Geisteswissenschaft / Philosophie Das ist unser Haus

Bias
Bias
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Das ist unser Haus
geschrieben von Bias

Esse est percipi

Nein, ich bin kein Lateiner.
Hab lediglich ein paar Sprüche aus der Lektüre von Asterix auf Lager und darüber hinaus noch etwas Angelesenes und Gemerktes.

Gemerkt habe ich mir beispielsweise George Berkeleys zentrale These, esse est percipi, die mit „Sein heißt wahrgenommen werden“ übersetzt werden kann (Gg. Berkeley, 1685 – 1753).

Eingefallen ist sie mir als gegen Ende des Stuttgarter Tatorts „Unser Haus“ die älteste Seniorkommunardin etwas resigniert gemeint hat, dass trotz allen Unzulänglichkeiten und allem Ungemach in solchen Gemeinschaften, das Leben innerhalb derer dem einsamen Dasein im Reihenhaus vorzuziehen sei; wo es im Zweifel niemand bemerkt wenn und dass man tot ist.

Wie viele Menschen, habe ich gedacht,
wie viele mögen ihr Leben, oder einen Teil ihres Lebens, zubringen ohne je das Gefühl zu haben wahrgenommen zu werden?
„Was macht das mit ihnen“, habe ich mich ganz im Stile der Hausgemeinschaft gefragt.
Berkeley zufolge wären, bzw. existierten sie eigentlich nicht; und doch leben sie unbestreitbar.

Mögt ihr den Gedanken weiterspinnen auch wenn Berkeleys philosophische Überlegung zunächst reichlich gaga klingt?

 

Mareike
Mareike
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Bias vom 20.01.2021, 11:29:11

Das wurde dieser Tage in anderer Form in einem wenig beachteten Faden angesprochen.
 

Wieviele Menschen im Altenheim  hatten vor 2020 regelmäßig Besuch?

Wie oft drückt man sich, sieht es als lästige Pflicht, Mitmenschen zu besuchen, anzurufen, ... ?

Und jetzt, wo Kontakte eingeschränkt werden sollen, rebelliert man.

Und die Frage war, ob es am Muss liegt, dass man rebelliert?

Mein Gedankengang geht in die Richtung, dass wir auf (die) Gesellschaft angewiesen sind, obwohl wir im Kern doch mit uns selber alleine sind. Selten sehe ich Paare, die  sich wirklich gegenseitig bereichern ...
In Familien ist es ähnlich.
In WGs erst recht ...
 
Mareike
Mareike
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Mareike vom 20.01.2021, 11:59:50

Ich möchte ergänzen:
Wirklich wahrnehmen heißt, die eigene Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Anderen wahrzunehmen und zu respektieren. Das hat dann auch viel mit Freiraum zulassen zu tun.


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Bias
Bias
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Bias
als Antwort auf Mareike vom 20.01.2021, 11:59:50

Eine Stufe unter dem was Du schreibst angesiedelt, Mareike:

"Weißt Du, irgendwann bemerkst du dann, dass sie dich übersehen oder durch dich hindurch gucken", hat mir Susanne, eine alte Freundin, vor Jahren erzählt.
"Das ist ernüchternd", hat sie gemeint, "ernüchternd und transportiert auch ein ganzes Stück Kränkung".

Susanne war früher das, was man ohne Übertreibung bildhübsch nennen darf.
Sie war es gewohnt wahrgenommen zu werden.
Wahrgenommen bis hin, dass Mann - und manchmal sicherlich auch Frau - ihr hinterher sah.

Heute geht sie krankheitsbedingt kaum mehr aus dem Haus, hat enorm zugenommen, hat aber zum Glück noch ihren sie liebenden Mann und etwas Verwandtschaft um sich herum und meistert ihr Leben klaglos.
Jährlich zu den Geburtstagen rufen wir uns gegenseitig an; das wars dann auch.

Mareike
Mareike
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Bias vom 20.01.2021, 12:31:58

Bildhübsch - gewohnt wahrgenommen zu werden.

Mir kommen Theorien von Gehirnforschern in den Sinn, die die Rolle der Hormonen als Botenstoffen zum Gegenstand haben 😆 vergl.: https://zeitzuleben.de/aus-der-gehirnforschung-liebe-wie-geht-das/
Zitat: "Wenn wir uns verlieben, ist ein Stoff in unserem Gehirn ganz besonders stark festzustellen: das Glückshormon Dopamin, das das berühmte Verliebtheitsgefühl in uns auslöst. Außerdem steigt auch unser Testosteronspiegel an. Das Hormon, das für unser sexuelles Verlangen verantwortlich ist. Übrigens sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Durch Verliebtheit und sexuelle Nähe wird ein weiterer Stoff verstärkt produziert: das Oxytocin, das gleichzeitig Hormon und Botenstoff in unserem Gehirn ist. Oxytocin ist dafür verantwortlich, dass wir uns einem anderen Menschen stärker verbunden fühlen. Deswegen ist es auch als Bindungshormon bekannt geworden."

Dazu dein Witz mit der Else: " Neugierig geworden schleicht sie ihm eines Tages nach und sieht ihn durch den Türspalt die Daumen gegen die Schläfen drücken und hört ihn murmeln:
„Es ist nicht die Else, es ist nicht die Else“ im Thread Lach mal wieder.

Gibt es eine höhere Stufe?
Und wie kommt die zustande?

Der-Waldler
Der-Waldler
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf Mareike vom 20.01.2021, 12:20:59
Ich möchte ergänzen:
Wirklich wahrnehmen heißt, die eigene Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Anderen wahrzunehmen und zu respektieren. Das hat dann auch viel mit Freiraum zulassen zu tun.

Spontaner Gedanke: Vielleicht anschliessend auch noch die eigenen Bedürfnisse und die des Anderen in Einklang bringen bzw. bereit sein zu Entgegenkommen und ggfs. auch zu Verzicht.

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Edita
Edita
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Edita
als Antwort auf Mareike vom 20.01.2021, 12:20:59
Ich möchte ergänzen:
Wirklich wahrnehmen heißt, die eigene Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Anderen wahrzunehmen und zu respektieren. Das hat dann auch viel mit Freiraum zulassen zu tun.
Wahrnehmen heißt - mit den Sinnen erfassen - sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken, das hat mit eigenen oder fremden Bedürfnissen erst mal nichts zu tun, sondern nur mit der Feststellung, daß da etwas oder wer, neben einem vorhanden ist, daß man sich nicht in einem sonst leeren Raum befindet.
Was die Wahrnehmung dann mit einem macht, das hängt von diversen Faktoren ab, z.B. von vorhandener Empathie und überhaupt die Fähigkeit dazu, von Erlebnissen, von Vorerfahrungen, von Interesse, von Neugier, vielleicht sogar von der momentanen eigenen Gefühlslage, ab.
Andere Menschen respektieren zu können wie sie wirklich sind, das hat mit Wahrnehmung nichts zu tun, aber mit Respekt, Akzeptanz, Toleranz und Empathie, wenn mir jemand, den ich ansonsten in seiner Art sympathisch finde, erklärt, daß ich eine Idiotin bin, dann kann ich das wegstecken oder annehmen, und darüber nachdenken, aber wenn mir das jemand sagt, den ich eh schon gefressen habe, dann ist mehr oder weniger high noon, dem Anderen zuzugestehen, daß er der Meinung ist, ich sei ein Idiot und ihm trotzdem nett, freundlich, höflich, vielleicht sogar freundschaftlich begegnen zu können, das ist die hohe Schule der empathischen Kommunikation!
Edita besucht diese Schule ........    😉

Edita

 
Syka
Syka
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Syka
als Antwort auf Bias vom 20.01.2021, 12:31:58

Das, was deine Frreundin Susanne heute empfindet und erlebt haben "Mauerblümchen" schon in jungen Jahren erfahren. Und sicher gab es auch Jungs, die übersehen wurden.

Bei letzteren konnte ich des öfteren beobachten, dass sie mit zunehmendem Alter meistens stark gewonnen haben, im Aussehen und auch in der Ausstrahlung. Ob es an der Erfahrung der jungen Jahre liegt? Oder haben sie gelernt, wie man es doch noch zum "Gesehen-werden" bringen kann durch Charme oder beruflichen Erfolg?

Bias
Bias
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Bias
als Antwort auf Syka vom 20.01.2021, 13:46:24
Das, was deine Frreundin Susanne heute empfindet und erlebt haben "Mauerblümchen" schon in jungen Jahren erfahren. Und sicher gab es auch Jungs, die übersehen wurden.

Bei letzteren konnte ich des öfteren beobachten, dass sie mit zunehmendem Alter meistens stark gewonnen haben, im Aussehen und auch in der Ausstrahlung. Ob es an der Erfahrung der jungen Jahre liegt? Oder haben sie gelernt, wie man es doch noch zum "Gesehen-werden" bringen kann durch Charme oder beruflichen Erfolg?
geschrieben von Syka
Heute dürfte sie sich damit abgefunden haben (hat sie sicher auch).
Doch ich kann es mir recht gut vorstellen, Syka, wie viel Kränkung darin liegt wenn so eine Frau zum ersten Mal wirklich bemerkt, dass sich die Aufmerksamkeit von ihr abwendet.

Berkeley ist vorgehalten worden, auch nicht Wahrgenommenes sei doch.
Seine Antwort darauf soll gewesen sein, es sei in den Augen Gottes.

Meine Überlegung abseits seiner Theorie ist, was geschieht mit Menschen denen keine Wahrnehmung mehr zukommt?
Um im Bild der alten Kommunardin zu bleiben: Leute die im Reihenhaus versterben wie jene Nachbarin aus der Baugrube.
Niemand bemerkt sie während sie leben, niemand bemerkts wenn sie gestorben sind.

Gut, könnte man meinen, für die ist das Internet, sind Foren im Internet wie dieses ein Segen (sind sie wahrscheinlich auch und dafür ist den Admins zu danken).

Na gut, Berkeley folgend existieren sie in der Wahrnehmung Gottes.
Doch ist es das was den Menschen erfüllt, was ihm Selbstwert, Nähe und Geborgenheit vermittelt?
 
Edita
Edita
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RE: Das ist unser Haus
geschrieben von Edita
als Antwort auf Roxanna vom 20.01.2021, 14:25:41

Ja Roxanna, das kann der im Wohnblock oder im Hochhaus, aber der, der absichtlich in der Schule, am Arbeitsplatz oder sonstwo sozial aus- oder abgeschnitten wird, dem hilft das nichts .......
Diese Art von Ignoranz und Isolation ist schlimmer als jede Beleidigung ......... das grenzt an Todesstrafe .......

Edita

 


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