Forum Kunst und Literatur Fernsehen und Film "Sieben Mulden und eine Leiche"

Fernsehen und Film "Sieben Mulden und eine Leiche"

angelottchen
angelottchen
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"Sieben Mulden und eine Leiche"
geschrieben von angelottchen
so lautet der Titel eines Films des Schweizer Journalisten Thomas Haemmerli. (Mulden steht für Müllcontainer)Inhalt des Films: Die vereinsamte Mutter des Filmmachers ist verstorben und wird in ihrer völlig vollgemüllten Wohnung gefunden. Die Söhne werden ausfindig gemacht und müssen nun die Wohnung der toten Mutter entsorgen. Haemmerli hat die Kamera immer dabei und hält voll drauf - auch auf die Verwesungsspuren der Stelle, an der die tote Mutter gelegen hat.

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Hier zunächst die Kritik von cineman.ch:

Sieben Baumulden füllen Thomas Haemmerli und sein Bruder Erik während den vierwöchigen Räumungsarbeiten der Dreizimmerwohnung ihrer Mutter. Nachdem ein Mitarbeiter von Rentokill die Leichenspuren der Mutter vom Boden gekratzt hat, machen sich die Brüder mit zugehaltener Nase auf, die Berge von Papier, Fotos, Haushaltsgeräten, Kleider, Katzenkacke - und was man sich sonst alles lieber nicht vorstellen will - aufzuräumen. Denn Haemmerlis Mutter war ein Messie.

Als der Sohn die Wohnung der Mutter betritt, zückt er aus journalistischem Instinkt die Kamera. Der Screen der Videokamera hält ihm den Schock der Eindrücke auf armlanger Distanz. Der professionelle Reflex, der Haemmerli vorerst vor der Krise rettet, wird im Film zum Stilmittel. Dies erlaubt es ihm, nicht in die Falle zu tappen, die er Jahre zuvor in einem kleinen Dokukurzfilm persifilierte. «Dokumentarfilm: eine Anleitung» heisst das kleine, böse Werk, das mit all den «Gspürschmi»-Dokufilmer abrechnet, die den Tod eines Elternteils mit melancholischer Musik verarbeitet haben wollen. Haemmerli hingegen will nicht gefühlsduseln, sondern unterhalten. Das funktioniert streckenweise sehr gut - sein unverblümter Sarkasmus und rabenschwarzer Humor befreien den Zuschauer von der Betroffenheit und halten viele erleichternde Lacher bereit.

So richtig spannend wird es ab dem Zeitpunkt, als Haemmerli die Kamera aus der Hand gibt. Zwar immer noch bemüht, seinen Humor zu behalten, geht es ihm ohne Realitätsfilter spürbar an die Eingeweide. Der Bruch tut gut, denn hier entfaltet sich eine persönlichere Seite seines Films. Die Auseinandersetzung mit dem Müll nämlich, das Aufräumen mit der Vergangenheit - jener der Mutter, der Familie und der eigenen. So werden Müll- und Vergangenheitsbewältigung quasi zum Synonym. Das ist pickelharte Trauerarbeit, welche die Gebrüder Haemmerli sich da vor laufender Kamera zumuten. Und das ist wahrscheinlich mehr Seelenstriptease, als ihnen lieb ist.

Die Konfrontation befreit: Angetrieben durch die reinigende Kraft der Baumulde bzw. des Kaminfeuers, die dankbar alles schlucken, was man ihnen in die Rachen wirft, wird Platz für Neues geschaffen. Der Müllberg verwandelt sich plötzlich in einen reichhaltigen Fundus mit hunderten von Fotos, Film- und Super-8-Aufnahmen, Zeitungsausschnitten, Gerichtsprotokollen etc. Und je leerer die Wohnung wird, desto üppiger wird die bunt illustrierte Familiengeschichte. Trotzdem: Der Leichengeruch bleibt noch eine Weile in der Nase haften. [Text: Beatrice Minger]

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Nachdem ich eine Ankündigung des Films auf 3SAT gesehen hatte und nun die Gelegenheit hatte, mir den Film in einem Filmclub in Bonn anzusehen, bin ich auch nach Tagen noch ziemlich geschockt - geschockt, warum Söhne das Elend ihrer Mutter und auch die intimsten Familiengeheimnisse quasi in Form einer "schwarzen Komödie" der Öffentlichkeit preisgeben. geschockt, weil diese Art von "Trauerarbeit" irgendwie etwas völlig neues für mich ist und geschockt, weil der Regisseur bzw Macher des Films offenbar ein weltmeister im Verdrängen ist - und ich war wahrscfheinlich nicht die einzige, die sich gefragt hat, warum diese Söhne sich nicht um die lebende Mutter gekümmert haben, warum haben sie sie so vermüllen lassen und schlagen nun Kapital aus ihrem Elend? Aber ich habe ja vielleicht ein verquertes Bild von moderner Filmkunst und vielleicht mag sich die/der eine oder andere einmal durchlesen, was das Schweizer (Aargauer) Kuratorium Film dazu schreibt. Auf jeden Fall wäre es interessant, Eure Meinung zu einem soöchen Film zu lesen.
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angelottchen
Re:
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf angelottchen vom 11.04.2007, 07:43:47
Liebes Angelottchen,
ich würde gerne meine Meinung dazu schreiben, wenn ich den Film gesehen hätte. Aber über etwas, was man so gar nicht kennt, kann man sich eigentlich kaum äußern, es sei denn, man hätte wenigstens Ausschnitte gesehen oder Hörproben gehört, wie es bei mir im Fall von dem von Elfenbein erwähnten Schulfilm war.
Deine Beschreibung ist aber sehr interessant und auf alle Fälle für mich abschreckend. Ich glaube nicht, dass ich den Film jetzt überhaupt noch sehen wollte, selbst wenn er hier liefe, was er zur Zeit nicht tut.
Ich finde es auch ziemlich zum K. . . , wenn man Kapital schlägt aus dem eigenen Leid (so es denn in diesem Fall überhaupt eins war) und sich und sein Privatleben auf diese Weise vermarktet. So viel Coolness ist schon ziemlich hartgesotten und fast zynisch, aber zur Zeit sehr "in". Gefühle zeigen ist vollkommen "out", aber vielleicht kommt das irgendwann auch wieder.
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Gruß marina

P.S. Wie war der Film denn in 3 SAT besprochen? Fanden die den gut? Ich gucke die Sendung "Kulturzeit" (da war das sicher) fast jeden Abend, wenn ich kann, aber das habe ich verpasst. Bestimmt wieder wegen dem ST.
angelottchen
angelottchen
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Re:
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.04.2007, 12:39:31
Liebe marina - sicher werden die wenigsten diesen Film gesehen haben oder kennen - vielmehr berührt mich die Art und Weise, in der hier ein nun erwachsener Mann scheinbar seine Versäumnisse, seine Trauer und seine ungelebten Gefühle austobt. Persönlich finde ich, eine Mutter kann noch so schlecht gewesen sein - so kann man mit keinem Menschen umgehen, zumal er sich nicht mehr wehren kann.

Sie nach ihrem Tod so aus und in den Dreck zu ziehen und in Kinolänge zu zeigen, wie vermüllt sie war und wie da jemand die Verwesungsreste der Mutter vom Boden kratzt ... bei allem Sinn für skurrilen und schwarzen Humor bleibt einem da jeder leisteste Lacher, so er sich ankündigt, im Hals stecken.
Hier noch ein paar mehr Infos zu dem Film:

http://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_Mulden_und_eine_Leiche

http://www.messiemother.com/
und unten noch ein Link zum Trailer ----
angelottchen
lollipop
lollipop
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Mulde, Mutter und Messi
geschrieben von lollipop
als Antwort auf angelottchen vom 11.04.2007, 13:24:00
Liebloses Verhalten erwachsener Kinder alten Eltern gegenüber gibt es öfters als man sich vorstellen kann.
Nur wird es selten publik gemacht.
Da zieht man sich zurück und wird im schlimmsten Fall Messi- wie im Film zu sehen - oder man hat die Kraft und den Mut, alles hinter sich zu lassen und im Alter noch einmal neu anzufangen.
Das Nichtverstehen, das aber wird bleiben ein Leben lang.
lollipop
enigma
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Re: Mulde, Mutter und Messi
geschrieben von enigma
als Antwort auf lollipop vom 11.04.2007, 20:59:34
Soso, der Journalist wendet sich mit dieser Art der Be- und Verarbeitung gegen "Gefühlsduselei" und bevorzugt den "rabenschwarzen Humor" als Verarbeitungsstrategie beim Tod nahestehender Familienmitglieder (in dem Fall der Mutter).
Für mich spricht schon die Tatsache, dass die Vereinsamung der Mutter, der Zustand der Wohnung und insgesamt die Verwahrlosung entweder den Söhnen nicht bekannt oder bewusst ignoriert wurde, eine eigene Sprache, nämlich die einer tief gestörten Eltern-Kind-Beziehung, aus welchen Gründen auch immer.
Ich könnte mir absolut nicht vorstellen, dass mir,
wo immer ich leben und/oder arbeiten würde, solche Zustände im Leben meiner Eltern (die leider nicht mehr leben) nicht bekannt würden.
Und ebenso klar ist es, dass man da Abhilfe schaffen kann und seine alten Eltern nicht in solch einer Verwahrlosung leben lassen muss.
Wenn man es nur will.....
Also: Ich verzichte auf die Bewältigung à la Haemmerli, auch filmisch!

--
enigma

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