Forum Wissenschaften Geisteswissenschaft / Philosophie Das Leben oder das Sterben verlängern?

Geisteswissenschaft / Philosophie Das Leben oder das Sterben verlängern?

olga64
olga64
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von olga64
als Antwort auf Der-Waldler vom 11.01.2021, 17:00:32

Auch wenn wohl für jeden von uns Tod und sterben ein Angst besetztes Thema ist, müssen wir damit umgehen und permanente Verdrängung hilft nichts, weil u.a. auch letzte Dinge frühzeitig geregelt werden sollten.
Mein Freund und ich begaben uns auch auf einen laienhaften, philosophischen Weg, um Tod/Sterben und diese Seuche in Zusammenhang zu setzen:

Oft denken oder sagen auch wir in diesen "engen Zeiten" - wieder ein Tag vorbei. Setzen wir dies jedoch mit unserer verbleibenden Lebenszeit in Verbindung, kann as auch bedeuten: wieder ein Tag weniger.
In glücklicheren Zeiten entfällt meist das "wieder ein Tag vorbei", weil man diese Zeiten ja gerne ausdehnen möchte und sie nicht so schnell vergehen sollten.
Olga

Syka
Syka
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Syka
als Antwort auf Bias vom 11.01.2021, 13:01:29

Danke für den Link, Bias.

Wer kann für sich garantieren, im Zweifelsfall nicht doch lieber ins Krankenhaus gebracht zu werden in der Hoffnung auf Lebensverlängerung?
Die Vernunft rät einem, loszulassen, wenn keine Hoffnung mehr besteht. Aber wo genau ist der Punkt, sich einzugestehen, dass wirklich keine Hoffnung mehr ist auf Besserung oder wenigstens Beibehaltung der gerade noch auszuhaltenden Beschwerden?

Ist der Mensch alt und sein Körper verbraucht, sollte man ihn wirklich in Frieden in der Umgebung sterben lassen, die er sich wünscht.
Meine Mutter wurde vor einigen Jahren, es werden jetzt 10 Jahre, erfolglos an Krebs operiert. An Ostern war sie im Krankenhaus und hat gedrängelt, wieder heim zu dürfen. Die Krankenkasse war sehr behilflich, Krankenbett und sonstige Hilfsmittel zu stellen und sie konnte noch wenige Monate daheim sein und ich konnte mich um sie kümmern. Sie starb trotzdem überraschend schnell im Juli desselben Jahres, hatte kaum Schmerzen dank ihrer robusten Natur. Wir hatten noch gute Wochen miteinander und sparten auch nicht aus, über Sterben und Tod zu sprechen. Und ich durfte bei ihrem Sterben dabei sein, ihre Hand halten und erleben, wie „sie“ ging, nur noch den Körper zurückließ.

Sie hatte nicht den Trost, den ich bei einer mütterlichen Freundin erlebte, mit „dem da oben“ einen gläubigen Kontakt zu halten. Trotzdem war sie an ihrem Lebensende sehr friedlich geworden und so durfte sie auch gehen.
 

Der-Waldler
Der-Waldler
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RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf Syka vom 11.01.2021, 22:50:13

Ich habe bei meiner Mutter erlebt, dass sie irgendwann "nicht mehr wollte", dass es "genug" war.

Ihre letzten zehn Jahre lebte sie bei meiner Frau und mir, da es für sie nach einem schweren Schlaganfall extrem schwer war, sich selbst zu versorgen. Es waren gute zehn Jahre, in denen wir uns sehr nahe waren, ja, näher als in den 20 Jahren zuvor. Auch wenn sie in dieser Zeit einen zweiten Schlaganfall erlitt sowie drei Krebserkrankungen (Brust, Galle, Haut) ertragen musste, lebte sie gern und nahm am Leben von meiner Frau und mir sehr angenehmen, empathischen Anteil.

Aber irgendwann war sie müde. Und auch "lebenssatt". Das sagte sie selbst auch mehrfach. Und irgendwann einmal Anfang 1998, mitten in einem Gespräch im Auto (wir saßen beide hinten), sah sie mich an, staunte, sagte so etwas wie "Ohhh" und schloss die Augen. Ich wusste sofort, dass sie tot war und nahm sie in meine Arme, während der Fahrer an den Straßenrand fuhr und von einem Geschäft aus den Notarzt rief (handy hatte damals kaum jemand). Ich wusste, dass es vergeblich sein würde, denn ich hatte schon Monate lang gespürt, dass es für sie "genug" war... Und so konnte der Notarzt auch nichts mehr machen, und ich glaube, es war gut und richtig so, keine Wiederbelebungsversuche mehr gemacht zu haben. Nicht auszudenken, wenn sie noch wochen- oder monatelang an Geräten gehangen hätte, das wollte sie NIE.


Ich denke, die Zeit seit dem ersten Schlaganfall bis zu ihrem Tod war ein gutes "verlängertes Leben"; es wäre ein "verlängertes Sterben" geworden, wenn sie diesen "Plötzlichen Herztod" (Kammerflimmern) überlebt hätte.


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Bias
Bias
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Bias
als Antwort auf Der-Waldler vom 12.01.2021, 08:11:32
Ich habe bei meiner Mutter erlebt, dass sie irgendwann "nicht mehr wollte", dass es "genug" war.
. . irgendwann war sie müde. Und auch "lebenssatt".
geschrieben von Der-Waldler
1. Mose, 25: "Und er nahm ab und starb in einem ruhigen Alter, da er alt und lebenssatt war, . ."
Eine schöne Vorstellung, oder?
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Doch wo geht es hin?
Epikur hat gemeint: Was interessierts Dich. Dort wo du bist ist der Tod nicht und wo der Tod ist da bist du nicht mehr.

Ich denken:
Dorthin wo du warst als du nicht in der Welt warst. Es gab nichts Schlimmes daran; weder für dich noch die Welt.
Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf Bias vom 12.01.2021, 18:54:34

Ja, ein solches Sterben ist eine schöne Vorstellung.

Ob es nach dem Sterben "irgendwohin" geht, dazu habe ich (noch) keine dauerhaft stabile Meinung. Aber ich denke, dass irgendetwas "Geistiges" von mir (von jedem von uns) "bleibt", wie immer man sich das vorstellen mag.

Manchmal aber, wenn mir alles sehr schwer wird, ist die Vorstellung, dass "danach" nur noch Ruhe, Stille, Schweigen, Leere, Nichts sein könnte, auch sehr beruhigend...

Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Michiko
als Antwort auf Der-Waldler vom 12.01.2021, 08:11:32
Lieber Waldler,

es ist schwer, die Mutter zu verlieren und es ist immer zu früh. Und manchmal tröstet auch der Gedanke nicht, dass es in Anbetracht der Umstände wie Krankheit, Schmerzen, hohes Alter und gesundheitlicher Zustand für denjenigen besser war zu gehen. Ich lasse mal ein Zitat da, es ist von Jean Antoine Petit-Senn: "Der Tod einer Mutter ist der erste Kummer, den man ohne sie beweint." Noch heute bin ich über diesen Verlust nicht hinweg, das hätte ich mir nie so einschneidend vorgestellt.

LG Michiko

 

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Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf Michiko vom 13.01.2021, 13:14:53

Liebe Michiko,

ich habe sehr um meiner Mutter getrauert. Aber ich gönnte und gönne es ihr so sehr von Herzen, dass sie so sterben durfte, wie sie es sich immer erhofft hat, zufrieden, ohne Angst und in meiner Nähe.

Ich habe um meinen Vater mehr getrauert als um meine Mutter. Lange habe ich das nicht verstanden, weil ich zu meiner Mutter immer ein viel engeres, tieferes, innigeres Verhältnis hatte als zu meinem Vater.

Aber irgendwann habe ich kapiert, dass genau in dieser Tatsache die Antwort liegt: Zwischen meiner Mutter und mir war nichts mehr offen. In den letzten zehn Jahren, als sie bei uns lebte, haben wir so viele, so intensive Gespräche geführt wie nie zuvor. Sie war in ihren letzten Jahren neben meiner Frau meine wichtigste Ratgeberin. Und ich glaube, ich war ihr "Tröster", derjenige, der ihr Mut machte, der all die schweren Entscheidungen bei ihren zahlreichen schweren Krankheiten mit ihr trug. Wir waren uns in diesen Jahren so nahe wie seit Kindestagen nicht mehr. Alles, was vielleicht noch offen zwischen uns war, wurde geklärt, obwohl es kaum etwas zu klären gab, denn Mutter und ich waren unser Leben lang sehr offen zueinander und miteinander.

Bei meinem Vater war das anders. Da hatte ich immer gehofft, wir würden irgendwann einmal die Spannung überwinden, die immer zwischen uns lag, die Fremdheit. Mein Vater hat im Krieg Grausames erlebt (er gehörte einem sogenannten "Magenbataillon" an!), das hat ihn sehr verschlossen gemacht. Ich habe ihn so gut wie nie lachen gesehen in meinem, in unserem Leben. Damit konnte ich lange nicht umgehen, und er starb sehr plötzlich, völlig unerwartet, so dass es nie zu einem tiefen, klärenden, verstehenden Gespräch und zu einer lebenslang erwünschten und ersehnten "großen Umarmung" kommen konnte.

Ich muss wirklich sagen: meine Mutter konnte ich gut "loslassen"; meinen Vater bis heute nicht, obwohl er vor mehr als 30 Jahren starb.

Liebe Grüße

Der Waldler

Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Michiko
als Antwort auf Der-Waldler vom 13.01.2021, 14:34:04
Lieber Waldler,

habe mich gefreut über Deine ausführliche Antwort und den Einblick in Dein Verhältnis zu Mutter und Vater. Und ganz unbewusst hast Du mir vielleicht einen Denkanstoss gegeben, weswegen mir der Verlust meiner Mama so nachgeht. An manchen Tagen erschlagen mich Erinnerungen an Begebenheiten, Gespräche und ich bereue, so manches Mal nicht anders reagiert zu haben.
Du hattest nicht zuletzt aufgrund der Nähe zu Deiner Mutter ein sehr inniges Verhältnis und das war sicher gut so und auch tröstlich.

Mein Vater starb übrigens vor über 40 Jahren schon, meine Eltern waren altersmäßig weit auseinander. Das ist eine andere Geschichte und schon lange bewältigt.

Liebe Grüße

Michiko


 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf Michiko vom 13.01.2021, 15:42:48
Mein Vater war Jahrgang 1895 und bereits 56 Jahre alt, als ich geboren wurde. Durch beide Weltkriege, im ersten wäre er beinahe ums Leben gekommen, und den Verlust der Heimat und Existenz, gezeichnet, war auch er ein sehr verschlossener Mensch und emotional kaum erreichbar. Als er mit knapp 88 Jahren, eigentlich noch gesund, durch einen Unfall plötzlich verstarb, war das für mich ein Schock und ich hatte über ein Jahr lang Probleme mit dem Herzen. Die Erkenntnis, dass er nun für immer weg ist und nichts mehr geklärt oder besprochen werden konnte, war sehr schlimm für mich. Außerdem war ich ja zu der Zeit gerade mal  erst 32 Jahre alt. Für meine Mutter, die schwer dement war, war es eine Erlösung zu gehen und so konnte ich das auch nehmen. Es ist belastend, wenn man sozusagen mit Unerledigtem zurückbleibt, deshalb sollte man ja auch nach Möglichkeit nichts aufschieben. Wie oft habe ich auch inzwischen gedacht, wenn ich doch noch einmal mit ihm sprechen und ihn vieles fragen könnte.

Danke für eure Offenheit @Michiko und @Der-Waldler .

Liebe Grüße
Roxanna
Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Michiko
als Antwort auf Roxanna vom 13.01.2021, 15:53:54

Liebe Roxanna,

auch Du hast sehr offen über Deine Eltern gesprochen, da muss ich noch etwas nachliefern. Mein Vater war Jahrgang 1894 und war bei meiner Geburt  53 Jahre alt, meine Mama 29 Jahre. Aber es muss in beide wie ein Blitz gefahren sein. Ich schrieb schon einmal in einem anderen thread, dass mein Vater in erster Ehe in Königsberg verheiratet war, die Frau Anfang 1945 bei Angriffen dort umkam, nie aufgefunden werden konnte und amtlich für tot erklärt werden musste, bevor er seine 2. Ehe eingehen konnte.

Und wieder in einem anderen thread schrieb ich neulich, dass ich gerne noch so vieles gefragt hätte und es leider versäumt habe. Nun ist es nicht mehr nachzuholen. Das betrifft in meinem Fall mehr meinen Vater, der plötzlich und unerwartet starb. Ich glaube, es war sogar in einem Deiner threads Roxanna.

Danke auch für Deine Worte Roxanna,

liebe Grüße
Michiko


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