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Karl
Karl
Administrator

Häufige Fragen zur Genetik
geschrieben von Karl

Liebe Seniorentreffler,

da in den politischen Diskussionen inzwischen sehr viel genetisches Halbwissen verbreitet wird und ich festgestellt habe, dass ich mich schwer tue innerhalb einer solchen Diskussion dann in Bezug auf mein Fachgebiet aufklärerisch wirksam und verstanden zu werden, eröffne ich dieses Thema auf dem Diskussionsbrett "Biowissenschaften".

Ich werde dies so organisieren, dass ich zunächst hier im Eröffnungsbeitrag Fragen formuliere und dann später nach und nach mit den Antworten verlinke, so wie ich es zeitlich schaffe, diese zu schreiben (noch habe ich ein paar Tage Urlaub und werde hoffentlich die Zeit für einige Antworten erhalten).

Es wird aber auch so sein, dass Ihr aus dem Leserkreis Fragen stellen könnt. Diese werde ich dann in das Inhaltsverzeichnis übernehmen und Antworten formulieren. Ich werde es so halten, dass jeder Antwort ein eigener Beitrag mit der Frage als Titel gewidmet wird. Sollten Antworten nicht verstanden werden, bin ich jederzeit bereit, auch auf PNs zu antworten und den Text im Nachhinein verständlicher zu gestalten. Ich bin mir des Problems bewusst, dass viele überhaupt kein Vorwissen mitbringen und ich dem vielleicht nicht immer gleich im ersten Anlauf gerecht werde.

Häufig gestellte Fragen (Inhaltsverzeichnis) (die ausführlichen Antworten sind verlinkt.)

  1.  Wer war Gregor Mendel und was ist seine Bedeutung für die Genetik?
    Schnellantwort: Der Gründungsvater der Genetik
     
  2. Was ist die Erbsubstanz?
    Schnellantwort: Die Erbsubstanz wird von dem Fadenmolekül DNS (engl. DNA) gebildet. Hier sind vier unterschiedliche Bausteine wie Buchstaben in einer Schrift angeordnet.
     
  3. Was ist ein Gen?
    Schnellantwort: Ein Gen ist ein Abschnitt auf der DNS, der für ein oder mehrere Eiweißmoleküle (Genprodukte) kodiert. Die Definition eines Gens hat sich seit Mendel sehr stark geändert und unterliegt noch immer einem Wandel.
     
  4. Was ist ein Allel?
    Schnellantwort. Ein Allel ist ein bestimmter Zustand eines Gens. Gene können sich bei Individuen unterscheiden, weil einzelne oder mehrere Bausteine verändert sind. Dies kann, muss aber nicht zu unterschiedlichen Genprodukten führen oder kann deren Konzentration verändern.
     
  5. Was sind SNPs?
    Schnellantwort: SNP ist die Abkürzung für den englischen Ausdruck "Single Nucleotide Polymorphismus". Damit werden Positionen auf den Chromosomen bezeichnet, an der verschiedene Individuen einer Gruppe unterschiedliche Nukleotide (die Bausteine der DNS) eingebaut haben. Verwandte Personen sind in diesen Positionen öfters identisch, je weiter entfernt Verwandte sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich unterscheiden.
     
  6. Enthält jeder Abschnitt der Erbsubstanz Geninformation?
    Schnellantwort: Nein.
     
  7. Was sind genetische Polymorphismen?
    Schnellantwort: Obwohl Menschen in ihren Genen praktisch identisch sind, gibt es Bereiche des Erbmaterials, die sich bei verschiedenen Menschen oft unterscheiden. Diese Bereiche enthalten manchmal so genannte Wiederholsequenzen. Sie werden z. B. bei Vaterschaftstests und in der Kriminalistik zur Identifizierung von Personen verwendet. Es gibt aber auch Polymorphismen an einzelnen Basen-Positionen in der DNS ( SNPs, s. o.).
     
  8. Bedeutet die Existenz einer 'genetischen Signatur' für eine Familie oder größere Menschenpopulation, dass sich diese notwendiger Weise von anderen Gruppen in einem Gen unterscheidet?
    Schnellantwort: Nein
     
  9. Ist ein Merkmal wie die Intelligenz angeboren?
    Schnellantwort: Nein
     
  10. Gibt es auch genetische Einflüsse auf die Intelligenzentwicklung?
    Schnellantwort: Ja
     
  11. Gibt es ein Intelligenzgen?
    Schnellantwort: Nein, die Entwicklung eines Merkmals wie die Intelligenz benötigt das richtige Funktionieren von sehr vielen Genen und auch sehr viele Umweltfaktoren.
     
  12. Was bedeutet die Aussage, die Intelligenz sei zu 60-70% erblich?
    Schnellantwort: Diese Aussage bedeutet, dass die Chancen in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind, denn bei Chancengleichheit müsste die Erblichkeit 100% betragen (die individuellen Unterschiede würden sich auf die genetisch verursachten reduzieren und kleiner werden). Merke: "angeboren" ist wissenschaftlich nicht gleich "erblich".
     
  13. Wie kann zwischen väterlicher und mütterlicher Abstammung unterschieden werden?Schnellantwort: Nicht nur der Zellkern, auch die Mitochondrien, Zellorganelle zur Energiegewinnung, enthalten Erbinformation. Diese wird ausschließlich von der Mutter weitergegeben, der Vater trägt nur zur genetischen Information im Zellkern bei. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Mitochondrien DNA unterscheiden sich von derjenigen des Zellkerns. Aus den Unterschieden hat man z. B. schließen können, dass Frauen im Durchschnitt ortstreuer sind (bzw. historisch gesehen: waren) als Männer.

Karl
adam
adam
Mitglied

Re: Häufige Fragen zur Genetik
geschrieben von adam
als Antwort auf Karl vom 30.08.2010, 08:08:14
Guten Morgen Karl,

danke für das Angebot. Zum Thema habe ich ungefähr eine Million Fragen.

Grundsätzliches zu Frage 2: Was ist die Erbsubstanz.

Mich interessieret für das Grundverständnis, ob die folgenden Behauptungen richtig sind.

a.) Welches Lebewesen aus einem Zellkern entsteht, bestimmt die Anzahl der Chromosomem, aus denen die DNS gebildet wird. (Pferd, Salamander, Mensch)

b.) Die Gene der einzelnen Chromosomen bestimmen die Funktion der Zelle (Bauen sie Haut, Lunge,Herz, Gehirn)

c.) Die Anordnung der Gene bestimmt nähere Eigenschaften (Haut-, Augen-, Haarfarbe, Länge der Beine)


Und dann zu Frage 11:

Den wissenschaftlichen Unterschied zwischen angeboren und erblich habe ich noch nicht kapiert und ich denke , daß ist der Knackpunkt.

--

adam

senhora
senhora
Mitglied

Re: Häufige Fragen zur Genetik
geschrieben von senhora
als Antwort auf Karl vom 30.08.2010, 08:08:14
Das ist eine gute Idee, dann mache ich doch gleich einmal Gebrauch von diesem Angebot.

Meine erste Frage:
Was ist ein Genom und wie habe ich diese Formulierung in der „Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte“ zu verstehen?
Artikel 3
Das menschliche Genom, das sich seiner Natur gemäß fortentwickelt, unterliegt Mutationen. Es birgt Möglichkeiten, die je nach der natürlichen und sozialen Umgebung des einzelnen, einschließlich seines Gesundheitszustands, seiner Lebensbedingungen, Ernährung und Erziehung auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen.

Und die zweite:
Wie ist es möglich, dass die Völkerwanderung durch DNA-Analysen beschrieben und nachvollzogen wird, wenn es keine Unterschiede gibt?
Völkerwanderung: Die Gene der Phönizier
Wieso können Wissenschaftler durch DNA-Analysen feststellen, woher meine Vorfahren stammen?

Senhora

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nasti
nasti
Mitglied

Re: Häufige Fragen zur Genetik
geschrieben von nasti
als Antwort auf senhora vom 30.08.2010, 10:01:44
Eine Thema für mich sehr reizend, spannend und hochst interessant.


Senhora

ich habe von Die Gene der Phönizier keine Spur. *heul*

Nasti

Karl
Karl
Administrator

Anwort auf adams Fragen
geschrieben von Karl
als Antwort auf adam vom 30.08.2010, 09:39:04
Zum Thema habe ich ungefähr eine Million Fragen.

Grundsätzliches zu Frage 2: Was ist die Erbsubstanz.

Mich interessieret für das Grundverständnis, ob die folgenden Behauptungen richtig sind.

Frage a.) Welches Lebewesen aus einem Zellkern entsteht, bestimmt die Anzahl der Chromosomem, aus denen die DNS gebildet wird. (Pferd, Salamander, Mensch)


Antwort: Verschiedene Arten können unterschiedliche Chromosomenzahlen tragen, aber die Anzahl der Chromosomen ist in der Evolution sehr variabel. Die Chromosomen sind sozusagen nur die Pakete der Erbinformation. Viele kleine Pakete können genau so viel Erbmaterial beinhalten wie wenige große. Welches Tier entsteht, entscheidet das Genom (die Gesamtheit aller genetischer Information) gemeinsam unabhängig davon, in wieviele Chromosomen es zerstückelt ist.

Wir haben eine ähnliche Frage schon einmal hier 2006 diskutiert.[/url]

Wie variabel die Chromosomenzahl ist, zeigt diese Tabelle:

CHROMOSOMENZAHL

Taufliege 8
Roggen 14
Meerschweinchen 16
Taube 16
Weinbergschnecke 54
Regenwurm 32
Schwein 38
Saatweizen 42
Ruhramöbe 12
Hund 78
Streifenfarn 144
Runkelrübe 18
Himbeere 14
Maus 40
Löwenzahn 24
Mensch 46
Menschenaffen 48
Schaf 54
Pferd 66
Haushuhn 78
Karpfen 104
Seidenspinner 20
Adlerfarn 104
Pferdespulwurm 4
Natterzunge 1260
Birke 28
Apfelbaum 34
Kartoffel 48
Ratte 42
Guppy 46

Die Genzahl variiert entgegen der Chromosomenzahl nicht so stark bei verwandten Arten.



Frage b.) Die Gene der einzelnen Chromosomen bestimmen die Funktion der Zelle (Bauen sie Haut, Lunge,Herz, Gehirn)

Antwort: Die Gene der Organismen bestimmen den Bau der Zellen, aber sie dirigieren auch deren Interaktionen, die notwendig sind, damit sich Organe, Gewebe und der ganze Körper des Organismus entwickelt.


Frage c.) Die Anordnung der Gene bestimmt nähere Eigenschaften (Haut-, Augen-, Haarfarbe, Länge der Beine)

Antwort: Die Lage eines Genabschnittes auf einem Chromosom kann durchaus wichtig sein. Bestimmte Gene, z. B. die so genannten Homeoboxgene, die die Identität von Körperabschnitten festlegen, sind auf ihrem Chromosom in der gleichen Reihenfolge angeordnet, wie sie entlang der Körperlängsachse benötigt werden. Aber selbst in ihrem Fall hat man im Tierexperiment gezeigt, dass es viel wichtiger ist, dass die Gene überhaupt da sind und ihre Reihenfolge nur eine sekundäre Rolle spielt (die Reihenfolge der Gene auf einem Chromosom ist also nicht so wichtig wie die Reihenfolge der Genbausteine innerhalb eines Gens!).

[u]Und dann zu Frage 11:


Den wissenschaftlichen Unterschied zwischen angeboren und erblich habe ich noch nicht kapiert und ich denke , daß ist der Knackpunkt.


Antwort: Um diese Frage verständlich zu beantworten benötige ich wahrscheinlich mehr Zeit, deshalb jetzt hier noch einmal der Versuch einer Kurzantwort, durch die meine Ausführungen an anderer Stelle (auf zum.de[/url] und in einem anderen Thread) ergänzt werden.

"Angeborens Merkmal" ist ein entwicklungsgenetischer Begriff. unsere Augenfarbe, unsere Zweibeinigkeit, dass wir nur einen Kopf haben etc., das ist angeboren, daran können normale Umweltbedingungen nicht rütteln (es sei denn unsere Mütter schlucken Contergan oder wir haben einen anderen Unfall).

Bei der Körpergröße ist das schon komplizierter. Sie hängt eindeutig nicht nur von den Genen ab, sondern auch von Umweltfaktoren wie der Ernährung, ob die Eltern Raucher sind oder die Kinder im Wachstumsalter anderen Giftstoffen ausgesetzt sind.

Die [u]Sprache
, die wir sprechen, ist uns eindeutig nicht angeboren, sondern erworben und hängt davon ab, wo wir aufwachsen. Ähnliches gilt für die Religion etc. Ähnliches wird für viele andere Verhaltensweisen gelten, die wir zeigen. Allerdings ist für den Menschen die Sprachfähigkeit angeboren.

"Angeboren" bedeutet soviel wie vorgegeben. Die Augen- oder Haarfarbe können wir nur mit Kontaktlinsen oder Farbstoff ändern. Andere Merkmale wie Körpergröße und Intelligenz werden in der individuellen Entwicklung auch entscheidend von Umweltbedingungen beeinflusst.

"Die Erblichkeit eines Merkmals" hat hingegen gar nichts mit der Starrheit eines Merkmals zu tun. Der Begriff ist nicht auf ein einzelnes Individuum bezogen, sondern bezieht sich auf den Anteil an der Variabilität eines Merkmals zwischen den Individuen einer Gruppe, der auf die genetischen Unterschieden zurück geht.

Eine "Erblichkeit" von 100% würde bedeutet, dass unterschiedliche Umwelten keine Rolle spielen und jedes Individuum sein Potential verwirklichen könnte. Das ist leider z. B. bei der Intelligenz in allen bekannten menschlichen Gesellschaften nicht der Fall, was ungleich verteilte Defizite (Chancenungleichheit) nachweist. Es ist also richtig von oben, von den 100% aus zu denken und 60-70% als ein Defizit zu betrachten. Wegen der Verwechslung von "angeboren" mit "erblich" wird aber meistens genau falsch rum, von unten gedacht und 60-70% als viel hingestellt.

Die Konsequenzen dieser falschen Betrachtungsweise sind fatal. Sie haben in den USA in den 70er Jahren zum Stopp von kompensatorischen Erziehungsmaßnahmen geführt, denn absurder Weise wurden die "Erblichkeitswerte" der Intelligenz als Indiz angesehen, dass Intelligenz weitgehend angeboren, also nicht modifizierbar sei.

Man sieht ja auch bei Sarrazin, welche absurden Konsequenzen ein falsches Verständnis der Zusammenhänge hat.


Sarrazin: In meinem Buch zitiere ich die renommierte Bildungsforscherin Elsbeth Stern. Sie sagt, »dass die optimale Förderung eines jeden Schülers nicht zu mehr Gleichheit, sondern zu mehr Ungleichheit führt. Denn je größer die Chancengerechtigkeit, desto mehr schlagen die Gene durch.

Richtig ist, dass die "Erblichkeit" eines Merkmals bei optimalen Umweltbedingungen für alle 100% ist. Die Gesamtvariabilität nimmt dadurch aber ab, weil die Gesamtvariabilität die Summe aus den umwelt- und erblich bedingten Variabilitätsbeiträgen ist.

Übrigens, die absurde Folgerung bei Annahme der Richtigkeit der falschen Aussage im Zitat von Sarrazin wäre, die Chancenungleichheit zu fördern, denn dies müsste dann die Gleichheit verbessern. Wie unwissend diese Leute sind, zeigt sich hier und die Bewertung hängt davon ab, für wie intelligent man sie hält

geschrieben von adam
Meine Antworten sind in Rot, Karl
Mitglied_bed8151
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Mitglied

Re: Häufige Fragen zur Genetik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Karl vom 30.08.2010, 08:08:14
Was sagst Du als Genetiker zum sogenannten Juden-Gen (dessen tatsächliche oder vermeintliche Existenz auch von Sarrazin als Argument für seine Thesen genommen wird)? - Ich verweise auf folgende Quelle (falls Du sie nicht zur Hand haben solltest, kann ich sie Dir als PDF zur Verfügung stellen):

Doron M Behar et al.: The genome-wide structure of the Jewish people, Nature (London) 466(7303):238-42 (2010)

Vielleicht noch ein Wiki:

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Invention_of_the_Jewish_People
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Invention_of_the_Jewish_People#DNA_Analysis

--
Wolfgang

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clara
clara
Mitglied

Re: Häufige Fragen zur Genetik
geschrieben von clara
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.08.2010, 11:50:27
Für Leute, die des Englischen vielleicht nicht oder nicht ausreichend mächtig sind, hier noch ein deutschsprachiger Link. Ich denke, er reicht zur schnellen Information aus:

http://www.tagesspiegel.de/wissen/abrahams-kinder/1860976.html

Clara
Karl
Karl
Administrator

Antwort auf senhora
geschrieben von Karl
als Antwort auf senhora vom 30.08.2010, 10:01:44

Meine erste Frage:
Was ist ein Genom und wie habe ich diese Formulierung in der »Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte« zu verstehen?
Artikel 3
Das menschliche Genom, das sich seiner Natur gemäß fortentwickelt, unterliegt Mutationen. Es birgt Möglichkeiten, die je nach der natürlichen und sozialen Umgebung des einzelnen, einschließlich seines Gesundheitszustands, seiner Lebensbedingungen, Ernährung und Erziehung auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen.


Antwort: Der Schlüsselbegriff in Artikel 3 ist: "Es (das Genom) birgt Möglichkeiten ...". Das Genom ist die Gesamtheit der Erbanlagen und es legt eine Entwicklungsspanne fest innerhalb derer sich das Individuum verwirklichen kann oder verwirklicht wird. Manche Merkmale sind strikt vorprogrammiert wie Augen- und Haarfarbe, andere wie die Körpergröße, die Intelligenz, der Charakter sind sehr stark durch äußere Faktoren modifizierbar. Manche Genome machen ihre Träger anfälliger für gewisse Krankheiten, manche enthalten sogar solch eine schlimme Veränderung des Erbgutes, oft nur in einem Gen, manchmal aber auch ganze Chromosomen betreffend, dass sie ohne Behandlung - was die frühzeitige Diagnose voraussetzt, in vielen Fällen gibt es auch noch keine Hilfe - ganz sicher krank werden oder sich fehl entwickeln. Beispiele sind Phenylketonurie, Chorea Huntington, Trisomie 21 etc. Die betroffenen Individuen werden je nach Art des genetischen Problems unterschiedlich stark ihrer Möglichkeiten beraubt. Allerdings gilt es gerade in diesen Fällen durch rechtzeitige kompensatorische Maßnahmen die Nachteile der Personen zu begrenzen.


Und die zweite:
Wie ist es möglich, dass die Völkerwanderung durch DNA-Analysen beschrieben und nachvollzogen wird, wenn es keine Unterschiede gibt?
Völkerwanderung: Die Gene der Phönizier

Antwort: Der Schlüssel zur Auflösung des scheinbaren Widerspruchs liegt in der Tatsache, dass sehr große Bereiche der DNS in unseren Chromosomen überhaupt keine Geninformation tragen, sie sind also nicht für die Herstellung von Eiweißmolekülen zuständig. Auch innerhalb der Gene gibt es bestimmte Bausteinpositionen, gegen deren Austausch ein Organismus tolerant ist, weil es sich auf dem Niveau der Eiweiße nicht auswirkt. Aber gerade in solchen "unwichtigen" Abschnitte auf der DNS, gibt es häufiger Veränderungen. Diese bleiben dort erhalten, gerade weil sie keine Funktion haben und sich nicht schädlich auswirken. Solche Sequenzen, die einem langsamen, zufälligen, genetischen Drift unterliegen, werden zur Zeitmessung verwendet und die durch sie entstehende genetischen Signaturen für Familien und Gruppen dienen auch der Ahnenforschung. Das heißt, es kann sehr wohl sein, dass sich ein Familienverband von einem anderen in einer genetischen Signatur unterscheidet, aber dies hat keinesfalls notwendiger Weise irgend eine funktionelle Bedeutung.

Wieso können Wissenschaftler durch DNA-Analysen feststellen, woher meine Vorfahren stammen?
Antwort: Teillweise habe ich das oben ja bereits beantwortet. Es gibt Bereiche auf der DNA, die sich zwischen Individuen und auch Familiengruppen unterscheiden können. Deren Existenz oder Fehlen bei Vorfahren kann ausgewertet werden. Wichtig ist auch, dass man die Stammeslinie der Mütter getrennt untersuchen kann. Nicht nur der Zellkern, auch die Mitochondrien, Zellorganelle zur Energiegewinnung, enthalten Erbinformation. Diese wird ausschließlich von der Mutter weitergegeben, der Vater trägt nur zur genetischen Information im Zellkern bei. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Mitochondrien DNA unterscheiden sich deshalb von derjenigen des Zellkerns. Aus den Unterschieden hat man z. B. schließen können, dass das Kerngenom wesentlich durchmischter ist als das Genom der Mitochondrien ist. So hatte man z. B. nach der Auswertung der mitochondrialen DNA vom Neandertaler die Hypothese vertreten, dass Homo sapiens sich nicht mit ihm durchmischt habe. Jetzt, nach Auswertung des viel größeren Kerngenoms ist klar, dass einige unserer Vorfahrenmütter Sex mit Neandertalern hatten.


Karl
senhora
senhora
Mitglied

Re: Antwort auf senhora
geschrieben von senhora
als Antwort auf Karl vom 30.08.2010, 13:03:07
Vielen Dank für die schnelle Antwort, es kam etwas Licht in das Dunkel.

Wie kommen einige Forscher auf solche Ergebnisse und wie ist Deine Meinung zu der angeführten Metaanalyse? Diese wird zwar oft erwähnt, aber ich finde keine nähere Erklärung.
Lassen diese Forscher sich von rassenideologischen Gesichtspunkten leiten?
Einige Forscher vertreten die Meinung, dass Intelligenz in jedem Fall einen erblichen Anteil habe, da „die heute als klassisch anzusehende Metaanalyse von Bouchard und McGue (1981) die empirische Suche nach der Antwort auf die Frage, ob allgemeine Intelligenz erblich ist, mit einem eindeutigen ‚ja‘“ beantwortet habe.

Senhora
Karl
Karl
Administrator

Antwort auf Wolfgang
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.08.2010, 11:50:27
Was sagst Du als Genetiker zum sogenannten Juden-Gen (dessen tatsächliche oder vermeintliche Existenz auch von Sarrazin als Argument für seine Thesen genommen wird)? - Ich verweise auf folgende Quelle (falls Du sie nicht zur Hand haben solltest, kann ich sie Dir als PDF zur Verfügung stellen):

Doron M Behar et al.: The genome-wide structure of the Jewish people, Nature (London) 466(7303):238-42 (2010)

Vielleicht noch ein Wiki:

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Invention_of_the_Jewish_People
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Invention_of_the_Jewish_People#DNA_Analysis


Antwort: Die Misere fängt schon beim Genbegriff an. Natürlich haben Juden kein Judengen. Es gibt kein Religionsgen. Ein jüdischer Mensch hat auch nicht X + 1 Gene, womit X die Genzahl der übrigen Menschen wäre. Das gilt auch für Bayern, Schwaben, Moslems und Hindus.

Genetische Verwandtschaft von Gruppen kann mit so genannten genetischen Signaturen festgestellt werden. Das sind z. B. sogenannte "SNPs" (single nucleotid polymorphisms), Austausche einzelner Basen, die unterschiedliche Populationen kennzeichnen, die aber keineswegs irgendeine funktionelle Bedeutung haben müssen. Der Polymorphismus spricht in der Regel eher sogar dagegen.

Diese Methode ist geeignet, Verwandtschaften zu analysieren, aber es ist völliger Quatsch daraus eine Sonderstellung von Juden, Bayern, Schwaben, Moslems oder Hindus abzuleiten.

Was ist der Erkenntnisgewinn solcher Analysen?

Normalerweise kann der Stammbaum einer Familie nur aus der Erinnerung und aus Dokumenten rekonstruiert werden. Schriftliche Überlieferungen in Papierform gibt es aber noch nicht lange. Wenn man so will, dann sind DNS-Sequenzen auch eine Art von Überlieferung, mit deren Hilfe man nun weiter zurück schauen kann. Da kodierende Sequenzen (die eigentlichen Gene) nur etwa 2% der DNS Sequenzen in unserem Genom ausmachen, liegen viele genetischen Signaturen außerhalb der funktionell relevanten Bereiche.


Karl

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