Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"

Diskussion historischer Ereignisse Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"

Karl
Karl
Administrator

Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von Karl
... und aufs Neue tief betroffen, Karl
netarip
netarip
Mitglied

Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von netarip
als Antwort auf Karl vom 30.01.2014, 12:03:02
Danke für diesen Beitrag.
Karl
Karl
Administrator

Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von Karl
als Antwort auf netarip vom 30.01.2014, 14:21:54
Danke netarip für Dein Interesse.

Leseprobe:
Eines Tages fragte mich ein älterer Hitlerjunge, was für eine Konfession meine Großmutter habe und er schien mit meiner Antwort auf die mir ganz unverständliche Frage, dass sie, wie die übrige Familie, evangelisch sei, nicht recht zufrieden. Nicht viel später wurden meine Eltern von meinem Fähnleinführer aufgesucht. Ich durfte bei der Unterredung nicht dabei sein. Als der Fähnleinführer gegangen war, sah ich meine Mutter in Tränen aufgelöst. Man hatte mich aus dem Jungvolk ausgeschlossen. Der Grund: der Vater meiner Mutter war jüdischer Herkunft. Nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen war ich somit „Mischling 2. Grades“, meine Mutter “Mischling 1. Grades“ . Meine Mutter klärte mich dann auf, dass ich nach den Nürnberger Gesetzen zwar kein Beamter werden könne, dass ich aber immerhin heiraten dürfe. Sie meinte dann, dass es für mich ja weniger schlimm sei, als
für sie selbst. Ich vergesse nie, wie meine Mutter mich fragte, ob ich sie jetzt noch immer liebte.

Den jüdischen Grossvater habe ich leider nicht kennengelernt. Er starb kurz nach meiner Geburt. Er war übrigens evangelisch, hatte in Nürnberg eine Spielwarenfabrik und hatte am ersten Weltkrieg als Offizier teilgenommen.

Meinen Vater stellte man vor die Alternative, entweder seine Familie zu verlassen, in welchem Falle man ihm eine große Karriere verhieß, oder er müsse eben aus der Partei und aus der SA ausgeschlossen werden. Mein Vater hat seine Familie nicht im Stich gelassen. Ab diesem Zeitpunkt kann er kein Nazi mehr gewesen sein.
Wir waren nunmehr Deutsche zweiter Klasse. Es ist mir schwer erklärlich, dass meine Eltern, so viel ich weiss, überhaupt nicht daran dachten, auszuwandern. Die überall gegenwärtige Nazipropaganda war zum großen Teil übelste Verunglimpfung der Juden. Das Hetzblatt „Der Stürmer“ des Julius Streicher war an vielen Straßenecken ausgehängt. Auf den bösen Karikaturen waren die Juden mit ganz krummen Nasen dargestellt und ich habe nachts im Bett meine Nase nach oben massiert, aus Angst, dass sie krumm werden könnte. Quelle
geschrieben von Udo Rühl

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justus39
justus39
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Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von justus39
als Antwort auf Karl vom 30.01.2014, 12:03:02
Ich habe mir gerade diese ganze Lebensgeschichte durchgelesen. Die Geschichte eines damals jungen Mannes, dessen Leben nachhaltig von der Abstammung seiner Großeltern beeinflusst wurde. Wer das nicht erlebt hat, der kann es sich nur schwer vorstellen.

Ein Regime, das von einer irren Ideologie völlig beherrscht wurde, so dass sogar ein neuer Gruß zur Pflicht wurde. Der Wert eines Menschen. wurde unabhängig von der Nationalität, des Charakters und Intelligenz allein nach dessen Abstammung festgelegt. Selbst dass keiner der jüdischen Konfession angehörte war nicht entscheidend. Beschämend ist auch, dass es viele Menschen diese Ideologie kritiklos anerkannten und danach handelten. Andere, wie sein Vater, versuchten damit leben zu können und dennoch anständig zu bleiben, und die, welche sich dagegen entschieden hatten, mussten das Land verlassen wenn sie ihr Leben behalten wollten.

Dieser Mann war nur ein Jahr jünger als mein ältester Bruder, So nahe ist mir diese Geschichte noch. Ich selbst habe nur meine Vorschulzeit unter dieser Diktatur leben müssen. Aber dass ich als Knirps von den Hausbewohnern zur Erweisung des Deutschen Grußes aufgefordert wurde, das weiss auch ich noch.

Es ist gut, dass den nachfolgenden Generationen diese Erfahrung erspart blieb, aber es ist traurig, dass sie es nicht zu schätzen wissen.

justus
Crimmscher
Crimmscher
Mitglied

Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von Crimmscher
als Antwort auf justus39 vom 30.01.2014, 17:12:03
Habt Ihr es erlebt?

Es gab noch Schlimmeres.

Wenn Spielgefährten mit ihren Familien abtransportiert wurden, und der Ortsgruppenleiter sich nicht mehr erinner konnte, dass er bei der Familie regelmässig zum Kaffee eingeladen war.

Dannoch war jeder stolz auf sein Fahrtenmesser nach der "Pimpfenprobe"

Gr Crimmscher
julchentx
julchentx
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Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von julchentx
als Antwort auf Karl vom 30.01.2014, 14:51:35
zitat von oben......"Den jüdischen Grossvater habe ich leider nicht kennengelernt. Er starb kurz nach meiner Geburt. Er war übrigens evangelisch, hatte in Nürnberg eine Spielwarenfabrik und hatte am ersten Weltkrieg als Offizier teilgenommen. "
(Fett von mir)

??? Lebe ich seit 60 Jahren unter der wohl falschen annahme dass Jude sein eine Religionszugehoerigkeit anzeigt? Oder wurde es nur im 3. Reich als "Rasse" eingestuft?

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justus39
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Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von justus39
als Antwort auf julchentx vom 30.01.2014, 19:37:55

??? Lebe ich seit 60 Jahren unter der wohl falschen annahme dass Jude sein eine Religionszugehoerigkeit anzeigt? Oder wurde es nur im 3. Reich als "Rasse" eingestuft?

Das ist ja auch etwas was ich nicht verstehe, aber nach der Bluttheorie vererbt die jüdische Mutter ihr Judentum automatisch auf die Kinder, ganz gleich welchen Glauben sie angehören.
Ein von einer jüdischen Mutter geborenes Kind käme somit schon als Jude auf die Welt. Unter Hitler wurde ja noch unter Halb- und Vierteljuden unterschieden, wenn eines der Elternteile Jude war.
Crimmscher
Crimmscher
Mitglied

Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von Crimmscher
als Antwort auf justus39 vom 30.01.2014, 20:00:16
Es gibt keine Rasse der Juden.
Es gibt den jüdischen Glauben, es ist der älteste monotheistische Glauben nach Abraham und Echnaton.
Es gibt auch einen Staat der Juden, doch Israel ist kein Staat mit einer bestimmten Rasse.
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 30.01.2014, 14:51:35
Lieber Karl,
von diesem Bericht kam ich nicht los, bis er zu Ende gelesen war.

Wieviel Glück sich doch auf manche Menschen vereinen kann. Mir stockte der Atem, als der Autor in dem ungarischen Dorf von dem Kettenhund (Feldgendarmerie, kenntlich an dem breiten Blechschild, das sie an einer Kette um den Hals trugen) angesprochen wurde. Gegen einen hatte er noch eine Chance, bei zweien, wie sie normalerweise unterwegs waren, wäre es das Ende gewesen. Wir hätten nichts von ihm hier lesen können. Dramatik pur in dürren Worten.

Ende Januar/Anfang Februar 1945 hielten sich meine Mutter mit meinem Bruder und mir nach der Flucht aus dem Osten in den weit verzweigten Kellerräumen des Dresdner Hauptbahnhofs auf. Ich weiß noch, dass solche bewaffneten Kettenhunde Tag und Nacht in den Kellerräumen patroullierten und nach Deserteuren suchten.

Im Krieg realisieren Betroffene meist gar nicht, in welcher Gefahr sie sind. Sie sind zu beschäftigt mit der Organisation des eigenen Überlebens. In dieser Hinsicht finde ich den Bericht bemerkenswert. Ein Funkgerät auf der Flucht zeitweise mitzuschleppen, als Ausweis der Zugehörigkeit zur kämpfenden Truppe zeugt von großer Kaltblütigkeit.
justus39
justus39
Mitglied

Re: Einmal wieder gelesen: Udo Rühl "Dreivierteldeutscher unter Hitler"
geschrieben von justus39
als Antwort auf carlos1 vom 30.01.2014, 22:27:34
Ich weiß noch, dass solche bewaffneten Kettenhunde in den weit verzweigten Kellerräumen des Dresdner Hauptbahnhofs auf. Ich weiß noch, dass solche bewaffneten Kettenhunde Tag und Nacht in den Kellerräumen patroullierten und nach Deserteuren suchten.
geschrieben von carlos

...und wehe sie erwischten einen Jüngelchen oder einen alten Landser, die hier auf des Ende des schon längst verlorenen Krieges warteten.
Auch manches altes Mütterchen, das ihren Enkel in ihrer Wohnung versteckte, wurde noch fünf vor zwölf vor den Volksgerichtshof gezerrt und enthauptet.
Die Blutrichter und Henker konnten dann in der BRD in Frieden alt werden und ihre Beamtenpension genießen.

justus

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