Diskussion historischer Ereignisse Selbstverortung

Syka
Syka
Mitglied

RE: Selbstverortung
geschrieben von Syka
als Antwort auf Bias vom 08.02.2021, 17:45:19

Gemeint waren halt ganz gewöhnliche Menschen.
Alltagsmenschen die tagsüber ihrer Arbeit in den Verwaltungen nachgingen und unter Umständen dabei an einer Aufgabe mitgewirkt haben, die wir heute zu recht monströs und menschenverachtend nennen.
Gute Väter, gute Mütter; kluge und weniger kluge Menschen, Karrieristen, Wichtigtuer und eher Bescheidene, Moralapostel und Hallodris, etc.
.....

Das Böse ist banal, wie Hannah Arendt damals in Israel erkannt hat.
Glaube doch niemand, dass sich Adolf Eichmann nicht eines mächtigen Verwaltungsapparats bedient hat, in welchem ganz normale Mitarbeiterinnen, Mitarbeite und Diverse ihrer Aufgabe nachgingen.
Unter Umständen war ihnen nicht bekannt an was sie mitwirkten (vielleicht hat das auch einige gar nicht interessiert, sie hatten halt Arbeit).
Sie waren kleine Rädchen in einem Getriebe mit größeren Rädern wie Adolf Eichmann
und
kleineren Rädern wie eine Büroleiterin oder die Schreibkraft im Reichssicherheitshauptamt, im Transportwesen, in einem lokalen Ordnungsamt oder sonst wo.

Adolf Eichmann habe sich bis zuletzt darauf berufen, lediglich seiner dienstlichen Aufgabe nachgekommen zu sein, schrieb Hannah Arendt.
geschrieben von Bias
Welcher Beschäftigte macht sich heute, wenn er einen angenehmen Job in der Materialbeschaffung der Streitkräfte, in einem Betrieb, in dem Granit aus China oder seltene Erden aus Afrika verarbeitet werden, groß Gedanken, dass auch durch seine Tätigkeit Menschen unter unerträglichen Zuständen die Rohstoffe beschaffen. Dass durch die Waffen, an deren Einkauf er beteiligt ist, Menschen sterben?

Vielleicht meldet sich ab und an das Gewissen, wenn Reporter im Fernsehen oder in der Presse berichten. Und dann? Soll oder muss er kündigen, um seine Rechtschaffenheit zu dokumentieren?

Meine Mutter, Jahrgang 1925, war froh, einer dominanten und schlagkräftigen Mutter durch Pflichtjahr und BDM entfliehen zu können, sie blühte in der Gruppe gleichaltrigern Mädchen auf. Sie wurde wegen ihrer guten Augen im Arbeitsdienst einer Scheinwerferstellung zugeteilt. Als der Krieg zu Ende ging war sie 19 Jahre alt. Mir würde nicht im Traum einfallen, sie wegen ihres Lebenslaufes bis 1945 verantwortlich für abgeschossene Flugzeuge zu machen oder ihr andere Schuld zuzuschieben.
Edita
Edita
Mitglied

RE: Selbstverortung
geschrieben von Edita
als Antwort auf Syka vom 08.02.2021, 21:36:29
Welcher Beschäftigte macht sich heute, wenn er einen angenehmen Job in der Materialbeschaffung der Streitkräfte, in einem Betrieb, in dem Granit aus China oder seltene Erden aus Afrika verarbeitet werden, groß Gedanken, dass auch durch seine Tätigkeit Menschen unter unerträglichen Zuständen die Rohstoffe beschaffen. Dass durch die Waffen, an deren Einkauf er beteiligt ist, Menschen sterben?

Vielleicht meldet sich ab und an das Gewissen, wenn Reporter im Fernsehen oder in der Presse berichten. Und dann? Soll oder muss er kündigen, um seine Rechtschaffenheit zu dokumentieren?

Meine Mutter, Jahrgang 1925, war froh, einer dominanten und schlagkräftigen Mutter durch Pflichtjahr und BDM entfliehen zu können, sie blühte in der Gruppe gleichaltrigern Mädchen auf. Sie wurde wegen ihrer guten Augen im Arbeitsdienst einer Scheinwerferstellung zugeteilt. Als der Krieg zu Ende ging war sie 19 Jahre alt. Mir würde nicht im Traum einfallen, sie wegen ihres Lebenslaufes bis 1945 verantwortlich für abgeschossene Flugzeuge zu machen oder ihr andere Schuld zuzuschieben.
geschrieben von Syka

Von solchem Zusammenhang war auch gar nicht die Rede!
Die Rede war von penibel und akribisch vorbereiteten "in den Tod schick Listen", die "Beamtinnen" und "Angestelltinnen" während der Arbeitszeit für eine akurate und perfekte  "Endlösung" zusammengestellt haben, und nach dieser  Arbeit, als unbeschewerte, freundliche, liebevolle, treusorgende und loyale Menschen nach Hause gingen!

Edita
RE: Selbstverortung
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Ich habe ein Problem damit, wenn das Böse, in die Nähe des Normalen gerückt wird, so in dem Sinne: fast keiner kann ihm etwas entgegensetzen

Ist das Böse banal ?
Hat Arendt recht?

Dieser Satz vom Bösen kommt in diesem Thread auffällig oft vor. Ich habe ihn mit einem Fragezeichen versehen.

banal  - bedeutet: geistlos, nichtssagend, alltäglich, gewöhnlich
und leitet sich von ban ab - was ursprünglich soviel bedeutete, wie mit Bann belegen

Leider, stimmt es, das das Böse alltäglich ist, im Sinne von allgegenwärtig und leider ist es auch wahr, dass man sich an bestimmte Formen des Bösen gewöhnen kann, in dem Sinne, dass es uns nicht, oder nur wenige auffällt.

Im Wort banal schwingt auch ganz stark, dieses BANNEN mit:

bannen hat zwei Bedeutungen: ausschließen, ausgrenzen und
mit zwingender Gewalt festhalten, binden, fesseln und verfluchen

Arendt sagt also sinngemäß:
Das Böse bedient sich zwingender Gewalt, um Macht auszuüben (zu bannen) und um auszugrenzen.

Das mussten Viele erleben und viele Menschen mit ihrem Leben bezahlen.
Das Böse tötet. Das war damals so und ist auch heute noch so.

zu meiner Selbstverortung:
Schuldzuschreibungen versus Ohnmachts_beweisversuche – beides hat seine Tücken

Mir ist wichtig:
Keine Einzelpersonen, keine Parteien, keine Gruppen dürfen je wieder soviel Macht an sich ziehen, dass sie Menschen, das antun können, was in der NS Zeit den Menschen angetan wurde.
Jeder darf seine Meinung kundtun.
Niemand darf ungestraft Menschen und Gruppen ausgrenzen und abwerten,
als asozial oder unwert brandmarken, diskriminieren oder gar ihr Leben zerstören.

Meine Nachbarin erzählte mir oft, dass ihr Mann, der Soldat war und in Kriegsgefangenschaft geriet, auch 50 Jahre später noch nachts aufschreckte und schrie: Es ist zu spät. Es ist zu spät.

MMn. kann jeder dazu etwas beitragen, das wir es jetzt und in Zukunft besser machen. Ein zu spät, könnte fatale Auswirkungen haben.

WurzelFluegel


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Bias
Bias
Mitglied

RE: Selbstverortung
geschrieben von Bias
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 10.02.2021, 18:31:29

Eine Ausarbeitung ihrer schlichten Feststellung, welche Hannah Arendt sicherlich interessant gefunden hätte, WurzelFlügel.


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