mir dabei die nette Geschichte jenes kleines Brauers einfällt, der uns Studenten für alle Feten Freibier spendierte - bis, ja bis er pleite war und seine Angestellten arbeitslos.
--
ziesemann
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Re: Einige Worte zum Kapitalismus; nicht nur für Herrn Ziesemann.
geschrieben von ehemaligesMitglied45
als Antwort auf susannchen vom 13.07.2007, 19:53:39
Susannchen, ich vermute, dass dann auch HartzIV auf diesem Niveau liegen wird.
Jetzt brauchst Du bitte nur noch zu verraten, wer mit welcher Wirtschaftsleistung diese Einkommen aufbringt - und wir haben (fast) das Schlaraffenland auf Erden.
--
ziesemann

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ehemaligesMitglied45
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Re: Eine Anmerkung, eine Ergänzung ...
geschrieben von ehemaligesMitglied45
als Antwort auf niederrhein vom 14.07.2007, 17:44:23
Nur noch einmal, zum letzten Mal:
In keiner Zeile, mit keinem Wort habe ich gesagt, dass der Mensch "nur" egoistisch ist; aber er ist eben auch egoistisch und das nutzt das k. System sehr erfolgreich aus - wie ich darzulegen versuchte.
Verflixt, jetzt beginne ich schon zu fluchen, der Mensch ist ein Lust suchendes animal, Sex ist ein Spezialfall dieser Neigung. Aber wenn ich das sage, dann habe ich doch nicht behauptet, dass der Mensch zu anderen Empfindungen als denen des Sex nicht fähig wäre! Jetzt klar?
Bitte unterscheiden: Systemanalyse und Mensch als Individuum.
Die Christen wussten es immer schon: Der Mensch kann böse und gut sein. Wenn man den Egoismus, ich habe übrigens nie von Neid gesprochen, nutzt, dass er wiederwillig und auch unwillig Gutes leistet, hat man ihn eingehegt. Das ist es, was dem Liberalismus gelungen ist; aber er bleibt immer auch - christlich formuliert - , der Versuchung zum Bösen, das wäre der Missbrauch der ök. Möglichkeiten, ausgesetzt.
Vielleicht bin ich - hoffentlich - jetzt verstanden worden.
Habe soeben ganz ohne egoistische Profitneigung einen teuren Blumenstrauß für ein Geburtstagskind bestelllt. Oder doch egoistisch? Muss ich jetzt mit Schiller spöttelnd auf Kant sagen:
Gern helf ich dem Freund
doch tu ich es leider aus Neigung
so dass ich auch jetzt wieder
nicht völlig moralisch nur bin.


--
ziesemann
telramund
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Re: Eine Anmerkung, eine Ergänzung ...
geschrieben von telramund
als Antwort auf ehemaligesMitglied45 vom 14.07.2007, 18:59:36
Hallo Ziesemann,

herzlichen Dank und volle Anerkennung für Deine Beiträge! Dies mußte ich jetzt einfach mal loswerden.

Grüße
Telramund
--
telramund
ehemaligesMitglied45
ehemaligesMitglied45
Mitglied

Re: Eine Anmerkung, eine Ergänzung ...
geschrieben von ehemaligesMitglied45
als Antwort auf telramund vom 14.07.2007, 19:27:35
telramund, herzlichen Dank!
Noch ein Nachtrag: Das war doch das Elend aller sozialistischenm Experimente. Sie brauchten einen "neuen" Menschen, aber den gab es nicht, was sogar Lenin wenige Wochen vor seinem Tod erkannt haben soll. Wenn ich die DDR besuchte, war ich immer wieder entzückt zu sehen, wie sich das Eigeninteresse durchsetzte gegen alle sozialistischen Normen, z.B. Verkauf eines 10 Jahre alten Trabis zum doppelten Preis eines neuen - ohne jede Hemmung.
Noch eine persönliche Anekdote: Als ich wieder mal meinen sächsischen Freund besuchte bat ich ihn, mir diesmal 1:4 und nicht 1:3 umzutauschen, weil ich viele Bücher kaufen wollte. - Am Abend nach meiner Rückkehr aus Leipzig schlug mir das Gewissen und ich bot ihm an, nachträglich zum Kurs 1:3 zu verrechnen. Er wiegelte ab: Mach Dir keine Sorgen, ich habe heute Morgen die DM von Dir meinem Arbeitskumpel zu 1:5 verkauft. - Potzblitz, das entspricht einer Arbitrage von 20%, worum ihn jeder Devisenhändler beneidet hätte. Er hatte nicht die geringste Scham, seinen Kumpel derartig zu übervorteilen - wiewohl er ansonsten ein herzensguter Mensch war, sehr gastfreundlich.
Entschuldige bitte diese persönliche Anekdote, aber vielleicht hilft sie zu verstehen, wie der Mensch sein kann - zwiespältig.
Das Ganze erinnert an ein berühmtes Bonmot, ich glaube von Churchill: Dass die Menschen gut und richtig handeln können, macht Demokratie möglich; aber weil sie es meistens nicht sind, ist Demokratie nötig!
Mit herzlichem Gruß - man wird sich wieder sehen
--
ziesemannn
hugo
hugo
Mitglied

Re: Eine Anmerkung, eine Ergänzung ...
geschrieben von hugo
als Antwort auf ehemaligesMitglied45 vom 14.07.2007, 20:06:07
hallo ziesemann. ich denke das jedes Wort bezüglich deiner Erfahrungen mit DDR-Bürgern stimmt, von wegen Geldumtausch Trabbiverkauf usw.

aber bitte nicht den Anschein erwecken als ob das typisch bzw generell so oder so ähnlich war. In Sachen finanzieller Cleverness und pfiffigen Verhaltens bei Finanzgeschäften gibts ja geradezu Millionen von Negativbeispielen kurz nach der Wende.

Sicher war es üblich für einen DDR Bürger sich Dinge zu kaufen/besorgen/beschaffen die er eigentlich momentan selbst nicht dringlich benötigte um sie dann später mal zur Verfügung zu haben wenn es sie gerade mal nicht gab oder auch als Tauschobjekt.

Aber genau so gut kann ich auch behaupten das viele Besucher aus dem Westen sehr gastfreundlich aufgenommen wurden und nicht mit leeren Taschen zurückfuhren.

Ich denke da an meine Zeit in der Landwirtschaft und wie froh und zufrieden wir waren unsere Bekannten und Verwandten reichlich mit frischen Ostprodukten (vom Schwein schlachten über die Gemüsekonserven bis zur Weihnachtsgans) Büchern Schallplatten usw. beschenken zu können. (auch mal auf die Gefahr hin das sie einen kurzen unsicheren Moment beim Zoll und Grenzübergang überstehen mussten) *g*

Das es leider auch eine Zeit gab, in welcher dieser "Zwangsumtausch" geradezu zu Verlegenheitskäufen und Umtauschen animierte, ok darauf waren wir auch nicht stolz, das kannste mir glauben. *g*
--
hugo

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