Fernsehen und Film Pius XII

clara
clara
Mitglied

Pius XII
geschrieben von clara
Im Mittelpunkt dieses Fernsehfilms, den ich gerade gesehen habe, steht ein Papst, „der sich 1943 bezüglich des Kriegsgeschehens für unparteilich erklärt und darum kämpft, Rom vor Hunger und Zerstörung zu bewahren.“ So die Ankündigung.
Ob es die geschichtliche Wahrheit ist, die in dem auf Publikumswirksamkeit angelegten Melodram gezeigt wurde, kann ich nicht beurteilen. Einige Historiker meinen, der Papst hätte damals mehr tun können, z. B. in einer Botschaft ganz klar und offen das Naziregime und die Deportationen der Juden, die vor seinen Augen geschahen, verurteilen müssen. Er hätte im Namen der Menschlichkeit das Konkordat zwischen Vatikan und Deutschland missachten müssen.

Pius XII

Wer hat den Film auch gesehen, bzw. welchen Eindruck hat er hinterlassen?

Morgen nun bringt arte als Gegenstück das 1963 uraufgeführte Drama von Rolf Hochhuth, „Der Stellvertreter“ (gemeint ist wieder Pius XII), das damals Theaterskandale, Proteste und sogar Demonstrationen auslöste und das ich als junger Mensch staunend las. Kein Wunder, hatte zu dieser Zeit noch keine Vergangenheitsbewältigung statt gefunden, geschweige denn, überhaupt in der Gesellschaft offen geführte Diskussionen. Hochhuth hat den Papst doch etwas anders dargestellt, als ihn uns diese Fernsehproduktion vorführt.

Clara

Karl
Karl
Administrator

Re: Pius XII
geschrieben von Karl
als Antwort auf clara vom 01.11.2010, 23:29:19
Wer hat den Film auch gesehen, bzw. welchen Eindruck hat er hinterlassen?
ich habe ihn gesehen und der Papst hat auf mich den Eindruck eines verzagten, wenig selbstbewussten Mannes gemacht, der vom Ergebnis seines Tuns her ein nützlicher Idiot Hitlers war, der im Kleinen geholfen und im Großen versagt hat. Das Bild passt zu dem mir präsenten historischen Bild von Pius XII.

Karl
clara
clara
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von clara
als Antwort auf Karl vom 02.11.2010, 00:38:38
Ob irgend ein Papst anders gehandelt hätte? Auf Machterhalt war ja das Papsttum immer angelegt und ging auch schon immer über Leichen! Im Nachhinein weiß man, dass es die Absicht Hitlerdeutschlands war – darüber gibt das Tagebuch Goebbels den eindeutigen Beweis – die Kirchen mehr oder weniger abzuschaffen. Sinngemäß schreibt Goebbels, dass man sich nach dem Krieg der Kirchen „annehmen“ würde.
Hier ging es wohl primär um Selbsterhaltungstrieb.

Clara

(P.s.: Gute Besserung, Karl!)

Anzeige

olga64
olga64
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von olga64
als Antwort auf clara vom 02.11.2010, 14:39:11
Wie alle (reichen) Institutionen ist auch der Vatikan (sowie alle Kirchen und KOnfessionen) auf Machterhalt ausgelegt.Erstaunlich ist nur, dass es mittlerweile keines Diktators mehr bedarf, um die Kirchen in ihrer Bedeutung sehr stark zu dezimieren. Dies erledigen diese selbst: sei es durch überaltete Prozedere (alte Männer in roten Kleidern und Rauch aus dem Kamin,wenn ein neuer Häuptling installiert wird und natürlich ohne Frauen) und die Missbrauchsvorfälle, bzw. deren Reaktion darauf. Olga
silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von silhouette
als Antwort auf clara vom 01.11.2010, 23:29:19
Dieser Papst hat während des 3. Reiches zwar viele jüdische Flüchtlinge in seinen Klöstern verstecken lassen, aber eben nicht bis zur letzten Konsequenz beschützt, viele "flogen" trotzdem auf und erlitten das "übliche" Schicksal. Siehe auch der französische Film "Auf Wiedersehen Kinder".

Schlimmer war seine Handlungsweise nach dem Krieg: er hat aktiv daran mitgeholfen, dass ein paar Hunderte führender Nazis vor der Verfolgung flüchten konnten. Zusammen mit seinem übernächsten Nachfolger Paul VI. und einem Steirer namens Hudal, sowie unter wirkungsvoller Mithilfe des Internationalen Roten Kreuzes bei der Beschaffung neuer Pässe konnten Hunderte dieser "Herren" mit neuer Identität nach Südamerika entkommen. Dort erwarteten sie u.a. interessante Aufgaben im Dunstkreis des amerikanischen Geheimdienstes. Das von den Amerikanern benutzte Schlagwort für diese Fluchtwege heißt "Rattenlinie". Unter diesem Begriff ist es nicht nur bei Wiki beschrieben.

Zu den über die Rattenlinie Geflüchteten gehörten so "schwere Jungs" wie Eichmann, Mengele, Priepke, Barbie, um nur die Namen zu nennen, die in späteren Jahren wegen ihrer spektakulärer Prozesse durch den Blätterwald rauschten.
clara
clara
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von clara
als Antwort auf silhouette vom 02.11.2010, 19:56:25
Hallo Silhouette,

was Du hier richtig schreibst, wurde gestern in dem spannenden und aufrüttelnden Film nach Hochhuths „Der Stellvertreter“ bedeutend realistischer dargestellt, als in „Pius XII“. Besonders auch, als am Ende der Verbrecher von einem Kleriker einen „Persilschein“ nach Argentinien bekam.

Aufgrund der hauptsächlich in der kath. Kirche aufgedeckten Skandale scheint ja das Fernsehen momentan Kritik am Vatikan zu wagen und nicht nur bei den harmlosen und verharmlosenden Filmchen über gutmütige Pfarrer und clevere Nonnen zu verharren. So bringt arte heute eine weitere Sendung mit dem Titel „Die wahre Macht des Vatikan“, auch in zwei direkt aufeinander folgenden Teilen. Dabei behandelt Teil 1 ebenfalls die Rolle des Vatikans im Nationalsozialismus.

Hier noch ein Auszug aus dem Vorwort zum „Stellvertreter“, geschrieben 1962 von Erwin Piscator, dem damaligen Intendanten der Freien Volksbühne Berlin, wo das Drama uraufgeführt wurde:
Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ ist einer der wenigen wesentlichen Beiträge zur Bewältigung der Vergangenheit. Es nennt schonungslos die Dinge beim Namen; es zeigt, daß eine Geschichte, die mit dem Blut von Millionen Unschuldiger geschrieben wurde, niemals verjähren kann; ...

Es lohnt also nach wie vor, sich mit dem Stück und diesem Teil der deutschen Geschichte zu beschäftigen.

Gruß, Clara

Anzeige

silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von silhouette
als Antwort auf clara vom 03.11.2010, 14:36:29
Besonders auch, als am Ende der Verbrecher von einem Kleriker einen „Persilschein“ nach Argentinien bekam.


Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ ist einer der wenigen wesentlichen Beiträge zur Bewältigung der Vergangenheit. Es nennt schonungslos die Dinge beim Namen; es zeigt, daß eine Geschichte, die mit dem Blut von Millionen Unschuldiger geschrieben wurde, niemals verjähren kann; ...


Dieser Kleriker hat existiert, es war eben jener Hulad aus der Steiermark, ein kleiner Monsignore im großen Apparat des Vatikans, der nach außen die "Arbeit" machen durfte, damit die
großen Herren im Hintergrund bleiben konnten.

Ich erinnere mich nur noch dunkel an den Wirbel, den Hochhuth mit seinem Theaterstück damals verursacht hat. Es wurde ja auch erstmal verboten. In den 60er Jahren! Die Diffamierungen, die sich über ihn ergossen, waren unvergleichlich heftiger als das, was so in der Bevölkerung über die großen Nazis geurteilt wurde. Diffamiert wird heute noch genauso schnell und heftig, nur die Zielscheiben sind andere.
olga64
olga64
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von olga64
als Antwort auf silhouette vom 03.11.2010, 21:15:17

Ich erinnere mich nur noch dunkel an den Wirbel, den Hochhuth mit seinem Theaterstück damals verursacht hat. Es wurde ja auch erstmal verboten. In den 60er Jahren! Die Diffamierungen, die sich über ihn ergossen, waren unvergleichlich heftiger als das, was so in der Bevölkerung über die großen Nazis geurteilt wurde. Diffamiert wird heute noch genauso schnell und heftig, nur die Zielscheiben sind andere.[/quote]

Schlimm ist aber auch im Gegenzug, wie lächerlich Hochhuth sich heute selbst macht: in seinem unnötigen Streit mit dem Berliner Theater und Peymann; dazu eine Aufführung mit so Leuten wie Heesters und Caroline Beil. Schade, den Hochhuth imponierte mir früher sehr - oft wissen "ehemalige Helden" dann leider nicht, wann sie keine (Helden) mehr sind - auch dies ist ein Machtanspruch, den Menschen nicht aufgeben wollen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie sich nur noch lächerlich machen. Olga
silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von silhouette
als Antwort auf olga64 vom 04.11.2010, 16:59:41
Bei diesen beiden Theatergrößen muss man sich fragen, wer von ihnen der senilere und eitlere Streithammel ist.
clara
clara
Mitglied

Re: Pius XII
geschrieben von clara
als Antwort auf silhouette vom 05.11.2010, 12:40:12
Obwohl es nichts mehr mit dem Ausgangsthema zu tun hat, nochmal kurz zu Rolf Hochhuth:

Ob diese Streitigkeiten ein Zeichen von Senilität sind, darüber lässt sich spekulieren. An Eitelkeit glaube ich eher, da wären sie nicht die ersten Künstler. Viele Autoren, selbst die größten, haben sich schon lächerlich gemacht, besonders, wenn sie kaum noch etwas zu verlieren oder zu gewinnen haben. Die meisten Künstler wünschen sich nichts sehnlicher, als Aufmerksamkeit, mehr noch als gewöhnlich Sterbliche!

Vor einiger Zeit stand ich vor dem Grab, das Hochhuth für sich und seine Frau (sie ist dort schon bestattet) auf dem Berliner St. Matthäus-Kirchhof erwarb. Es liegt ganz in der Nähe zu den Grabstätten der Brüder Grimm und fällt nach meiner und der Meinung vieler Berliner durch ziemlich kitschige Figuren (Musen?) auf.

Von Rolf Hochhuth erschien nach der Wende das Theaterstück „Wessis in Weimar“, das anzusehen ich Gelegenheit hatte. Darin werden nach authentischen Vorkommnissen fragwürdige Machenschaften von Westdeutschen aufgezeigt, die z. B. auch zu Selbstmorden der über den Tisch Gezogenen führten. Das Stück ist nach meinem Empfinden qualitativ und dramaturgisch nur ein Abklatsch vom „Stellvertreter“ oder auch noch den „Soldaten“ und wird m. E. nicht überdauern. Ich fand es auch nicht besonders spannend, obwohl es damals aktuell war.

Clara

Anzeige