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Aktuelle Themen Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...

niederrhein
niederrhein
Mitglied

Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von niederrhein
Aus gegebenen Anlaß ...


Zeitzeugen ... wichtig für die geschichtliche Erkenntnis und Wahrheit?



Wie geht man mit den Aussagen von Zeitzeugen um? Wie nimmt man diese wahr, wie sind diese zu bewerten, welchen Dienst leisten sie für die Geschichtswissenschaft?
Soll man mit ihnen kritisch umgehen, wie soll man mit ihnen kritisch umgehen?

Inwieweit reflektieren Zeitgenossen ihre wahrgenommenen und erlebten Erfahrungen?
Neigen Zeitzeugen nicht oft dazu, ihre persönlichen Erlebnisse absolut zu nehmen, ihre Sicht der Dinge als alleingültige und alleinwahre Sicht? Wie schätzt man sich selbst als Zeitzeugen ein?

Vermutlich hat jede/r es kennengelernt ... Eltern, Großeltern haben nicht nur die persönlich-familiären Dinge erzählt, sondern eben auch über ihre Zeit, über ihre „politischen“, geschichtlichen Erfahrungen berichtet.
Und vermutlich haben sicher nicht nur wenige der ST-Mitglieder wiederum ihren „Nachkommen“ von ihrer Zeit erzählt, wobei ja gerade die Bürger der beiden deutschen Staaten offenbar viele Ereignisse der letzten fünfzig Jahre sehr unterschiedlich wahrgenommen haben, wie es die häufige Diskussion in den Foren zeigt.
Dazu kommt: Vieles, um nicht zu schreiben, die meisten Aussagen wurde in der Vergangenheit vornehmlich sehr politisch interpretiert und kommentiert.
Man vergleiche nur die Darstellungen etlicher entscheidender geschichtlicher Geschehnisse (Teilung/Spaltung, Währungsreform, der „17. Juni 1953“, Wiederbewaffnung der beiden deutschen Staaten, Mauerbau, Kuba-Krise, die berühmt-berüchtigten 68er Jahre, Auftreten der RAF ... bis zur Zeit 1989, 9.11.89 bis etwa 3.10.1990; aber auch Vietnamkrieg etc.) in den Geschichtsdarstellungen der fünfziger, sechziger Jahre (nicht zuletzt in den Schulbüchern der beiden deutschen Staaten!) und etwa der neunziger Jahre oder gar in der jetzigen Zeit!
Selbst dem historisch nicht geschulten Leser werden die Unterschiede auffallen.

Und dann treten die Zeitzeugen auf. Dann suchen historische Institute, vor allem aber die Medien (Beispiel: ZDF, Guido Knopp(1)) nach Zeitzeugen, die dann als „Beleg“ vorgeführt werden oder sich auch gelegentlich gerne vorführen lassen.
Dienen diese Zeitzeugen, ihre Aussagen nun der geschichtlichen Wahrheit?


Die Bertha
vom Niederrhein


(1) Allein die Geschichtssendungen von Guido Knopp wären eine eigene Diskussion wert ...

P.S. Inwieweit etwa ich (Jahrgang 1934) meine persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse einer Revision unterwerfen habe müssen oder wollen, soll jetzt hier außer acht bleiben.
eko
eko
Mitglied

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von eko
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Eine "geschichtliche Wahrheit" gibts überhaupt nicht!! Kann es nicht geben!

Warum?

Weil jeder Mensch eine eigene Betrachtungsweise hat und diese in seine Aussagen einfließen lässt.

Es gibt genügend Beispiele in der Geschichte, wo total divergierende Betrachtungsweisen aufgestellt wurden......und jede Seite behauptet, die "Wahrheit" zu sagen.

Natürlich sind die Aussagen von Zeitzeugen immer eigenbezogen, wie anders sollen sie denn auch sein? Wenn ein Panzerkommandant z.B. darüber berichtet, wie sich bei ihnen damals in Russland (WK II)die Sache abgespielt hat, dann ist das natürlich auch persönlich eingefärbt, aber lieber so eine persönlich eingefärbte Aussage, als dass dieser Mann nie zu Wort kommen würde.
--
eko
Karl
Karl
Administrator

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von Karl
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Ich sage immer: Zeitzeugen schönen die Geschichte - schon deshalb, weil die Toten nicht zu Wort kommen.
--
karl

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arno
arno
Mitglied

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von arno
als Antwort auf Karl vom 01.12.2007, 15:29:20
Hallo, Karl

und wie ist das mit der Mehrheit der Zeugen vor
Gericht?

Viele Grüße
--
arno
eko
eko
Mitglied

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von eko
als Antwort auf arno vom 01.12.2007, 15:38:32
"Ich sage immer: Zeitzeugen schönen die Geschichte - schon deshalb, weil die Toten nicht zu Wort kommen."


Ich glaube nicht, dass ehemalige Soldaten, die in der derzeit im TV laufenden Serie über die Deutsche Wehrmacht Aussagen darüber machen, unter welch unvorstellbaren Situationen sie in Stalingrad überlebt haben, da auch noch etwas geschönt haben. Da ist ihnen höchstenfalls die tatsächliche Grausamkeit im Laufe der Jahre etwas abhanden gekommen, aber selbst dann sind ihre Berichte heutzutage erschütternd bis ins Mark.
--
eko
angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Hallo bertha -
über Guido Knopp ernsthaft diskutieren? ..
Mir fällt zu diesem menschen nur ein Lied von Rainald Grebe ein (der Mann aus Brandenburg am Klavier..."Dörte" .../

Guido Knopp

Guido Knopp ist ein Historiker, seine Worte sind Gesetz.
Wer ihn kennt, der weiß das, wer nicht, der weiß es jetzt.
Er heißt Knopp, Doktor Guido Knopp.
Er wohnt im deutschen Fernsehen, er wurde dort geboren.
In einer WG mit Adolf Hitler, und anderen Senioren.
Das ist Knopp, Doktor Guido Knopp.
Die Geschichte hab ich griffbereit wie eine Tafel Schokolade,
Ich zieh sie aus der Tasche wenn ich Hunger auf sie habe.
Yam, yam, yam das schmeckt so gut, ich wusste gar nicht wie gut das tut.
Nicht alles auf einmal, dafür ist sie zu schade.
Er ist mein Gedächtnis, was ich weiß hab ich von ihm.
Er kann so schön erzählen, so finster und intim.
Das ist Knopp, Doktor Guido Knopp.
Hitlers Helfer, Hitlers Frauen, Hitlers letzte Sekretärin.
Hitlers Hund trifft am Gartenzaun Hitlers Kiefernorthopädin.
Knopp, einer muss es ja machen.
Geschichte ist so geil, ich wär' so gern dabei gewesen.
Guido kennt sie alle, die guten und die Bösen.
Er sieht aus wie ein dunkler Frisör, doch er ist Historiker.
Ich will's immer wieder anschauen und nichts mehr drüber lesen.

diverse O-Töne folgen ...

Ich sitz vor der Geschichte, es ist irgendwie nicht meine.
Manchmal denke ich, ich hätte selber keine.
Bitte Guido, bitte bitte ich hätt' so gerne eine, eine von Knopp,
Dr. Guido Knopp.
Geschichte ist so geil, ich wär' so gern dabei gewesen.
Guido kennt sie alle, die guten und die Bösen.
Er sieht aus wie ein dunkler Frisör, doch er ist Historiker.
Ich will's immer wieder anschauen und nichts mehr drüber lesen.

diverse O-Töne ...
geschrieben von Rainald grebe


ich hoffe doch sehr, dass Du nicht ernsthaft über die Ernsthaftigkeit des Herrn Knopp diskutieren möchtest - oder findest Du den Herrn Knopp und seine Arbeit wirklich seriös?
--
angelottchen

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schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von schorsch
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Zeitzeugen berichten immer das, was und wie SIE etwas erlebt haben. Kein Mensch kann neutral etwas Erlebtes berichten. Gib drei Menschen einen Apfel und fordere sie auf, zu berichten, was sie sähen. Der erste wird sagen, der Apfel ist rund. Der zweite, der Apfel hat einen Stiel. Und der dritte wird sagen, der Apfel sei sauer.

Aber nur der letzte kann einigermassen objektiv urteilen. Denn er hat, im Gegensatz zu den anderen zwei, reingebissen.

--
schorsch
adam
adam
Mitglied

Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von adam
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Hallo niederrhein,

je näher sich ein Zeitzeuge am Geschehen befindet, um so objektiver wird sein Zeugnis sein. Dabei gehe ich von einem Geschehen aus, das nicht von vornherein vom Zeitzeugen subjektiv betrachtet werden muß, um sich zu schützen.
Je weiter er sich zeitlich vom Geschehen entfernt, um so subjektiver wird sein Bericht werden, z.B. um einer Beurteilung gerecht zu werden, die inzwischen über das Geschehen abgegeben wurde.

Auch die Generation, die den Zeitzeugen hört, kann nicht objektiv sein. Sie sucht die Berechtigung für ihr eigenes Zeitgeschehen in der Vergangenheit, möchte sich anlehnen oder distanzieren, um sich in`s rechte Licht zu rücken und so eine zukünftige Beurteilung positiv zu beeinflussen.

Die Objektivität/Subjektivität eines Zeitzeugen wird also immer relativ sein.

--

adam
niederrhein
niederrhein
Mitglied

Zwischenbemerkung ....
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Zwischenbemerkung ...

Offenbar gar nicht so einfach, den Wert der Zeitzeugenschaft zu beschreiben und zu bewerten?
Jede/r kennt das Problem, wenn Zeugen etwa einen Unfall beschreiben ...


Vielleicht sollte man als erstes feststellen, daß Aussagen von Zeitzeugen anschaulich(er) und authentisch sein können (wohl leider nicht immer sind oder müssen); vorausgesetzt, dieser Zeitzeuge ist physisch, psychisch und auch intellektuell in der Lage, Auskunft zu geben.
Ein Zeitzeuge, der krank ist, vielleicht bereits dement ist, der durch ein Geschehen traumatisiert ist, ist vielleicht auch nicht mehr in der Lage, verwertbare Auskünfte zu geben. Auch ein Mensch, der vielleicht Wesentliches nicht erkannt und begriffen hat (oder nicht konnte etwa aufgrund seiner Jugend, seiner gesellschaftlichen Rolle und Position), wird - wenn überhaupt - nur begrenzt Auskunft geben können.

Noch komplizierter wird es, wenn Fragen der eigenen Verantwortung und der pserönlichen Schuld berührt werden.


Eine Frage, die sich für mich - gerade hier in Zusammenhang mit der erlebten Geschichte der DDR/BRD/des Kalten Krieges - ergibt: Bleibt es bei der Zeitzeugenschaft bei der bloßen (vielleicht auch noch selektiven, subjektiv gefärbten) Erinnerung oder reflektiert der/die einzelne das erlebte und erfahrene Geschehen? Etwa aufgrund neuer Erkenntnisse, Einsichten etc.?

Wenn man die Beiträge bezüglich der jüngsten Geschichte (lies: DDR/BRD), die jeweils von ehemaligen DDR-Bewohnern und BRD-Bewohnern geschrieben wurden, verfolgt, hat man meistens den Eindruck, daß es offenbar mit der Reflexion über die Vergangenheit nicht weit ist. Jede/r bleibt bei ihrer/seiner eigenen Betroffenheit. Gerade hier, bei der immer wieder erfolgenden geschichtlichen Diskussion, berufen sich die Teilnehmer auf ihre Rolle als Zeitzeugen ... wie soll man nun mit deren Aussagen und vor allem Bewertungen umgehen?

Noch einmal die Frage ... Hat jemand seine Erfahrungen anhand weiterer Erkenntnisse (etwa seit 1989/1990) erweitern und/oder ändern müssen? Oder gar erkannt, daß seine Erfahrungen nur einen begrenzten Erkenntniswert haben?

Die Bertha
vom Niederrhein



P.S. Bezüglich der Frage meiner Einschätzung von Guido Knopp - Es reicht nicht nur die Feststellung und (in diesem Falle meiner negativen) Bewertung der Knopp'schen Geschichtsbetrachtung ... sondern die Frage ist, warum man diese Art der Geschichtsbetrachtung negativ beurteilt. (Ich vermute, daß es natürlich auch Befürworter der Knopp'schen Geschichtsstunden gibt ...)

P.P.S. Das Geschehen von 1989/1990 habe ich - eben nicht in Berlin oder in der DDT lebend - nur als mediales Erlebnis (und manchmal auch nur am Rande) wahrgenommen. Die Reflexion, das Verstehen kam erst wesentlich später ...

P.P.P.S. Vielleicht hat der/die eine oder andere von dem Versuch eines dänischen Forschungsinstituts gehört, bei der Betrachtung der Geschichte der DDR entsprechende Zeitzeugen (Offiziere etc. der Staatssicherheit etc.) zu befragen ...
mart
mart
Mitglied

Re: Zwischenbemerkung ....
geschrieben von mart
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 21:23:19

Aussagen von Zeitzeugen über frühere Ereignisse sind ebenso kritisch wie andere Quellen zu hinterfragen und müssen im Zusammenhang mit anderen Quellen ausgewertet werden.
Zeitzeugen haben überlebt!

Tagebücher und Briefe(falls sie nicht in Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung geschrieben worden sind oder aus Angst vor einem mitlesenden big brother geschönt wurden) geben dagegen ein realistischeres Bild über die jeweils vorhandenen Informationen und die Stimmung wieder.








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