Gruppenbeitraege "Die Freiheit der Fruchtfliege"

Karl
Karl
Administrator

Die Entmystifizierung des freien Willens
geschrieben von Karl
Ich danke Dir, Enigma, für die Einstellung dieses Themas. Ich kann Herrn Brembs Interview am Anfang sehr gut folgen und zustimmen, aber leider trifft er dann m. E. mit folgender Aussage nicht den Kern des Problems und wiederholt einen alten Denkfehler, der die Willensfreiheit mit Indeterminiertheit gleichsetzt:
Die Physik weiß seit hundert Jahren, dass die Welt nicht streng deterministisch ist. In jedem System gibt es ein Hintergrundrauschen, teils durch Quanteneffekte bedingt, immer aber auch durch die thermische Bewegung. Das macht es prinzipiell unmöglich, den Lauf der Welt exakt vorauszuberechnen. Wir glauben nun, in unseren Versuchen Hinweise gefunden zu haben, dass das Gehirn dieses Hintergrundrauschen nutzt und je nach Bedarf verstärken kann. Wie das funktioniert, wissen wir bisher nicht, aber ich stelle es mir im Prinzip als eine Art Zufallsgenerator mit regelbarem Verstärker vor. Quelle
geschrieben von Brembs
Ich möchte dem einen alten eigenen Text entgegensetzen:
Vom Scheitern der Versuche die Willensfreiheit auf akausale atomare Abläufe zurückzuführen

Wir haben gesehen, daß Immanuel Kant zwischen dem Kausalgesetz und der menschlichen Willensfreiheit einen Widerspruch sah. Er bemühte sich deshalb in einer dualistischen Sicht der Dinge, den menschlichen Willen aus der Welt der Phänomene herauszulösen. Es darf deshalb nicht verwundern, daß viele Philosophen und auch Physiker, in der Heisenbergschen Unschärferelation ihre Erlösung sahen. Es hat direkte Versuche gegeben, unseren freien Willen auf atomare Zufallsprozesse zurückzuführen. Der bekannteste Verfechter dieser Vorstellungen ist der Physiker Pascal Jordan. Er entwickelte eine sogenannte Verstärkertheorie der Organismen. Demnach sollten die "Lebenszentren" nicht makrophysikalischer Kausalität unterworfen sein, sondern in der "Zone mikrophysikalischer Freiheit" liegen. "Einzelne Quantensprünge bestimmter einzelner Moleküle der Zelle steuern entscheidend ihre gesamten Lebensfunktionen". "Ein Organismus wird nach dieser Theorie im Einzelfall akausal reagieren...". Jordan sieht offensichtlich im "akausal reagieren" den Kern der Willensfreiheit. Sein Satz "'L'homme machine', diese Behauptung ist schlichtweg unrichtig" ist für uns gleich im doppelten Sinne irreführend.
Aus heutiger Sicht kommen uns die Jordanschen Vorstellungen seltsam und absurd vor. Entsprechend sind sie von Biologen mit beißendem Spott zerflückt worden. Überzeugend ist die Lektüre von Bünning und Hassenstein.
Bünning stellt z.B. richtig: "Wenn schon von einer 'wesentlichen' Seite des Organismus gesprochen werden soll, so müssen wir sie im Nichtzutreffen der Jordanschen These sehen ...". Damit bringt er zum Ausdruck, daß biologische Systeme nur funktionieren können, wenn sie den Zufall möglichst ausschalten. Das soll nicht bedeuten, daß der Zufall in der Biologie keine Rolle spielt. Bünning verweist z.B. auf die Mutationen, die durchaus im Einzelfall als akausale Vorgänge auf atomarem Niveau gedacht werden können. Aber, so sagt Bünning sinngemäß, führt eine bestimmte Mutation nicht sehr zuverlässig in allen Trägern zum gleichen Phänotyp? Die Tatsache, daß die Organismen z.T. zufälligen Außenbedingungen wie gequantelter Strahlung etc. ausgesetzt sind, bedeutet doch nicht, daß die Reaktionen der Organismen hierauf zufällig sind.
Wollen wir unsere Entscheidungen wirklich durch atomaren Zerfall verursachen lassen? Wie absurd das wäre, sollte jedem klar sein. Technisch ist es z.B. durchaus möglich, den Zerfall eines Atoms zu verstärken und als Lichtblitz auf einem Monitor erscheinen zu lassen. Es wäre möglich, den Monitor in Sektoren zu unterteilen und das Aufblitzen eines bestimmten Sektors an eine Handlungsvorschrift zu koppeln. Erreicht hätten wir dann nur die Situation, die wir uns manchmal freiwillig durch das Werfen einer Münze bescheren. Wenn wir mal zwischen gleichgewichtigen Handlungsmöglichkeiten keine Entscheidung treffen können, lassen wir den Zufall zu Wort kommen. Je bedeutsamer die Handlungsfolgen für uns sein werden, umso weniger sind wir jedoch geneigt, eine Münze zu werfen. Besonders wenn wir verantwortlich handeln wollen, versuchen wir den Zufall auszuschalten.

Hassenstein sagt es deutlich: "Der Zufall ist aber ein Gegenspieler der Willensfreiheit" ."Freiheit bedeutet, daß man denken kann, was man selbst will. Unfreiheit, wenn sich dem Bewußtsein bestimmte Inhalte aufdrängen; und daran ändert sich nichts, wenn die sich aufdrängenden Gedanken zufällig sind".
"Hiermit ist auch auf einer höheren menschlichen Ebene deutlich geworden, daß die Vorstellung von der Zufallsbestimmtheit des Menschen kein tragendes Konzept darstellt und als Kern der menschlichen Entscheidungsfreiheit nicht in Frage kommt."

Wenn aber die Bindung der Willensfreiheit an Akausalität nur zu absurden Feststellungen führt, dann muß der von Immanuel Kant und vielen anderen gesehene Widerspruch zwischen Kausalprinzip und Willensfreiheit ein Scheinproblem darstellen.
Die Auflösung liegt meines Erachtens darin, daß übersehen wurde, daß wir ja selbst das kausal funktionierende System darstellen. Wir können uns selbst doch wohl schwerlich als Einschränkung unserer Freiheit verstehen. Damit möchte ich nicht ausschließen, daß wir uns auch ob innerer Zwänge unfrei fühlen können. Alles was das "freie Spiel unserer Gedanken" stört - wie z.B. zu starke Antriebe - beschränkt die Freiheit für uns erkennbar. Aber wenn kausale Prozesse die Voraussetzung für das Funktionieren meines Gehirns darstellen, wieso sollte dies meine Freiheit einschränken? Wie Hassenstein sagen würde, die Kausalität der biologischen Prozesse garantiert das zuverlässige Ablaufen des Programms auf der Systemebene des Gehirns, welches freie Entscheidung ermöglicht.

Wir müssen uns wieder darauf besinnen, was "freier Wille" umgangssprachlich bedeutet und uns fragen, ob "freier Wille" in dieser Bedeutung programmierbar ist.

--- gekürzt ---

Jede überlegte und von uns als frei empfundene Entscheidung setzt voraus, daß wir zwischen einer ausreichenden Zahl von Handlungsmöglichkeiten zu wählen haben. Diese Handlungsmöglichkeiten müssen also einerseits gegeben sein, andererseits verlangt eine überlegte Wahl die Bewertung der Handlungsmöglichkeiten an ihren Folgen. Diese Folgen der verschiedenen Handlungen werden nicht 'erlebt', sondern bedacht, d.h. die Handlungen werden in einem inneren 'Weltmodell' vor der Entscheidung durchgespielt und bewertet. Die Entscheidung wird dann nicht akausal, sondern aufgrund der unterschiedlichen Bewertung der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten getroffen. Die im Einzelfall benützte Bewertungsfunktion kann natürlich sehr komplex und einem Zuschauer unbekannt sein. Dies ist sicherlich eine der Ursachen dafür, daß wir von unseren Mitmenschen öfters überrascht werden. Die Unberechenbarkeit im Sinne Pascal Jordans ist aber sicherlich nicht ein konstitutives Merkmal freier Entscheidungen. Schätzen wir doch gerade an guten Freunden ihre Verläßlichkeit und Zuverlässigkeit.

Es ist noch einmal an der Zeit das Thema des Laplaceschen Dämons aufzugreifen. Behaupte ich, da ich den freien Willen für mechanisierbar halte, daß ein Laplacescher Dämon einen Menschen oder eine "frei" konstruierte Maschine vorausberechnen könnte? Keinesfalls.

Zwei Gründe für die Unberechenbarkeit der Zukunft

Neben der Heisenbergschen Unschärferelation gibt es einen zweiten Grund für die prinzipielle Unberechenbarkeit der Zukunft. Zunächst einmal, ein guter Positivist hätte schon vor Heisenberg die mögliche Existenz eines Laplaceschen Dämons ablehnen und folglich die Unberechenbarkeit der Zukunft postulieren müssen. Wissenschaftler würden nach der Entdeckung eines Laplaceschen Dämons diesen gleich den Naturphänomenen zuordnen. Folglich hätte der Dämon nicht nur die gesamte bisherige Welt, sondern auch noch sich selbst vollständig darzustellen usw. usf., was aus prinzipiellen Gründen unmöglich scheint. Es wäre sinnvoll anzuerkennen, daß prinzipiell die Speicherkapazität eines realen Systems (zu denen wir uns auch als Menschen rechnen dürfen) nicht ausreichen kann, die Welt (einschließlich sich selbst) vollständig zu beschreiben. Die Unbestimmtheit atomarer Prozesse verweist nur auf eine der beiden prinzipiellen Ursachen unvollständiger Weltbeschreibung.
Wenn man will, kann man diese Unbestimmtheit der Zukunft, die prinzipieller Natur ist, als 'Offenheit' bezeichnen.

--- gekürzt ---

vollständige Quelle
geschrieben von Karl(-Friedrich Fischbach)


Abgesehen davon, dass Herr Brembs den in meinen Augen völlig unnötigen Ausflug zur physikalischen Inderterminiertheit unternimmt, stimme ich seinen sonstigen Aussagen zu.

Karl
enigma
enigma
Mitglied

Hallo Karl,
geschrieben von enigma
ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Nach zweimaligem Lesen meine ich jetzt, dass ich ihn annähernd verstanden habe.

Der Reiz des Themas “Hirnforschung” ist ja wirklich groß.

Ich habe mir im Internet die Seite “Ordnung der Wirklichkeit: Geisteswissenschaftler im Gespräch mit Naturwissenschaftlern“ ausgesucht, in der die Gespräche zu den Themen per Video dokumentiert sind.
Diese kurzen Filmchen sind sogar fast spannend.

Das Libet-Experiment habe ich mir bereits angesehen.

Aber da das jetzt vom ursprünglichen Thema zu weit abweicht, höre ich jetzt auf.

Noch einmal besten Dank und Gruß
Enigma


carlos1
carlos1
Mitglied

Ich bin keine Fruchtfliege
geschrieben von carlos1
Hallo enigma,
so viel Information auf einmal und jetzt frage ich mich, was eigentlich Tatsache, Fakt und Theorie oder Spekulation ist. Ich will ein greifbares Ergebnis und bekomme Vermutungen und Theorien vorgesetzt und mediale Aufmacher in der SZ. „Die Gehirnforschung hat die Existenz eines freien Willens radikal in Frage gestellt.“ Peng! So die SZ. Bezug für diese Sensation (man male sich die Folgen aus für unser politische und Gesellschaftsordnung und die Rechtsordnung aus!) sind vermutlich die Experimente von Libet in den 80er Jahren, wo er Bereitschaftspotentiale im Abstand zu motorischen Handlungen gemessen hat. Immerhin die Presse hat was zu schreiben.

Mein Gehirn gehört mir und es ist „mein“ Hirn. Aber kennen tue ich es nicht. Es gibt ein Erkenntnisproblem. Das zu Erklärende ist nämlich gleichzeitig das Erklärende. Mein
Hirn ist aber immer unterhaltsam und oft sehr aufdringlich. Dann versuche ich „abzuschalten“. Auf jeden Fall: Mit Intuition komme ich nicht weiter. So mein Gefühl. Die Beobachtungen meines Hirns stimmen nicht mit denen der Neurobiologen überein. Ich habe den Eindruck, dass in meinem Hirn eine Zentrale ist, bei der alle Infos zusammenlaufen und wo aus vielen Außensignalen, von Sensoren geliefert, eine kohärente Interpretation der Umwelt zusammengestellt wird. Das ist notwendig, sonst könnten wir nicht auf unsere Umwelt angemessen reagieren. Das wäre der Herr-im-Haus-Standpunkt. Ich entscheide, also bin ich frei.

Nun kommt die Wissenschaft und sagt mir, dass das alles falsch ist. Obwohl ich gekränkt sein müsste, bin ich von der Wahrheits-Tendenz der Aussagen der Neurobiologen überzeugt, auch wenn die Wissenschaft über vieles sich noch im Unklaren ist. Ich möchte aber alles genau wissen, sonst werde ich grantig. 100 000 000 000 Neuronen soll es in unserem (auch meinem?) Hirn geben, aufgeteilt in viele Gruppen und Teile. Einige Teile meines Hirns sind der Entstehung nach ganz alten Datums. Die Evolution hat einfach das Gehirn vergrößert, gewann mehr disponible Verschaltungen und wurde so leistungsfähiger. Deshalb finde ich es auch angebracht, dass Herr Bremps die Fruchtfliege untersucht, denn die molekularen Bestandteile und Funktion der Neuronen sind bei dem Fruchtfliegengehirn und mir wohl identisch? Der Unterschied zwischen meinem und dem Fruchtfleigenhirn dürfte wohl darin liegen, dass meines ein Bewusstsein hat, dass ich so viele Neuronen habe, die sich auf für mich ungeklärte Weise mit sich selber unterhalten. Meine Großhirnrindenzellen haben durchaus die Fähigkeit unberechenbar zu sein und Karl stimme ich zu, wenn er sagt, dass Unberechenbarkeit allein kein „konstitutives Merkmal“ von Freiheit ist. Er bezieht sich aber auf die Gesellschaft, wenn er weiterhin sagt: „Schätzen wir doch gerade an guten Freunden ihre Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit.“ Das Verhalten der Fruchtfliege bei der Auswahl von Flugzielen und unser Verhalten im Alltag erfordern Entscheidungen. Aber es sind Entscheidungen ganz anderer Art. Auch werde ich das Gefühl nicht los, dass wir in der Diskussion um Willensfreiheit und Neurobilogie durch Übertreibungen in Ängste versetzt werden, die unberechtigt sind. Warum muss sich unser Menschenbild ändern, dass trotz einer Vielzahl von naturwissenschaftlichen Entdeckungen seit Tausenden von Jahren stabil blieb? Wir werden weiter Verlässlichkeit, Freundschaft, Beziehungen zu anderen Menschen pflegen, Verantwortung übernehmen und uns dessen bewusst sein.

Viele Grüße
c.


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enigma
enigma
Mitglied

Ein tröstliches Resümee...
geschrieben von enigma
Hallo Carlos,

erst heute habe ich Deinen Beitrag entdeckt und bedanke mich ganz herzlich dafür.

Dein abschließendes Resümee hat mich richtig erfreut.

(...) “Warum muss sich unser Menschenbild ändern, das trotz einer Vielzahl von naturwissenschaftlichen Entdeckungen seit Tausenden von Jahren stabil blieb?
Wir werden weiter Verlässlichkeit, Freundschaft, Beziehungen zu anderen Menschen pflegen, Verantwortung übernehmen und uns dessen bewusst sein.”
geschrieben von Carlos


Wenn wir das Netzwerk in unserem Gehirn, das sich durch neue Gruppierung von Neuronen verändern kann, doch nicht ganz durchschauen, können wir jedenfalls nach diesem Prinzip gut weiterleben.

Das bleibt doch irgendwie tröstlich.

Vielen Dank noch einmal und beste Grüße

Enigma

carlos1
carlos1
Mitglied

Immer noch die Fruchtfliege?
geschrieben von carlos1
Hallo enigma,
ich weiß nicht so genau, warum du schreibst, dass alles sei irgendwie tröstlich. Sind wir trostbedürftig, wenn wir uns mit Hirnforschung befassen?


Nachdem ich den Text von Karl mehrmals gelesen habe, bei Kant mich umgesehen habe, dazu den dialektischen Materialismus der sowjetrussischen kommunistischen Philosophie mir zugefügt habe, bin ich dankbar, dass wir heute mit der Neurobiologie eine Disziplin besitzen, die versucht auf überprüfbaren Fakten aufzubauen, die beschreibt und Theorien formuliert.

Es sind alte Themen der Erkenntnistheorie, gewiss. Willensfreiheit kann es nur geben, wenn ein ICH an der Entscheidung beteiligt ist. Wer ist dies ICH also? Wenn wir die Evolution in Betracht ziehen und den Menschen als Teil der Natur sehen, müssen wir annehmen, dass unser Erkenntnisvermögen darauf angelegt ist, sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt zu behaupten, nicht um Erkenntnistheorie zu betreiben. Anders gefragt: Welcher Realität steht dieses ICH gegenüber? Um Entscheidungen zu treffen, muss das ICH die Realität wahrnehmen. Was aber nehmen wir wahr? Fallen Wahrheit und Realität in unserem Hirn (dem Sitz des ICH) zusammen? Wäre das der Fall, wäre das ICH ein REALIST. Es gibt in der Philosophie eine andere Richtung, die besagt, dass meine Wahrnehmung nur eine Erfindung oder eine Konstruktion meines Gehirns ist. Wie sieht dann aber die Realität in Wahrheit aus? Darauf gibt der Idealist keine Antwort oder er sprciht vom „Dingan sich.“ Dann wäre aber auch unser gespeichertes Gedächtnis der eigentliche Entscheidungsträger in komplexen Situationen, würde der IDEALIST schließen. Der Wahrnehmungsinhalt wäre nach ihm Erfindung des Gehirns. Wir sehen Dinge, besser: Wir nehmen sie wahr: Sofort erkennen wir aufgrund unserer Erfahrungen die Bedeutung und den Sinn. Den Sinn aber haben wir nicht mittels unserer Sensoren aus der Außenwelt-mitgeteilt bekommen. Unsere Seh- und Gehörnerven etc vermitteln nur elektrische Signale an unser Hirn. Die Verarbeitung meines Hirns verleiht dem Geschehen Sinn und Zusammenhang (oder auch nicht). Wir irren, verbessern uns, versuchen andere Wege zu gehen, probieren Neues aus, um Lösungen zu finden, interpretieren auf diese Weise die Welt und entscheiden uns. Die Frage nach ddem, was Wahrheit ist gehört auch hier her.

„Wir haben gesehen, daß Immanuel Kant zwischen dem Kausalgesetz und der menschlichen Willensfreiheit einen Widerspruch sah. Er bemühte sich deshalb in einer dualistischen Sicht der Dinge, den menschlichen Willen aus der Welt der Phänomene herauszulösen.“ Karl

Kant sieht Freiheit und Kausalität differenzierter, meine ich. Er unterscheidet die psychologische Freiheit (komaparative F.)in unserem Hirn als eine bloß innere Verkettung der Vorstellungen der Seele. Die allerdings sei „prädeterminiert“- Dagegen stellt er die transzendentale F., worunter er ein „Vermögen“ versteht „einen Zustand von selbst anzufangen.“ Ein solcher Neuanfang kann eine Neuinterpretation sein, eine Korrektur von Verhalten aufgrund von Einsicht oder Erkenntnissen sein. Kant schreibt dem Menschen einen empirischen Charakter zu, aus dem sein Handeln mit strenger Notwendigkeit folgt, allerdings mit Ausnahmen. Ich erkenne nicht genau, warum Kant den menschlichen Willen aus der Welt der Phänomene herauslösen will und muss. Vermutlich wegen der Idee der sitlichen Selbstbestimmung. Freiheit ist aus praktischen Gründen gewiss, aber auch Voraussetzung für den Gebrauch des Verstandes. Wir brauchen das Gefühl der Freiheit, weil es eine sittliche Verantwortung geben muss. Das kann für das Überleben der Spezies i nder Gruppe sinnvol sein.

Ich kann mich auch irren.


Viele Grüße
c.
enigma
enigma
Mitglied

Re: Immer noch die Fruchtfliege?
geschrieben von enigma
als Antwort auf carlos1 vom 03.09.2011, 20:20:46
Hallo Carlos,

nein, mit Sicherheit bedarf nicht jede/r des Trostes, der/die sich mit Hirnforschung beschäftigt.

Da ging es wohl eher um meine eigene Befindlichkeit, denn ich muss zugeben, dass einige in diesem Bereich in der Diskussion stehende Themen, wie z.B. die der menschlichen Willens- und Entscheidungsfreiheit, mir nicht ganz klar waren oder sind.
Und in diesem Zusammenhang hatte ich dann Deinen Satz zitiert, als eine Art von Hoffnung, dass dieses Menschenbild mir immer bleiben kann.

Inzwischen habe ich mir eine - natürlich absolut laienhafte, denn ich habe ja keine wissenschaftlichen Vorkenntnisse in diesem komplexen Bereich der Hirnforschung - Erklärung über den freien Willen zurechtgesucht.

Kann es so sein, dass eine zunächst unbewusste geistige Funktion im Gehirn einen späteren Handlungsprozess zwar einleitet, der Mensch aber später diesen Prozess durch bewusste Entscheidungen steuern und verändern kann?

Das würde dann bedeuten, dass nicht alle unsere Handlungen determiniert sind, sondern nur die unbewusst gesteuerten Vorgänge. Und ausschließlich für diese unbewussten Vorgänge wären wir auch im juristischen Sinne nicht verantwortlich, während wir für kontrollierte Vorgänge und Entscheidungen auch die Veranwortung tragen.
Damit wäre auch die Bedeutung der psychiatrischen Gutachten in Strafprozessen erklärt.

Den absolut freien Willen gibt es ja ohnehin nicht, denn der wäre ja aus dem Nichts entstanden, unabhängig von der Sozialisation, die ein Mensch erfahren hat oder auch anderer Einflussfaktoren aus seinem bisherigen Leben, die Willensbildungen beeinflussen können.

Diese Informationen sind wahrscheinlich auch in unserem Gehirn gespeichert und können sich vernetzen.
Dann würde das auch bedeuten, dass menschliche Willensfreiheit sich darin äußern kann, dass komplexe Sachverhalte im Sinne der Abwägung von Für und Wider behandelt werden können?

Wenn das so sein sollte, dann wären einige meiner Unsicherheiten bei diesem Thema beseitigt, was mich sehr freuen würde.

Aber wahrscheinlich gibt es auch ganz andere Auslegungen und ich liege falsch.



Gruß, Enigma

carlos1
carlos1
Mitglied

Willensfreiheit
geschrieben von carlos1
Hallo enigma,
es ist ein Kreuz mit dieser Willensfreiheit. Wir sprechen davon, aber was meinen wir mit Freiheit? Karl verweist darauf, dass Willensfreiheit gebunden ist an mindestens zwei Optionen, zwischen denen ich wählen können muss. Kann. Muss ich wählen? Und was heißt Freiheit? Vorschlag: Nehmen wir doch mal das Wort Selbstbestimmung und setzen es an die Stelle von Freiheit. Aber dann ist immer noch die Frage da, ob wir Herr im eigenen Haus sind. Was macht unser Gehirn? So wie es aussieht, lässt es sich nicht von der Hand weisen, dass unser Wissen, Denken, Fühlen, Entscheiden an neuronale Vorgänge gekoppelt ist. Alle Vorgänge in der Materie (Hirnmasse) haben Ursachen. Also wäre unser Schicksal Determination. Nur spüren wir das nicht. Warum? Muss doch einen Sinn haben.

Ich wage das nicht zu bezweifeln, dass unser Denken etc an neuronale Vorgänge gebunden ist. Andernfalls müsste ich von einer Art "Seelensubstanz" ausgehen und die Tätigkeit eines irgendwie gearteten Geistes annehmen. Übernatürliche Erklärungen für unsere Fähigkeiten versucht die Hirnforschung durch natürliche Erkläungen oder Beschreibungen für diese Fähigkeiten zu ersetzen. so etwas passiert seit Jahrhunderten. Was ist daran so neu und weltumstürzend? Es geht in Forschungsprogrammen - die ich gar nicht kenne - wahrscheinlich um die Findung von Theorien - die die natürlichen Grundlagen eben dieses Menschenbildes, wozu die Menschenrechte gehören aber auch unsere individuellen Freiheitsrechte. Dazu würde auch gehören, dass wir über die Entstehung von Bedeutungen etwas erfahren und lernen, was "Verstehen" heißt. Das alles müsste in jeweils einem konkreten Fall beweiskräftig durch neuronale Vorgänbge messsbar und verständlich lesbar belegt werden. Wie aber sollte etwa einem Mörder der unter Vorsatz (= Schuld) einen Menschen tötet, nachgewiesen werden, dass ihn der Laplacesche Daimon schon von Geburt an befallen hat? Eine gelöschte PC-Festplattendatei ließe sich mit Hilfe spezieller Methoden technisch wieder lesbar machen. Ein analoger Vorgang im menschlichen Gehirn ist nach unserem Wissen wohl ausgeschlossen. Es müste im Hirn eines genau benannten Menschen zu einem bestgimmten Zweck erfolgen. Ich lege dafür nicht die Hand ins Feuer, dass dies je möglich sein wird. Ich habe schlicht keine Ahnung, was möglich wäre und spekuliere.

wWozu sollten wir von bewährten Methoden der Alltagsbewältigung abrücken und uns auf Aussagen von Neurowissenschaftlern zu Hirnvorgängen stützen, die sie heute und auch später auf lange Zeit nicht bewerten können. Was wir von Hirnvorgängen heute kennen, sind elekrische Vorgänge in Verbindung mit Neuronen. Wer übersetzt diese elektrischen Vorgänge der Sensoren und Neuronen in unsere Sprache und bewertet sie?

M. E. wird zu viel Wind gemacht um mögliche Folgen der Hirnforschung.

Viele Grüße
c


enigma
enigma
Mitglied

Willensfreiheit
geschrieben von enigma
Hallo Carlos,

ja, mit der Willensfreiheit, wie ich sie mir zurzeit vorstelle, meine ich auch, dass dazu unbedingt, wie Du auch Karl zitiert hast, die Möglichkeit der Wahl zwischen mindestens zwei Optionen gehört.
Und auch, wenn wir statt Freiheit Selbstbestimmung sagen, bleibt doch der Tatbestand bestehen, dass vor jeder Entscheidung ein Prozess steht, der uns die Entscheidungsmodelle bewerten lässt.

Nehmen wir also an, dass ein solcher Prozess unbewusst eingeleitet wird, so enthebt er uns doch nicht einer Überprüfung der Gültigkeit unserer bisherigen Kriterien für eine Entscheidungsfindung, die mit Sicherheit auch durch unser bisheriges Leben, unsere damit einhergehende Sozialisation und/oder durch besondere Erlebnisse vorgeprägt sind.
Aber - wir können diese Standorte oder -punkte doch auch revidieren. Wir können neue Gründe haben, uns auch ganz anders zu entscheiden.

Bisher gehe ich immer noch davon aus, dass unser Leben nur teilweise determiniert ist, dass es auch Spielraum gibt, uns zu verändern, uns bewusst anders zu entscheiden als bisher.
Mit Sicherheit ist das eine begrenzte Freiheit, aber doch eine, die uns auch eigenverantwortlich handeln lässt und uns damit auch Verantwortung für unser Tun überträgt.

Ich nehme an, dass die Hirnforschung inzwischen vieles an Aktivitäten in den Hirnregionen messen kann, aber über die genaue Funktion, wie sich aktuelle Wahrnehmungen mit unseren bisherigen Erfahrungen verbinden, darüber gibt es wohl noch keine neuen Erkenntnisse, nehme ich an.
Sonst hätten wir schon davon gehört.

Und so schließe ich für mich persönlich jetzt zunächst mit diesem Thema und der Frage, wie frei ich eigentlich bin, ab und akzeptiere, dass in meinem Gehirn psychische Prozesse und neuronale Vorgänge sich auf eine Art mischen, die nicht genau bekannt ist.

Damit kann ich aber leben, wie bisher auch, sogar ziemlich gut.
Danke für Deine Hilfe dabei.

Ich bin sehr gespannt, ob es in den nächsten Jahren den Hirnforschern gelingt, da weitere Geheimnisse zu enträtseln?


Gruß von Enigma




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