Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal

Diskussion historischer Ereignisse Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal

Karl
Karl
Administrator

Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von Karl


Unfassbar was heute Nacht vor 77 Jahren geschah, auch in Siegen, meiner Geburtsstadt. Deutschlandweit und in Österreich und der Tschechoslowakei wurden jüdische Wohnhäuser, Geschäfte und Synagogen nach einer Hetzrede Goebbels geplündert und angezündet und Juden auf offener Straße misshandelt und ermordet. Die Mehrheitsgesellschaft nahm dies gleichgültig zur Kenntnis. Es gab keine offenen Proteste.
Das Pogrom wurde am Abend des alljährlichen Treffens der NSDAP-Führerschaft anlässlich des gescheiterten Hitler-Putsches am 9. November 1923 nach Zustimmung Hitlers von Propagandaminister Josef Goebbels durch eine Hetzrede ausgelöst. Goebbels verwies auf die bereits stattgefundenen Pogrome in Kurhessen und Madgeburg-Anhalt und machte die Bemerkung, dass die Partei antijüdische Aktionen zwar nicht organisieren, aber auch nicht behindern werde. Anschließend gaben die SA-Führer von München aus telefonisch entsprechende Befehle an ihre Stäbe und Mannschaften durch.

NS-Archiv: Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei, in seinem Fernschreiben an die Staatspolizeistellen:

Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (z.B. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist).

Geschäfte und Wohnungen von Juden dürfen nur zerstört, nicht geplündert werden. Die Polizei ist angewiesen, die Durchführung dieser Anordnung zu überwachen und Plünderer festzunehmen.

In Geschäftstraßen ist besonders darauf zu achten, dass nicht jüdische Geschäfte unbedingt gegen Schäden gesichert werden.

Reinhard Heydrich: Fernschreiben 10.11.1938
Quelle
geschrieben von Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg


Uns stockt der Atem, wenn wir die Dokumentation der Landes- und Bundeszentralen für politische Bildung hierzu lesen.

Ich verlinke hier einige PDF-Dokumente zu dieser damals staatlicherseits inszinierten "Empörung":

1. Grundinformationen und Quellenlage ( PDF-Datei, 849 kb)

2. Die materielle und menschliche Bilanz der Pogromereignisse. (PDF-Datei: 3.850 KB)

3. Authentische Berichte von Opfer, Täter und Zuschauern. (PDF-Datei: 4.632 KB)

4. Das NS-Regime versuchte den Opfern die Schuld zu geben. (PDF-Datei: 4.625 KB)

5. Die Politik des NS-Regimes gegenüber den deutschen und europäischen Juden. (PDF-Datei: 2.826 KB)

6. Mehr Informationen gibt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

Wir müssen die Erinnerungen an diese schrecklich Zeit wachhalten, damit wir nicht wieder in die Unmenschlichkeit abgleiten.

Karl
justus39
justus39
Mitglied

Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von justus39
als Antwort auf Karl vom 09.11.2015, 20:34:59
Erschreckend und beängstigend ist bei einem solchen Geschehen die Erkenntnis, dass sich Menschen, die bisher keinerlei Probleme mit anderen Religionen, Kulturen und Nationalitäten hatten, soweit aufhetzen lassen, dass sie die Unterkünfte, Wohnungen und Geschäfte von Mitmenschen, die ihnen nichts getan haben, blindwütig zerstören und in Brand stecken.

Wir konnten das schon in der Gegenwart und in der jüngsten Vergangenheit als ethnische Säuberungen im Ausland beobachten, und wir sind ganz kurz davor, es auch in unserem eignen Land zu erleben.
Wir müssen die Erinnerungen an diese schrecklich Zeit wachhalten, damit wir nicht wieder in die Unmenschlichkeit abgleiten.

Karl
geschrieben von karl

Jawohl, denn der Schoß ist fruchtbar noch…..

justus
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf justus39 vom 09.11.2015, 21:55:14

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Karl
Karl
Administrator

Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von Karl
als Antwort auf dutchweepee vom 10.11.2015, 06:33:28
@ dutchweepee,

man sollte es meinen, aber diese Menschen sind häufig einfach ohne Kenntnis der Geschichte. Dieses Thema hier z. B. wird kaum gelesen. Historische Ereignisse? Wenig Interesse. Lernen aus der Geschichte? Diejenigen, die es nötig hätten, nehmen diese nicht einmal zur Kenntnis.

Karl
justus39
justus39
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Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von justus39
als Antwort auf Karl vom 10.11.2015, 08:37:28
"Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verurteilt sie zu wiederholen."

George Santayana
US-amerikanischer Philosoph und Schriftsteller


Dem, der nach dem ersten Weltkrieg auf die Versprechungen eines Führers und Blenders hereinfiel, kann ich noch verstehen und verzeihen, aber wer die schrecklichen Verbrechen, die dann folgten, nicht wahrhaben will und nichts daraus lernte, der macht sich strafbar.
justus
JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf justus39 vom 10.11.2015, 09:19:09
Auch hier in München wurde damals die Synagoge abgefackelt, die hinter dem Oberpollinger stand.
Für mich ist diese Verführbarkeit durch Nazis nicht nachvollziehbar.
München war ein besonders fruchtbarer Boden für Nazitum.
Gott sei Dank haben gestern Menschenaufläufe verhindert, dass die Pegida, obwohl nicht zu 100% mit Nazitum gleichzusetzen ist, nicht bis zur Feldherrnhalle durchziehen konnte, dem schönsten Platz Münchens, der besonders missbraucht war, damals.

Meine Art von Beteiligung an Erinnerung an Nazigräuel ist der Account bei Facebook der Initiative "Stolpersteine für München".

Wie bekannt, sind die Münchner Juden hier, leider, gespalten.
Das kann ich nach wie vor nicht fassen, dass der Münchner Stadtrat Stolpersteine zur Verlegung dieses Jahr ein zweites mal verboten hat.
Ich kann es einfach nicht fassen, dass hier nicht alle Juden an einem Strang ziehen. Unter anderem wird den Nichtjuden unterstellt, dass sie ihre Schuld leichter tragen könnten, wenn viele Stolpersteine verlegt wären, eine Art Ablassgedanken. Dies kann ich nicht nachvollziehen, denn mich persönlich ergreift jeder Stolperstein, der irgendwo in Deutschland verlegt ist, jedesmal, ich bleibe stehen, halte inne, denke an die geschändeten Menschen.
Stolpersteine erinnern auch an andere Menschengruppen, die in der Nazizeit gequält, ermordet wurden, zum Beispiel Sinti, Behinderte, Zeugen Jehovas.
Tut mir leid, ich musste diesen letzten Absatz hier einfach mal schreiben.

Servus

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Karl
Karl
Administrator

Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von Karl
als Antwort auf JuergenS vom 10.11.2015, 10:47:10
Für mich ist diese Verführbarkeit durch Nazis nicht nachvollziehbar.
München war ein besonders fruchtbarer Boden für Nazitum.
Gott sei Dank haben gestern Menschenaufläufe verhindert, dass die Pegida, obwohl nicht zu 100% mit Nazitum gleichzusetzen ist, nicht bis zur Feldherrnhalle durchziehen konnte, dem schönsten Platz Münchens, der besonders missbraucht war, damals.
Ich vermute, dass höchstens einer von dreien dieser Pegida-Mitläufer überhaupt wüsste, was die Reichskristallnacht war - oder ist das vielleicht schon zu optimistisch geschätzt?

Anders könnte ich es mir überhaupt nicht erklären, wie an dem Jahrestag einer solch furchtbaren Nacht sich schon wieder Menschen versammeln, um gegen andere Menschen zu pöbeln - nun ja, dies kann ich auch an anderen Tagen nicht verstehen. Wahrscheinlich ist die Menschheit aber eben immer noch auf dem emotionalen Niveau eines Affen, der sein Revier verteidigt. Was zählen die Erfahrungen und Gedanken der Vorgänger-Generationen, wenn der einzige intellektuelle Input der Stammtisch und die Privatsender im Fernsehen sind.

Karl
olga64
olga64
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Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von olga64
als Antwort auf Karl vom 10.11.2015, 12:28:48
Ich vermute, dass höchstens einer von dreien dieser Pegida-Mitläufer überhaupt wüsste, was die Reichskristallnacht war - oder ist das vielleicht schon zu optimistisch geschätzt?

Karl
geschrieben von karl


Ich befürchte, dass das nicht so ist. In diesen kranken, braunen Gehirnen spricht es sich ja rum, wenn ein Tag solche "Nazi-Heldentaten" hervorbrachte. Dieses Gedankengut pflanzt sich ja seit Generationen in den Familien fort - früher wurde es vermutlich an den Küchentischen rausposaunt - jetzt getraut man sich in die Öffentlichkeit - gemeinsam fühlen sie sich stark.
Nicht umsonst wurde ja am Theaterplatz in Dresden (hiess früher Hitler-Platz) marschiert; das mit der geschichtsträchtigen Münchner Feldherrnhalle klappte für Pegida ja nicht - sie wichen aus zur "Münchner Freiheit".
ABer diese Menschen, die sich besorgte Bürger nennen mit dem Anspruch das Abendland retten zu wollen, sieht und hört man wenigstens.
Die unzähligen, die anonym im Netz ihr braunes Gedankengut absondern, leider nicht. Diese political haters treten dort immer massiver und immer unverschämter auf. Sie gründen virtuelle Marktplätze, wo dann Scheiterhaufen oder Galgen und Pranger aufgestellt werden und die verhassten Politiker für alles verantwortlich zu machen, was im Leben solcher Versager-Typen so schief lief. Leider finden solche Kommentatoren viel Zulauf - es scheinen sich viele, vermutlich oft schlichte Menschen, sehr angesprochen zu fühlen. Da braut sich viel Gefährliches zusammen, weil man mittlerweile schon Mut benötigt, wenn man nicht dieser Meinung ist und seine eigene verteidigen möchte. Olga
Karl
Karl
Administrator

Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von Karl
als Antwort auf olga64 vom 10.11.2015, 17:03:07
Ich möchte da nicht zustimmen, Olga. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Pegida-Anhänger aus alt eingesessenen Nazi Familien stammt. Ich glaube eher, dass sehr viel Uninformiertheit eine Rolle spielt.

Typisch dafür ist auch, dass die Angst vor dem Fremden dort am größten ist, wo es das Fremde kaum gibt.

Karl
wandersmann
wandersmann
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Re: Heute jährt sich die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November zum 77. Mal
geschrieben von wandersmann
als Antwort auf Karl vom 10.11.2015, 20:07:24
Eine qualifizierte Analyse zum Thema brachte ein Mainzer Politikwissenschaftler in einem swr-Interview:

Jetzige Pegida-AfD zu sehr 'Pack'-Partei

Ok, qualifiziert ist wohl doch etwas übertrieben, weil er hier z.T. Maßnahmen gegen Demonstranten favorisiert, die den Rechtsstaat konterkarieren, sich gegen das GG richten, und zu Anzeigen führen könnten, die Analyse ansonsten aber - passt scho.

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