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Aktuelle Themen Wiederbelebungs- und Fitnessübungen für Klotzer

EmilWachkopp
EmilWachkopp
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Wiederbelebungs- und Fitnessübungen für Klotzer
geschrieben von EmilWachkopp
Jeder Mensch hat seine eigne Methode, vor Arbeitsbeginn seine Lebensgeister zu wecken und sich in Schuss zu bringen, damit er dann gewaltig wuchten kann. Früher wusste ich das gar nicht. Aber heute, wo ich schon büschen ausgereifter bin, in Kopp, da weiß ich das. Das heißt: Eigentlich wusste ich das von dem Augenblick an, wo der Vorarbeiter Fiete Schreier den Edmund so unflätig angegrölt hat: „MENSCH EDMUND, DREH ENDLICH MAL DIE SUPPENMASCHINE AN!!!“ „GLEIIIICH!!!“ grölte Edmund zurück. „ICH MUSS MIR ERST NOCH EINEN GENEHMIGEN.“ „NIX DA!! SOFORT!!!!!“ „Alter Sklaventreiber“, brummelte Edmund, schaukelte unsicheren Schrittes in Richtung Suppentrog, drückte auf einen roten Knopf – und damit war die Suppenmaschine angeschmissen. „Puh“, sagte Edmund und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, das sich schon ganz puterrot verfärbt hatte. „Jetzt hast du aber einen reellen Schluck verdient, Edmund.“

– „Rülps!“

Edmund brachte sich morgens also immer erst mal mit ein paar kräftigen Schlucken aus der Flasche in Form. Aber ehe jetzt alle hier ins Forum beigehen und das auch so machen, muss ich eine Warnung aussprechen. Diese Methode passt nicht allen, weil manche bloß tranig oder sabbelich von werden. Nümm zun Beispiel die Packerin Lena Hurtig. Die hat das nümlich auch mal ausprobiert. „Nee Emil, einmal und nie wieder“, klagte sie. „Jeden Nachmittag torkelt man in’n Nebel nach Hause und seine Freizeit verpennt man. Wenn’s noch die Arbeitszeit wär.“ Sie brachte sich künftig immer dadurch in Schuss, dass sie sich gleich nach Arbeitsbeginn für eine halbe Stunde hinlegte und psychische wie physische Energie tankte. Oder wer das nu ganz genau wissen will: Sie trank Lebertran und sagte magische Formeln auf. Sobald die Übungen abgeschlossen waren, stürzte sie sich wie eine wilde Löwin auf ihre Pakete, dass die Fetzen nur so flogen. Zun Glück war sie Auspackerin und nicht Einpackerin. Fürs Einpacken ist die Methode nümlich ungeeignet.

Die Methode von die Sekretärin Martha Hammer war ehrer intellektuell, philosophisch und – ehrlich gesagt – für mir nicht restlos verständlich. Ja, sie hatte einen messerscharfen Verstand. Den hab ich nümlich an ihr immer so bewundert. Aber sie war, ganz im Gegensatz zu mir, doch auch büschen komisch veranlagt. Ein komischer Vogel sozusagen. Sie hatte nümlich ihr Bett in ihr Büro gestellt. Aber das war zur Ausführung ihre Arbeit nicht notwendig, sondern sie wohnte in ihrem Büro. „Warum wohnst Du denn hier, Martha?“ fragte ich sie. „Ich verschaffe mir eine Gehaltserhöhung, indem ich die Miete einspare.“

Und dann …. Na ja, Emil ist eben einer, der immer alles haargenau so beschreibt wie es ist. Die Welt passt sich nicht immer unseren Wünschen an, weshalb man büschen flexibel sein muss. Morgens war mit die Martha überhaupt kein Staat zu machen. Ich musste sie jeden Morgen wecken, sonst hätte sie womöglich noch bis zun späten Nachmittag durchgepennt. Aber ich war immer auch büschen nachsichtig und hab sie meist eine Stunde länger schlafen lassen. Das war, damit sie mir nicht gleich wieder vergnatzt kam und mir vielleicht sogar noch was an den Kopf schmiss. Ich war ja damals gerade zum zweiten Bürooberaufseher ernannt worden. Und auch wenn ich meine Arbeit todernst nahm, musste ich ja auch immer büschen an meine eigne Sicherheit denken.

Jedenfalls: Um 11 Uhr war Martha Hammer immer noch im Nachthemd, aber wenigstens schon mal auf. Dann aber ging es los. Und zwar mit einer Wucht, dass nicht einmal Tarzan es gewagt hätte, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Sie machte Karateübungen und haute und trat wild um sich und in alle Himmelsrichtungen. Und immer erst wenn sie ihr Aggressionspotential optimal mobilisiert hatte, dann stürzte sie auf ihre Arbeit los. Und jetzt zum philosophischen Grund ihrer Handlungen. Es war schon als Kind immer Marthas heißer Wunsch, jegliche Arbeit zu vernichten. Und erledigte Arbeit war für sie gleichbedeutend mit vernichteter Arbeit. Das hatte was mit Hegel und Negation zu tun. Na ich sag nichts. Ich bin mit Martha immer gut ausgekommen. Ich musste eben nur die Zeichen deuten können, d.h. ein Gespür dafür entwickeln, wann Gefahr im Anzug war. Dann gab es nur noch eins: Sofort Deckung nehmen.

Manche nehmen es mit dem Arbeitsbeginn sehr genau. Andere nicht so, aber dafür mit dem Feierabend. Jeder Mensch hat eben seine Stärken und seine Schwächen. Das muss man hinnehmen. Martha nahm es mit dem Feierabend penibel genau. Ich weiß das deshalb, weil ich einmal fast eine viertel Sekunde nach Feierabend ihr Büro betrat und sie fragte, ob sie ausnahmsweise mal zehn Minuten länger arbeiten könnte. Ich konnte gerade im letzten Augenblick noch ducken, sonst wäre der Blumentopf mir an den Kopf geknallt. Na, ich sag nichts. Die Antwort war ja auch so verständlich, und wie gesagt: Stärken und Schwächen hat jeder Mensch. Bei Martha war es allerdings weniger Schwäche als philosophische Überzeugung. Während der Arbeitszeit negierte sie die Arbeit, indem sie sie verrichtete. Nach Feierabend hob sie die Arbeit auf, indem sie den Arbeitgeber ausschaltete. Das war bei Martha Hammer alles durchdacht.

Was aber dabei rauskommt, wenn ein unempathischer Vorarbeiter den psychischen und physischen Aufladungsprozess seiner Klotzer gewaltsam unterbricht, davon kann mein Zwillingsbruder Jens ein Lied singen. Der hatte nümlich eine Sommerklotze in die Hamburger Innenstadt. Bei die Elektrofirma Brinckmann, die es heute wull nicht mehr gibt. Kraftfahrer war er da. Mit Führerschein.

Jens setzte sich jeden Morgen einen Turban, mit dicker Gummischeibe im oberen Teil eingenäht, auf, stellte sich auf den Kopf und meditierte. So ungefähr eine halbe, dreiviertel Stunde lang. Nach vollendeter Übung war er von einer inneren Harmonie und Ruhe erfüllt, die er für seinen Job zu brauchen glaubte. Einmal aber erwischte ihn sein miserabel erzogener Vorarbeiter Olli Schreier bei seiner Übung. „KOMM INNE KUFEN, DU TRANIGE AR…{ZENSUR] GEIGE!!!!“ brüllte er meinen verdatterten Bruder an, so dass der gleich vor Schreck platt auf den Zementfußboden klatschte.

MORALISCHES INTERMEZZO:
So redet man seine Klotzer nicht an. Weil sich das nümlich nicht gehört. Deshalb ist das.

Jens war ein übersensibler Jüngling, dem alles immer gleich viel zu nahe ging. Deswegen rannte er – wie von der Tarantel gestochen – völlig entnervt, mit zitternden Händen und schlotternden Knie zum Hof runter, flenzte sich in seinen Lastwagen und raste los, als hätte er spanischen Pfeffer im … Na ja, hinten irgendwo.

Und was passiert? Jens mähte erst mal einen Laternenpfahl um. Dieser setzte sich allerdings tapfer zur Wehr und riss dem Aggressor die fordere Stoßstange und den linken vorderen Kotflügel ab. Krach, Bum, Quietsch!! – Aber das war bloß deshalb, weil so was immer schneller geht als man reagieren kann. Das ist der Fehler.

Jedenfalls hat mein Bruder diesen kleinen Anrempler zwar bemerkt, aber ihm keinerlei Bedeutung beigemessen. Nein, das wäre ein Verstoß gegen seine Grunddevise gewesen: „Bei einem Lastauto kommt es nicht auf äußere Schönheit, sondern auf die innere Ladekapazität an.“ Damit man alles schön mitkriegt.
Na ja, logisch ist das, aber ich weiß nicht, ob man mit die Einstellung überall schlank durchkommt.

Beim ersten Kunden kam die Ernüchterung. Die Hintertüren brauchten nümlich nicht geöffnet zu werden, weil sie gar nicht verschlossen waren. Entsetzt starrte mein Bruder in die gähnende Leere des Lastraums. Zun Glück hatte sein Kunde Humor. „Na, was hast Du denn heute Schönes für mir, Jens? Sechs Tonnen frische Stadtluft?“ „Es sieht ganz so aus, als hätte ich gar nichts geladen“, sinnierte Jens. „Das sehe ich genauso“, sagte der Kunde. „Denn fahr man schnell zurück in die Firma, ehe es Ärger gibt.“ „Und ob“, hechelte Jens, flenzte sich in den Wagen und raste los, dass schon der Anblick den Tod für herzschwache Personen hätte bedeuten können. „DIE HINTERTÜREN!!!!!!“ brüllte der Kunde ihm nach. Aber das hörte Jens gar nicht. Er wartete diesmal auch nicht, bis der tranige Pförtner das Gittertor geöffnet hatte, sondern er mähte es einfach um. Er steckte den Kopf zum Seitenfenster raus und brüllte nach hinten: „Das läuft über die Versicherung!!!!!“

Es ist immer von Vorteil, so früh wie möglich, noch ehe sich unversöhnliche Feindschaft entwickeln kann, den Grund für eine künftige Aussöhnung zu legen. Aber man soll nie zurückschauen, wenn man besinnungslos nach vorne prescht. Denn vorne befinden sich alle potentiellen Risiken, und niemals hinten.

Durch diesen kleinen Patzer übersah mein Bruder den Volkswagen, der in einsamer Majestät gegenüber der Firmeneinfahrt parkte.

Krach!!!

Na ja, im Grunde veränderte sich die Situation nicht drastisch, sondern nur insofern, als der VW jetzt auf der Seite parkte. „Hier steht heute aber auch alles im Wege“, schimpfte Jens.

Aber wie schimpfte er wohl erst, als er – schon ganz in der Nähe seiner Firma – bemerkte, dass er sich zwar auf der richtigen Straße befand, aber in die falsche Richtung fuhr? „So ein Sch… [Zensur] Dreck aber auch!!!! Heute hat sich alles gegen mir verschworen. Ich muss wenden, ehe ich irgendwo lande, wo ich mir gar nicht mehr auskennen tu. Und das bei diesem Verkehr!“ Also: Eins …… Zwei …. Drei …. JETZT!!! Das Steuer nach links rumgerissen, auf die Gnade des Himmels hoffend. Jens sah die Straßenbahn, und er traf alle präventiven Vorkehrungen, die sich in dieser verzwickten Situation noch treffen ließen. D.h. er brüllte die Straßenbahn durchs Seitenfenster an: „HAU AB!!! DU KOMMST VON LINKS!!! ICH HAB VORFAHRT!!!.“

Krach!!!

Das war das Bild des Jahrhunderts. Ein Bild übrigens, dass in den Hamburger (vielleicht auch in anderen) Zeitungen publiziert worden ist. Die Straßenbahn verließ die Schienen, sauste quer über die Fahrbahn, über den Bürgersteig und hielt ausnahmsweise mal nicht an einer Haltestelle, sondern in einem Schaufenster. Niemand kam zu Schaden, nur eben die Straßenbahn, das Schaufenster und der Firmenwagen meines Bruders. Auf den Bildern sah man die Straßenbahn zur Hälfte, schief – d.h. stark umkippgeneigt – in einem Schaufenster stehen. Und auch ein Teil des demolierten Lastautos meines Bruders ist zu erkennen.

Übrigens: als mein Bruder mit dem Wagen, der jetzt vorne ganz nackt – d.h. ohne Stoßstange, ohne Kotflügel und ohne Motorhaube – war, in der Firma erschien, bekam er, statt innere Aufrichtung, seine Papiere. Er hat seither nie wieder in einer Großstadt geklotzt und sich auch nie wieder hinter ein Steuerrad gesetzt. „Mir sind Pferde lieber“, pflegte er zu sagen. „Die haben mehr Verstand als Lastautos.“

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