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Aktuelle Themen Säufernasen, Schniefnasen und Schnüffelnasen (Teil 1)

EmilWachkopp
EmilWachkopp
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Säufernasen, Schniefnasen und Schnüffelnasen (Teil 1)
geschrieben von EmilWachkopp
Ich saß im Wartezimmer des Herrn Doktor Dusel, wie wir ihn damals etwas spöttisch nannten, und hatte immerfort ein starkes rotes Leuchten – wie von einer Verkehrsampel bei Dunkelheit – in den Augen. Die Quelle der Erleuchtung war aber keine Ampel sondern meine eigne Nase. Im Halbdunkel des Wartezimmers leuchtete sie wie das Rücklicht eines Fahrrades. Das war aber nicht die Säufernase. Das war nümlich die Schniefnase. Das ist ein Unterschied!

Ich weiß das heute noch so haargenau, dass ich die Schniefnase hatte, weil mir doch der Vorarbeiter im Lager der Brauerei angeflotzt hatte. Ich musste nümlich so gewaltsam niesen, dass mir ein Kasten Bier aus die Hände glitt und alles zu Scherben ging. „Mensch Emil!“, grölte der ungehobelte Klotz mir an. „Nu ünnernimm aver bald maal wat för dien Snööf, ehr dat du mi den ganzen Laden in Dutt slaan deist.“ „Hatschi!“ entfleuchte es mir und der nächste Bierkasten entglitt meinen Händen.

Auch bei die Chefsekretärin hatte ich plötzlich schlechte Karten. „Halt mal stopp, Emil. Rück mi ja nich op’n Lief, sünst krieg ik ook noch de Sniefnees.“
Daraufhin ging ich zu Doktor Dusel, um mir wegen meiner Erkältung krankschreiben zu lassen. So sechs bis acht Monate, hatte ich mir ausgerechnet. Und danach erst mal ein Jahr Erholungsurlaub auf Maijorka.

Die Abenddämmerung ging langsam in Dunkelheit über und der Schein meiner Nase verbreitete sein Rot über das ganze Wartezimmer. Da wurde ich jäh durch die kreischende Stimme des Arztes, die immer wie ein scharfes Messer durch Mark und Bein schnitt, in meinen nasalen Überlegungen gestört. „Das schlägt ja dem Fass den Boden aus! Kein normaler Mensch säuft neunzig Liter Bier am Tag?!!!!“ drang es durch die Tür, die das Sprechzimmer vom Wartezimmer trennte. „Ich denk gerade!!!!!!!“ opponierte sich eine polterige, bös verraspelte, stark lallende Stimme. „Das ist ja Wahnsinn!!!“, kreischte Doktor Dusel fast hysterisch. „Was sage ich da? Wahnsinn? Megawahnsinn ist das!!!“ „Eben nicht!!!!“ „Solche Sauferei verträgt doch das Herz nicht!!!“ „Dein Klapperherz vielleicht nicht!!! Meins ja!!!“
Sodann flog die Tür zum Sprechzimmer auf mit einer Wucht, dass ein Patient, der nahe der Tür saß, mitsamt seinem Stuhl nach links umkippte. Zum Glück machte es dem Betroffenen offenbar gar nichts aus, denn er schlief so fest, dass er seinen Absturz gar nicht bemerkte sondern einfach auf dem Fußboden weiter schnarchte. Nun ja, wer einen gesunden Schlaf hat, der hat einen gesunden Schlaf.

Im Türrahmen offenbarte sich plötzlich ein ungewöhnlich breiter, untersetzter und überhaupt komisch geformter Dickwanst. Er war viel breiter als er lang war. Was mir aber am meisten ins Auge fiel, ja geradezu imponierte, war seine knallrote, schwammige, breitgedrückte Knolle mitten in seinem verschwitzten Gesicht. Das war nicht nur der Prototyp einer sorgsam gezüchteten Säufernase. Das war gleichzeitig eine vitale, lebenslustige, fröhliche Säufernase – im Unterschied zu der deprimierten, dahinsiechenden Säufergummel meines Edeka-Händlers. Die war schon lange nicht mehr leuchtend rot wie zu ihren Glanzzeiten, sondern dunkellila, fast schon trauernd schwärzlich. Und diese wichtige Grundthese ist mir schon im ersten Semester, am ersten Tag meines Studiums eingetrichtert worden: „Lilaschwarz ist das höchste Entwicklungsstadium der Säufernase.“ Danach fällt sie ab.

„Ich trink soviel ich will“, brüllte der Dicke in das Sprechzimmer und knallte dann die Tür so unwirsch zu, dass sich tiefe Risse in der Wand oberhalb und seitlich der Tür bildeten. Mit schweren Schritten stampfte er der nächsten Tür entgegen, die das Wartezimmer vom Flur trennte. Aber eine Tür, die sich nach Innen hin öffnet, kann nicht nach Außen geöffnet werden. Der Dicke allerdings schien die Widerspenstigkeit der Tür als Sabotage aufzufassen, warum er sie kurzerhand eintrat: „Scheißtür!!! Nicht mal die Türen funktionieren in diesem Tollhaus.“ Bevor er aber den Flur betrat, blieb er im Rahmen der zersplitterten Tür stehen und wandte sich an uns: „Euer Onkel Doktor hat ja Durchzug im Oberstübchen!“ Sodann stampfte er in den Flur hinaus, donnerte die Tür der Praxis zu, dass uns allen der Schrecken in die Glieder fuhr. Wir hörten wie er die Treppe hinunterpolterte und die Haustür dermaßen ins Schloss knallte, dass die Scheibe klirrend in Scherben zerfiel. Dann drang seine verraspelte, lallende Stimme von Unten zu uns herauf: „Solche Ärzte kann ich nicht ab!“ und – klirr – ging noch eine Scheibe in Brüche. Das war die Schaufensterscheibe der Sparkasse. Wir waren alle wie versteinert vor Schreck.

Na, ich sag nichts. Jeder Mensch kann mal büschen ruppig sein. Und wen würde nicht der Schlag treffen, wenn sein Arzt ihm plötzlich das Saufen verböte? Aber trotzdem: Man muss sich auch mal büschen beherrschen können. Find ich. Wenn ich mal fünsch bin, geh ich auch nicht bei und zertrümmere alle Fensterscheiben, die mir in den Weg kommen. Aber Emil kann sich eben beherrschen. Das ist der Unterschied.

Jedenfalls war jetzt erst mal Ruhe. Allerdings nicht lange, denn schon bald erschien die lange, dunkelgelbe Nase des Herrn Doktor Dusel im Türspalt. Und mit hörbarer Erregung kreischte er in das Wartezimmer: „Der Nächste bitte! Aber wenn das auch eine Säufernase ist, schmeiß ich ihn eigenhändig zum Fenster raus!“ Zehn Sekunden später war das Wartezimmer leer. Alle türmten, und der Schläfer auf dem Fußboden sogar vorweg. Wahrscheinlich hatte der eine innere Alarmanlage, die ihn bei Anzug einer Gefahr sofort weckte und fluchtbereit machte. Das Gepolter im Treppenhaus, in dem sich die Fliehenden zu überschlagen schienen, war unbeschreiblich. „Haut ja ab, ihr versoffenen Kaschuben! Und lasst euch hier nicht wieder blicken“, brüllte Doktor Dusel ihnen nach. „Meine Praxis ist keine Säuferheilanstalt.“

Jetzt muss ich mir aber büschen berichtigen. Ganz leer war das Wartezimmer nicht, denn ich war ja noch da. Und zwar mit gutem Recht, denn ich hatte ja nicht die Säufernase sondern bloß die Schniefnase. Doktor Dusel stand schon in der Tür seines Sprechzimmers, als er innehielt und sich umdrehte. Er hatte mir also entdeckt. Und schuld daran war meine Nase. „Wessen Nase leuchtet da so rot? Man ansage mir frisch!“ kreischte er in das Dunkel des Wartezimmers. Ich war für kurze Zeit geblendet von dem hellen Lichtschein, der mir plötzlich aus der Deckenlampe in die Augen fuhr. Dann aber sah ich zu meinem Schrecken Dr. Dusels kreideweißes, ja leichenblasses, verschwitztes Gesicht, seine dunkelgelbe Nase und das irre Leuchten in seinen Augen. „Aha! Wachkopp! Hehehehehe, härch-härch, harch-brarch. Weißt du was ich mit dir mache?“ Die Frage war rhetorisch, denn seine Körpersprache gab bereits die Antwort ehe er fragte. Er formte seine hageren Hände zu einer Schlinge und brüllte. „Dich erwürge ich!!!!“ „A…a…a…ber….“ „Auf ihn mit Gebrüll: Huuuuuaaahhhhh!!“ Doktor Dusel war zwar nur ein kleiner Spittel: 1,58 lang und 30 Zentimeter breit. Aber es war weit und breit bekannt, dass seine häufigen Jähzornsausbrüche ihm förmlich übermenschliche Kräfte verliehen. Besser gut getürmt als schlecht gefochten, sagte ich mir und flitzte wie ein Blitz einfach nach Vorn. Dabei verpasste ich die Abfahrt zum Flur und landete in Dusels Sprechzimmer. Der jähzornige Doktor setzte mir nach und jagte mir so an die zehn zwölf Runden um seinen Schreibtisch. „Halt! Stehen bleiben! Im Namen der Ärztekammer!“

Wer immer im Kreis läuft, kommt ins Leben nicht voran. Zu dieser profunden Erkenntnis kam ich an jenem schicksalsschweren Tag in der Praxis des Doktor Dusel. Also tat ich, was jemand, der damals schon reifer in Kopp war als wie ich, schon lange getan hätte. Ich flitzte durch den Flur raus ins Treppenhaus. Dort schmiss der gereizte Dusel mir noch einen Blumentopf nach, der aber zun Glück meinen Kopp verfehlte und durch das Fenster im Treppenhaus flog und auf den Bürgersteig klatschte.

Na, ich sag nichts. Aber ich finde, auch ein Arzt, der sich etwas irritiert fühlt, müsste sich büschen beherrschen können. Ich geh ja auch nicht bei und erwürg alle, deren Nase mir nicht gefällt. Trotzdem war Doktor Dusel ein sehr tüchtiger Arzt. Für leichte Krankheiten. Für schwere nicht so. Und sehr nett und beliebt war er auch. Bloß eben wenn er seinen Rappel kriegte, denn war er ehrer büschen ungenießbar.

Eines ging mir nicht aus dem Kopf. Wie soll man eine dunkelgelbe Nase, wie Doktor Dusel sie hatte, medizinwissenschaftlich katalogisieren? Vielleicht als Lungenpestnase? Zun Glück traf ich auf dem Heimweg vor dem U-Bahnhof die Marie Juana Porumpescu (auch Hasch-Elli genannt), die auf einem gewissen Teilgebiet der Giftmischerkunde äußerst bewandert war. „Der schnüffelt doch massenhaft Schnee in sich rein.“ „Schnee? Wo hat er denn den jetzt im Herbst schon her?“ „Emil, du bist aber auch ein richtiges Kinderküken. Über die wichtigsten Dinge im Leben weißt du nicht bescheid. Heroin schnüffelt er in sich rein. – Warum fragst du? Hatte er heute wieder seinen Tobsuchtsanfall?“
„Nein, das kann man nicht sagen. Aber büschen gereizt war er. – Aha, denn hat Doktor Dusel also die Schnüffelnase. Dank dir schön Hasch-E…, ich meinte: Marie Juana.“ Zum Abschied umarmte sie mich und ich konnte dadurch aus nächster Nähe einen unauffälligen Blick auf ihre leicht rosa gefärbte Haschnase werfen. Im Grunde hatte ich Hasch-Elli gern, auch wenn mir ihr Umgang mit Rauschmitteln überhaupt nicht zusagte. Sie hätte sich – sage ich mir heute – ihre jüngere Schwester zum Vorbild machen sollen. Die Bananen-Elli. Bananen sind gesünder als Hasch und man bekommt von ihnen keine Bananennase.



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