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Diskussion historischer Ereignisse 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang

luchs35
luchs35
Mitglied

18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von luchs35
18 Jahre sind vergangen, seit die beiden Deutschland ein einziges geworden sind. Es taucht natürlich wieder die Frage auf, wie weit die beiden Teile wirklich zusammengewachsen sind, wieviele Mauern noch in den Köpfen sind?

Wenn ich hier manchmal die Diskussionen lese, fürchte ich, da ist noch immer ein tiefer Graben, der mit gegenseitigem Nichtverstehen angefüllt ist.
In der Realität allerdings sieht es anders aus. Da sieht man sich in die Augen, redet die gleiche Sprache , akzeptiert leichter, was der Andere zu sagen hat.

Wer auf sein vergangenes Leben zurückblickt mit allen Höhen und Tiefen, will kaum seine Erfahrungen einfach wegkippen, trotz neuer Sichtweisen, die nun dazu kommen.
Aber die alten Erfahrungen sind auch ein Stück des eigenen Lebens, das man nicht einfach wegwerfen kann und soll, obwohl es oft von den Kontrahenten verlangt wird.

Aber wäre es nicht anregend, wenn jeder einmal an den Moment des Mauerfalls und die unmittelbare Zeit danach, an die ersten Begegnungen mit den den Menschen auf der jeweils ehemaligen anderen Seite, die Erlebnisse und Eindrücke dieser Zeit zurück denken und erzählen würde, wie er das alles selbst erlebt und verarbeitet hat?

Von den Emotionen damals schweigt man heute weitgehend, hackt auf Nichtigkeiten herum und übersieht, wie bewegend diese Zeit war.

Ich erinnere mich an jede Einzelheit an dem Tag des Mauerfalls , an die unmittelbare Zeit danach, an Erlebnisse und Begegnungen, die mich erschütterten, erfreuten oder erheiterten.
Und so geht es vielleicht vielen, und es wäre interessant, einmal ohne Ost-West-Gezanke davon zu erzählen.

Gerade heute, am Tag der deutschen Einheit!
--
luchsi35
Drachenmutter
Drachenmutter
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von Drachenmutter
als Antwort auf luchs35 vom 03.10.2008, 09:49:53
Wie Recht Du doch hast Luchsi.

Ich erinnere mich mit einer Gänsehaut an diese Zeit. Vor meinem geistigen Augen sehe ich die Trabikolonnen, vollbesetzt mit jubelnden Menschen, empfangen von jubelnden Menschen. Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen und heulten wie die kleinen Kinder und ich habe vor dem Fernseher mitgeheult.
Ich sehe die Mauerspechte, wie sie mit Hammer und Meißel dieses Bollwerk zerbröselten und die Gänsehaut läuft mir den Rücken rauf und runter.
Was für eine Zeit durften wir miterleben. Sowas wiederholt sich nicht so schnell, nicht in diesem Leben. Sowas ist einmalig für jeden, der es erleben durfte.

Liebe Grüße,
--
woelfin
Mitglied_facb5a0
Mitglied_facb5a0
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf luchs35 vom 03.10.2008, 09:49:53
verkürztes Zitat
Es taucht natürlich wieder die Frage auf, wie weit die beiden Teile wirklich zusammengewachsen sind, wieviele Mauern noch in den Köpfen sind?

Wenn ich hier manchmal die Diskussionen lese, fürchte ich, da ist noch immer ein tiefer Graben, der mit gegenseitigem Nichtverstehen angefüllt ist.

und es wäre interessant, einmal ohne Ost-West-Gezanke davon zu erzählen.

Gerade heute, am Tag der deutschen Einheit!
--
luchsi35
geschrieben von luchsi35


Ich glaube nicht, daß noch viele Mauern in den Köpfen sind, eher herrscht bei den alten Bundesbürgern die Angst, daß die PDS/Linke zu stark werden, denn sie verkünden ja die alten Parolen, empfehlen Marx als Pflichtlektüre und das hören wir nun mal nicht gerne. Und deshalb gibt es gewisse Abwehrreaktionen
Das meiste Gezanke hier im ST, findet übrigens nicht zwischen den beiden von Dir erwähnten Himmelsrichtungen statt sondern da wo die Sonne aufgeht. Dafür gibt es Ursachen, die Du unschwer aus den Diskussionsbeiträgen herauslesen kannst.
--
frank

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pepa
pepa
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von pepa
als Antwort auf luchs35 vom 03.10.2008, 09:49:53
Liebe Luchsi,
danke für deinen Beitrag. Es ist in der Tat so, dass man als ehemaliger DDR-Bürger das Gefühl hat, sich ständig rechtfertigen zu müssen, dass erwartet wird, alles schlechtzureden und vor allem, demutsvoll und untertänigst der neuen Zeit zu huldigen (das ist jetzt ironisch gemeint). Ich habe aber auch Menschen, junge, kurz nach der Wende und ältere aus den alten Bundesländern kennengelernt, die Fragen gestellt haben, die aufmerksam zugehört haben, die gesagt haben, dass sie das zu erstenmal hören und sich manches nicht vorstellen konnten. Das waren schöne Gespräche, weil echtes Interesse ohne Vorurteile entstanden sind.
Ich selbst war nie in der Partei, wie so viele andere nicht. Ich konnte studieren und habe nach meinem Studium gesehen, was in den Betrieben (metallverarbeitenden Industrie) los war, wie sehr unsere Wirtschaft am Boden lag. Das etwas passieren mußte, war wohl jedem klar. Es freut mich, dass die heutigen Leipzig-Besucher so begeistert sind, von der Stadt. Vor der Wende bin ich manchmal durch die Straßen von Lindenau (Stadtteil von Leipzig) gegangen und hätte heulen können. Die Bausubstanz wäre in ein paar Jahren von alleine eingefallen, kaputte Dächer überall, Gründerzeithäuser als Ruinen, Taubenzecken in den Wohnungen...
Ich bin dankbar, dass mit Hilfe von Fördergelder Leipzig und andere Städte wieder vorzeigbar sind.
Ich war schon im September 1989 mit demonstrieren. Nicht, weil ich besonders mutig war, sondern weil es mich fasziniert hat, dass es in dieser DDR Leute gab, die sich das getraut haben, Forderungen gestellt haben und keine Angst vor Repressalien hatten. Diese Angst war wohl in jedem von uns. Mein (ebenfalls parteiloser) Mann hatte eine leitende Stellung, meine Tochter sollte vielleicht mal studieren, man hatte also einiges zu verlieren. Mit Staunen und Begeisterung habe ich von Woche zu Woche die anwachsende Menschenmenge verfolgt, die Rufe nach freien Wahlen, nach Reisefreiheit, von "Lasst uns raus" zu dem trotzigen "Wir bleiben hier". Ich werde die Angst nie vergessen, die ich hatte, als ich mit meiner Tochter und 300 000 Menschen am 6. Oktober 1989 DREIMAL um den Leipziger Ring demonstriert bin. Ich hatte Angst vor allem um meine Tochter, denn es wurde gemunkelt, dass geschossen wird. Überall war Polizei, Stasi, Kampftruppen, es herrschte unter den Demonstranten keine Euphorie, die kam erst später, sondern Anspannung. Ich selbst fand es unglaublich, dass so viele Menschen auf die Straße gingen, ohne offizielle Organisation, die alle sind aus eigenen Willen gekommen. Vorher wurde es bei uns auf Arbeit vom Abteilungsleiter verboten! Unglaublich und Gänsehaut heute noch, dass alles so friedlich ablief. Wenn nur ein Demonstrant einen Stein geworfen hätte, die Situation wäre eskaliert. Das war das eigentliche Wunder! Denn es stand auf der Kippe, ob es friedlich bleibt, oder in einem Blutbad endet.
Nach der Wende herrschte bei Goldgräberstimmung (bei den "Wessis"). Manche marode "Westfirma" hat sich hier ne goldene Nase verdient und ihre Firma saniert. Ich selbst habe in so einer Firma gearbeitet, die haben Heizungen zum Selbsteinbau an die dummen Ossis verkauft und hat sich nach drei Jahren wieder zurückzog.

Die persönlichen Angriffe hier im ST finde ich unerträglich. Na klar gibt es noch Betonköpfe, die hatten auch ihre Vergangenheit, vielleicht gut gebettet in Partei und Posten. Sollen die denn nun plötzlich ihre ganze Gesinnung wegwerfen, wäre das ehrlich? Dürfen sie nicht auch ihre Meinung sagen, sei sie noch so kontrovers? Muß ich mich ständig rechtfertigen, DDR-Bürger gewesen zu sein und ständig "beweisen", dass ich jetzt "geläutert" bin?
Fasse sich jeder an die eigene Nase!
--
pepa
stange
stange
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von stange
als Antwort auf pepa vom 03.10.2008, 10:52:28
Bravo Pepa

Das war mir aus dem Herzen gesprochen und musste mal gesagt werden.

Die Teilung einer in der Geschichte gewachsenen Nation war ein antagonistischer Widerspruch an sich der zur Lösung drängte. Und hier waren es in erster Linie die Ostdeutschen mit ihrem Mut und dem Bewusstsein, dass die Zeit herangereift war diesen Widerspruch zu lösen. Diese Bewegung war nicht mehr aufzuhalten und das haben wir in erster Linie den Willen Tausender und später in allen Städten zusammengerechnet Millionen von Menschen zu verdanken, die erkannt haben, dass die Zeit der Veränderung reif ist. Es gibt heute kaum einen Ostdeutschen, der sich die Mauer wieder wünscht, wenn auch bei Manchen der Eindruck entsteht, dass er in der ehemaligen DDR ein ruhigeres Auskommen gehabt hatte, so überwiegt doch das Zusammengehörigsheitsgefühl der Menschen einer Nation. Die aufgezwungene Trennung wurde beseitigt und das wiederum ist ein objektiver Akt, der früher oder später eingetroffen wäre. Nicht im Selbstlauf geht so etwas, sondern durch die davon betroffenen Menschen wird so etwas vollbracht, das betrifft die Menschen im Osten wie auch die Menschen im Westen, denn beide waren davon betroffen.

Deshalb wünsche ich mir, dass wir diesen Tag zur Besinnung nehmen und uns darüber freuen und dankbar sind großes geleistet zu haben.

--
stange
silhouette
silhouette
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von silhouette
als Antwort auf pepa vom 03.10.2008, 10:52:28
Bravo!
Ohne weiteren Kommentar
--
silhouette

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nasti
nasti
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von nasti
als Antwort auf Drachenmutter vom 03.10.2008, 10:11:05
Ich habe die Zeiten sehr stürmisch erlebt. Schon 3 Jahre in Deutschland lebend wir fahren durch die Grenze zum Ostblock / ehem. CSSR/ wie die Guliwer, fast immer alleine an der Grenzen, und mit unsere Ford Fiesta damals waren wir stark bewundert. Das hat sich sofort geändert.
Viele Bürger aus der ehem. DDR Gebiet landeten in Stadt wo ich wohne, mit die "große Bruder" klappte die Kontakt am Anfang nicht, so haben wir unser Haus in kurzer Zeit voll mit DDR Bürger als Gäste , bei uns fühlten sich geborgen, obwohl mein Man war ein Westdeutscher, er mochte auch sehr die Menschen. Langsam haben sich alle zum Recht gefunden in West, und gingen eigene Wege.
Meine Söhne waren noch bei mir, Party nach Party waren gefeiert, große Freundschäften und neue Lieben geknüpft. Bis heute habe ich viele Befreundete von diese Zeiten.
Viele kleine Laden in Allstadt gingen pleite, die Westdeutschen besuchten damals eher Ost wo damals könnten billig einkaufen .
Ich habe mich sehr gefreut das ich endlich kennelernen dürfte die DDR Bürger, früher hatte ich nicht die Gelegenheit. Waren auch nicht ohne Fehler, ich war ewig beim staunen warum deshalb sich am Anfang nicht verstanden haben mit Westdeutscher, was bei uns war nicht der Fall.

Nasti

bongoline
bongoline
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von bongoline
als Antwort auf pepa vom 03.10.2008, 10:52:28
Was ich mich, weit entfernt von west- oder ostdeutscher Denke gefragt habe, wenn ich hier von Senioren oftmals Eingaben gelesen habe:

Diese "Senioren" wurden doch wohl mit gesamtdeutschen Werten vom Kleinkind an aufgezogen und erst nach Errichten der DDR in dieses System gepeitscht. Haben die in den Jahren der DDR wirklich alle Werte über Bord geworfen und nur mehr DDR-Gedankengut in sich gespeichert oder ist da nicht oftmals das Denken an (jetzt blöd ausgedrückt) westliche Werte aufgekommen? Verstehen kann ich ja noch die nächste Generation, die voll in dieses Schema von kleinst an reingedrückt wurden.

Aber grad "Senioren" müßte es beim Fall der Mauer ein Leichtes gewesen sein, sich einzubinden, denn es müsste ja noch irgendwo verborgen ein anderes Gedankengut in ihnen schlummern.

Kann mir jemand erklären, warum das aber nicht so ist, warum man nach 18 Jahren immer noch das Gedankengut der DDR mit sich schleppt?

Meine Freundin - ich weiß, daß ich jetzt abschweife - lebt seit nunmehr fast 40 Jahren in Californien. Oftmals hab ich zu ihr gesagt - menschenskind, du bist doch eine Tirolerin, wie kannst du dich so amerikanisieren aber dann wieder kam das Aufjubeln, oh ja, du bist in deinen Ansichten doch eine Tirolerin geblieben. Viele Diskussionen habe ich mit ihr geführt und sie hatte mir die Gelegenheit gegeben, meine Meinung über einiges zu revidieren.

Mit "Ossissenioren" allerdings hatte ich keine Gelegenheit, darüber zu sprechen - vielleicht erzählt mir hier jemand, warum das weltoffene Denken bei doch relativ vielen noch immer hinter einer imaginären Mauer zurückgeblieben ist.
--
bongoline
pepa
pepa
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von pepa
als Antwort auf bongoline vom 03.10.2008, 12:33:26
Hallo Bongoline,
was heißt denn Gedankengut aus der DDR? Ich bin Jahrgang 50, also ein Kind der DDR und habe mein Gedankengut, das läßt sich doch nicht einfach "über Bord werfen"?
Meine Hoffnungen liegt eher auf den Kindern und deren Nachkommen, die in dieses System hineinwachsen und sich nicht so schwertun, wie wir "Heutigen". Wir werden bald ausgestorben sein und alle Ossis sind weg.
Meine Schwiegermutter, aus Schlesien vertrieben, schaute nach der Wende ganz traurig und meinte, jetzt kommt der Kapitalismus wieder zu uns, wir werden wohl nichts mehr zu lachen haben.
Nach deiner Darstellung müßte sie wohl auch gejubelt haben, hat sie aber nicht.
--
pepa
bongoline
bongoline
Mitglied

Re: 18 Jahre deutsche Einheit: Erinnerungen an den Anfang
geschrieben von bongoline
als Antwort auf pepa vom 03.10.2008, 12:53:40
Danke pepa,

erstens mal hast Du das jubeln falsch verstanden, ich als Tirolerin habe gejubelt, daß meine Freundin doch noch vieles in sich behalten hat, was eine Tirolerin ausmacht. Es ist jetzt egal ob Tiroler oder sonst ein Volk, mir ging es da um das sagen wir mal "Mutterdenken", das in einem Menschen bleibt, so wie auch die Muttersprache nicht zur Gänze verloren geht.

Nachdem Du ja in das System der DDR geboren bist, hättest Du Dich an sich gar nicht als "Ossiseniorin" angesprochen fühlen müssen. Mich würden die Meinungen derer interessieren, die die Kindheit noch nicht in dem DDR-System erlebt haben, was da hängen geblieben ist, ob das dann nicht doch den Einstieg in die Wiedervereinigung erleichtert hat?

--
bongoline

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