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Aktuelle Themen Neutralität und Toleranz (Staat und Gesellschaft 1)

Medea
Medea
Mitglied

Re: Neutralität und Toleranz (Staat und Gesellschaft 1) - Ergänzung
geschrieben von Medea
als Antwort auf adam vom 18.09.2007, 19:51:29
Hallo Adam,

auch mit Dir und Deinem Beitrag gehe ich einig.
Dem Elend und dem Neid den Boden zu entziehen, umfassende Hilfe anstelle von Rache, begleitet von
flächendeckender Aufklärung besonders auf dem medizinischen Sektor, Bildungschancen für die Frauen,
all das hätte sein müssen und wurde von so einem Kriegstreiber wie G.W. Bush und Konsorten nicht erkannt.

So richtig auszubaden werden das unsere Nachgeborenen haben.

Medea
niederrhein
niederrhein
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Kleines Resümée und keine Lösung ...
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf niederrhein vom 11.09.2007, 18:19:04
Neutralität und Toleranz
(Staat und Gesellschaft 1)

Kleines Resümée und keine Lösung ...

Ausgangspunkt diese Fragestellung (und auch für das Rahmenthema Staat und Gesellschaft) war die Rezension des Buches Karl-Heinz Ladeur, Ino Augsberg: "Toleranz - Religion - Recht". Die Herausforderung des "neutralen" Staates durch neue Formen von Religiosität in der postmodernen Gesellschaft. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2007. (In der FAZ vom 31.08.2007, S. 41), in dem die beiden Autoren zu ihrem Fazit kommen, daß der Staat berechtigt sei, die eine Religion besser zu behandeln als die andere.
(In der Rezension wurde darauf hingewiesen, daß diese Überlegung nicht gerade islamfreundlich sei ...)
Die weitere Überlegung war für mich dann: Wo liegen Freiheit und Toleranz des Staates und der Gesellschaft gegenüber der/den Religion/en und Weltanschauungen?

Die rein persönliche, eben meistens äußerst subjektive Meinung ist in der Regel nicht objektiv brauchbar; die nur formale, eben verfassungsrechtliche Betrachtung ist eben nur ein formal-rechtliches Instrument, das in einer konkreten Situation, in einem konkreten Fall oft nicht weiterhilft.
Zudem zeigte sich, daß die Problematik wesentlich komplexer und auch komplizierter ist, als die ursprüngliche Fragestellung von mir.
Lassen wir auch die grundsätzliche Frage einmal außer acht, wann einer religiösen Gruppe eben der Status einer anerkannten religiösen Gemeinschaft zukommt (Zeugen Jehova, Scientology).

Auch die Auslegung des Grundsatzes, alles ist frei und erlaubt ist, solange es nicht andere stört etc., dürfte in der Praxis auch auf ihre Schwierigkeiten stoßen.

Denn es geht ja nicht nur um die Religionsfreiheit des einzelnen (verfassungsrechtlich, oft nur indirekt, abgedeckt durch das Grundgesetz: Art. 1/1 (Würde des Menschen); 2/1 (Entfaltung seiner Persönlichkeit); 3/3 (keine Diskriminierung wegen ...); 4/1 und 2 („Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich./ Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.); Art. 5 (Meinungsfreiheit), Art. 9 (Versammlungsfreiheit)), sondern um das zentrale Problem, welche Rechte und Freiheiten gesteht der Staat einer religiösen Gemeinschaft zu, die ihrerseits gegenüber dem Staat (und damit der Gesellschaft) vielleicht Wünsche, Forderungen und Freiheiten fordert und erwartet.

Beispiele: Es gibt die Verordnung, daß gegenüber muslimischen und jüdischen Schüler (Schabbes-Gebot) am Samstag besondere Regeln bestehen (z.B. keine „körperliche“ Arbeit).


Dann die Abhängigkeit voneinander: Siehe die Verpflichtungen, die der Staat seit der Säkularisation übernommen (theologische Lehrstühle und Ausbildung, Bezahlung, Investitur von Geistlichen (Bischöfe), Religionsunterricht etc., und die Rechte, die die beiden christlichen Kirchen in Anspruch nehmen). Zum Beispiel kann die katholische Kirche einem katholischen Religionslehrer die venia legendi (hier: die Unterrichtserlaubnis für Religion) entziehen. Siehe auch die Fragen von Schulgebet, Kruzifix im Klassenzimmer etc. Also Staat und Kirche sind in der BRD nicht voneinander getrennt. (Interessant wäre auch die Betrachtung, wie dies in anderen Staaten der EU, aber auch in den nichteuropäischen Staaten ist.)

Was ist, wenn Staat und Kirche/ Religionsgemeinschaft unterschiedliche Auffassungen bezüglich etwa der Rolle des Staates, bestimmter Gesetze (Verteidigung, Krieg), Stellung der Frau, des Kindes, Stellung der Feiertage etc., Asylanten, „soziale Aufgaben“ des Staates haben?

Hier einige Fälle, wo Staat/Gesellschaft und Kirche/anerkannte religiöse Gemeinschaften „zusammenstoßen“:
Anordnung zum Schulgebet; Anordnung, in allen Klassenräumen, ein Kruzifix aufzuhängen; Weigerung am Sport-, Biologie- und explizit Sexualkundeunterricht teilzunehmen (oder gar die Weigerung, die öffentlichen Schulunterricht zu besuchen); Ablehnung des Biologieunterrichts bzw. der Evolutionstheorie, ... des Geschichtsunterricht etc. Frage des Schwangerschaftsabbruchs, Wehrdienstverweigerung (nach meiner Kenntnis nur aufgrund einer religiösen Haltung möglich, eine politische Wehrdienstverweigerung wurde in den Zeiten „klassischer Wehrdienstverweigerer-Verhandlungen“ nicht anerkannt.)

Ist z.B. der Staat, sind staatliche Einrichtungen (Kantinen) verpflichtet, auf die Speisegebote (Kashrut) bestimmter Gläubiger einzugehen? (Dies unter dem Aspekt zusätzlicher Arbeit und Kosten) Muß ein nichtchristlicher Lehrer das christliche Schulgebet mit und vor der Klasse vollziehen? Kann ein nichtchristlicher Hochschullehrer erwarten, daß in seinem öffentlichen Lehrraum das Kruzifix abgehangen wird?

Wie verhalten sich Staat und Gesellschaft, wenn religiöse Gemeinschaften, religiöse Menschen mit ihrer Religion rechtliche Bestimmungen (etwa auch in der Verfassung) in Frage stellen und/oder ablehnen? Welche Bestimmungen ist nun der Vorrang zu geben, dem Staat/ der Gesellschaft oder einer Religionsgemeinschaft? Ist die Sonderstellung der christlichen Kirchen und religiöser Gemeinschaften berechtigt? (Hier vielleicht auch unter der Berücksichtigung, daß viele soziale Aufgaben von kirchlichen Einrichtungen vollzogen werden.)

Während man sicher bei der Frage der bloßen Weltanschauung sagen kann, jeder soll nach seiner Auffassung „selig“ oder besser glücklich werden, solange etwa die bestehende Verfassung und die bestehenden Gesetze und die Freiheit des anderen nicht in Frage gestellt werden (ich fürchte, daß selbst das in der Praxis häufig Probleme ergibt) – aber wie geht man jetzt aber mit den Fragen und Problemen um, die sich aufgrund unterschiedlicher Auffassungen von Staat/ Gesellschaft und religiösen Gemeinschaften ergeben?

Und dazu noch: Gesteht man weiterhin den beiden christlichen Kirchen gegenüber anderen religiösen Gemeinschaften eine Sonderstellung zu? (Bei der Fragestellung wurden die historische Entwicklung, Konstellation und Praxis bewußt nicht berücksichtigt.)


Wie geht man damit um, wenn religiöse Gemeinschaften ihre Auffasungen über das staatliche Recht/ über die Verfassung stellen?


Die Bertha
vom Niederrhein

P.S. Die neuen bzw. weiteren Beiträge bzw. Themen zum Bereich "Staat und Gesellschaft" werden in der Rubrik Politik & Gesellschaft/ Innenpolitik abgelegt.
gila
gila
Mitglied

Re: Neutralität und Toleranz (Staat und Gesellschaft 1)
geschrieben von gila
als Antwort auf plautus vom 15.09.2007, 18:39:16
Du sagst es. Ehrlich, so empfinde ich das auch.
--
l.g.
gila

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niederrhein
niederrhein
Mitglied

Ergänzung zum kleinen Resümée ...
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf niederrhein vom 18.09.2007, 20:53:22
Neutralität und Toleranz
(Staat und Gesellschaft 1)

Ergänzung zum kleinen Resümée
(Siehe den vorausgegangenen Beitrag, der zweitletzte Beitrag)

Die Tatsache, daß innerhalb der EU Bewegungs-, Arbeits- und Wohnfreiheit herrscht, machte die Dinge gegebenenfalls noch komplizierter, da ja eine nationale Gesetzgebung weder die Vielfältigkeit der Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und eben Religionsgemeinschaften aufgrund der jeweiligen Geschichte und (verfassungs)rechtlichen Strukturen der einzelnen Staaten berücksichtigen kann noch mit der „engen“, lies: „nationalen“ Gesetzgebung der komplexen gegenwärtigen Realität – eben aufgrund der Menschen aus eben vielen Staaten und Kulturbereichen – gerecht wird.

Wieder einige stichwortartige Beispiele:
Sonntagsarbeit etc. – In Schottland wurde ich einmal (80er Jahre) bezüglich einer Freizeittätigkeit von einem Polizisten angesprochen: „It’s the day of Lord.“/ In den 50er Jahren wurde Verstöße gegen die Sonntagsruhe geahndet, Landwirte hatten gegebenenfalls wegen Witterung und Erntesituation eine Ausnahmesituation).
Moschee (Architektur, noch mehr die entsprechenden Gottesdienstgewohnheiten), Gebetsrituale (ent-sprechend dem fünfmaligen Gebet [Teppich etc.] etwa kurze Pause, um den „Angelus Domini“ zu beten) etc. etc.


Bertha
yankee
yankee
Mitglied

Re: Ergänzung zum kleinen Resümée ...
geschrieben von yankee
als Antwort auf niederrhein vom 19.09.2007, 12:29:50
Die Gesamtheit der Problematik entsteht meines Erachtens dadurch, daß versucht wird, Staat und Religion auf dieselbe Ebene zu stellen. Dies kann nur zu Konflikten in der geschilderten Vielfalt führen.
Wenn klipp und klar die Prioritäten definiert sind, sodaß jedem Bürger dieses Staates klar ist, daß der Staat und seine Gesetzgebungen grundsätzlich der Ausübung der Religionsfreiheit übergeordnet ist und die Konsequenzen bei Verstoss ebenfalls eindeutig sind, dann wäre die Anzahl der Diskussionen wahrscheinlich geringer, die Gesetzeslage eindeutiger, und somit auch für die Exekutive einfacher durchfürbar.
--
yankee
niederrhein
niederrhein
Mitglied

Dazu ein Anmerkung ...
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf yankee vom 19.09.2007, 13:56:12
[...] Staat und Religion auf dieselbe Ebene zu stellen [...] die Prioritäten definiert [...] der Staat [...] seine Gesetz(e) [...] grundsätzlich [...] der Religionsfreiheit übergeordnet


Genau darin liegt das Problem, denn mit der historischen und verfassungsrechtlichen Hervorhebung der Religionsfreiheit, mit deren besonderen Stellenwert ist ja das Spannungsverhältnis zwischen Staat und Religion/ Kirche gegeben. (Siehe auch die Haltung der Pilgrims bei ihrer Übersiedlung nach Amerika.)

Eine wirklich strikte Trennung von Staatsrecht/ Verfassungsrecht und Religion wäre - zumindest aus meiner Sicht - die Lösung.
Religion als eine völlig private Angelegenheit, in die sich der Staat nicht einmischt und die wiederum keinen Einfluß auf staatliche Belange haben dürfte. Angesichts der historisch gewachsenen Realität in Europa und angesichts der weltweiten Bedeutung von Religion für viele Menschen auf dieser Welt (in Indien kämpft seit Jahren ein hinduistischer Diplomingenieur gegen die Verbrennungs- und Bestattungsriten am Ganges und stößt damit auf wenig Verständnis.) dürfte dies noch lange dauern, bis das erreicht ist.
Allein die Überlegungen und Streitereien in bezug auf die kommende europäische Verfassung zeigen, wie kompliziert das ist.

Zudem: Staatliches Recht hat sich in der Geschichte des 20. und bisherigen Geschichte des 21. Jh. nun leider auch nicht oft als ... wie soll's man nennen? ... menschenfreundlich erwiesen. (Hingegen haben sich öfters Religion, religiöse Menschen und Institutionen auch positiv ausgewirkt.)

Dennoch ... aus meiner Sicht sollte der Einfluß der Religionen strikt begrenzt werden.

Die Bertha
vom Niederrhein

P.S. Wie kompliziert die Dinge werden können, zeigen ja die stichwortartig aufgelisteten Fragen und Probleme in den beiden vorausgegangenen Beiträgen.

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Medea
Medea
Mitglied

Re: Dazu ein Anmerkung ...
geschrieben von Medea
als Antwort auf niederrhein vom 19.09.2007, 21:47:36
"Dennoch ... aus meiner Sicht sollte der Einfluß der Religionen strikt begrenzt werden." (Bertha)


Genau - nur so wird Ruhe in das Staatsgefüge einkehren.

Medea
yankee
yankee
Mitglied

Re: Dazu ein Anmerkung ...
geschrieben von yankee
als Antwort auf Medea vom 19.09.2007, 22:00:37
Mir ist es auch schwer verständlich, daß wir Deutschen es uns mit dem eigentlich Selbstverständlichen jedesmal so schwer bzw. so kompliziert machen.
In der Türkei ist die Trennung von Staat und Religion klarer geregelt als bei uns.
Wenn sich ein Gesetz nachweislich negativ auf unseren Staat oder unsere Gesellschaft auswirkt, haben wir in Deutschland komischerweise die größten Skrupel, dieses Gesetz abzuschaffen oder zu ändern.
Beispiel 1:
Warum müssen Millionäre Kindergeld bekommen - na, weils im Grundgesetz steht. Was wird dagegen getan - nichts !
Beispiel 2:
Die Auswirkungen von nationalsozialistischem Einfluss und Gedankengut kennt nun wirklich jeder in Deutschland. Was daraus folgt - es dürfen weiterhin Parteien gegründet werden, die dieses Gedankengut pflegen und verbreiten, diese Gruppen dürfen sogar für Ihr Recht darauf demonstrieren und warum - weils im Grundgesetz steht.
Das Grundgesetz muß an einigen Punkten dringend geändert und an die veränderten Verhältnisse und Erfahrungswerte angepasst werden. Solange geglaubt wird, daß alles was darin steht richtig und gut ist, ändert sich daran nichts.
--
yankee
adam
adam
Mitglied

Re: Dazu ein Anmerkung ...
geschrieben von adam
als Antwort auf yankee vom 20.09.2007, 14:41:48
Hi yankee

also von Grundgesetzänderungen halte ich so schnell nichts. Warum hält man sich nicht einfach strikt daran?

Ein Beispiel:

Vor einigen Jahren kam ein, in Deutschland lebender, pakistanischer Sikh in die Schlagzeilen. Der gute Mann wollte mit dem Motorrad zur Arbeit fahren, konnte aber keinen Helm aufsetzen, da er aus religiösen Gründen seinen Turban nicht ablegen könne. Er zog vor Gericht und bekam, weil er mit religiösen Gründen argumentierte, eine Ausnahmeerlaubnis, sein Motorrad ohne Helm zu fahren.

Artikel 3 des GG lautet in Auszügen:

"Niemand darf wegen.......seines Glaubens...... benachteiligt oder bevorzugt werden."

Nichts gegen den fleißigen Sikh, aber in meinen Augen wurde er bevorzugt und zwar wegen seines Glaubens. Diese Auslegung des GG kann zu sehr viel Mißmut bei allen anderen Motorradfahrern führen und genau zu dem, was die Gesellschaft nicht haben will: zu Intoleranz!

Hätte ihm der Richter nicht sagen müssen: "Guter Mann, niemand zwingt sie ihren Turban abzusetzen und sie werden vom Gericht jede Unterstützung erhalten, wenn es jemand versuchen sollte. Aber der Wunsch Motorrad zu fahren geht von Ihnen aus und deshalb müssen sie einen Helm tragen, denn das ist hierzulande Gesetz!

So hätte doch der Richter für staatliche Neutralität gesorgt und gleichzeitig an die Toleranz des gläubigen Sikh, gegenüber den Gesetzen in seiner Wahlheimat, appeliert.

Und das ohne GG-Änderung.



--
adam
peter25
peter25
Mitglied

Re: Dazu ein Anmerkung ...
geschrieben von peter25
als Antwort auf yankee vom 20.09.2007, 14:41:48
Das Grundgesetz hat sich doch bewährt??
Warum sollte es geändert werden??
Wenn eine Änderung stattfinden sollte, ist das von Vorteil oder Nachteil der Staatsbürger??
Vielleicht haben ja einige Interesse daran , die Freiheit der Bürger einzuschränken???



--
peter25

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