Forum Wissenschaften Biowissenschaften Können Parasiten im menschlichen Hirn das Verhalten bestimmen?

Biowissenschaften Können Parasiten im menschlichen Hirn das Verhalten bestimmen?

Karl
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Administrator

Ist das Wissen von heute der Irrtum von morgen?
geschrieben von Karl
als Antwort auf carlos1 vom 15.04.2009, 08:01:47
Die Wahrheit von heute ist der Irrtum von morgen
So formuliert, ist das m. E. ein fataler Irrtum und die in diesem Satz versteckte Relativierung von allem hätte katastrophale Konsequenzen. Die Gesetze der klassischen Mechanik wurden durch die Quantentheorie nicht widerlegt, sondern sie stellten sich als ein Sonderfall dar, bei dem gewisse Rahmenbedingungen stimmen müssen. Es wäre furchtbar, wenn unser heutiges Wissen in allen seinen Facetten morgen als Irrtum bezeichnet werden müsste, dann wäre das Streben nach Wissen unnütz. So funktioniert Wissenschaft aber auch nicht. Wissen wird erweitert, aber einmal entdeckte Naturgesetzlichkeiten werden nicht einfach widerlegt, sondern ihr Anwendungsbereich wird präzisiert.

Zum Zufallsbegriff muss ich dich noch einmal vertrösten, aber ich werde noch eine Antwort formulieren.
--
karl
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Ist das Wissen von heute der Irrtum von morgen?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 16.04.2009, 10:34:45

Lieber Karl,

Danke für deine Antwort. Selbstverständlich gebe ich dir recht, wenn du diesen Satz allein für sich nimmst:

"Die Wahrheit von heute ist der Irrtum von morgen"

Der Satz war eher polemisch auf eine Feststellung arnos gemeint. Allerdings hat der Satz in meinem Beitrag mehrere Punkte am Ende, ferner ein "usw" und weist somit auf das dort folgende präzisierende Zitat hin:

"Der Einfluss von Darwins Entwicklungslehre kann kaum überschätzt werden. Er zeigt sich auch in der Wissenschaftstheorie. Fasst man den Begriff evolutionär nicht zu eng, gibt es kaum eine philosophische Disziplin, für die keine evolutionäre Um- oder Neudeutung vorgelegt wurde (Kurt Bayertz). Beispiel Wissenschaftstheorie: Karl Popper. Unser Wissen besteht nach Popper "zu jedem Zeitpunkt aus denjenigen Hypothesen, die ihre (relative) Tüchtigkeit dadurch gezeigt haben, dass sie bis dahin in ihrem Existenzkampf überlebt haben, einem Existenzkampf, der die untüchtigen Hypothesen ausmerzt. ... Von der Amöbe bis Einstein ist der Erkenntnisfortschritt immer derselbe, wir versuchen unsere Probleme zu lösen und durch Auslese zu einigermaßen brauchbaren vorläufigen Lösungen zu kommen." K. Popper

Keineswegs will ichbehaupten alles früher Entdeckte gehöre zum alten Eisen gehört. Eine ständige Neuerfindung des Rades ist nicht erforderlich, ebensowenig ein Stillstand aller Bemühungen. Die mathematische Logik von heute ist anders als die formale Logik des Aristoteles vor über 2000 Jahren, aber sie ist nach wie vor gültig. Ich gehe auch davon aus, dass Popper, der selber Physiker war, nicht schief liegt mit seiner oben zitierten Sicht. Arno sprach von Wahrheit und Irrtum: Der Gegensatz von einem Irrtum müsse nicht Wahrheit sein, meint er. Was ist Wahrheit im wissenschaftlichen Sinne? Unsere besten Theorien können irren und neue Theorien treten an ihre Stelle. Ein ständiger Prozess. Die klassische Mechanik des Newtonschen Systems war am Ausgang des 19. Jahrhunderts in eine Art "Sackgasse" geraten. Verschiedene Phänomene konnten mit ihr nicht mehr erklärt werden. Dann kam Einstein. Auch unsere heutigen Theorien erklären nicht alles. Das meinte ich.

Das Jahr Darwins ist richtig aufregend.

Einen schönen Tag wünscht dir
c.
Karl
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Gerichtetheit der Selektion?
geschrieben von Karl
als Antwort auf carlos1 vom 15.04.2009, 08:01:47
Darwins Theorie müsste ihrer Logik gemäß eigentlich auch
die Rückwirkungen von sozialen und kulturellen oder anderen
Institutionen auf die natürliche Auslese (Selektion) einbeziehen. Ist
Selektion nur ein in einer Richtung sich vollziehender (zielgerichteter)
Prozess der Höherentwicklung der Arten? Diese Frage an Karl.

"Natürliche Auslese" ist die verbale Beschreibung für eine Naturgesetzlichkeit.
Je nach Umweltbedingungen kann Selektion aber völlig unterschiedliche Effekte haben.
Eine gute Übersicht findet sich bei Wikipedia.
Um konkret deine Fragen an mich zu beantworten:
ad 1) Ja, natürlich wirken soziale und kulturelle Faktoren auf die natürliche Auslese ein.
Die Rahmenbedingungen dessen, was dich "fit" macht, ändern sich, z. B. werden körperliche Defizite heute durch Prothesen, z. B. Brillen, Kontaktlinsen etc. ausgeglichen und stellen keinen Nachteil bei der sexuellen Selektion mehr dar.

Nein, Selektion führt nicht automatisch und in jedem Einzelfall zur Höherentwicklung. Gutes Beispiel sind hierfür Höhlenbewohner, die die Augen und die visuelle Cortex zurückbilden und Parasiten,
die gegenüber ihren freilebenden Verwandten oft stark vereinfacht sind. Das Gleiche gilt für Symbionten, die einen Teil ihrer Selbstständigkeit aufgeben. Insgesamt wohnt dem Evolutionsprozess jedoch durchaus eine Tendenz zu höherer Komplexität inne, weil die Evolution ja die Umwelt entscheidend mitgestaltet, in der sich die Organismen bewähren müssen.
Die Räuber/Beute-, Wirt/Parasit-, Blumen/Bestäuber-Systeme z. B. aber auch Fresskonkurrenten machen eine Koevolution durch. Es besteht wie bei der Formel 1 ein ständiger "Rüstungswettlauf".
Jeder noch so kleine Vorteil kann üppig belohnt werden. Schon ein kleiner Vorteil bei der Fortpflanzung kann zur Selektion von Merkmalen führen. Solches kann heute bereits teilweise in Computersimulationen nachvollzogen werden. Die geschichtliche Evolutionsforschung beginnt im Computer mit ihrer experimentelle Phase.
--
karl

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Karl
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Re: Die Bedeutung des Zufalls in der Evolution ist riesig, aber anders als häufig gedacht
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 14.04.2009, 09:00:20
Die Bedeutung des Zufalls in Evolution und Technik mit nachfolgender Selektion als Hilfsmittel hypothesenfreier Konstruktion:

Unter Darwinschen Optimierungsprozessen wird heute Folgendes verstanden: Wenn die analytische Lösung eines Problems für Ingenieure zu komplex ist und unbekannt ist, welcher Parameter oder welche Parameterkombination beim Design z. B. eines Motors zu mehr Spritersparniss führt, wird auf jede a priori Hypothese verzichtet. Im Computer werden ausgehend von einem Startpunkt alle Parameter zufällig variiert und jede kleine Parameteränderung, die ein besseres Endergebnis liefert, wird als neuer Ausgangspunkt für die Generation neuer zufälliger Varianten verwendet. So bewegt sich das System langsam zu einem Optimum. Die Erreichung dieses Optimums ist nicht zufällig, sondern bei gegebenem Startpunkt unvermeidbar, gerade wenn die zufälligen Varianten zahlenmässig so groß waren, dass keine Chance verpasst wurde, es besser zu machen. Die Generation zufälliger (hypothesenfreier) Varianten ist also eine Methode zur Zielerreichung.

Selbst wenn die Startpunkte der "Evolution" nicht identisch waren, können die physikalischen Anforderungen (z. B. Selektionsdruck: Spritersparniss) zu ähnlichen Ergebnissen, zum quasi gleichen Optimum (hier z. B. Stromlinienförmigkeit) führen. Das nennt man Konvergenz. Konvergente Entwicklungen in der Evolution sind also sehr gut geeignet, Gesetzmäßigkeiten im Evolutionsprozess aufzudecken.

Fragen wir uns, wo im Tier- und Pflanzenreich gibt es Konvergenzen? Die Antwort ist, überall in überraschend großer Zahl. Selbst so komplexe Gebilde wie Augen haben eine konvergente Evolution durch die Anpassung an die physikalischen Gesetze der Optik durchgemacht, so haben z. B. die Linsenaugen der Wirbeltiere und diejenigen der Mollusken (Tintenfische etc.) unterschiedliche Ursprünge, sie ähneln sich aber in einem erstaunlichen Maße.

Andere Beispiel sind in Wikipedia aufgezählt:
Ein klassisches Beispiel sind die Schädel von Wolf und Beutelwolf oder die Vorderextremitäten von Maulwürfen und Maulwurfsgrillen, die beide an das Graben im Erdreich angepasst sind und daher eine ähnliche Form ausgebildet haben, obwohl sie miteinander kaum verwandt sind, wie man schon an den unterschiedlichen Grundbauplänen (Exoskelett beim Insekt, internes Skelett beim Maulwurf) erkennt. Die Ursache für solche konvergente Entwicklungen (Analogien) sind also gleiche Selektionsfaktoren, die zu vergleichbaren Anpassungen geführt haben.
Ein weiteres anschauliches Beispiel stellen die an die Fortbewegung unter Wasser angepassten Gliedmaßen von verschiedenen wasserlebenden Wirbeltieren dar, wie z.B. Fischen, Schildkröten, Delfinen, Walen und Pinguinen, die zwar allesamt Abwandlungen eines Grundbauplans einer fünfgliedrigen Extremität darstellen und somit in einem weiten Sinne homolog zueinander sind, jedoch aufgrund ihrer verschiedenen Abstammung (die flossenartigen Vorderflügel der Pinguine haben sich aus Flügeln entwickelt und z.B. nicht aus den flossenförmigen Vorderextremitäten der Schildkröten) als analog zueinander zu betrachten sind, also als Anpassung an ähnliche Umweltbedingungen, die zu ähnlichen Formen und Funktionen führten.
geschrieben von Wikipedia


Die konvergenten Entwicklungen als Anpassungen an ähnliche Umweltanforderungen zeigen sehr deutlich, dass es einfach falsch ist zu sagen "Wir sind ein Produkt des Zufalls". Das Zusammenspiel von Zufall und Selektion bleibt dabei außer Acht.

Als ich noch Assistent in Würzburg war, kam der berühmte Evolutionsbiologe Ernst Mayr zu einem Vortrag ins zoologische Kolloquium. Er vertrat die Hypothese, dass Leben auf anderen Planeten dem unseren völlig unähnlich sein müsse, da der Zufall eine so große Rolle spielen würde. Ich habe ihm in der Diskussion widersprochen und meinen Standpunkt vertreten, dass dies eine kühne Hypothese sei, die adaptive Radiation der Beuteltiere in Australien und die Konvergenz der Linsenaugen bei Kopffüßlern und Wirbeltieren würden doch eher vermuten lassen, dass wir auch Ähnlichkeiten finden könnten, vor allem weil Leben sich ja zunehmend seine eigene Umwelt schaffe. Er war stinksauer und Widerspruch von jungen Leuten wohl nicht gewohnt, aber vor Autoritäten hatte ich noch nie gekuscht. Dies nur als anektodischer Nachschlag.
--
karl
arno
arno
Mitglied

Re: Gerichtetheit der Selektion?
geschrieben von arno
als Antwort auf Karl vom 17.04.2009, 08:11:16
Hallo, Karl,

die Evolution folgt ja Naturgesetzmäßigkeiten, die ja
genau beschrieben werden können. Computersimulationen,
wie Du schreibst, sind heute bereits möglich.

Warum gibt es dann noch nicht ein mathematisch formuliertes
"Weltgesetz" für die Entwicklungsziele der Biologie?


Viele Grüße
--
arno
Karl
Karl
Administrator

Re: Gerichtetheit der Selektion?
geschrieben von Karl
als Antwort auf arno vom 17.04.2009, 08:46:47
@ arno,


Simulationen sind ja gerade dort nötig, wo keine exakte analytische Lösung formulierbar ist. Die Zukunft ist offen und kann nicht exakt berechnet werden. Wir stellen hier bereits beim Wetter unsere Grenzen fest.
--
karl

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carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Die Bedeutung des Zufalls in der Evolution ist riesig, aber anders als häufig gedacht
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 17.04.2009, 08:39:18



Karl, ich bedanke mich sehr für diese sehr ausführlichen Erklärungen. Mit der Diskussion über Darwin wurde mir deutlich, wie abstrakt und losgelöst von der Wirklichkeit des Lebens Begriffe wie Evolution und Selektion sein können, wenn sie nicht mit Beispielen erklärt werden. Um verstehen zu können, benötige ich (benötigt man) weiter Kenntnisse über das Leben und seine unglaublich viele Varianten.


"Darwinsche Optimierungsprozesse
Konvergente Entwicklungen in der Evolution.
Gesetzmäßigkeiten im Evolutionsprozess"

Auf jeden Fall hat die Diskussion bei mir bewirkt, dass ich voller Hochachtung an diese Aminosäurenmöleküle denke, auf denen das Leben aufbaut. Eigentlich müsste der molekulare Aufbau der Erbsubstanz bei Regenwürmern oder Bärtierchen und bei den Primaten und dem Menschen der gleiche sein, wenn diese Gesetzmäßigkeiten und konvergenten Entwicklungen allgemein zu beobachten sind. Wenn du von Gesetzmäßigkeiten sprichst, so stellst du das wirkende Naturgesetz in den Vordergrund. Auch wenn Optimierungsprozesse die Nutzbarkeit dieses Prinzips beweisen, so ist dies aber doch nur eine Beschreibung von Vorgängen. Unter Gesetz (oder Gesetzmäßigkeit) versteht man aber mehr als nur Beschreibung. Damit kann immer auch "Gesetzgebung" (Normativität) mitgedacht werden. Wir sprechen ja auch vom "Naturrecht" (z. B.Menschenrechte) im Gegensatz zum positiven Recht (geltende Rechtsordnung). Gibt es Grundnormen, Grundwerte, die in unserer "Natur" verankert sind oder lassen sich solche ableiten?

c.

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