Forum Wissenschaften Die unbelebte Natur Gestaltung des Unbelebten

Die unbelebte Natur Gestaltung des Unbelebten

felix
felix
Mitglied

Gestaltung des Unbelebten
geschrieben von felix
Weshalb erinnern uns Eisblumen an lebende Organismen?

Zu den geheimnisvollen Eisblumen fällt mir ein Gespräch in den Sinn, welches ich in den 60er-Jahren mit meinem Biologiedozent Adolf Portmann über seine These des "Gestaltungswillen" der Lebewesen geführt hatte.
Der eher religiöse Gelehrte nahm an, dass den Geschöpfen ein Wille zur Gestaltung innewohne. Er belegte dies mit dem Formenreichtum von Bewohnern der Tiefsee, wo die äussere Gestaltung kein Selektionsfaktor sein konnte, weil sie wegen Lichtmangels gar keine Rolle spiele.
Ich hingegen argumentierte mit kybernetischen Überlegungen und war der Meinung, dass Wachstumsgesetze im Wechselspiel mit zufälligen Unregelmässigkeiten an der Ausgestaltung beteiligt sind.
Als Beispiel brauchte ich eben diese wunderschön gestalteten Eisblumen. Sie wachsen eigentlich nach sehr strengen Kristallisationsgesetzen. Diese sind durch den 60 Winkel der beiden am Sauerstoff angelagerten Wasserstoffatomen bestimmt.
Die Variationen, die schliesslich die Ästhetik ausmachen, kommen von den inhomogenen äusseren Bedingunen des Umfeldes her. Verunreinigungen, unreines Wasser, Strukturen an der Scheibenoberfläche, Temperaturunterschiede etc. lockern die Wachstumsgesetze. So entstehen diese "organisch anmutenden" Gestalten, die wir als besonders schön empfinden.



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felix
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miriam
miriam
Mitglied

Re: Gestaltung des Unbelebten
geschrieben von miriam
als Antwort auf felix vom 24.11.2008, 12:56:48
Ein sehr schönes Thema Felix – und ich hoffe, dass da auch eine Diskussion erfolgen wird.

Nun, ich versuche mal einen Anfang zu machen: es ist ziemlich lange her, dass das von dir erwähnte Gespräch mit deinem Biologiedozenten stattgefunden hat - es ist natürlich auch lange her, dass ich Biologie studiert habe.

In der Zwischenzeit, hat man doch spannende Entdeckungen gemacht, Theorien aufgestellt die mich auch noch zurückführen zu meinem alten Gebiet, die Biologie, auch wenn meine Interessen sich heute etwas verlagert haben.

Ich möchte einen kleinen Einstieg versuchen via Chaostheorie, denn auch wenn unsere Welt "chaotisch" ist oder als solche erscheint: es gibt eine so genannte Selbstorganisation, die aus den anfangs chaotischen Zustand, geordnete Strukturen bildet.
Dafür wird natürlich eine hochwertige Energie benötigt (Solarenergie, chemische Reaktionen, etc...)

So wurde nachgewiesen, dass Atome und Molekülen sich selbst zu komplexen Strukturen entwickeln. Man stellte durch Experimente fest, dass es einen inneren "Drang" der Materie zur Ordnung gibt – also zur oben erwähnten Selbstorganisation.
Ohne diese Eigenschaft könnte sich die anorganische Materie nicht zur lebendigen Materie entwickeln. Das Phänomen ist sehr verbreitet in der Natur und die Molekularbiologie spricht über eine "gigantischen Prozess der Selbstorganisation" der beim Ursprung des Lebens stattgefunden hat.

Nun, ich denke, dass auch bei der schönen Form der Eisblumen die so sehr an die lebendige Materie erinnern, es sich um diesen Prozess der Selbstorganisation handelt.

Natürlich konnten diese Phänomene erst durch die Molekularbiologie nachgewiesen werden.
Nachgewiesen wurden diese Prozesse sowohl bei der anorganischen und auch organischen Materie, bei niederen Lebewesen, aber auch beim Entwicklungsprozess des menschlichen Gehirns.

Vorläufig soviel.


Freundliche Grüße

Miriam


felix
felix
Mitglied

Re: Gestaltung des Unbelebten
geschrieben von felix
als Antwort auf miriam vom 24.11.2008, 14:29:22
Hallo miriam,

deine Ergänzung mit der Chaostheorie entspricht auch meinen Gedankengängen. Wobei die grundlegende Frage noch offen bleibt, wie es überhaupt zu diese Selbstorganisation kommt.
Auch bei der unbelebten Materie muss es unter bestimmten Bedingungen auch zu einer Art von Selektion kommen.
Gewisse molekulare Konfigurationen scheinen bei den unzählbaren Variationsmöglichkeiten einige eine grössere Wahrscheinlichkeit zu haben, bestehen zu bleiben.
Aus einer höheren Abstraktionsebene aus erscheint zwar dieser Vorgang als sehr unwahrscheinlich.
Es widerspricht scheinbar dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik, bei dem postuliert wird, dass die Entropie in einem geschlossenen System zunimmt.
Deshalb spricht man in der Biologie eher von Negentropie oder Zunahme des Informationsgehaltes eines Systems.
Das Leben erscheint deshalb als groisse Unwahrscheinlichkeit in der Physik.
Ich erhoffe mir mit dieser Anregung eine interassente Diskussion.

--
felix

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miriam
miriam
Mitglied

Re: Gestaltung des Unbelebten
geschrieben von miriam
als Antwort auf felix vom 24.11.2008, 16:50:33
Lieber Felix,

ich bleibe bei diesem Thema sicherlich dabei - man hat so seine Steckenpferde.

Was die Entropie betrifft: in meinem ersten Beitrag hatte ich auch darüber geschrieben, aber den Absatz danach gestrichen - der Text schien mir zu lang zu werden. Also hier nochmals was ich in etwa schrieb:

Wie beim Urknall, entstehen aus der Unordnung geordnete und komplexe Strukturen, und die Entropie spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie reguliert den Prozess insofern, dass nur durch eine hochwertige Energie geordnete Strukturen entstehen können. Durch Sonnenlicht z.B., oder auch chemischen Reaktionen kommt es zum Zusammenfügen und zur Bildung von komplexen Strukturen - wobei man beobachtet, dass die Molekülen die daran beteiligt sind, nicht linear reagieren. Es wäre vielleicht wichtig hier noch hinzuzufügen, dass es sich bei der Selbstorganisation nicht um ene mikroskopisch beobachtete statische Entropie handelt, sondern um eine dynamische Entropie.


Ich muss gestehen, dass ich zu diesem letzten Satz gerne zusätzliche Erklärungen hätte, habe den Eindruck, dass ich es zwar weiß was damit gemeint ist, aber sehr an der Oberfläche bleibe.

Der Prof. für Theoretische Physik, Eckehard Schöll, sagt dazu: "Die Reaktionen gehorchen nichtlinearen Gesetzen und auf Grund dieser Nichtlinearität kann sich ein kollektives Verhalten der Moleküle herausbilden. Die Moleküle wissen, wenn sie eine Struktur aufbauen, wo sie hingehören, ohne dass ihnen von außen eine Struktur aufgeprägt wird."

Da ich zuvor als ich den ersten Beitrag schrieb eigentlich nur logisch geschloßen hatte, dass auch bei den Eiskristallen bzw. Eisblumen es sich um die Selbstorganisation handeln müsste, wollte ich mich im Nachhinein vergewissern, dass dies auch stimmt. Da fiel ich direkt auf folgendem Text:

Zitat:

"Ein organisierendes Gebilde besteht aus vielen Elementen, die in einfacher, natürlicher Weise miteinander wechselwirken. Der Organisationsprozess ist zumindest anfänglich chaotisch, und aus diesem Chaos wachsen globalgeordnete Strukturen. Man spricht auch von emergenten Phänomenen. Die entstehenden geordneten Strukturen zeichnen sich durch besonders widerspruchsfreie Anordnung der Elemente im Sinne der herrschenden Wechselwirkungen aus, gewissermaßen durch besonders große innere Harmonie. Man spricht von Selbstorganisation.
Ein ins Auge fallendes Beispiel für Selbstorganisation ist die Kristallisation, während der die Bauelemente, einzelne Atome oder Moleküle, in regelmäßige Gittermuster fallen und auf makroskopischer Ebene solche Wundergebilde wie Schneekristalle oder Eisblumen hervorbringen."

(Zitat aus: Zelle, Gehirn, Computer, und was sie sich zu erzählen haben
Festvortrag zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Ruhr-Universität Bochum an Manfred Eigen Christoph von der Malsburg, Institut für Neuroinformatik.)


Mit deiner Frage wie es überhaupt zur Selbstorganisation kommt, möchte ich mich ein anderes mal befassen, wahrscheinlich erst morgen Nachmittag. Aber vielleicht ergreift hier auch ein anderer (Karl?) das Wort.

Freundliche Grüße

Miriam

felix
felix
Mitglied

Re: Gestaltung des Unbelebten
geschrieben von felix
als Antwort auf miriam vom 24.11.2008, 17:35:06


Darf ich hier noch einen weiteren Denkanstoss hinzufügen?

Die Makrogestaltung z.B. bei Eisblumen erinnert auch an Fraktale. Bildungsgesetze, deren Variablen selbst durch diese Gesetzmässigkeit zustande kommen führen zu Gestaltungen, die dem Biologischen gleichen.
Strenggenommen bestimmt die Molekularstruktur die Kristallisationsmöglichkeiten. Wenn der Vorgang aber sich unzählige Male wiederholt, führen, wie schon gesagt, die unhomogenen Bedingungen zu dieser wundersamen Variabilität der Gesamtgestalt.

--
felix
hl
hl
Mitglied

ot -Denkanstoß
geschrieben von hl
als Antwort auf felix vom 24.11.2008, 18:34:35
"Dieses Motiv wird gerne geladen. Beachten Sie aber bitte das Urheberrecht, d.h. fragen Sie vor einer Veröffentlichung nach! Unerlaubte Publikation wird bei Nachweis gebührentechnisch verfolgt. .."

Quelle: http://www.jostjahn.de/fotos/exeisblu.html
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hl

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miriam
miriam
Mitglied

Re: ot -Denkanstoß
geschrieben von miriam
als Antwort auf hl vom 24.11.2008, 18:42:11
Nun Felix - dann kannst du ja eines meiner unzähligen Fraktalen nehmen.

Miriams Fraktale

Übrigens: bei mir ist das Interesse für das Thema Selbstorganisation und das Befassen mit Fraktalen, fast zur gleichen Zeit entstanden.

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miriam
felix
felix
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Re: ot -Denkanstoß
geschrieben von felix
als Antwort auf hl vom 24.11.2008, 18:42:11
Was Fraktale sind, erfährt ihr z.B. hier bei Wikipedia

Herzlichen Dank Miriam für deine prächtigen Beispiele. Auch ich tauchte schon vor vielen Jahren in diese Wunderwelt!
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felix
pilli
pilli
Mitglied

Re: ot -Denkanstoß
geschrieben von pilli
als Antwort auf felix vom 24.11.2008, 18:55:45
Was Fraktale sind, erfährt ihr z.B. hier bei Wikipedia
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felix


aha...tatsächlich? schau mal die zahlreichen fraktale an, felix

die seniorentreffler zu einem eigens hierfür geschaffenen foren-thema zeigen! vielleicht bemerkst du dann watt?

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pilli
felix
felix
Mitglied

Re: ot -Denkanstoß
geschrieben von felix
als Antwort auf pilli vom 24.11.2008, 19:00:20
Spielst du auf an, Pilli?
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felix

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