Diskussion historischer Ereignisse Vergessen

Gambler
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Vergessen
geschrieben von Gambler
Gestern vor 90 Jahren wurde Matthias Erzberger ermordet. Ein Mann der in Deutschland totgeschwiegen wird, in diesem Zusammenhang natürlich ein böses Wort.
Heute abend, wenn der Musikanten Dampfer bei der ARD ablegt, müht sich ein Spartensender "BR Alpha" um Aufmerksamkeit. Gerade habe ich in der ZEIT( empfehlenswert von Robert Leicht) gelesen dass es , leider natürlich, der Berliner Senat noch nicht geschafft hat eine Straße nach Erzberger zu benennen.

Auch der Spiegel hatte in der letzten Woche einen interessanten Beitrag , Zitatanfang

"In Deutschland waren Verfassungsreformen das beiläufige Nebenprodukt der Entscheidung, dem Krieg ein Ende zu bereiten", urteilt der britischen Historiker Roger Chickering: "Der Vater der deutschen Demokratie war Erich Ludendorff." Und der hatte alles Interesse, nicht selbst die schmachvolle Kapitulation zu verantworten. Viel lieber überließen er und Hindenburg das den verhassten Zivilisten - und nährten anschließend die sie entlastende Mär vom "Dolchstoß", den die "Novemberverbrecher" in den Rücken des "im Felde unbesiegten" deutschen Heeres gestoßen hätten.

Es war eine dreiste Lüge, mit fatalen Folgen für die Akzeptanz der ersten deutschen Republik. Der bejammernswerte Erzberger in Compiègne - der nur Tage zuvor seine Frau und seine Sohn in der verheerenden Grippe-Pandemie von 1918 verloren hatte und dennoch gefahren war - hatte die unerwartet harten Bedingungen Fochs eigentlich nicht akzeptieren wollen. Es war Hindenburg gewesen, der ihn dazu gedrängt hatte. Und so beendete Erzberger mit seiner Unterschrift nicht nur den Krieg, er unterschrieb zugleich sein eigenes Todesurteil: Am 26. August 1921 wurde er von rechtsextremen Fanatikern auf offener Straße erschossen. " Zitatende

Kann mich noch an meine Schulzeit erinnern, für unsere Lehrer waren dass alle Novemberverbrecher, erst jetzt, in meinem eigenem Alter kommt die Enttäuschung über mich hoch, was ich da alles geschluckt habe und wie lange ich nach dem Krieg gebraucht habe um hinter diese Kulissen zu schauen. Und wenn der Spiegel nicht gewesen wäre wäre auch dieser Tag wieder unerinnert an mir vorbei gegangen.
Seitdem ich wieder zur Uni gehe beschäftigt mich die neuere deutsche Geschichte.
Gute Professoren, gute Zeiten, große Hörsäle. Die Seminare sind voller grauhaariger, ab und zu ein paar normale Studenten, auf Lehramt. Naja wir nehmen jedenfalls keinen den Studienplatz weg. Ich glaube es besteht mehr Nachfrage über Aristoteles und Kant, über den Determinismus und Intentionalität zu hören Bei den Philosophen muss man sich schon sehr früh anmelden. Die direkte Vergangenheit ist erst interessant wenn sie historisch ist. Vielleicht, hoffentlich, hab ich ja Unrecht.

king
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Re: Vergessen
geschrieben von king
als Antwort auf Gambler vom 27.08.2011, 14:57:58
Seitdem ich wieder zur Uni gehe beschäftigt mich die neuere deutsche Geschichte.
Gute Professoren, gute Zeiten, große Hörsäle. Die Seminare sind voller grauhaariger, ab und zu ein paar normale Studenten, auf Lehramt. Naja wir nehmen jedenfalls keinen den Studienplatz weg. Ich glaube es besteht mehr Nachfrage über Aristoteles und Kant, über den Determinismus und Intentionalität zu hören Bei den Philosophen muss man sich schon sehr früh anmelden. Die direkte Vergangenheit ist erst interessant wenn sie historisch ist. Vielleicht, hoffentlich, hab ich ja Unrecht.


Hallo gambler, ich glaube es besteht ein Interesse an Geschichte, doch wie Du selbst schreibst... gibt es nur einige Studenten auf Lehramt bei Euch.... denn die anderen Arbeitsstellen mit einem derartigen Studiengang sind sehr rar.

king
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Re: Vergessen
geschrieben von king
als Antwort auf king vom 28.08.2011, 09:02:01
Auch ich finde die neuere deutsche Geschichte sehr spannend,
habe aber damals, an der Uni Göttingen, den Studiengang Wirtschaftswissenschaften gewählt, da meine Eltern mich die ganze Zeit " finanziert" haben.

king

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Gambler
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Re: Vergessen
geschrieben von Gambler
Hallo King, vielen Dank für Ihren Beitrag. Entschuldigen Sie wenn ich nicht in das hier vorherrschende Duzen verfalle. Aber ich bin damit immer noch nicht ganz vertraut.

Mein Schreiben bezog sich nicht nur auf den letzten Abschnitt, traurig, vielleicht der falsche Terminus, dann eben enttäuscht war ich dass der Person Erzberger nicht gedacht wurde.
In den Köpfen meiner Altersgenossen, so denn sie sich überhaupt für Geschichte interessieren, ist der Dolchstoss, die roten Verbrecher,usw. da passte ja die Nachkriegszeit und die DDR irgendwie rein, immer noch konstant. Und alles wird und wurde mit allem vermischt.
Will mich nicht auf Erzberger beschränken, war nur eben der Todestag der mich aufweckte.
Vielleicht habe ich auch Angst, bei mir ob meines Alters ja unerheblich, dass diese
Geschichtslosigkeit Tradition wird.

Wenn ich mich an meine Zeit an der UNI Hamburg erinnere, hatte u.a Psychologie bei Hofstätter, da können Sie sicher verstehen das die Angst vor Geschichtsfälschung nicht unangebracht ist. Wieviel Zeit und Kampf gegen das gestrige Denken mussten wir damals aufbringen um unseren Direktor vom Hof zu jagen. Heute darf man keinen mehr an Hofstätter erinnern. Das war übrigens die Zeit, dass man , wenn man den Spiegel las als Kommunist galt.
Aber bevor ich sentimental werde, nochmals vielen Dank für Ihre Antwort.
miriam
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Re: Vergessen
geschrieben von miriam
als Antwort auf Gambler vom 28.08.2011, 11:16:08
Danke Ihnen Gambler - ich hoffe sehr, dass Sie auch noch weitere Themen zu historischen Ereignissen eröffnen bzw. anregen werden.

Persönlich bin ich an diese Themen sehr interessiert, da ich keine gebürtige Deutsche bin, also mich in die Deutsche Geschichte erst verhältnismäßig spät einlesen musste, um überhaupt die Gegenwart bzw. die Nachkriegszeit, zu begreifen.

Seien Sie willkommen im Seniorentreff

Miriam
king
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Re: Vergessen
geschrieben von king
als Antwort auf Gambler vom 28.08.2011, 11:16:08
Hallo Gambler,
ich danke Ihnen für die Antwort. Mein Interesse an Geschichte wurde durch die Erzählungen meiner Mutter geweckt. Ihre Erlebnisse, als junges Mädchen auf der Flucht von Westpreußen, zu Fuß mit dem großen Treck , haben uns allen die Zeitgeschichte sehr nahe gebracht. Auch hatten wir einen sehr engagierten Geschichtslehrer, der es verstand, dieses Unterrichtsfach lebendig zu gestalten. Dieses Glück hatten auch meine Kinder, sie wählten alle den Leistungskurs Geschichte. Mit meinem Schwiegervater, der beide Weltkriege als Soldat miterlebt hatte, wurde stundenlang erzählt und diskutiert.
Selbst die Sendungen von Guido Knopp, der bei den Wissenschaftlern umstritten ist, gaben Anlass zu vielen Diskussionen. Dieses sind zwar alles nur kleine Mosaiksteinchen, aber sie haben mit dazu beigetragen, sich mit dem Thema neuere deutsche Geschichte auseinanderzusetzen.

Wie miriam würde ich mich über einen neuen Beitrag von Ihnen sehr freuen, und Kommunist war ich dann ja auch, beim Spiegel – oder Konkret- Lesen.


king

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netarip
netarip
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Re: Vergessen
geschrieben von netarip
als Antwort auf Gambler vom 27.08.2011, 14:57:58
Hallo Gambler, das finde ich ja lustig. Einer aus dem Heer der Grauhaarigen vom Kontaktstudiengang der Uni Hamburg. Und hier trifft man sich. Bin schon einige Zeit wieder an der Uni. Gefühltes 20. Semester. Geschichte bei Schildt, Berkemann und nicht zu vergessen Oldman Wendt, nur da musste ich im Sommer Semester passen, das überschnitt sich mit den Terminen von Berkemann. Aber das wissen Sie ja alles selber. Nun ist in diesem Semester Greven bei Wirtschaftspolitik wegen Krankheit ausgefallen dadurch hatte ich kein volles Programm. Sehr interessant waren die Vorlesungen von Schramme und Recki in Philosophie, nur Recki hat für 3 Semester einen Forschungsauftrag somewhere, da glaube ich nicht dass ich die wiedersehe. Also ich bin immer noch überrascht. Möglicherweise sehen wir uns ja im Winter Semester.
Zum Thema Erzberger nur soviel, ich bin voll und ganz Ihrer Meinung. Erzberger hat sich für die Volkshelden Hindenburg und Ludendorff geopfert.

Und wenn man dann diesen Bericht in der Zeit von vor ein paar Wochen liest : Zitat" »Erzberger«, so beginnt Kesslers Tagebucheintrag, »mit seiner Spießergestalt, seinem klobigen Dialekt, seinen grammatischen Sprachfehlern fiel zunächst ganz ab [...]. Ich stand unmittelbar hinter ihm an der Rednertribüne, sah seine schlecht gemachten, platten Stiefel, seine drolligen Hosen, die über Korkzieherfalten in einem Vollmondhintern münden, seine breiten, untersetzten Bauernschultern, den ganzen fetten, schwitzenden, unsympathischen kleinstbürgerlichen Kerl in nächster Nähe vor mir: jede ungelenke Bewegung des klobigen Körpers, jeden Farbwechsel in den dicken, fahlen Wangen, jeden Schweißtropfen auf der fettigen Stirn. Aber allmählich wuchs aus dieser drolligen, schlecht sprechenden, ungeschickten Gestalt die furchtbarste Anklage empor" Ende Zitat
da begreift man die Atmosphäre die damals geherrscht haben muss.
Danke für die Erinnerung an diesen Menschen, Deutschland, zu dieser Zeit, hatte einen solche Menschen nicht verdient.
Alles Gute und viele Grüße von Henry.



Gambler
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Re: Vergessen
geschrieben von Gambler
als Antwort auf miriam vom 28.08.2011, 11:30:22
Hallo Miriam, vielen Dank für Ihre netten Worte und den Willkommensgruß. Ja, deutsche Geschichte hat mich schon immer interessiert, war 14 Jahre alt als die Amerikaner in unsere Stadt kamen und o Wunder plötzlich wurde man im Geschäft bedient wenn man nicht Heil Hitler beim Eintreten gesagt hatte. Und der Schulunterricht begann ohne dass man das Deutschland - und das Horst Wessel - Lied gesungen hatte
Aber hinterfragen konnte man nichts, war allen alles peinlich, so wie Ausschlag oder Mundgeruch.
Man lebte in der Kleinstadt in einer sterilen Welt, Die Kirche übernahm dann das was die Partei vorher gemacht hatte, die CDU und da vor allen Dingen Adenauer waren jetzt das non plus ultra. Hätte damals gern manche Kanzelworte aufgenommen. Es hat ewig gedauert bis ich mich von diesem Mief befreien konnte.
Hatte Glück, der Vater meiner ersten Freundin hat mir viel geholfen. Der hatte Bücher, der hatte noch irgendwo Ausgaben der Weltbühne versteckt gehabt, seine Frau hat wohl die ganzen Jahre Blut und Wasser geschwitzt.
Es gibt sicher viele Themen, nur ich bin schon überrascht dass sich einige zu diesem Thema geäussert haben. So ganz ohne Vorsicht habe ich mich ja nicht auf dieses Terrain begeben. Habe von Guttenberg an hier gelesen und wollte mich nie anmelden,
aber jetzt in den Semesterferien hat es dann doch gejuckt. Geht aber wieder vorbei.
Liebe Grüße von Hans - Joachim



king
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Re: Vergessen
geschrieben von king
Oh Gambler, das wäre aber sehr schade, bestimmt gibt es hier viele interessierte Mitglieder, die sich über diese Thema gern austauschen würden.

Auch meine Mutter war in Ihrem Alter, als sie flüchten musste.
Sicher können sie, oder auch mit Ihrem Studienkollegen, wertvolle Beiträge zum Verständnis der neueren deutschen Geschichte hier mit einbringen. Es würde mich sehr freuen.

king
Gambler
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Re: Vergessen
geschrieben von Gambler
als Antwort auf king vom 28.08.2011, 20:09:02
Danke King für die Worte des Mutmachens. Habe zwischenzeitlich mit Netarip per PN
ja was sagt man jetzt , gemailt ?? egal wir haben uns non coram publico ausgetauscht. Werden uns wohl in der Uni begegnen, er hatte wohl hier mal bei ST eine unfreundliche Begegnung. Mit Sympathiepunkt an und ab.
Nur soviel will ich noch zu der Vergangenheit, der Vergangenheit meiner Eltern sagen,
Politik fand bei uns nicht statt, nur in der Nebenwohnung da lebte Opa May. Bei Opa May habe ich mit vier Jahren Lesen Schreiben Rechnen gelernt. Auf einmal war Opa May nicht mehr da, viele Jahre später habe ich erfahren, Opa May war Jude. Kein Grund für meine Eltern sich zu erregen. Und für mich war diese Tragweite nicht erkennbar,
später dann, ich glaube so 1943, da kamen mir die ersten Gerüchte zu Ohren. Zu Hause gab es nur die Ermahnung mich um meine Hausarbeiten zu kümmern.

Geschichte die man selbst erlebt hat ,ist nach meiner Meinung, nicht ohne Philosophie und Psychologie erklärbar, nicht verständlich.

Nach dem Krieg als ich meine erste Freundin kannte hatte ich durch Ihren Vater das erstemal die Geschichte meines Landes und von den Verbrechen und Verbrechern erfahren. Er hatte Tucholski und Ausgaben der Weltbühne, man kann sich heute nicht vorstellen wie mutig das gewesen sein muss. Meine Freundin hat die Beziehung darum beendet. Sie hat schon 1947 gesagt, nun muss doch mal Schluss sein. So unterschiedlich sind Menschen. Und sowenig kann ein Elternhaus einen Menschen prägen.

Nach 1918 gab es die Verlogenheit über den verschenkten Sieg, die Truppen standen noch weit in Feindesland und keiner verstand den Vertrag von Versailles. Das war, vulgär gesprochen, ein fettes Fressen für die Nationalisten. Man muss sich nur mal die Presse der damaligen Zeit zu Gemüte führen. Und dann die Aussagen der Heeresführung, erst schicken sie Erzberger in die Höhle des Löwen und reden dann über verschenkte Siegesmöglichkeiten.
Die Matrosen in Kiel haben dann ja diesem weltfremden Hochmut einen Riegel vorgeschoben.

Die Morde an Luxemburg an Liebknecht an Rathenau und eben Erzberger wurden weitgehend toleriert, sie waren aber nur ein Vorgeschmack auf das was noch kommen sollte. Hitler räumte mal eben ein paar seiner Getreuen weg, Röhm war,angeblich, homosexuell da war das Volk ganz schnell auf der Seite der Mörder. Man war froh dass der spontane Terror der SA weg war, dafür kam dann die SS.

Nur wer hat die finanziellen Mittel diese ganzen Beweise zu lesen. Ich kann zur Staatsbliothek gehen und mich stört keiner. Nur dieses Privileg habe ich erst nach meiner Arbeitszeit erlangt.
Habe seit ewigen Zeiten die Zeit , den Spiegel ja auch Konkret gelesen. Aber das war
doch nichts gehen das Material was ich jetzt zur Verfügung habe.Und nichts gegen die Professoren die mit großem Engagement an der Uni lehren.

Von meinem Sohn kenne ich nur den Spruch, das beste an der Uni ist die Mensa.

Aber ich werde weiterhin zur Uni gehen, auch in die Mensa aber nicht wegen der Mensa.
Danke für Ihre Geduld wenn Sie bis hier gelesen haben. Gambler






















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