Forum Blog-Kommentare "Eigentlich"

Blog-Kommentare "Eigentlich"

finchen
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ja..........eigentlich
geschrieben von finchen
ja, Ortwin, eigentlich, wir haben nur durch Zufall überlebt.
Mir fehlen zwar noch 10 Jahre zu Deinem Alter, doch sind mir viele Erinnerungen stark im Gedächtnis eingebrannt. Vor einem Jahr habe ich angefangen eine fortlaufende Geschichte meiner Kindheit aufzuschreiben und gab den ersten Teil meinem Sohn zum Lesen. Der sagte nur: Mutter, du bist ständig auf der Flucht, hetze nicht so.
Ich fand es jetzt in Deinen Zeilen, und wußte was er meinte. Komme aber zu der Erkenntnis, sowas kann man nicht mit Ruhe schreiben. Diese Zeit war nun mal so - rennen - hetzen - und sei es nur zum nächsten Unterstand. Das Erlebte wird uns immer überholen.
Liebe Grüße
Moni-Finchen
ortwin
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Eigentlich geht es immer weiter
geschrieben von ortwin
Da hatten wir unseren Vater wieder: „Geht weg – Ihr seid doch tot!“

Es war in der Zeit so oft passiert, dass Menschen, Familien aus Angst vor den Russen an sich Hand anlegten und aus dem Leben schieden. Nicht ganz unberechtigt?!

Aber wir standen nun da bei Onkel und Tante, die über ihre Geschäfte nichts zu sagen hatten, weil sie Nazis waren – wie unsere Eltern auch. Trotzdem da gab es endlich reichlich und gut zu essen – Bäckerei und Kolonialwaren-Laden in einem Bergarbeiter-Viertel am Niederrhein.

Bleiben konnten wir da nicht in dem dunkelroten Klinkerbau bei den Abraumhalden, die da und dort schwelten. Wir mussten da wieder weg. Vater hatte Arbeit in Köln in Aussicht, da konnten wir gar nicht hin. Also fuhr Mutter zur Britischen Militärregierung nach Hannover, holte eine Wohnraumzuweisung für den Kreis Hameln-Pyrmont. Wir schnürten unsere Siebensachen zusammen und fuhren dahin, wo wir eine Bleibe finden durften: Hämelschenburg! Dazu brauchten wir zwei Tage: in Neuenbeken mussten wir den Zug verlassen, vom Bahndamm hinunter durch’s Tal und wieder rauf nach Altenbeken, das alles nur, weil das Viadukt gesprengt worden war – beim Passieren der Weser auf der Hinfahrt schaukelte der Zug über eine Behelfsbrücke. Und nun nach Übernachtung in Altenbeken kamen wir in Emmertal an – da war die Weserbrücke noch nicht passierbar. Wir marschierten – Vater war mit dabei – die vier Kilometer zurück nach Hämelschenburg.

Wir bekamen ein großes Zimmer (für 7 bis 8 Personen), in dem zwei Doppelbetten mit Stroh auf uns warteten. Gartentisch und Stühle mussten erst einmal reichen. Wir waren so zu sagen die ersten Flüchtlinge im Ort, erbten von den Einwohnern so manches Stück, was diese aus dem RAD-Haus „organisiert“ hatten. Es gab dann also auch weißblau-karierte Laken, die immer irgendeiner von uns am Morgen als Halstuch trug, während die anderen im Stroh lagen. Vater fing an zu basteln, Mutter brauchte doch so vieles zum Haushalt. Und wir Kinder zogen los, Holz zu sammeln. Und mit der Weihnachtszeit gab es ja auch einiges an Grün aus dem Wald zu holen.

Mutter und ich gingen auf das Rittergut zum Arbeiten, wir brauchten doch Kartoffeln und Gemüse und … Zuckerrüben für den zu kochenden Sirup. Mutter ging zum Großbauern schneidern, was dann Begehrtes erbrachte. Allmählich kam unser Leben in Schwung. Wir lernten das neue Umfeld kennen. Es ging hinaus in Wald und Flur, wenn Sonntag war, wir fühlten uns langsam aber sicher zu Hause. Dazu gehörte auch die Aus- und Fortbildung von uns Kindern. Ich kam in eine Schmiedelehre, meine älteste Schwester kam in eine Gärtnerlehre.

Schon vor der Währungsreform lief unser Leben in geordneten Bahnen. Vater hatte Arbeit in Köln. Und weil er keine Wohnung für uns bekam, wechselte er zu einer anderen Versicherung nach Bonn. Meine Lehre in der Schmiede musste ich gesundheitlich aufgeben. Der Versuch, dann in Bad Pyrmont wieder zum Gymnasium zu gehen, schlug fehl. Aber schließlich durfte ich eine Feinmechaniker-Lehre bei der AEG in Hameln antreten. Das Jahr Schmiedelehre konnte ich gut gebrauchen.

Vier Jahre Hämelschenburg, dann ging es nach Bonn mit Sack und Pack, es ging nach einem Zwischenstopp in Beuel in eine Neubauwohnung in Bonn. Wir Großen brauchten neue Lehrstellen, Mutter fand sie für uns. Wieder schwärmten wir aus, jetzt mit selbst zusammengebastelten Fahrrädern. Wir konnten uns nun entfalten in Lehre, Schule und Abendschule, galt es doch, Versäumtes nachzuholen.

Eigentlich …

ortwin


Liebes Finchen,
ich möchte Deinem Sohnemann darin widersprechen, dass wir uns noch auf der Flucht befinden. Nein, wir wollen das Ganze, das Erlebte, da das Schöne und da das Schwere, einfach nur von der Seele schreiben, ohne dabei die Belastungen von damals zu spüren, darob zu klagen. Es fällt schwer, die Komik in dieser Zeit gerecht mit unterzubringen - sie war präsent, ohne diese liefen wir heute als Jammerlappen herum. Nein es wurde gelacht, gescherzt, manches Verrückte ausgeheckt. Unsere Berichte würden elendlang. Dann werden wir eben diese Dönekens extra schreiben.

Sei gegrüßt
Dieter / ortwin
finchen
finchen
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Hallo Dieter-Ortwin..........
geschrieben von finchen
.......ich übe daran auch keine Kritik, was mein Sohn dabei empfand, als er ein Drittel meiner Geschichte las. Nein, im Gegenteil, er fühlte sich durch die Zeilen gehetzt, wie auf der Flucht. Soviel kann man nicht kompensieren, daß es eine Reisebeschreibung wird. Ich werde mich auch daran nicht halten etwas schön zu reden, was ich als furchtbar empfunden habe. Du weißt es ja selbst, wie's war. Das Lustige überwog nun mal nicht, aber dennoch viel Komiksituationen, über die man heute lachen kann. Siehe mein Pferdebein, Die Pißnelke, etc. Für mich scheint es wichtig, dies aufzuschreiben, nicht nur weil es auf der Seele klemmt, sondern auch jüngeren zu zeigen, daß "Welt" und "Welt" nicht das Gleiche sind.
ganz liebe Grüße an Dich.......und wir schreiben weiter
Moni-Finchen

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