Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST

Diskussion historischer Ereignisse Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST

carlos1
carlos1
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Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von carlos1
Am 22. Januar 1979 wurde vom WDR erstmals die vierteilige amerikanische Fernsehserie "HOLOCAUST" ausgestrahlt. 20 Mio Deutsche schauten nicht weg, sondern hin und verfolgten den Leidensweg der jüdischen Arztfamilie Weiss aus Berlin von 1933 bis zum bitteren Ende in Auschwitz. Das hebräische Wort HOLOCAUST für den Massenmord ist seitdem in Gebrauch.

Was nüchterne akademische Aufklärung in Form von Darstellungen nicht vermocht hatte, das gelang diesem einfach aufgemachten Streifen. Die Opfer bekamen ein Gesicht. Die Nation begann über das Untaten zu diskutieren, in Schulen, in Volkshochschulen, an den Hochschulen, in der öffentlichkeit in den Familien. Im Fernsehen liefen Liveschaltungen, Fachleute wurden beteiligt. Die Zuschauer litten mit der Familei Weiss mit.

W, Birkenmaier schrieb am 29. Januar 1979 in der Stuttgarter Zeitung: Der Film hat begreifbar gemacht, dass hier nicht einfach Juden in unvorstellbarer Zahl starben, sondern Menschen."

Ist es die Schwäche unseres Vorstellungsvermögens oder moralische Indifferenz, dass wir erst durch einen Film intensiv zum Nachdenekn gebracht werden?

Warum schauen Menschen weg, wenn anderen Unrecht geschieht?

carlos1
yankee
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Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von yankee
als Antwort auf carlos1 vom 22.01.2009, 19:27:19
Hallo carlos,

auf diese Frage gibt es glaube ich nicht die eine Antwort. Im Falle des Holocaust glaube ich, spielen andere Faktoren eine Rolle als im heutigen täglichen Leben.
Im dritten Reich war sicherlich auch die pure Existenzangst ein Faktor. Hinzu kam die einseitige Berichterstattung und ein Regime, daß jegliche Anzeichen von Kritik mit drakonischen Massnahmen ahndete. Umso mehr bewundere ich diejenigen, die unter diesen Bedingungen, sei es aus politischen Gründen oder aus Gewissensgründen, Widerstand leisteten.
Als diese Zeit vorbei war und viele das Aussmaß der Katastrophe begriffen, wirkte dies sicherlich auch traumatisch. Eine Verdrängung von Tatsachen und Fakten sowie die Suche nach Ausreden und Auswegen ist eine Reaktion, weil die Schuldgefühle zu gross werden. Solche Dinge brauchen lange. Die 68er Bewegung hat sicherlich den Anfang mit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit so richtig ins rollen gebracht. Zumindest denke ich so über diese Entwicklung.

Die heutigen Ereignisse verdrängen wir meist doch eher aus anderen Gründen. Da wäre die enorme Informationsflut, die ständigen Negativmeldungen in den Medien, die Schnellebigkeit die uns kaum Zeit lässt nachzudenken, der gesteigerte Egoismus in einer immer anonymer werdenden Gesellschaft, der Verrohung unserer Umgangsformen durch hohen Verdrängungswettbewerb und wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Gründe.
Die natürliche Angst sich mit anderen Problemen zusätzlich zu belasten und das eigene Gemüt zu schützen, ist sowieso in uns allen.
So beantworte ich mir deine Frage, die ich mir auch schon öfters gestellt habe.

--
yankee
majana
majana
Mitglied

Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von majana
als Antwort auf carlos1 vom 22.01.2009, 19:27:19
Carlos1, ich weiß nicht, ob es sich bei der Verfilmung um das gleichnamige Buch handelt, das ich schon in den 70er Jahren glesen habe. Den Film konnte ich leider nicht sehen, da ich nicht zu Hause war und mein Videoplayer den Geist aufgegeben hat. Auch das Buch hat damals schon die grausame Wirklichkeit widergespiegelt, obwohl ein Film das noch wesentlich besser rüberbringen kann.

Warum die Menschen wegschauen, wenn Unrecht geschieht, ist mir unbegreiflich, allerdings im 3. Reich traute sich keiner den Mund aufzumachen, oder war selber an diesen Greueltaten beteiligt.

Zu Zeiten Zar Alexander III. wurden die Juden auch verfolgt und nicht nur in Russland siehe untenstehende Links:

http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/geschichte/index,page=1133788

Der Holocaust war wohl die furchtbarste Form der Judenverfolgung, aber zu allen Zeiten, gab es Menschen die weggeschaut und solche, die geholfen haben, daran hat sich bis heute nichts geändert.
--
majana

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Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 22.01.2009, 19:27:19
auch auf die gefahr hin, jetzt angegriffenen zu werden:

es ist richtig, dass eine ständige überflutung im hinblick auf den holocaust erfolgt und ich gesteht, auch ich kann es nicht mehr hören. ich würde nie den holocaust verleugnen aber ich mache auch der generation, die den krieg erlebt haben, keinen vorwurf daraus, dass sie heute „nichts mehr hören und sehen“ wollen oder können. ich finde es schwierig nichts mehr hören und sehen zu wollen. es ist einfach zu viel. alleine wenn ich hier die threads sehe, will ich mich schon nicht mehr einloggen. wozu denn auch! zwischenzeitlich geht in fast allen threads um israel und damit untergründig auch um den holocaust. oder aber um obama, der hingestellt wird als könne er das meer teilen und auf dem wasser laufen.

Die natürliche Angst sich mit anderen Problemen zusätzlich zu belasten und das eigene Gemüt zu schützen, ist sowieso in uns allen.

seit der schulzeit höre ich immer nur, die bösen deutschen, die haben die juden vergast und dafür werden noch generationen büssen müssen.

ja so empfinde ich das aber ich bin nicht bereit mir das büssergewand anzuziehen. vielleicht liegt es auch daran, dass zur zeit egal wo immer man hinsieht mit der vergangenheit so extrem konfrontiert wird.

es ist nicht meine vergangenheit und die der jungen leute - also der zukünftigen generationen - erst recht nicht.

selbst wenn man möchte, man kann gar nicht wegsehen. und da kann auch nicht gesund sein.


--
plumpudding
luchs35
luchs35
Mitglied

Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von luchs35
als Antwort auf majana vom 22.01.2009, 20:42:15
@Carlos1

Dass die Opfer des Holocaust erst durch die TV-Serie ein Gesicht bekamen , erstaunt eigentlich nicht. Zahlen, besonders wenn nach Millionen gezählt wird, haben kein Gesicht, sie sind nur Fakten, die zudem in diesem Fall noch unbegreifbar wurden.

Der Film selbst war angesichts des echten Elends durch dieses nicht begreifbare Verbrechen zwar nur eine "Seifenoper" , wie du sagst,Carlos, aber es waren Gesichter und keine Zahlen. Es war ein Bruchteil dieses Massenmordes, aber es war nicht mehr etwas Unfassbares oder Anonymes. Urpötzlich war die Vorstellung von Menschen in den Köpfen.
Wie ein Leitfaden zog sich damals ein kleines Mädchen in einem roten Mantel durch den Film. Und am Ende sahen die Zuschauer nur noch diesen Mantel inmitten eines Leichenberges. Ein Bild von einer hohen Aussagekraft- so habe ich es zumindest empfunden.

So distanziert reagieren auch die meisten Menschen, wenn sie von Verbrechen oder sehr schlimmen Geschehnissen hören oder lesen, ohne gleichzeitig die Kraft der Bilder zu erleben. Der Kopf nimmt wohl alles auf, die Gedanken werden jedoch schnell von anderen Dingen überlagert.
Bilder prägen sich ein, vermitteln mehr, als Worte vermögen.

Wieso das so ist, müsste wohl ein Hirnforscher erläutern.


--
luchs35
Karl
Karl
Administrator

Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 22.01.2009, 21:13:31
Hallo plumpudding,


wenn du Kinder hast und Enkel, dann wird dir die Zukunft wichtig sein. Sollen diese wieder in einer Welt leben wie sie vor 70 Jahren war? Wenn du das nicht willst, dann hat dich die Vergangenheit und die Gegenwart zu interessieren, du musst sie kennen und erkennen. Wegschauen hilft nicht.
--
karl

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silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von silhouette
als Antwort auf luchs35 vom 22.01.2009, 21:26:51
Zustimmung luchs, vor allem, was die Kraft von Bildern anbelangt. (Das gilt i.ü. auch für die Bilder aus aktuellen Kriegsschauplätzen. Vom Irak erfuhr man damals, dass einige davon durch die amerikanischen Bildregisseure stark verfälscht wurden).

Ich würde jenen Dreiteiler nicht so schlechtreden. Immerhin hat er viel Interesse geweckt und Informationen vermitteln können. Mich hat vor allem der "Gegenpol" der Familie Weiß beeindruckt, die Familie Dorf, das Oberhaupt war ein "braver" deutscher Nazi-Karrierist mit einer total angepassten, von der Hinterlassenschaft einer geistig und kulturell weit überlegenen Familie Weiß profitierenden Familie von Emporkömmlingen (die Hinterlassenschaft war u.a. ein Konzertflügel, der ihnen zugefallen ist, aber nicht von weitem zustand). Wer sich, wie ich in einer Rezension gelesen habe, über die Fiktionalität dieser Personen beklagt, der lese "Meine deutsche Mutter" von Niklas Frank! Sein Vater ist als "der Schlächter von Warschau" in die Geschichtsbücher eingegangen. In diesem Buch wird die Realität genau so beschrieben.

Zehn Jahre später wurde in Frankreich ein insgesamt 9 Stunden langer, rein dokumentarischer Mehrteiler "Shoah" in der Regie von Claude Lanzmann produziert, der hauptsächlich aus Interviews bestand. Um diese 9 Stunden durchzuhalten, war viel Interesse und Geduld notwendig. Das war beim Massenpublikum halt nicht zu erwarten.

Und dann erinnere ich noch an den feinsinnigen Film aus den 80er Jahren "Auf Wiedersehen Kinder", auch eine französische Produktion, ein "Unterhaltungsfilm", nicht so plakativ, aber sehr anrührend, von Louis Malle. Freunde von Schubertscher Klaviermusik werden diesen Film immer mit dem Moment Musical Nr. 2 in Verbindung bringen.

@ Carlos: nicht wegschauen und womöglich auch noch etwas tun, daraus wird häufig etwas Unbequemes, und je nach Ort und Zeit sogar Lebensgefährliches. Das ist für mich die naheliegendste Erklärung. Philosophieren lasse ich andere.
--
silhouette
Karl
Karl
Administrator

Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von Karl
als Antwort auf carlos1 vom 22.01.2009, 19:27:19
Hallo Carlos,


so allgemein gilt das nicht. Ich bin durch die Eltern und durch die Schule aufgeklärt worden, jedenfalls haben sich mir diese Gräuel schon als Kind ins Gehirn eingegraben. In der Schule habe ich einen Film über Ausschwitz gesehen, ich habe das Abitur 1968 gemacht.
--
karl
schorsch
schorsch
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Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von schorsch
als Antwort auf carlos1 vom 22.01.2009, 19:27:19
Noch nicht gemerkt?: Je mehr Menschen irgendwo miteinander umgebracht werden, desto "normaler" erscheint dies dem menschlichen Hirn!

--
schorsch
simba
simba
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Re: Eine amerikanische Seifenoper klärt die Deutschen auf - HOLOCAUST
geschrieben von simba
als Antwort auf schorsch vom 23.01.2009, 09:58:03
In meiner Kindheit und Jugend wurde geschwiegen - wir lernten überhaupt nix darüber in den Schulen. Hin und wieder mal ein paar Andeutungen von Erwachsenen, es wurde aber sofort abgewiegelt, wenn man genauer nachfragte. Richtig aufmerksam wurde ich erst durch das Buch "Exodus" das ich in der Stadbücherei mal zufällig in die Hände bekam. Erst dann begann ich mich mit dem Holocaust zu beschäftigen, da war ich schon über 20 jahre alt.... Den Film hab ich gesehn - er hat mich sehr erschüttert.
--
simba

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