Geisteswissenschaft / Philosophie Philosophie in unserer Zeit

miriam
miriam
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Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von miriam
Ist es die Tatsache, dass das Wort Philosophie oft trivialisiert wird, angewandt wird in Bereichen die eigentlich nichts mit der Disziplin Philosophie zutun haben, die uns die Frage stellen lässt nach ihrer Existenz oder Existenzberechtigung in unserer Zeit?
Ausdrücke wie: Philosophie des Geldes, des Reisens, des Essens, des Zeitungslesens, des besseren Hörens, der großen Küche, etc…erwecken tatsächlich den Eindruck, Philosophie sei gar keine Disziplin, sondern eine Art jedermanns Angelegenheit.
Die oben erwähnten Beispiele sind nicht erfunden, ich habe sie in einigen Texten gefunden.

Eines scheint mir aber sicher zu sein: die Rolle und der Stellenwert der Philosophie haben sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt. Sie ist wahrscheinlich nicht mehr die Disziplin die über alles thront wie sie es früher tat, so zu sagen die Königsdisziplin, aber sie bleibt m.E. ein wichtiges Bindeglied zwischen unterschiedlichen Disziplinen.

Noch etwas scheint mir wichtig: oft finden wir erst bei den Philosophen die Erklärung, den Sinn von Fakten, von Phänomenen, die uns andere Disziplinen schon als Fakt beschrieben haben.

Vor längerer Zeit, sprach Peter Sloterdijk in einem Interview über den Zusammenhang zwischen den terroristischen Anschlägen von Islamisten und der Bevölkerungsexplosion in den arabischen Ländern.
Sloterdijk sprach vom Entstehen eines Kontingentes von arbeitslosen und sozial hoffnungslosen männlichen Jugendlichen, das Entstehen eines...

Zitat:

"Reservoirs von mehreren hundert Millionen junger Männer, [...] die einen existentiell anderen Sinnhorizont wahrscheinlich allein im Aufbruch zu politisch-religiös bemäntelten Selbstvernichtungsprojekten finden."

Das Phänomen des Terrorismus ist erklärt und beleuchtet worden seitens Politikwissenschaftlern und von Terrorismusexperten, Sloterdijks Erklärung gibt aber etwas anderes wieder: das Phänomen hinter den sichtbaren, aufzählbaren Ereignissen, vielleicht sogar einen der Hauptgründe der zum vordergründig politisch erklärbaren Phänomen des Terrorismus führt.

Welchen Sinn hat, aus meiner Perspektive betrachtet, das Zitieren dieses Beispiels? Nun, in erster Linie weil ich nicht glaube, dass die Zeit der Philosophen vorbei ist, und noch weniger denke ich, dass wir alle Philosophen wären.

Jacques Derrida der im Jahr 2004 starb – hat mit seiner Philosophie der Dekonstruktion das Denken unserer Zeit mitgeprägt. Gleichermassen, vielleicht aus anderen Perspektiven, haben dies auch andere Philosophen unsere Zeit getan, Michel Foucault, Hans-Georg Gadamer, Jürgen Habermass, der schon oben Erwähnte Peter Sloterdijk, um nur einige zu nennen.

Was sie von den früheren Philosophen wohl unterscheidet ist, dass sie uns die Welt nicht mehr so sehr von oben erklären, sie sind sehr viel näher an den Realitäten unserer Zeit gerückt, führen uns dadurch eher an die Wirklichkeit unserer Zeit heran.

In allgemeinen könnte man vielleicht auch sagen, dass sie uns Phänomene dieser so beschleunigten Welt erklären, in der wir manchmal die Orientierung verlieren.
Sie sind vielleicht keine echten Vordenker mehr – aber wohl so gründliche Kenner unserer Zeit und ihrer Denkansätze, und streben oft Vergleiche mit Denkweisen früherer Zeiten an.

Ich denke, dass sie uns dadurch wichtige Orientierungshilfen anbieten.

Die Welt zu erklären, fängt eigentlich nicht damit an die richtigen Antworten zu geben, sondern wenigstens nicht die falschen Fragen zu stellen.

Über diesen Unterschied zwischen der Königsdisziplin früherer Zeiten und der Philosophie unserer Zeit, scheint es mir lohnend eine Diskussion hier zu führen.

Gruß von Miriam
Marija
Marija
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von Marija
als Antwort auf miriam vom 11.08.2011, 08:48:44

Als ich vor vielen, vielen Jahren studierte, da hörte ich die These des Todestriebes.

zitiert von miriams Beitrag oben
Zitat Peter Sloterdijk:

"Reservoirs von mehreren hundert Millionen junger Männer, [...] die einen existentiell anderen Sinnhorizont wahrscheinlich allein im Aufbruch zu politisch-religiös bemäntelten Selbstvernichtungsprojekten finden."

Was bleibt noch, so frage ich, wenn das Leben des Einzelnen nicht mehr zu leben und es nicht einmal zu träumen möglich ist ?

Philosophie heute ist das Kind einer Philosophie von gestern und der von morgen.

Meine Sichtweise
Maria
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von carlos1
als Antwort auf miriam vom 11.08.2011, 08:48:44
Hallo miriam,
eine lange Einleitung für eine Betrachtung. Es geht um die Stellung dr Philosophie heute. Verzettelt sie sich nicht in Kleinkram, was bleibt ihr angesichts der Übermacht der Wissenschaften, insbes. der Naturwissenschaften?

Thomas Kuhn, der bekannte Wissenschaftstheoretiker stellt fest, dass der Unterschied zwischen Wissenschaften und Philosophie darin besteht, dass die normale Wissenschaft sich die Arbeit dadurch ermöglicht, dass sie bestimmte Fragen nicht stellt, die ihr jeweiliges Paradigma hinterfragen. Täten Wissenschaftler das, wären sie Philosophen.

Interessant ist, dass gerade in revolutionären Zeiten (Paradigmenwechsel, wissenschaftliche "Revolutionen") etablierte Wissenschaften wie Mathematik und Physik sich mit der Philosophie berühren, Wissenchaftler zu Philosophen werden. Notgedrungen? Philosophische Fragestellungen, die vorher störend waren, werden nun lebenswichtig. Die Sozialwissenschaften, die auf den geselschaftlichen und politischen Sprengstoff junger arbeitlsoser Männer in den arabische Ländern hinweisen (s. dein Text), sind sie nur Philosphen oder Wissenschaftler? Sloterdijk ist Ph. Auch die Sozialwissenschaften ringen um ihre Paradigmen.

Ich möchte nicht behaupten, dass allein eine eher hinterfragende (der Begriff ist zum Modewort verkommen) und intensivere Methode die Philosophie auszeichnet, also nur Quantität. Wissenschaft ist lebensnotwendig, führt zu praktischen Ergebnissen (auch sehr unerwünschten). Wir erwarten Antworten und Lösungen von ihr und nicht Spintisiererei. Wir leben in einer Welt voller Probleme. Wir wollen LÖsungen. Erlösung? Ich bitte um Verzeihung, wenn ich hart formuliere.

Das in aller Kürze. Muss deinen Text erst noch verdauen und habe nicht allzu viel Zeit.

Herzliche Grüße
c.


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Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Miriam, über Sloterdijks Zitat betr. Terroristen könnte man sich streiten. Wenn ich das richtig sehe, blendet er dabei völlig aus, dass nicht jeder Terrorismus auf einer Ideologie von „politisch-religiös bemäntelten Selbstvernichtungsprojekten“ beruht, sondern dass mancher Terrorismus aus purer Verzweilfung geschieht. Aber es ist ja möglich, dass er darauf hinweist und du es hier weggelassen hast. Ich habe noch kein Buch von ihm gelesen, aber ich weiß, dass seine Thesen diesbezüglich sehr umstritten sind.
Wenn eine bestimmte Gruppe so aufwächst, dass sie keine Chancen für sich sieht, weil bereits die Eltern keine hatten, und feststellt, dass sie nie eine volle gesellschaftliche Teilhabe hat (wie jetzt in England bei den vorwiegend aus Einwanderern bestehenden Jugendlichen), wächst eine bestimmte Grundhaltung, die sich einerseits aus Resignation und andererseits aus Wut zusammensetzt. Genauso ist es in Ländern wie Palästina oder jetzt den afrikanischen Ländern. Die jungen Leute sehen keine Perspektive für die Zukunft und werden meistens aus Frust (zum Teil auch Langeweile, weil sie keine Beschäftigung haben) und nicht aus einer dahinter stehenden Ideologie gewalttätig.
Da kommt man mit ethischen Grundsätzen und moralischen Vorhaltungen oder gar Philosophie keinen Schritt weiter. Um diese Haltung zu erschüttern, bedarf es gezielter gesellschaftlicher Maßnahmen, Projekte, Programme etc.
Ansonsten – was die Trivialisierung des Wortes „Philosophie“ betrifft, stimme ich dir zu. Nach langen Diskussionen mit Leuten habe ich z. B. oft gesagt: „Wir haben den ganzen Abend philosophiert“, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen dass das wirklich Philosophie war, was wir betrieben haben, das war mir immer schon klar. Die Philosophie ist eine sehr komplexe und schwierige Wissenschaft wie andere Wissenschaften auch. Zuallererst muss man Begriffe klären, die in der Phil. anders angewandt werden als im Alltag. Dann muss man die verschiedenen Teilgebiete ansehen wie z. b. Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ontologie, Ethik etc etc. (ich nenne nur einige als Beispiele). Dann kann man sich Texte ansehen und versuchen, sie zu verstehen und zu interpretieren.
Wie du hier eine Diskussion führen willst „ zwischen der Königsdisziplin früherer Zeiten und der Philosophie unserer Zeit“, ist mir schleierhaft. Das würde doch erst einmal voraussetzen, dass über die gleichen philosophischen Texte gleiche Kenntnis besteht und dass sie gelesen wurden und man darüber diskutieren könnte. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.
Die „Königsdisziplin früherer Zeiten“ war übigens zuerst einmal die Theologie, nicht die Philosophie, nebenbei bemerkt. Das hat sich dann später geändert, weil der Offenbarungsglaube mit Hilfe der Philosophie zurückgedrängt wurde.
miriam
miriam
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von miriam
Danke Euch Marija und Carlos, für Eure Beiträge, die genau das bewirken, was
ich mir unter anderem erhofft hatte: über dieses Thema der Philosophie unserer Zeit, weiterzudenken.

Danke auch dir Marina – deinen Beitrag habe ich erst jetzt gesehen.

Marija – du schreibst:


Philosophie heute ist das Kind einer Philosophie von gestern und der von morgen.

Da stelle ich mir doch die Frage, mit wem Mutter-Philosophie dieses Kind gezeugt hat?

Erst war diese Frage von mir fast nur als Spaß gemeint. Danach aber kam die Antwort fast von selber.
In der Tat: die heutige Philosophie scheint ohne einer Verbindung mit den Naturwissenschaften, nicht mehr denkbar zu sein.

Vielleicht wäre die Philosophie der heutigen Zeit anders einfach sinnlos?
Doch es wäre eine Ungerechtigkeit gegenüber dieser Disziplin bzw. ihrer Neuorientierung, sie einfach nur als sinngebend zu betrachten.
Diese neue Positionierung der Philosophie unserer Zeit, macht auch ihre Faszination aus.

Carlos du drückst es etwas anders aus – wenn du schreibst:


"Interessant ist, dass gerade in revolutionären Zeiten (Paradigmenwechsel, wissenschaftliche "Revolutionen") etablierte Wissenschaften wie Mathematik und Physik sich mit der Philosophie berühren, Wissenschaftler zu Philosophen werden."

Ja – diese Neuorientierung kennzeichnet nicht nur die heutige Philosophie, man könnte sogar sagen, dass sie sie im Grunde genommen, ausmacht.

Hier setze ich eine philosophische Pause ein.
Marina – deinen Beitrag möchte ich nochmals lesen - und antworte dir heute Nachmittag.

Bis später

Miriam
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von Mareike
als Antwort auf miriam vom 11.08.2011, 11:51:47
Hallo Miriam

Die für mich wichtigste Defination in deiner Einleitung zu diesem Thema ist: "das Phänomen hinter den sichtbaren, aufzählbaren Ereignissen" aufzuzeigen.
Das ist es wohl was der Philosoph von jeher versucht hat, Phänomene aufzuzeigen und zu ergründen.
Sloterdijk spricht bei den jungen Arabern von "einem existentiell anderen Sinnhorizont".
Von einem extrem anderen Sinnhorizont können wir auch bei den randalierenden und plünderden Jugendlichen aus den englischen Getthos sprechen. Sie sind nicht an ideelen Werten oder Glaubensversprechungen orientiert sondern am Habenwollen, Besitz ist das höchste Gut in einer kapitalistisch orientierten Gesellschaft und wenn auf dem Gebiet eine Diskrepanz besteht, entsteht die Gegenbewegung.:"Wir nehmen notfalls mit Gewalt das was uns zusteht." Hier wäre der Lösungsansatz die gerechtere Verteilung der Güter, moralische Lehren greifen da nicht.

Im Übrigen ist es interessant mal nachzuschauen, welche philosophische Bücher im 21. Jahrhundert neu auf dem Markt kamen und welche Themen dort wie besprochen werden.

Philosophie-Deutschland - 21. Jahrhundert

Ich greife mal ein Buch heraus: Quante, Michael: Menschenwürde und personale Autonomie. Demokratische Werte im Kontext der Lebenswissenschaften und mache auf die Rezensionsnotiz aufmerksam. Darf man den Anspruch erheben ersthaft Philosophie zu betreiben, ohne Kant mit einzubeziehen? (Ich schmunzle leicht)

Herzliche Grüße
Mareike

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carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von carlos1
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.08.2011, 11:04:37
„Die Philosophie ist eine sehr komplexe und schwierige Wissenschaft wie andere Wissenschaften auch. Zuallererst muss man Begriffe klären, die in der Phil. anders angewandt werden als im Alltag. Dann muss man die verschiedenen Teilgebiete ansehen wie z. b. Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ontologie, Ethik etc. (ich nenne nur einige als Beispiele).“ Marina


Philosophie ist eher eine Methode. Sie gewinnt ihre Erkenntnisse aus Begriffen, gibt keine direkten, praktischen Handlungsanweisungen, und wenn es versucht wird, sind sie in der Praxis unbrauchbar und in den Auswirkungen teils fürchterlich. Wer Philosophen an die Macht lässt, erntet meist Chaos oder Verderben. Sie ist eine Methode, um das Innenleben des Menschen auszuleuchten, zu deuten; verschiedene Disziplinen gibt es, ok.

Ph. kann sehr abstrakt abgehen, wird respektvoll und von Intellektuellen in ihrem Erkenntniswert und von Normalos als „richtig“ eingeschätzt oder als „wahr“, wird aber furchterregend, wenn wir die Begrifflichkeit der Details verlassen und das Ganze des menschlichen Lebens betrachten, genau fragen, was das alles realiter für das Leben bedeutet. Der Philosophieprofessor Heidegger schrieb ohne zu zittern in abstrakter Sprache, dass das in sich abgeschlossene Wesen des Menschen wichtiger sei als der eigentliche Mensch. Wer die herrlichen Wortguirlanden des Sprachzauberers Heidegger liest, lässt sich hinreißen und wird verführt. Erst nach reiflicher Überlegung erkennt er mehr dahinter.

Ph. ist keine Wissenschaft unter anderen, ähnelt aber oft in Wissenschaften in ihrer noch gesteigerten begrifflichen Abstraktheit. Unmenschlichkeit hat ihre Wurzeln in der Abstrahieren vom konkreten Menschen, in Systemen, hinter denen sich beste Absichten verstecken können,. Das sollte bedenken, wer sich auf die Spielwiese Ph. begibt.

Das Ganze ist immer das menschliche Leben. Der Mensch will lebenswert leben. Wenn Menschen keinen Nutzen mehr in ihrem Leben sehen, werfen sie es weg. Menschen sterben nicht für ontologische Wahrheiten. Galilei widerrief die von ihm anerkannte wissenschaftliche Wahrheit, dass die Erde sich um die Sonne dreht, ging hinaus und sprach zu sich, sie bewege sich doch. Er wollte nicht verbrannt werden. In diesem Augenblick war für ihn die wissenschaftliche Wahrheit schnurz. Menschen sterben aber auch bereitwillig für Illusionen und Ideen, die ihnen Halt geben, für eine Idee, ein System ein Weltbild, ein Ziel, für das es sich scheinbar lohnt zu arbeiten und zu sterben. Millionen Menschen opferten sich für das Ziel, dass die wirtschaftliche Produktion mittels Produktionsfaktoren in der Hand von Parteifunktionären sein sollten, die die historische Wahrheit in einem System verinnerlichte hatten. Das Erwachen kann fürchterlich sein. Philosophen können Komplizen von verbrecherischen Politikern werden. Die Wahrheit kann oft so schrecklich sein, dass Menschen daran zerbrechen. Vorsicht vor der alleingültigen, ewigen Wahrheit. Es gibt keinen Stein der Weisen.
miriam
miriam
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit
geschrieben von miriam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.08.2011, 11:04:37
Nun kommt erst einmal meine Antwort an Marina - über die Texte von Mareike und Carlos muss ich noch nachdenken. (endlich wieder ein Thema, bei welchem man ins geistige Schwitzen gerät...)

Marina – du schreibst, dich auf die aktuellen Unruhen und ihren Ursachen beziehend:

"Da kommt man mit ethischen Grundsätzen und moralischen Vorhaltungen oder gar Philosophie keinen Schritt weiter."

Ich glaube auch nicht, dass sich jemand so etwas vorstellt. Es sind eher die Außenstehenden, vielleicht besser als die interessierten Außenstehenden zu bezeichnen, die eine Antwort auf diese Phänomene suchen, die dazu neigen sich auf moralische Vorsetze zu beziehen.

Hilflosigkeit eher als Dummheit oder Naivität - denn erst kommt das Fressen - dann die Moral Das Fressen hier natürlich im weitesten Sinne des Wortes, verstanden.

Ich zitiere nochmals aus deinem Text:


"Die Philosophie ist eine sehr komplexe und schwierige Wissenschaft wie andere Wissenschaften auch. Zuallererst muss man Begriffe klären, die in der Phil. anders angewandt werden als im Alltag."

Dass man dies tut, also diese Trivialisierung dessen was sich früher als Königsdisziplin verstanden hat (ich wiederhole mich), ist vielleicht auch im Rahmen der Umverteilung der Güter, zu verstehen.
Doch genau wie du – frage ich mich, ob dies ein gangbarer Weg ist.
Für mich besteht aber die Überprüfung ob ein Weg gangar ist oder nicht, darin, dass ich mich wage, ihn zu gehen.

Vielleicht können wir mehr dazu sagen, am Ende eines solchen gewagten Themas.

Miriam
miriam
miriam
Mitglied

Re: Philosophie in unserer Zeit - und meine Liebe für Denis Diderot
geschrieben von miriam
Meine oben angekündigte Reihenfolge der Antworten, gerät völlig durcheinander.
Der Grund: ich habe soeben einen Artikel gefunden, erschienen am Anfang des Jahres in "Die Zeit" – daraus möchte ich erst einmal zitieren:


"Und tatsächlich ist es leider so, dass sich die Philosophie seit alters zwar vorgenommen hat, die Dinge besser zu verstehen, nicht aber: sie einfacher zu verstehen.
Philosophie, heißt es schon in der Antike, beginnt mit dem Staunen, und das meint vor allem, mit dem Staunen über Dinge, die alle anderen für selbstverständlich halten. Der Verstoß gegen den intuitiven Weltzugang ist deshalb keine Unart der Philosophen, sondern ihr Programm.
Alle wünschen sich eine gute Politik, aber der Philosoph fragt zunächst: Was ist gut? Und: Was ist Politik? Und: Was ist das Gute im Zusammenhang mit der Politik?"


Siehe weiter im Link.

Ich begreife plötzlich, warum ich in Bezug auf Philosophie, mich schwer tue – und immer wieder zurückkomme zu Denis Diderot - oder auch zum Erzähler Voltaire (Candide), der uns auf dieser Weise seine Philosophie näher bringt.

Wie verfährt eigentlich Denis Diderot – und bleibt trotzdem einer der bedeutendsten Philosophen des 18. Jahrhunderts, nach wie vor auch für unsere Zeit aktuell?

Diderot schickt einfach den Meister in Begleitung von Jacques, den Fatalisten, auf eine 9-tägige Reise zu Pferde – und in dieser Zeit, werden auf spannender und amüsanterweise die großen Probleme der Zeit und der Welt besprochen.
Mal geht es um das "große Buch", dort oben, in das schon alles steht und also vorbestimmt ist – aber dann möchte der Herr plötzlich wieder etwas von den Amouren von Jacques erfahren. Nein, Diderot verlässt auch hier nicht den Pfad der Philosophie, wir haben bloß den Eindruck, dass er uns eine Verschnaufpause gönnt.

http://www.abebooks.fr/images/ReadingRoom/Specials/livres-manuscrits-enluminures/diderot-jacques-fataliste.jpg[/img]


Dabei wird uns nichts aufgezwungen, Diderot erlaubt uns einfach bei dieser Reise, Jacques und seinem Herrn zu begleiten, ihren Gesprächen zu folgen – und dabei … nachzudenken.

Miriam

[i]verspricht den Faden wieder aufzunehmen
...


Re: Philosophie in unserer Zeit - und meine Liebe für Denis Diderot
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 12.08.2011, 11:20:02
Vielen Dank für diesen Beitrag, für den ich dir besonders dankbar, bin, Miriam. So habe ich doch entgegen der Meinung des Oberphilosophen dieses Forums keinen Unsinn verzapft, als ich in einem anderen Phil.-Thread auf den Beginn der Philosophie durch das „Staunen“ mit Hinweis auf Aristoteles aufmerksam gemacht und daraufhin von ihm sehr von oben herab abgebürstet wurde, weil ihm das offenbar nicht bekannt war.
Ich finde das übrigens auch einleuchtend, dass mit dem Staunen das Philosophieren beginnnt. Denn mit dem Staunen fängt der Mensch (zuerst das kleine Kind) an zu fragen. Leider haben die Erwachsenen weitgehend das Staunen verlernt und damit auch das Fragen. Durch das Staunen und die darauffolgenden Fragen sind aber auch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse vorangebracht worden. Man muss ja nur an Beispiele wie Ebbe und Flut oder Donner und Blitz denken. Es ist anzunehmen, dass vor Urzeiten, als die dahinter stehenden Mechanismen nicht erkannt wurden, die Menschen voller Furcht und auch Staunen solche Phämonene beobachtet haben und sie sich nicht erklären konnten, so haben sie zuerst die Götter dafür verantwortlich gemacht. Nachem diese "ausgedient" hatten, gab es den weiteren Antrieb zu erforschen, was sonst dahinter stehen könnte. Und der Beginn von allem war das Staunen.
Heute nimmt man alles als sehr selbstverständlich hin, auch die gesamte Technik, ohne die auch unser Schreiben hier nicht möglich wäre. Dabei sollte man sich öfter mal vergegenwärtigen, welche Denkleistungen dahinter stecken,
Ich staune auch immer wieder mal, wenn ich kleine Kinder beobachte. Was die so auf die Reihe kriegen, auch an Fragen und Anregungen, da kommen die abgebrühten Erwachsenen oft gar nicht mehr mit.

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