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seewolf
seewolf
Mitglied

Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von seewolf
Hier eine wunderbare Geschichte von @Buddenbohm (Twitter) über perfektionierte Freundlichkeit und ihre Auswüchse. Herrlich schmunzelös - mitten aus dem Leben!
Blaustrumpf
Blaustrumpf
Mitglied

Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von Blaustrumpf
Wie rechnet sich solch gekaufte Freundlichkeit eigentlich? Soweit ich weiß, sind diese in Mode gekommenen Mitarbeiterschulungen nicht grade billig - man müsste schon verflixt viele zusätzliche Brötchen verkaufen, um die Kosten für die Schulungen wieder reinzuholen. Von mir selbst weiß ich, dass ich mich eher nicht zum Mehrkauf animieren lasse und ich vermute, es geht da vielen ähnlich.
Hat irgendjemand Erfahrungswerte aus dem jetzigen/früheren Arbeitsleben mit der Kosten-Nutzen-Rechnung? Leider muß ich mich jetzt selbst ins Arbeitsleben stürzen, aber vielleicht finde ich heute abend eine Antwort? Vielen Dank.
Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Blaustrumpf vom 03.01.2012, 05:58:53
Die Story ist einfach nur herrlich und spricht wohl Vielen aus dem Herzen.

Ich stamme ursprünglich aus dem Ruhrgebiet und lebe jetzt in der Pfalz - unser Bäcker hat noch eine echte "Pälzer Päksere" hinter der Verkaufs-Theke stehen, die aber in ihrer authentischen Weise der in der Geschichte gezeigten Frau in nichts nachstehen dürfte. Nur auf eine anderen (m.E. ebenso nervige) Art:
"Ah, guudä Morschä Fra Knopp, hamma widdäa Kreizweh ? Sie laafä so gebickt ! Joo, gell, des kann scho arg ä Ploog soi! Un de Klää? Isser denn scho in dä Schuul? Mei, der isch jo gwachse! ...unn? Wolle ma widdäa des gloich wia immär? A, heit nämmä se sichäa aach no ä Bretzel däzuä, gelllll?"
Wobei dann das "geeeeelllll" langezogen wird, dass es einen bis nach hause begleitet...dazu eine schrille, schreckliche Stimme (Päksere eben!)...

Der Gang zum Bäcker ist täglich aufs Neue eine Überwindung - welch Erleichterung, wenn dann mal die junge, nette, marionettenhaft lächelnde Jung-Verkäuferin einen bedient!


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erafina
erafina
Mitglied

Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von erafina
Himmlische Geschichte.
Schön geschrieben.
Es ist schon nervtötend, wenn man allerorts mit Autoverkäuferschwülstigkeit überhäuft wird.
Es fördert das Aggressionspotential - jedenfalls bei mir.
Den Umsatz fördert es jedenfalls nicht - also bei mir. Wenn ich heute ein Brötchen mehr kaufe, kaufe ich morgen eines weniger, weil ich noch ein altes von gestern habe.
Ich habe aber oft beobachtet, dass manche Leute das für durchaus angemessen halten, dass sie derart zuvorkommend behandelt werden. Eine dankbare Klientel für überbordende psychologische Freundlichkeitsergüsse scheint es zu geben. Meine Nachbarin zum Beispiel... aber das gehört ja nicht hierher. Grins.

Aber der Autor braucht sich genau genommen nicht lange von dort fern zu halten.
Lange hält so ein Verkaufstraining nicht vor - habe es hier bei mir auch schon erlebt.
Das ist nicht anders, als bei anderen Trainings und Schulungen und Seminaren - man ist ja soooo motiviert.
Nur nicht lange.

Im Grunde wird es vermutlich nicht wirklich etwas am Umsatz verändern, schätze ich.
Aber es beschert den vielen, vielen Trainern und Instituten Zulauf - die Firmen, die etwas auf sich halten, buchen, was heute als "zeitgemäß" und verkaufsfördernd betrachtet wird. Eben diese werden sich das als neuen Trend ausgedacht haben - in der Servicewüste Deutschland (und das ist/war sie wirklich, wie ich finde). Was eigenartigerweise kein Institut zu vermitteln lernt: ein nettes Betriebsklima wirft zwingend nette und freundliche Mitarbeiter hinter die Theke. Dazu müsste man allerdings antiquierte Umgangsformen für Chefs lehren:
Mitarbeiter wie Menschen zu achten, Ihnen einen kleinen Handlungsfreiraum zu geben, etwas Mitverantwortung, und sie auch mal zu LOBEN. Und DAS geht ja nun auf keinen Fall. Wir befinden uns doch nicht in der Steinzeit der Verkaufstechnik! Man muss doch die Mitarbeiter schulen und nicht die Chefs. GGf. auch die Chefs - aber wie schon gesagt - lange hält so eine Schulung nicht vor...

erafina

@asray - auch schön geschrieben - aber gibt es auch ein mittedeutsches Wort für Päksere???
Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf erafina vom 03.01.2012, 09:57:58
@asray - auch schön geschrieben - aber gibt es auch ein mittedeutsches Wort für Päksere???


Erafina, ich weiß nicht, ob es dafür ein Wort gibt. Es ist ein Oberbegriff für eine bestimmte Art des Redens in Verbindung mit einer recht eindringlichen Stimmlage und Mimik. Ich glaube, das zu übersetzen, dafür fehlt mir schlicht das Pfälzer-Gen

Was meine Reaktion auf diese geschulten Verkäufer/Innen betrifft, so reagiere ich auch eher wie erafina: mit Aggression. Glücklicherweise verliert sich der Einfluss derartiger Seminar wirklich sehr rasch.
Ich habe lange Zeit selbst Teams in Call-Centern ausgebildet, Motovations-Trainings abgehalten; mindestens zweimal im Monat wurden da Briefings nötig, um die Agents auf dem gewünschten "Level" zu halten, ihren Stimmen ein Lächeln zu verpassen. Da waren bestimmte Worte und Satzkonstrukte "verboten", wurde mit Psychologischer Spitzfindigkeit gefeilt und gebogen, die Leitfäden fast wöchentlich der Kundenreaktion angepasst ...
wir, die Team-Manager, wurden mit Seminaren zur psych.Personalführung und -Schulung überflutet, damit stets "frischer Wind" in die Teams käme...Agents wurden nach Raster-Systemen ausgewählt, und und und

Es war schrecklich, Menschen mutierten zu Maschinen, die nur noch "funktionierten" - und das für 5,50 € die Stunde! Kennt ja wohl jeder, diese netten, verbindlichen und roboter-ähnlichen jungen Menschen, die einem am Telefon einen Knopf an die Backe nageln und behaupten, das sei ein Reißverschluss!

Ob das den Umsatz hebt?
Da komme ich nun wieder auf erafina zurück:
mich macht das wirklich nur aggressiv

Mitglied_1a4a99f
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Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.01.2012, 11:39:07


Es war schrecklich, Menschen mutierten zu Maschinen, die nur noch "funktionierten" - und das für 5,50 € die Stunde! Kennt ja wohl jeder, diese netten, verbindlichen und roboter-ähnlichen jungen Menschen, die einem am Telefon einen Knopf an die Backe nageln und behaupten, das sei ein Reißverschluss!

Ob das den Umsatz hebt?
Da komme ich nun wieder auf erafina zurück:
mich macht das wirklich nur aggressiv

geschrieben von asray


bei uns rufen keine mehr an.

da diese nummern ja immer unterdrückt werden, haben wir unsere sperrfunktion aktiviert... die lässt solche unterdrückten nummern nicht mehr durch und wir haben seit ewigen zeiten keinen anruf solcher callcenter mehr erhalten... eine himmlische ruhe ist jetzt in gegensatz zu mehrmals wöchentlichen anfragen

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Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf seewolf vom 03.01.2012, 00:52:07
Vielleicht gibt es zwischen:

...Aus meiner Jugend war ich es gewohnt, dass Einkaufen in etwa so ablief: Man betrat ein Geschäft und sah sich etwas um. Die Verkäuferin stand mit unergründlicher Miene vor ihrer Ware und schwieg. An Tagen mit exaltiert guter Laune murmelte man „Moin“, und wenn die Verkäuferin sehr, sehr gut drauf war, dann erwiderte sie sogar den Gruß. Man sah sich weiter schweigend die Ware an. Die Verkäuferin sah sich schweigend den Kunden an. Wenn das zu lange dauerte, fragte die Verkäuferin irgendwann ohne weitere Höflichkeitsfloskeln, aber mit steiler Falte auf der Stirn: „JA WAS JETZT!“ Das war das Einkaufen in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Lübeck. So gehörte das und niemand fand das komisch....
geschrieben von Jan 1st, 2012 von Maximilian Buddenbohm


und
...Sie haben gelernt, jedem Kunden zum Abschied einen besonders schönen Tag zu wünschen und sie geben sich redlich Mühe, es so klingen zu lassen, als wäre er, nur er, ganz persönlich gemeint. Der Freund des Hauses, ihr Lieblingskunde! Es ist furchtbar. Als würde ein abgerichteter Pudel vor einem herumtänzeln, Kunststückchen aufführen und dann hinterher fiepend auf ein Wurststückchen warten...
geschrieben von Jan 1st, 2012 von Maximilian Buddenbohm


gibt es vielleicht doch soetwas wie ein natürliches, höfliches, zuvorkommendes Benehmen. Wenn einem Verkaufstraining gelingt, soetwas dergleichen (trotz aller kultureller Unterschiede) bei einem in einem Dienstleistungsbetrieb Beschäftigten zum Vorschein kommen zu lassen, ist es nicht hinausgeschmiessenes Geld.

Ich gehe nur in diejenigen Geschäfte, wo mir höflich begegnet wird und in die Gaststätten, wo mir das Essen nicht mit der Miene "Friß oder stirb" hingeknallt wird.
Selbst bei den hiesigen Behörden habe ich nur mehr ausgesprochen positive Erfahrungen gemacht. (Mit einer Ausnahme, aber bei denen war auch kein richtiger Parteienverkehr, deshalb wohl kein Training,... deshalb wurde ich zuerst zurückgewiesen, dann fast eine Stunde lang warten gelassen, während innen die Jause verzehrt und aufs Klo gegangen wurde und wo dann meinem "außergewöhnlichen" Ansinnen aus tiefsten Herzen seufzend nachgegangen wurde. Mein außergewöhnliches Ansinnen war, dass vor Jahren als die Führerscheine digitalisiert wurden, mein Führerschein aus ihren Datensätzen verschwand und nun in den alten Akten gesucht werden mußte, was dann auf einen Neuantrag dafür hinauslief.)

So, das war jetzt ein elendlanger Satz - aber kurz zusammengefaßt.
Unhöflickeit und schlechtes Benehmen wird doch zu oft mit ehrlichem Verhalten gleichgesetzt und entschuldigt... nicht nur im Geschäftsleben, sondern auch in persönlichen Beziehungen. Ich bin für Zuvorkommenheit als Schmiere im alltäglichen Leben.
seewolf
seewolf
Mitglied

Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von seewolf
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.01.2012, 14:04:56
Hallo Mart (freue mich, mal wieder mit Dir zu debattieren!) -

es ist aber ja nicht so, daß hier Unhöflichkeit zum gewünschten Standard erhoben werden sollte :)

Vielmehr geht es doch eher darum, diese "industrialisierte" Form der Freundlichkeit zu karikieren. Ich persönlich halte es auch lieber mit einer vorsichtig offenen Verbindlichkeit zu Beginn eines Kontaktes. Immerhin darf man ja auch erst einmal abwarten/prüfen, ob man einem "Stinkstiefel" gegenüber steht oder einem ebenfalls aufgeschlossenen angenehmen Zeitgenossen. Ich selbst fühle mich nicht verpflichtet, in dieser Hinsicht "besser" zu sein als der andere.

Und dieses manchmal schon fast blöde aufgesetzte Dauerlächeln mancher Menschen stößt mich mehr ab als distanzierte Höflichkeit. Letztere halte ich für angebracht bei einem Erstkontakt; danach entwickelt sich oft (und gern) eben mehr.

Und gerade "Kunden" verhalten sich auf fremdem Territorium leider oft überhaupt nicht freundlich, sondern eher ruppig - siehe Kassenzonen in Supermärkten, Einsteiger im Busverkehr oder Rucksackträger in Kaufhäusern...

Fragt mich jemand, ob ich auch lächeln könne ( sowas kommt vor!), antworte ich immer: "Sicher. Wenn Sie mir einen Anlaß liefern - gern."
olga64
olga64
Mitglied

Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von olga64
als Antwort auf seewolf vom 03.01.2012, 15:26:29
Auch das haben wir ja von der grossen Dienstleistungsgesellschaft den USA übernehmen (Have a nice day, may I help you). Aber wie so vieles und ungeübt im "Dienen" machen wir Deutsche hier schon am Anfang unsere berühmten Fehler. Belästigen wird das Dienstpersonal zu sehr, wird es grantig und es ist aus mit dem Lächeln.
Mir ist das relativ egal: ich kaufe Produkte sowieso nach der Güte und nicht nach dem Menschen, der sie mir verkaufen will; als Deutsche habe ich ja jahrzehntelange, schlechte Erfahrungen mit dem dienenden Personal. Olga
Mitglied_81b4260
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Mitglied

Re: Immer schön freundlich - immer schön lächeln
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf seewolf vom 03.01.2012, 15:26:29
hallo, seewolf!

Schön, dass du auch hin und wieder von dir hören läßt.

Ich denke, wir stimmen bei diesem Thema grundlegend schon überein.
Da ich aber weder dieser aufgesetzte und vom Dienstgeber erzwungene, falsche Freundlichkeit bisher richtig begegnet bin, noch die andere Seite, die nervenden und unhöflichen Kunden etc., kann ich gar nicht richtig mitreden.

Einmal erinnere ich mich, dass ich einem Angestellten in einem Optikergeschäft richtiggehend bewundert habe, als ich mich mit sehr gutem Grund empörte und er mir den Wind aus den Segeln genommen hat. Einfach deshalb, weil er anerkannte, dass ich da recht habe und sich entschuldigt hat und nicht die Tatsachen abgestritten hat. Da war ich eigentlich schon deshalb happy.... Der hat "Krisenmanagement" gelernt, habe ich mir gedacht.

Was mich auf die Palme bringt, sind in einem Geschäft Äußerungen wie "Das gibt es nicht!" anstelle von "Wir führen das nicht!"

Wenn ich dann lese, mit welchen absurden Begründungen oft Preisminderungen verlangt werden, glaube ich gerne, dass da einem der Hut hoch gehen kann.

So hat halt jedes Ding zwei Seiten, die sich gegenseitig beeinflussen.

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