Diskussion historischer Ereignisse Erinnerungskultur

miriam
miriam
Mitglied

Erinnerungskultur
geschrieben von miriam
Wie kam ich eigentlich auf dieses Thema?

Erst stand im Raum für mich nur die Erinnerung – und dabei ging es mir eigentlich auf einer sehr allgemeinen und diffusen Art, um das Zurückblicken zu eher persönlich Erlebten.

Dann drehte das Wort Erinnerung noch einige Runden in meinen Gehirnwindungen – und wurde plötzlich zur Erinnerungskultur.
Natürlich hatte dies nun nur zum Teil etwas zutun mit der individuellen Erinnerung, es ging mir allmählich um ein kollektives Geschehnis, mit seinen schönen – aber auch mit seinen traurigen Seiten.

Beides sollte und muss auch zusammentreffen, wobei aus vielen subjektiv erlebten Wahrnehmungen, eine kollektive Erinnerung entsteht.
Und mit der Zeit, vergisst man uns als Individuen dabei, vielleicht vergleichbar mit jenen, die große Monumente erbaut haben und deren anonyme Präsenz uns auf dieser konkreten Weise, erhalten bleibt.

Diesen Gedanken, der eher ein Gefühl gewesen ist, hatte ich schon einmal in einem der großen Schlösser an der Loire – und ich ertappte mich plötzlich, wie meine Schritte behutsamer wurden.
Ich trat nicht mehr nur auf wunderschöne Steinfußböden, sondern auch auf die Hände derjenigen, die sie vor hunderten von Jahren, angefertigt hatten.

Natürlich bezieht sich hier im Lande die Erinnerungskultur in erster Linie auf den zweiten Weltkrieg. Und dies ist zugleich ein Beispiel dafür, wie schwer es ist das richtige Maß an erinnern und zugleich sich auch von Erinnerungen langsam entfernen zu können, zu treffen.

Dass die 68-er Fragen an ihre Eltern bzw. Vätern gestellt haben, war ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Normalität.
Erinnerungskultur muss aber auch ihre Grenzen haben – anders laufen wir Gefahr, Rituale ohne echten Inhalt zu schaffen, Kultur in Kitsch zu verwandeln.

Miriam
eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von eleonore
als Antwort auf miriam vom 06.01.2011, 23:48:15
Natürlich bezieht sich hier im Lande die Erinnerungskultur in erster Linie auf den zweiten Weltkrieg./zitat miriam

@miriam,

ich las mit interesse deine einlassungen.
wird es nicht an der zeit, dass diese teil der erinnerungskultur zwar wachgehalten wird, aber nicht mehr alles überstrahlen darf?
meines erachtens sollen unsere kinder und enkel auch anderes erinnert werden, was deutschland zu bieten hat.

was deine behutsam gewordene schritte in diesen schloss am loire angeht, solche gefühle kenne ich sehr gut.
manchmal hab ich den wunsch mit eine zeitmaschine in vergangenheit zu reisen, allerdings nur als zuschauer.
miriam
miriam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von miriam
als Antwort auf eleonore vom 07.01.2011, 07:32:40
Danke dir Eleonore, dass du mich richtig verstanden hast.

Das Thema ist nämlich heikel – es betrifft eine Vergangenheit, die noch relativ nah an uns ist – es betrifft natürlich auch die so genannte Aufarbeitung dieser Vergangenheit, die sich nicht wiederholen darf, nicht hier aber auch an anderen Orten nicht.

Es betrifft aber genau so – oder noch viel mehr, die heutige Generation, bzw. sogar die Eltern dieser sehr jungen Leute, denen man nicht eine ewige Betroffenheit aufzwingen darf – im Gegenteil, man muss ihnen begreiflich machen, dass sie mit der Schuld der Urgroßväter nichts zutun haben.

Eben da fängt die Schwierigkeit an: die Erinnerungskultur trotzdem zu pflegen, ohne dass diese als eigene Schuld aufgefasst wird, und ohne dass Erinnerungskultur zur inhaltslosen Ritualisierung wird.

Köszönöm és minden jot.

Miriam

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von eleonore
als Antwort auf miriam vom 07.01.2011, 08:00:15
@miriam :)

ich bin eine der *second generation*.
ich bin lange nach der krieg geboren.

die erinnerungen, die ich habe, sind ebenfalls *second erinnerungen*, da ich es von meine mutter/familie erfuhr.
so auch die geschichte von mein großvater, die mit seine kleine *heldentaten* nie hausieren ging.
ich hab einiges hier in blog veröffentlicht.
ja, ich pflege diese erinnerungen, da sie ein teil meines *ichs* ausmachen.
opa war für mich ein sehr wichtige mensch, der mich in sehr vielen hinsicht geprägt hat.

trotzdem müßen mein sohn und seine, wie die nachkommende generationen eine reelle chance bekommen, sich mit diese unrühmliche teil deutsche geschichte eine ausseinander setzung zu führen, aber nicht nur.

Szivesen és neked is minden jót
eleo
hugo
hugo
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von hugo
als Antwort auf miriam vom 07.01.2011, 08:00:15
denen man nicht eine ewige Betroffenheit aufzwingen darf – im Gegenteil, man muss ihnen begreiflich machen, dass sie mit der Schuld der Urgroßväter nichts zutun haben.(Miriam)

hm Miriam,,auch wenn man das unbedingt wollte, das Eine wie das Andere, also das Pflegen wie das Vergessen des Vergangenen,,es wird nicht 100 prozentig klappen,,besonders bei Denen deren Eltern Großeltern besonders intensiv betroffen wurden.
Sei es durch den Verlust von Angehörigen, sei es durch den Verlust der Heimat,
sei es durch lange Gefangenschaft
Jedes kann so ungeheuer nachhaltige Eindrücke hinterlassen haben das dies noch über Generationen nachwirkt.
(so gab es in meiner Familie viele Gefallene und Verwundete, Heimatverluste und Familiendramen,,)

Nun können die materiellen Nachhol-, bzw Aufholeffeckte bei manchen Menschen noch erheblichen offenen Bedarf und große Zurückgebliebenheit gegenüber den (ich will sie mal "unbeschadete" Mitmenschen nennen. Von den Kriegsgewinnlern im materiellem Bereich gar nicht zu Reden.

Sowas kann sich nur über viele Generationen auswachsen durch Aufholung und/oder Vermischung. Wobei bestimmte Dinge eben nie wieder rückholbar sein werden, wie z.B eine Jahrhunderte lange Familientradition gebunden an eine Gegend, ein Stück Land, eine Stadt, eine bestimmte Tätigkeit, die nur mit dem ehemaligem Eigentum zusammen denkbar und realisierbar war/ist.

Nach 1945 hatten wir Deutschen insgesamt gesehen-(nicht das Einzelschicksal)ein ziemlich unverdientes, ungeheures Glück (einige Zufälle und Begebenheiten spielten dabei ein Rolle)das nicht der Morgenthauplan sondern der Marschallplan zum Tragen kam, das nicht die Rächer sondern die Retter die Überhand gewannen, das das Ende so schnell kam, viel schneller als die Fertigstellung der Atombombe usw..und das die Sieger sich etwas davon versprachen, die Deutsche Industrie und Wirtschaft wieder brummen zu lassen, was nun auch die erforderliche Bildung und Ausbildung erforderte und ermöglichte und zum Wiederaufstieg Deutschlands sehr förderlich war.

wie schnell hätten wir auf sizilianisches oder albanisches Niveau abrutschen und dort dauerhaft hängenbleiben können,,

es war Glück, ungeheures Glück,,wir sollten auch froh und nicht nur überheblich ob unseres eigenen Beitrages dazu sein.

es ist wie im Lotto,,,es mussten viele andere Nieten ziehen, damit Wir ein großes Gewinn-Los bekommen konnten. *g*

hugo

kolli
kolli
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von kolli
als Antwort auf hugo vom 07.01.2011, 08:53:06
Hi Hugo:
Deinen Gedanken braucht man nichts hinzufügen.
Bis zu Deinem (Trug)-Schluss, es handele sich um Glück.
Damals (wie heute) zählt nur Mony Mony Mony. . .
('ne kaputte Maschine bringt nix-also: repariern.)

Gruß:
kolli

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adam
adam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von adam
als Antwort auf miriam vom 07.01.2011, 08:00:15
Das Thema ist nämlich heikel – es betrifft eine Vergangenheit, die noch relativ nah an uns ist – es betrifft natürlich auch die so genannte Aufarbeitung dieser Vergangenheit, die sich nicht wiederholen darf, nicht hier aber auch an anderen Orten nicht.


@miriam,

als Kind einer Nachkriegsgeneration hatte ich mit der Zeit des Nationalsozialismus lange Zeit eminente Schwierigkeiten. Mein Großvater war bis zu seinem Tod verbohrter Nationalsozialist, meine Eltern haben geschwiegen und in der Schule wurden mir ein paar Jahreszahlen vermittelt und das war`s.

Wenn ich meine Erinnerungskultur als Straße in die Geschichte versinnbildliche, war die Zeit des Nationalsozialismus ein Teilstück, daß ich mühsam wieder herstellen mußte, um zu erkennen, daß der längste und wichtigste Teil von Geschichte vor dieser Zeit stattfand und in der kulturellen Entwicklung ein Segment für diese Zeit fehlt, herausgeschnitten von den Nazis durch Mord, Verbannung und verursachte Flucht.

Daß die Bundesrepublik als Nachfolgestaat der Nazizeit wieder Anschluß an die Geschichte gefunden hat, haben wir, meiner Auffassung nach, zu größtem Teil den europäischen und der amerikanischen Demokratie zu verdanken, die so etwas wie Bypässe und damit eine Verbindung mit alter Geschichte und Kultur wieder möglich machten. Rein vom geschichtlichen und kulturellen Ablauf her, ist die Nazizeit eine ärgerliche Unterbrechung, vom Horror, für den diese Zeit verantwortlich zeichnet, ganz zu schweigen. Der Horror prägt das Bild dieses Zeitabschnittes und das Entsetzen darüber macht die Aussage, daß so etwas nie wieder passieren darf.

Aber Entsetzen ist zeitgebunden, verblasst in den Nachfolgegenerationen und kann so zum Lippenbekenntnis degradieren. Der Ärger dagegen, daß es zu solch einer Ausfallerscheinung in Kultur und Geschichte kommen konnte, kann immer wieder neu geweckt werden, durch Kenntnis der geschichtlichen Abläufe. Geschichte und Kultur sind ein Weg ohne Anfang und ohne erkennbares Ende, sind fließende Ereignisse und Ärgernisse der Vergangenheit können in diesem Fluß erkannt und eine Wiederholung verhindert werden. Auf die Zeit des Nationalsozialismus bezogen wissen wir zum Beispiel, daß die massive Beeinflussung der Menschen nur durch die modernen Medien und durch Technik möglich war. Presse, Radio und Flugzeug waren Mittel der Propaganda. Das ist eine Lehre aus der Betrachtung der Geschichte und prompt kommt der Ärger ins Spiel.

Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft, obwohl ein neues Gesetz der Medienzensur Tor und Tür öffnet. Es ist ärgerlich, daß die europäischen Bürger es den Politikern überlassen, mit dem Urheber dieser demokratiefeindlichen Gesetzgebung Gespräche "in aller Freundschaft" zu führen und es ihm erlauben Bedingungen zu stellen. Jetzt wäre es Zeit für alle Europäer die Lehren aus der deutschen Geschichte umzusetzen. Wenn für einen Bahnhof Zehntausende auf die Straße gehen, müßten es für die Pressefreiheit in der Europäischen Union Hunderttausende sein. Wo bleiben die Konsequenzen, die aus der Geschichte folgen müssen?

--

adam




miriam
miriam
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von miriam
als Antwort auf hugo vom 07.01.2011, 08:53:06
Begrüße hier die neu Hinzugekommenen, Hugo und Kolli - Himmel, habe meinen Freund Adam übersehen...

In der Tat Hugo, wenn ich über Erinnerungskultur nachdenke und auch nachlese, stelle ich fest wie unterschiedlich auch diesbezüglich Auffassungen sind.

Es geht ja letztendlich darum Zeichen zu setzen, Symbole für das was sich in unserer Erinnerung gedanklich abspielt bzw. weiter besteht – oder auch aufzuzeichnen, um manches festzuhalten.
Doch sowohl was wir festhalten möchten und auch wie wir dies machen möchten, ist sehr unterschiedlich.

Ich erinner mich dabei in erster Linie an die Debatten Rund um das Holocaustmahnmal in Berlin – und an meinen persönlichen Wunsch, dass dieses, nach meinem Empfinden überproportionale Projekt fürs Monument, nicht umgesetzt wird.

Versöhnt habe ich mich damit, als Kinder anfingen zwischen den Stelen zu hüpfen - oder von einer Stele zur anderen zu springen.

Um meinen Gedanken nochmals anders zu formulieren: letztendlich sind ja unsere Emotionen unterschiedlich – und die Art wie wir diese konkretisieren möchten, weichen natürlich stark voneinander ab.

Ein Projekt welches mich begeistert hat – verdanken wir dem Schriftsteller Walter Kempowski, der im Jahr 2007 gestorben ist.

Anlässlich seines Todes, nannte ihn der Kulturstaatsminister Bernd Neumann, einen "sensiblen wie entschiedenen Sachwalter von Freiheit und Humanität".

Walter Kempowski hielt tatsächlich Erinnerungen fest – und hat damit einen großen Beitrag zur Deutschen Erinnerungskultur geleistet.
Seine "Befragungsbücher" tragen die Titel seiner sehr direkten Fragen an diejenigen die er interviewt hat – zum Beispiel "Haben Sie davon gewusst?" oder "Immer so durchgemogelt" oder auch "Haben Sie Hitler gesehen?"

Miriam

In eigener Sache: muss jetzt eine Pause einsetzen um meine Küche aufzuräumen - bald wird meine neue Waschmaschine geliefert.

Die alte wandert in meine persönliche Erinnerungskultur.

eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von eleonore
als Antwort auf adam vom 07.01.2011, 10:15:32
Off Topic


Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft, obwohl ein neues Gesetz der Medienzensur Tor und Tür öffnet. Es ist ärgerlich, daß die europäischen Bürger es den Politikern überlassen, mit dem Urheber dieser demokratiefeindlichen Gesetzgebung Gespräche "in aller Freundschaft" zu führen und es ihm erlauben Bedingungen zu stellen. Jetzt wäre es Zeit für alle Europäer die Lehren aus der deutschen Geschichte umzusetzen. Wenn für einen Bahnhof Zehntausende auf die Straße gehen, müßten es für die Pressefreiheit in der Europäischen Union Hunderttausende sein. Wo bleiben die Konsequenzen, die aus der Geschichte folgen müssen?

--
adam
geschrieben von adam


ich lese die zeitungen aus meine heimat regelmäßig, und freue mich sehr über die civilcourage die dort zu sehen ist.
sie wollen und müssen diese knebel lockern, und ich hoffe inständigst dass Orbán nicht mehr gewählt wird.


Demonstranten Ungarn
Mitglied_81b4260
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Mitglied

Re: Erinnerungskultur
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf eleonore vom 07.01.2011, 10:24:08
Eleonore, ich danke dir, dass du dich hier - off topic - zu diesem brisanten Thema geäußert hast!

Nagyon köszönöm!

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