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Aktuelle Themen Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...

schorsch
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Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von schorsch
als Antwort auf adam vom 01.12.2007, 19:00:25
Dass, wer näher an einem Ereignis stehe, objektiver sei, muss hinterfragt werden:

Ist es dir selber noch nie passiert, dass du etwas erlebt hast und später, wenn du in Ruhe darüber nachdenkst, siehst du die Sachlage ganz anders?

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schorsch
hugo
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Re: Zwischenbemerkung ....
geschrieben von hugo
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 21:23:19
na, bertha Du fragst ja sehr direkt: "Hat jemand seine Erfahrungen anhand weiterer Erkenntnisse (etwa seit 1989/1990) erweitern und/oder ändern müssen? Oder gar erkannt, das seine Erfahrungen nur einen begrenzten Erkenntniswert haben?

Da will ich Dir mal auch sehr direkt einen kleinen Aspekt aus meiner eigenen Erfahrung aufschreiben. (auch auf die Gefahr hin das -da hugo ja als Querulant in Sachen "Nachwendeverständnis" berüchtigt ist- es zu neuen virtuellen Ausschreitungen im Rahmen Deiner "Forschungsfrage" kommt*g*)

In der Ehemaligen war ich soweit gekommen, bezüglich meines Erkenntnisstandes in Sachen Technik, Know how,,,,der BRD einen sehr großen Vorsprung zuzuschreiben.
(ich möchte mal behaupten das ich da mit der großen Mehrheit der DDR Bürger konform ging, denn die waren ja auch nicht blöd und hatten auch Augen im Kopf)

Schon ein winziger Blick auf die Unterschiede zu einem Ostauto, einem Ost-PC, einer - Überwachungsanlage im Strahlenschutz u.v.a.m.

auch ohne den Glanz und Glammour also die "ergreifenden Schlichtheiten" der ostdeutschen Verpackungsindustrie gegenüberzustellen und werten zu müssen (davon ein andermal mehr)machten sich in solch markanten ostdeutschen spitzen Bemerkungen zu eigenen "Spitzenleistungen" die -was wohl auch ein Jeder wußte- gar keine waren, bemerkbar wie: Multispektakelkamera oder 10 zusammengenähte sächsische Schipse zum spektakulärem Megabitship,,,

Also nochmal,,,ich war mir durchweg und vollkommen klar wie ungeheuer groß der technische Unterschied zwischen beiden Staaten tatsächlich war.

Daraus schloss ich jedoch bzw, daraus leitete ich -wie sich später herausstellte- die vollkommen irrige und falsche Meinung ab, das demnach in der BRD auch die menschlichen die humanen Seiten (um welche es aus bekannten Gründen in der DDR ja auch nicht zum Besten stand) viel einfacher und erfolgreicher händelbar seien.

Trotz allerbester theoretischer Ausbildung im Thema Pol. Ök. des Kapitalismus, trotz überreichlicher Beeinflussung durch sämtliche Medien und durch eigene Erkenntnisse war ich nicht zu bewegen, in meinem Innersten folgender Versuchung zu widerstehen:

Nämlich Anzunehmen, zu Glauben und zu Hoffen das in diesen reichem, in diesem technisch so fortschrittlichem und im Verhältnis zu UNS mit so unendlich vielen weltweiten Verbindungen und Beziehungen ausgestattetem Land, es ein Leichtes sein musste, sämtliche sozialen Leistungen die in der DDR über Jahrzehnte stabil oder unter teilweise ständiger Verbesserung jedoch unter größten volkswirtschaftlichen Anstrengungen ermöglicht wurden, mit noch größeren und besseren Auswirkungen für die Masse der Bevölkerung des Neuen gemeinsamen Staates ohne Weiteres und bei etwas gutem Willen zu sichern seien.

das also die heutige wohlhabende BRD es nicht schafft, die primitivsten DDR Standards die sich ein Mensch nur wünschen kann, bereitzustellen.

und da meine ich nicht, das die Miete saubillig die Fernwärme und das Trinkwasser geschenkt und die Energie-, und Transportkosten usw. lächerlich niedrig waren

ich meine die wirklich wichtigen Dinge im Leben, z.B das die Angst um einen Arbeitsplatz völlig unbegründet, der Arztbesuch völlig unabhängig vom Portemonnaie, der tägliche Einkauf der Waren des Grundbedarfs ohne finanzielle Sorgenfalten realisiert werden konnten,,,,,Das ist es, was mich eigentlich "umgehauen hat" und noch heute -obwohl ich um die Zusammenhänge von Profit und Habgier in der jetzigen Gesellschaftsordnung weiß- will mir nicht einleuchten das die Honecker, Hager, Lambertz, Schnitzler und wie diese Hampelmänner und Chefideologen alle hießen, dermaßen recht behalten sollten.

Warum strafen wir sie nicht alltäglich Lügen, warum sind wir bereit, recht teilnahmslos und nur mit ein wenig Achselzucken vor diesen schlimmen Wahrheiten die Augen zu senken?

Ist es Scham oder nur Dummheit, das wir uns hier gegenseitig zunehmend mit Argumenten belegen, die unserer derzeitigen Führungriege nur recht sein kann. Wir sind doch in der Meinung wie das Ziel auszusehen hat, zumeist recht einig (Gerechtigkeit und Menschlichkeit usw. stehen da ganz oben) aber wie es erreicht werden soll,,,,ok darüber reden wir eher selten, weil die künstlich dazwischengerufene Frage nach dem oder den Schuldigen stets in den Vordergrund gedrängt werden und dann keinen Platz mehr lassen für das Wesentliche,,

entschuldige bertha,,nun bin ich ins philosophieren gekommen, aber ich lass es mal so stehen,, *g*
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hugo
mart
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Re: Zwischenbemerkung ....
geschrieben von mart
als Antwort auf hugo vom 02.12.2007, 21:50:19
Danke, Hugo .... daß du hier so ehrlich und aufschlußreich deine Wahrnehmungen beschrieben hast, die wohl für sehr viele Menschen gültig sind.

Einen Einwand habe ich allerdings .... Du antwortest auf die Frage "Hat jemand seine Erfahrungen anhand weiterer Erkenntnisse (etwa seit 1989/1990) erweitern und/oder ändern müssen? Oder gar erkannt, das seine Erfahrungen nur einen begrenzten Erkenntniswert haben?"
Du hattest allerdings keine Erfahrungen mit dem "way of life" im Westen, sondern du hattest dir nur darüber Bilder und Vorstellungen gemacht.

Glaubst du mir, wenn ich berichte, daß auch ich damals dachte, daß durch eine Synthese des Besten aus Ost und West etwas ganz Überragendes entstehen könnte? (Allerdings glaubte ich nie, daß eine Arbeitsplatzgarantie dazu gehören würde!- Arzt- und Grundnahrungsmittel sind und waren allerdings in Österreich bis jetzt für niemanden ein gr.finanzielles Problem )....
Auch ich habe Illusionen gehabt!



mart

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hugo
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Re: Zwischenbemerkung ....
geschrieben von hugo
als Antwort auf mart vom 03.12.2007, 10:27:37

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hugo
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Re: Zwischenbemerkung ....
geschrieben von hugo
als Antwort auf hugo vom 03.12.2007, 11:04:41
nanu ,,,wo isser denn ? Mein Beitrag ??

also nochmal:

hallo mart,,naja mit der Lebensart im anderem Teil -da haste recht- war ich nur theoretisch "aufgeklärt" und nicht Praktikant am Objekt *g*

Aber, überlege mal, das stört uns ja heutzutage auch nicht wenn wir uns z.B. sogar über Zustände und Menschenrechte im ach so fernen China gar gewaltig in Pro und Kontra üben.

und über Westzustände gabs ja jede Menge Informationen, sogar Millionen Omas und Opas fuhren alljährlich mal zur "Kontrollbegehung" in den Westen.

Klar, ist es etwas völlig Anderes wenn ich aus der relativ sicheren Ferne, mir den Westen beguckte oder mich ab 1989 sehr abrupt und plötzlich in dem lauwarmen, schwach strömendem West-Wasser wiederfand.

Leider -und das hat viele Menschen sehr hart, sehr unvorbereitet und ohne mögliche eigene Gegenwehr betroffen- wurde dieses Wasser schnell immer kälter und tiefer und so verlieren täglich mehr Leute in meiner Nachbarschaft den Boden unter den Füßen und die gewohnte menschliche Wärme eines Überbaus, als es die schlimmsten Pessimisten je vorherzusagen vermochten.

Erst heute wird Denen dann auch so richtig bewusst, was sie für immer verloren haben.

,, und für Diejenigen, die es betrifft, übertünchen die paar positiven Fakten und Möglichkeiten unseres heutigen Lebensumfeldes (wie z.B die Reisefreiheit die freie Wahl von Parteien die Meinungsfreiheit usw. ) nicht die Erinnerungen an die vorherigen gewöhnten Sicherheiten.


Ja, sogar die damaligen Misstände, Einschränkungen, Erschwernisse werden durch diese neuen Negativerfahrungen vernebelt und weit in den Erinnerunghintergrund abgedrängt, verdrängt, sie werden zur Nebensache und das ist es, was die Stammwessis nun gar nicht begreifen können und worüber sie permanent die Köpfe schütteln -ich erlebs ja fast täglich hier im Forum, wenn mich mal wieder der kleine innerer Kritikteufel am Ohr zwackt.

im Moment raunt er mir zu:
Das richtig perfekte Schwimmen in dieser trüben kapitalistischen Brühe haben wir ja nicht professionell erlernen können, die Voraussetungen waren ja viel zu ungünstig, um nun zumindest am Rande dieses riesigen Fettberges der da obenaufschwimmt, andocken zu können. Die Strömung wird immer ungünstiger, je weiter man davon abtreibt,,*g*

aber wir wissen ja: die Hoffnung stirbt zuletzt,,
--
hugo
mart
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Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von mart
als Antwort auf niederrhein vom 01.12.2007, 13:49:33
Ich schrieb an anderer Stelle in diesem Thread, daß unter best. Bedingungen Tagebücher und Briefe ein authentischeres Bild des jeweiligen Wissenstands und der jeweiligen Einschätzung liefern können als Zeitzeugen, deren Erinnerungen über frühere Ereignisse ebenso kritisch wie andere Quellen zu hinterfragen sind und die im Zusammenhang mit anderen Quellen ausgewertet werden müssen.

Hier ein Beispiel für eine erstaunliche Klarsicht:

Am 30. Januar 1933, dem Tag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, verließ Josef Roth Deutschland. In einem Brief an Stefan Zweig zeigt er erstaunliche Klarsicht:

Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.

--
mart


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hugo
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Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von hugo
als Antwort auf mart vom 04.12.2007, 23:22:16
hallo mart, diese Erkenntnis war bei den Gegnern und Kritikern der Faschisten schon lange vorher vorhanden.

E.Thälmann sagte am 13. März 1932 als er für das Amt des Reichspräsidenten gegen Hindenburg kandidierte den unter den Kommunisten damals sehr bekannten Slogan „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“

leider wählten damals zu viele Deutsche den Krieg.

Womit ich persönlich so einige Schwierigkeiten habe, ist folgender Gedankengang:
Die Kommunisten waren die direkten Feinde der Nazis ,,und dieses Feindbild wurde nach 1945 fast nahtlos von der Bundesrepublik übernommen, ohne den Versuch zu unternehmen, diese Leute zu integrieren.

Sagte neulich ein Diskutant: Was hätten wir mit denen denn anfangen sollen ? Die hatten ja die letzten 12 Jahre nur in den KZ,s rumgesessen und keinen Bezug mehr zur Jetztzeit, die kämen also für Führungsrollen gar nicht in Frage die waren doch für die kommenden Aufgaben hoffnungslos unbrauchbar,,oder so ähnlch.

Ok sag ich, die hätten sich -beim Anblick ihrer alten Peiniger auf den vielen gehobenen Positionen- wohl selbts übergeben und diesem System nicht zur Verfügung gestellt.

Sie wurden also somit fast zwangsweise in die stalinistische Richtung orientiert/gedrängt.


hugo
hafel
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Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von hafel
als Antwort auf hugo vom 05.12.2007, 10:36:07
@ Hugo: Die Kommunisten waren die direkten Feinde der Nazis ,,und dieses Feindbild wurde nach 1945 fast nahtlos von der Bundesrepublik übernommen, ohne den Versuch zu unternehmen, diese Leute zu integrieren


Logisch, dass die Kommunisten von vielen abgelehnt wurden. War ja zum einen das kommunistische russische Beispiel Stalin, was niemand wollte und die Kommunisten in Deutschland haben sich nach 1945 auch nicht gerade "demokratisch" verhalten. Sie erzwangen die allein regierende Einheitspartei SED. Nun frage ich Dich Hugo, welcher normaler Bürger hätte sich für die Kommunisten entschieden, sei dem er war selber einer?
--
hafel
mart
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Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von mart
als Antwort auf hugo vom 05.12.2007, 10:36:07
Mich hat in diesem Brief auch und vor allem die Hellsichtigkeit des Juden Roth an den Juden Zweig fasziniert "..Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben..." "Barbarei" "Hölle".

Nun ein kurzer Hinweis aus Österreichs Geschichte - das erste Kabinett "Figl1", 1945, bestand vor allem aus denjenigen, die sich als politische Gefangene mit sehr unterschiedlicher politischer Ausrichtung in diversen Lager Hitlerdeutschlands zusammengerauft und zusammengefunden hatten. Bundeskanzler Figl war selbst mit einer kurzzeitigen Unterbrechung ab März 1938 bis zum 1945 inhaftiert - Gerade durch die Erfahrungen des Ständestaats und des Nationalsozialismus war Figl zum Befürworter einer Zusammenarbeit aller politischen Lager (inklusive der Kommunisten) geworden.

Warum in Österreich allerdings die Kommunisten nicht die Macht ergreifen konnten, ist eine andere, längere Geschichte.

mart
hugo
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Re: Zeitzeugen ... Zeitzeugenschaft ...
geschrieben von hugo
als Antwort auf mart vom 05.12.2007, 11:05:12
ja, Österreich, das scheint mir interessant zu sein, zumal es da ja einen Sonderstatus gab durch die damals recht schnelle Wiedervereinigung und Neutralitätsschenkung.

In Deutschland war eben nur das möglich, was einerseits die Amis und andererseits die Russen zuließen.
Anfänglich bestimmten im Osten stalinsche Vorstellungen sämtliches Geschehen bis auf wenige Ausnahmen.

Später war dadurch eine gewisse Erstarrung eingetreten die von den nachfolgenden Führern nur sehr sachte aufgeweicht werden konnte -natürlich stark beeinflusst vom Kalten Krieg damaliger Prägung- und erst unter Gorbi abgelegt wurde.
--
hugo

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