Forum Kommentare zu den Artikeln der Blogger Gruppenbeitraege Diskussion zum Artikel "Gesundes Volksempfinden?"

Gruppenbeitraege Diskussion zum Artikel "Gesundes Volksempfinden?"

Lagerdenken
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Oh ja,
Harmlose Begriffe verkehren sich urplötzlich in das Gegenteil.
Wenn erstmal eine bestimmte Richtung vorgegeben ist, dann man schreiben, was man will.
Man steckt in einer Schublade. Ich bin skeptisch. Ich glaube nicht, daß man entspannt und sachlich Kritisches besprechen kann.
Was ich auch zu den Themen "verlorenes Land" schreibe, immer habe ich das Gefühl, weiter nach rechts geschoben zu werden.
Zuletzt habe ich es bleiben lassen, obwohl mir einerseits die pauschale Schuldzuweisung
gestunken hat, andererseits aber auch die Selbstbeweihräucherung.
Ich schwebe zwischen " die vorige Generation" ( wer? Säugling bis Greis ?) und
"ich muß mich meiner Eltern nicht schämen".
Beides widerspricht sich so. Es darf schon differenziert werden, ohne die Schuldfrage in Frage zu stellen.
Ergebnis: In den nächsten Tagen beschimpfe ich einen Freund, der sechs Jahre früher in die Windeln geschissen hat, als ich. Er vor Kriegsende, ich nach Kriegsende. Er gehört ja zur "Tätergeneration". Ich nicht ? So geht es doch nicht.
nordstern
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

gelerntes Denken
geschrieben von dutchweepee
Nordstern - ich danke Dir für Deinen Beitrag. Du hast die "Schuldfrei-Grenze" gut beschrieben. Ich habe selbst jahrelang mit dem Finger auf meinen Vater gezeigt, weil er mit der Wehrmacht als Schirrmeister durch Russland zog. Nun treffe ich auf Familientreffen regelmäßig diverse Onkels, die alle bei der Waffen-SS waren - als Offiziere.

Ich differenziere sehr wohl bei der Polizei-SS und Waffen-SS, aber es gehörte viel mehr dazu als blond und einsachzig zu sein, um bei dieser Elite-Truppe mitmachen zu dürfen. Es gehörte auch ein gerüttelt Maß Gesinnung dazu. Und ich bin immer wieder entsetzt, dass meine lieben Onkels JETZT damit herausrücken. Warum gerade jetzt? Wird das wieder schick?
Schick werden ?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Ja, ob das schick wird ?
Vielleicht traut man sich jetzt, zu sprechen.
Ich merke ja selber, wie eingeengt ich schreibe.
Ich bin 1947 geboren, in der Schule gut informiert, stark betroffen, wenn ich Filme mit dem Thema sehe. Manche kann ich mir nicht ohne Weiteres ansehen.
Niemand meiner Vorfahren ist meines Wissens im KZ gewesen und auch nicht in der NSDAP,
geschweige denn bei SS. Trotzdem schreibt man irgendwie "geduckt".

Inzwischen vertrete ich die Ansicht, wenn ich ganz pur und simpel für Menschenrecht in den heutigen Konflikten auf der Welt, also z.B. Pälestinenser / Israel, dann sehe ich einerseits den einzelnen kleinen Menschen, erst dann die Organisationsform/Staat.

Zwangsläufig komme ich dann dazu, daß wohl das deutsche Volk in seiner Gesamtheit Unheil über die Welt brachte, aber die einzelnen Menschen muß man differenziert betrachten. Nur um mal dieses Beispiel zu bemühen.
Da hat der Säugling wohl keine Schuld.
Mancher Mensch wurde mehr getrieben.
Wenn man so einem toten, zivilem Flüchtlings-Opfer aber verweigert, daß ihm Unrecht angetan wurde, kommt irgendwann Hass bei den Nachfahren hoch.
Mir ging dieses Thema sehr an die Nieren in den letzten Tagen.
Hätte ich selber nie gedacht, sonst hätte ich nicht mitgeschrieben.
Ich mußte mich schon sehr zusammenreißen.

Aber insgesamt haben nachfolgende Jahrgänge Last zu tragen.
Wiedergutmachung zum Beispiel. Oder die Kosten der Kriegsfolgen.

Das einmal besetzte Ausland, z.B. Dänemark, sieht es differenzierter.
Dort wurde in den 60er Jahren meinen Eltern nicht überall etwas verkauft.
Uns jungen Leuten begegnete man aber sehr freundlich.
Ich stelle fest, daß sich ehemalige Kriegsgegner sachlicher bewegen, als unsere Mitbürger.
Zum Beispiel mit dem Thema Bombenterror. Hamburg war ja so ein ziviles Ziel.
Wenn man es in England heute kritischer sieht,was da geschah, auf beiden Seiten, gibt es mehr Kraft, dafür zu sorgen, daß es sich nicht wiederholt.
Hoffentlich erlebe ich noch ein wirklich einiges Europa.

nordstern

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dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

schuldfrei aufgewachsen
geschrieben von dutchweepee
Ich bin 1962 geboren - in der DDR. Bei uns wurde nie über die Vertreibung und die deutschen Ostgebiete unterrichtet. Die Vertreibung kam im Unterricht nicht vor. Es gab die "Oder-Neisse-Friedensgrenze" als Status Quo und damit BASTA! Im nachhinein finde ich dies nicht richtig, aber so wurden unsere Kindsköpfe nicht mit revanchistischem Gedankengut und Deutschland in den Grenzen von 1938 vergiftet.

Pädagogisch wäre es wohl richtig, die zeitlichen und Kausalzusammenhänge all des Unrechts und des Völkermordens im 2ten Weltkrieg dar zu stellen. Dazu gehören auch die Morde und Vergewaltigungen an deutsche Flüchtlingen, aber vor allem auch die unglaublichen Verbrechen der Mordkommandos der Wehrmacht und SS, die all diesen Völkerhass in Europa erzeugt haben.

Mann kann nicht alles auf Hitler, Himmler und die SS schieben. Millionen Deutsche in allen Verwaltungsebenen haben an dem Völkermord mitgearbeitet. Auch der Bahnhofsvorsteher Schulze in Kleinbunzlau, der dafür sorgte, dass die offensichtlichen Menschentransporte pünktlich weiter fahren können. Nicht besonders viele Deutsche hatten damals etwas dagegen, dass Juden, Kommunisten, Zigeuner und Schwule in Arbeitslager gesteckt werden. Das ist schlimm genug.

Da kann man dann hinterher auch nicht sein klein Häuslein zurückverlangen, wenn man die selbst eingebrockte Suppe auslöffeln muss. Das ist legitim - nicht gerecht - aber Gerechtigkeit wäre zu wohl damals zu viel verlangt gewesen.
guter Geschichtsunterricht.
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Siehst Du Dutch, 1962 war ich in der Realschule.
Unser Geschichtsunterricht war sehr gut, sehr sachlich, weil ein relativ junger Lehrer. Da gab es kein altes Denken.
Da wurde nach besten Erkenntnissen der bis dahin verfügbaren Unterlagen unterrichtet.
Ich sehe die Hitlerdiktatur auch als gut durchorganisiert, um alles und jeden unter Kontrolle zu haben.
Ich würde nie auf die Idee kommen, etwas zurückzufordern.
Die Dinge sind, wie sie sind. Ich würde vielleicht gerne die Heimat des Vaters sehen.
Mehr nicht.
Die Schuldfrage an dem Krieg muß ich auch nicht neu finden, die ist klar.
Allerdings, um alles zu begreifen muß man wohl etwas früher aufsetzen.
Es ist ja eine längere Entwicklung gewesen.
Nur so versteht man es. Natürlich weiß ich nicht mehr alle Details aus dem Unterricht.
Es kam ja auch viel dazu.
Es reicht aber noch, um dagegen zu sein, daß es sich wiederholt.
Ich habe jetzt mal gefragt, was denn die "Generation" ist.
In "vergessenes Land". Mal sehen, welche Definition ich bekomme.
Oder auch eine vernichtende Kritik.
Ich hoffe nur, daß ich nicht die einzige Generation nach dem Krieg bleibe, die in Frieden leben konnte.
Aber wir kriegen hier ja noch viel zu lesen, wenn erstmal alle beginnen, zu schreiben.

nordstern
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Das weisse Band
geschrieben von dutchweepee
Du sprichst da ein sehr interessantes Thema an. Woher kamen denn all die Nazis und Mitläufer und "Sieg Heil" Rufer? Da fällt mir auf Anhieb der Film Das weisse Band ein, der derzeit für den Oscar nominiert ist. Ich persönlich mache nach langem Einlesen in das Thema eine "Ursuppe" aus protestantischer Zucht, wirtschaftlicher Unzufriedenheit und versailler Ungerechtigkeit verantwortlich. Irgendwie fühlte sich jeder Deutsche unter irgendeiner Knute - sei es der gestrenge Pastor, die schwächelnde Reichsmark oder die übereifrige Entente ...und dieser Hitler versprach Befreiung.
Ursachenforschung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Wir werden uns das ja vielleicht noch erarbeiten, woher die vielen "Sieg Heil Rufer" kamen.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die geschickte Propaganda.
Die setzte ja bei den Kinders bereits an.
Aber ein ganz wichtiger Fakt ist auch die Vor-Geschichte.
Ich wüßte so auf Anhieb nicht, wo ich da beginnen sollte, die ganze Kette der Kriege aufzudröseln, um herauszufinden, warum es in diesen Krieg mündete.
Kernpunkt scheint mir die Person des Führers zu sein.
Aber das kann nicht alles sein.
Es gab ja auch noch "die Achsenmächte". Also Mitläuferstaaten, auch Japan.

Ich denke nur, diese Kette von Kriegen muß unterbrochen werden.
Sonst kriegen wir irgendwann wieder einen neuen Krieg.
Ich persönlich möchte die Aufarbeitung der Geschehnisse nur in Händen von Fachleute
der beteiligten Nationen sehen.
Wenn der Beitrag so stimmt, der von den polnischen Historikern berichtete, die auch
die Aspekte der Flüchtlinge auf deutscher Seite mit einbindet, ist das ein wichtiger
Schritt, auch da einmal etwas differenzierter zu urteilen.
Und den ganzen Bereich zu beurteilen und zu werten möchte ich auf keinen Fall den
"Rechten" überlassen. Das ist sensibel wie alle Ungerechtigkeiten und Verbrechen überhaupt. Etwas unterzubuttern oder überzubügeln erzeugt zwangsläufig neuen Hass.
Wann der dann einmal eine Rolle spielt, möchte ich lieber nicht wissen.
Wir können das in Europa überwinden. Da sind uns manche ehemaligen Gegner voraus.

Ich will mal ein wenig innehalten, damit sich auch Andere einbringen können.
nordstern
Karl
Karl
Administrator

Das war auch für mich eine gute Erfahrung
geschrieben von Karl
Es ist für mich zutiefst befriedigend, dass im ST lagerübergreifend revanchistisches und rassistisches Gedankengut erkannt und diskutiert wird.
Auch ich habe mich gefreut, dass hier neue Koalitionen möglich waren, auch zwischen Diskutanten, die sonst oft kontroverse Meinungen besitzen. in diesen Diskussionen, die Du ansprichst, hat sich die Spreu vom Weizen erkennbar abgetrennt. Beste Grüße, Karl

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