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Biowissenschaften Die Kulturelle Evolution

Karl
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RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 28.04.2018, 11:21:33
Können technische Systeme Bewusstsein entwickeln?

Diese Frage ist deshalb so schwierig zu beantworten, weil niemand so recht weiß, wie Bewusstsein in biologischen Gehirnen zustande kommt. Die Solopsisten unter den Philosophen haben die These vertreten, dass nur das eigene Ich existiert. Wahr ist ja, dass wir nur das eigene Innenleben kennen und bei den Mitmenschen und höheren Tieren nur aufgrund gewisser Verhaltensweisen, quasi im Analogieschluss, darauf schließen, dass auch diese ein Bewusstsein haben.

Bekannt geworden ist der Spiegelversuch, mit Hilfe dessen nachgewiesen wurde, dass auch Menschenaffen sich im Spiegel erkennen.
 

Auch der Mensch muss das lernen. Im Alter von zwei Jahren können etwa 50% aller Menschenkinder das Spiegelbild richtig interpretieren.

Wenn wir die Frage danach stellen, ob technische Systeme Bewusstsein erlangen können, müssen im Vorfeld die Kriterien festgelegt werden, die erfüllt sein sollten, wenn wir diese Frage mit "Ja" oder mit "Nein" beantworten.

Da wir selbst bei den Mitmenschen niemals deren inneres Erleben erfahren können, sondern immer nur instinktiv im Analogieschluss aus ihrem Verhalten (ihrem Tun) auf ihre inneren Zustände schließen können, müssen wir notgedrungen die Frage modifizieren und etwa wie folgt stellen:

Werden technische Systeme sich jemals so verhalten können, dass sie bei uns den Eindruck von Selbstbewusstsein erwecken können?

Ganz im Sinne vom Turing Test würde es also genügen, wenn sich eine Maschine so verhalten könnte, als ob sie Bewusstsein haben würde. Niemals würden wir in sie hineinblicken können.

Bevor ich wieder auf technische Systeme näher eingehe, möchte ich zunächst einige Informationen dazu geben, wie biologischen Gehirne und Bewusstsein zusammenhängen.

Biologische Gehirne und Bewusstsein

Es gibt in biologischen Gehirnen sehr viel Informationsverarbeitungsprozesse, die ohne Bewusstsein ("unterbewusst") ablaufen. Wir können auf sehr viel Nervengewebe "verzichten" und trotzdem die Erfahrung von Selbstbewusstsein erleben. Dazu gehören z. B. das komplette Rückenmark und das Kleinhirn. Von Patienten nach Gehirnoperationen ist auch bekannt, dass Läsionen in vielen Gehirnbereichen keinen Effekt haben. So hinterlassen z. B. Zerstörungen sensorischer Inputregionen oder motorischer Outputregionen zwar Personen mit Handicap, aber keineswegs ohne Bewusstsein. Läsionen im präfrontalen Cortex sind da in Bezug auf das Bewusstsein zerstörerischer. Betroffene Personen verlieren z. B. die Fähigkeit Handlungen vorauszuplanen.

Es steht außer Frage, dass die Gehirnfunktionen das Bewusstsein hervorbringen. Die modernen bildgebenden Verfahren haben gezeigt, dass sich das wache Gehirn von dem schlafenden unterscheidet und dass Träume mit Gehirnaktivitäten einhergehen. Ein extrem eindrucksvoller Beweis, wenn auch unfreiwillig, erfolgte bei den Split Brain Patienten.

Geteiltes Gehirn oder 'split brain' bezeichnet den meist operativ herbeigeführten Zustand eines Menschen nach Durchtrennung der Verbindungen zwischen den beiden Gehirnhälften. Alien Hand Syndrom (AHS) bezeichnet den Zustand, dass eine Person eine ihrer Hände nicht mehr kontrollieren kann und diese Hand ein offensichtliches Eigenleben führt. Sehr häufig werden die Handlungen dieser Hand als opponierend empfunden. So berichtet z. B. ein Patient, wenn er sich eine Zigarette anzündet, ergreife seine "fremde Hand" diese häufig und werfe sie weg.  

Um das Krankheitsyndrom "alien hand" (Phantomhand) verstehen zu können, muss ich zunächst einen kleinen Exkurs in die Gehirnanatomie machen. 

Das Phänomen hat sehr viel mit der Symmetrie unserer rechten und linken Großhirnhemisphären und der Kommunikation zwischen diesen beiden Hirnhälften zu tun. Trotz der prinzipiellen Doppelung unserer Hirnstrukturen gibt es unilaterale Spezialisierungen. Das Sprachzentrum liegt z. B. im linken Hemisphärenbereich, musische Begabungen etc. werden oft vor allem der rechten Großhirnhemisphäre zugeschrieben. Hirnverletzungen (z. B. nach Schlaganfällen) haben gezeigt, dass die rechte Hirnhälfte die Muskeln der linken Körperhälfte steuert und die linke Hirnhälfte die rechte Körperhälfte. 

Beide Hirnhälften kommunizieren über einen dicken Kabelstrang (Fachausdruck Corpus callosum). Hunderte von Millionen von Nervenzellfortsätzen verbinden die linke Großhirnrinde mit der rechten und umgekehrt. 


Das Krankheitsbild Phantomhand ("alien hand"): 

Verhalten: Die linke Hand (sehr selten die rechte) macht sich "selbstständig", greift z. B. während der Autofahrt ins Steuer oder macht rückgängig, was die andere Hand zuvor getan hat. 

Gehirnbefund: Dieses Phänomen tritt nach Verletzungen oder fehlerhaften Entwicklung der Kommunikationsstränge zwischen den Großhirnhälften auf. 

Ursache des anatomischen Befundes: Tumor oder das Messer des Chirurgen. Die Durchtrennung des Corpus callosums wurde z. B. praktiziert, um extrem starke Epileptiker zu therapieren. 

Nicht nur meine Interpretation der Befunde: nach der Durchtrennung der Verbindungskabel zwischen den Großhirnrinden weiß die eine Hirnhälfte nicht mehr, was die andere denkt. Es sind zwei mechanisch (mit dem Messer) getrennte Persönlichkeiten entstanden, die sich sogar bekämpfen können, die völlig unterschiedliche Vorlieben haben (hierzu gibt es eindrucksvolle, deprimierende Patientenbeispiele). Die sprachbegabte linke Hirnhälfte tritt uns als die sprechende und damit dominierende Person entgegen. Die stumme rechte Hirnhälfte kann (verständlicherweise?) Agressionen entwickeln und die sprechende Person ist schon erwacht mit der linken Hand an der Gurgel. 

Konsequenzen für mein Weltbild? Bewusstsein ist eine Gehirn generierte Systemeigenschaft. Wird das Gehirn mit dem Messer entlang der Mittellinie geschnitten, entstehen zwei Personen. 

Dass eine Großhirnhälfte hinreichend für Menschsein ist, zeigen Personen mit einem extremen Hirnschaden, bei denen aus was für Gründen auch immer eine Großhirnrinde vollständig fehlt, die aber trotzdem das Gymnasium besuchen.

Hier noch einige Links (leider auf Englisch) zum Problem.
Alien Hand Discovery
Split brain behavioral experiments
Split brain with one half atheist and one half theist
In der modernen Debatte zum Problem der Bewusstseinsentstehung möchte ich auf folgende Autoren und Bücher verweisen:

Screenshot 2018-05-01 16.53.44.png
Die Autoren sind von links nach rechts: Francis Crick, Christof Koch, Giulio Tononi und Gerhard Roth (mit Nicole Strüber).

Mich hat vor allem die von Christof Koch und Giulio Tonini entwickelte Theorie der integrierten Information fasziniert, die eine messbare Größe ist [in Phi] und verwendet werden kann, um vorherzusagen, ob Koma Patienten das Bewusstsein wiedererlangen werden oder nicht. Kurz gesagt hat es etwas damit zu tun, wie weit sich im Komapatientengehirn induzierte elektrische Stimulation ausbreitet. Breitet sich die elektrische Stimulation nicht aus, ist die diagnostische Prognose schlecht. 

Bewusstsein benötigt Aktivität nicht nur in einer Gehirnregion, sondern ist immer mit der Erregung in vielen Bereichen verknüpft. Vor allem sind die mit Bewusstsein verknüpften Erregungsmuster in solchen Regionen zu finden, die nicht primär die Sinneseindrücke auswerten, sondern ihren Input vor allem aus diesen und anderen Regionen erhalten.

Wie der Geist entsteht
Man nimmt an, dass bewusstes Erleben in assoziativen Gebieten der Hirnrinde erzeugt wird. Sie liegen im Bereich des Stirnhirns und im vorderen Teil des Schläfenlappens. Assoziativ heißt, dass diese Areale nicht vorrangig mit dem Verarbeiten etwa von Signalen aus den Sinnesorganen betraut sind oder Nachrichten an die Muskulatur senden, sondern Informationen aus anderen Hirnzentren sammeln und zusammenfügen.

Nach diesem extrem kurzen Exkurs zur Biologie des Bewusstseins werde ich im Laufe der Woche die Frage neu aufgreifen, ob Maschinen Bewusstsein entwickeln können.

Karl


 
Karl
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RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 01.05.2018, 17:58:14

Bevor ich fortfahre zur Auflockerung eine Karikatur von Klaus Stuttmann:

Screenshot 2018-05-02 14.24.22.png

Karl

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RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 02.05.2018, 14:45:08

Zunächst möchte ich mich entschuldigen, dass ich meinen Zeitplan nicht eingehalten habe. Leider habe ich zur Zeit mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die mir eine Fortführung des Textes erschwert haben. Ich werde deshalb den eigentlich geplanten Text in mehreren kleinen Schritten addieren.

Kommen wir auf die Entwicklung intelligenter Spezialisten zurück, die den Menschen  bei fast allen einzelnen spezialisierten Tätigkeiten überlegen sind. Wir akzeptieren zwar, dass das Schach- oder Gospiel und Autofahren Intelligenz erfordern und dass uns dabei inzwischen Algorithmen (Computerprogramme) deutlich überlegen sind (oder beim Autofahren in Kürze überlegen sein werden), aber die Beunruhigung der meisten Menschen fällt moderat aus, weil sie sich weiterhin als Chef und Zielgeber dieser Maschinen verstehen und diese nicht verdächtigt werden, ein Eigenleben zu entwickeln.

Im nächsten Beitrag, den ich vielleicht heute noch schreibe, werde ich jedoch aufzeigen, dass dies ein Trugschluss sein könnte und sich die Entwicklungen derzeit überschlagen.

Karl

 


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Karl
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RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 13.05.2018, 13:16:27

Weiter oben bin ich bereits auf das Imitationsspiel (Turings Test) eingegangen. Demnach wird es auf die Frage ankommen, ob Roboter jemals so tun können, als hätten sie Selbstbewusstsein und wären eine Person. Werden sie jemals ihre Gegenüber zumindest "täuschen" können?

Als Turing seinen Test entwarf, verzichtete er bewusst auf den äußeren Augenschein, sondern ließ Computer und Mensch mit dem Beobachter per Fernschreiber kommunizieren.

Screenshot 2018-05-13 20.11.36.png

Heute können wir zumindest bereits am Telefon nicht mehr sicher sein, ob wir mit einem Menschen oder einer Maschine kommuniziert haben. Google hat gerade dieser Tage sein neues GoogleDuplex-Programm vorgestellt:
Leider bisher nur auf Englisch:

Eine Google Software Agentin (weibliche Stimme) bestellt für ihre Chefin Lisa einen Haarschnitt.

Ein Google Software Agent (männliche Stimme) bestellt einen Tisch für 4 Personen in einem Restaurant.

(Quelle für die Tondateien)

Ganz ehrlich, wäre Dir aufgefallen, welche Stimme die Stimme eines Computers ist?

Wir befinden uns in einem galoppierendem Prozess, der schneller als vermutet, die Welt um uns herum verändert und immer schneller die Grenzen dessen nach außen verschiebt, wozu Computer / Roboter / Softwareagenten in der Lage sind.

Teilhard de Chardin, der Jesuit, Evolutionsbiologe und Philosoph, hat die Entstehung des Selbstbewusstseins als einen langsamen biologischen Prozess beschrieben, bei dem die handelnden Organismen sich mehr und mehr als handelnde Einheiten begriffen haben. Dabei wurde zu keinem Zeitpunkt einem Organismus ein "Odem eingehaucht", sondern die Entstehung dieser Fähigkeit zur Selbsterkenntnis vergleicht er mit dem schönen Bild eines Topfes kochenden Wassers. Sehr lange Zeit während der Erwärmung des Wassers (der Evolution von biologischen Gehirnen) passiert nicht viel, aber plötzlich, wenn der Siedepunkt erreicht ist, entsteht etwas Neues, der Aggregatszustand ändert sich (die biologischen Gehirne werden sich selbst bewusst).

Es könnte sein, dass sich in ganz ähnlicher Weise das Selbstbewusstsein in maschinelle Gehirne "einschleicht". In unserem Bestreben, die Roboter immer universeller und autonomer zu gestalten, sie mit vielen Sinnesorganen, mit denen sie die Welt erkunden, auszustatten (wenn wir sie auf den Mars schießen wollen, eine absolute Notwendigkeit) schaffen wir eine Situation, in der auch Roboter die Zukunft und ihre zukünftigen Handlungen und deren Folgen abschätzen müssen. Es entsteht eine Situation, in der wir analog handelnden Personen Bewusstsein zusprechen würden. 

Welchen Sinn würde es machen, diese Fähigkeit Robotern abzusprechen, die sich mit uns wie oben dargelegt, vernünftig unterhalten können?

Karl

 
Karl
Karl
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RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 13.05.2018, 19:28:31

Mir ist gerade aufgefallen, dass ich hier im Thread noch am 28.April, also vor wenigen Tagen geschrieben habe:

Weniger Zweifel herrscht darüber, dass ein Konversationspartner am Telefon irgendwann uns ratlos zurücklassen wird, weil wir nicht wissen werden, ob wir mit Mensch oder Computer(programm)  gesprochen haben.
Jetzt liegt GoogleDuplex vor (s.vorherigen Beitrag) und diese Voraussage ist bereits jetzt bestätigt. In den Medien regt man sich darüber auf, dass Google Duplex die menschlichen Telefonteilnehmer "täusche"!  Google hat zugesichert, dass das Programm sich gezielt zu erkennen geben wird. Für wie lange?

Karl
Sayes
Sayes
Mitglied

RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Sayes
als Antwort auf Karl vom 13.05.2018, 20:27:00

Künstliche Intelligenz? Na klar, hab ich kein Problem mit. Aber kann sie der des Menschen überlegen sein, wenn sie doch von Menschen programmiert werden muss?

Eine Stimme sinnvoll antworten zu lassen, so nett mit  ähhmm und hummm angereichert, dass wir sie nicht von einer naürlichen Person unterscheiden können? Eigentlich beim Stand der heutigen Technik auch kein grosses Problem.

Aber da ist mehr, das Mensch und Maschine unterscheidet: Da ist zunächst die Frage des Bewusstseins. Was das eigentlich ist, weisss man wohl noch nicht genau. Und kann AI jemals Gefühle lernen? Bei menschlichen Entscheidungsprozessen (auch bei Tieren, behaupte ich einfach mal) spielen Gefühle eine wichtige Rolle.

Was ist z. B. mit dem Selbsterhaltungstrieb, der sogar in Pflanzen erkennbar ist? Kann man sowas alles programmieren?

Das Verhalten von Lebewesen wird weitgehend durch ein körpereigenes Belohnungssystem gesteuert. Eine Pflanze würde sich nicht zur Sonne ausrichten, wenn sie nicht spüren würde, dass das gut für sie ist. Kann man sowas einer künstlichen Intelligenz beibringen?


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Karl
Karl
Administrator

RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Sayes vom 24.05.2018, 15:01:00

Kann man. Mach Dir bitte die Mühe, den Thread durchzulesen. Bewertungssysteme für das Handeln sind sowohl für tierische Organismen (also auch für uns) wie für künstliche autonome Systeme wichtig. 

Karl

Sayes
Sayes
Mitglied

RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Sayes
als Antwort auf Karl vom 24.05.2018, 15:03:11

Du hast ganz Recht, und ich möchte mich entschuldigen. Als ich Deinen Link bei der Entropie angeklickt habe, war mir nicht ersichtlich, dass es sich hier um einen kontinuirlichen Vortrag handelt. Und ich möchte mich auch bedanken, denn das, was ich inzwischen hier gelesen habe, ist wirklich interesssant und lesenswert!

Zum Beispiel das Thema der kulturellen Evolution in Verbindung mit: "intelligentes Handeln ist immer zielgerichtet, aber diese Ziele müssen nicht unbedingt "intelligent" oder "gut" sein."

Die bestimmenden Ziele scheinen geprägt von der Illusion eines  unendlichen Wachstums und unvernünftiger Profitgier, die in keiner Weise einen Fortschritt des Ganzen bewirken, sondern die im Gegenteil, wenn sich nicht sehr bald etwas grundlegend ändert, tatsächlich das menschliche Leben wie wir es gewohnt sind, bedrohen. Sollte die Definition von Evolution nicht beinhalten, dass letztendlich ein "Fortschritt"  für die jeweilige Art erzielt wird?

Und kann AI tatsächlich Eigenschaften wie Mitgefühl, Verständnis, Ärger, Verzeihen, Fürsorge  usw lernen?

Könnte sie meditieren, reflektieren, kreativ sein?

Und zu den selbstfahrenden Autos, sind die nicht auf sehr präzise GPS Signale angewiesen? Was passiert, wenn Aktivitäten der Sonne diese Signale durcheinander bringen, wie grade kürzlich?
 

Karl
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RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von Karl
als Antwort auf Sayes vom 24.05.2018, 17:04:47
Sayes
Und kann AI tatsächlich Eigenschaften wie Mitgefühl, Verständnis, Ärger, Verzeihen, Fürsorge  usw lernen?

Könnte sie meditieren, reflektieren, kreativ sein?
Danke für die Fragen. In Bezug auf Lernen & Kreativität habe ich schon 1980 gesagt: 
Aus einer Vorlesung von 1980 von mir
3.2. Zweites Vorurteil: "Computer können nicht lernen".
Diese Anschauung vertrat sogar in den 70er Jahren im Fernsehen ein Stuttgarter Informatikprofessor (dessen Namen ich glücklicherweise vergessen habe), was nur zeigt, daß manchmal eine zu detaillierte Beschäftigung mit einer Sache den Blick für allgemeinere Zusammenhänge vernebeln kann. Wir haben uns mit einem lernfähigen Computerprogramm eingehend befaßt; deshalb erübrigt es sich hier, über dieses Vorurteil noch viel Worte zu machen.

3.3. Drittes Vorurteil: "Computer sind nicht kreativ"
Beim Rückzugsgefecht darüber, was Computer nicht können, wird häufig angeführt "Computer sind nicht kreativ". Diese Behauptung wird selten von einer Definition dessen begleitet, was unter "kreativ" verstanden werden soll. Sobald kreativ nämlich in sinnvoller Weise definiert wird, ist meistens schon der Weg für eine maschinelle Nachahmung vorgezeichnet. Willwacher z.B. beschreibt einen produktiven Einfall als die Neukombination früher erlernter Informationen. Sein auf einem Computer simuliertes assoziatives Speichersystem konnte solche produktiven Einfälle produzieren.
Ich könnte den Rest der Vorlesungszeit damit füllen, aus einem Buch mit Computerlyrik zu rezitieren. Solche Computerlyrik ist nicht deshalb nicht kreativ, weil wir die Regeln kennen (können), nach denen der Computer seine Gedichte verfaßt hat. Wenn dem so wäre, würde eine notwendige Bedingung für menschliche Kreativität die Unkenntnis der Regeln sein, nach denen menschliche Gehirne Neues produzieren. Kreativität wäre dann wegforschbar.
Bei Mitgefühl, Verständnis, Ärger, Verzeihen, Fürsorge könnte ich mich auf den bequemen Standpunkt zurückziehen, es reicht, wenn sie bei uns diesen Eindruck erwecken (Turing Test). Aber das geht doch tiefer als Du vielleicht zunächst glauben magst, denn so ist es ja auch bei unseren Mitmenschen. Niemals können wir in deren innerstes Erleben direkt Einblick nehmen, sondern sind ausschließlich auf die Interpretation ihrer Worte und ihres Verhalten angewiesen.

In einer Fußnote zum obigen Text schrieb ich damals:
Gefühle wie Wut, Angst, Freude haben sehr viel mit der Funktionsweise unseres Gedächtnisses zu tun. Sie sind Bewertungsfunktionen für besondere Situationen und bewirken, daß diese solange im Kurzzeitgedächtnis zwischengespeichert werden, bis sie ins Langzeitgedächtnis überführt worden sind. Wegen der Speicherplatzkosten und der schnelleren Verwaltung kleinerer Datenmengen ist es auch für Computer wichtig, Informationen selektiv zu speichern. Es wird interessant sein, die Entwicklung von Bewertungsfunktionen hierfür zu beobachten.
Nun heutzutage, wo der Speicherplatz so enorm billig und Computer so schnell geworden sind und wo "Computer/Roboter/Algorithmen" nichts mehr vergessen (müssen), im Zeitalter von BigData also, sieht die Situation vielleicht völlig anders aus. 

Ich selber kann nicht wissen, ob diese Entwicklungen uns langfristig nützen oder schaden werden, aber sie ignorieren kann ich nicht.

Beste Grüße, Karl
 
arno
arno
Mitglied

RE: Die Kulturelle Evolution
geschrieben von arno

Moin,

der vor kurzem verstorbene Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat mal
formuliert, dass das Verhalten der Menschen sich zwischen einer angeborenen
Ambivalenz von prosozial freundlichem ( Brutpflege) und dominant
aggressivem Verhalten (Notwendigkeit der Verteidigung) bewegt.

Ich bin davon überzeugt, dass dieser Verhaltensbereich immer  lebwesenspezifisch
bleiben wird und dass Roboter immer nur Hilfswerkzeuge bleiben werden.

Gruß arno


 


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