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Innenpolitik Auf dem Weg zur Inklusion

mane
mane
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Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
Inklusion heißt Zugehörigkeit, ist also das Gegenteil von Ausgrenzung. Wenn jeder Mensch - mit oder ohne Behinderung - überall dabei sein kann: In der Schule, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit - dann ist das gelungene Integration.

Was meint Ihr, sind wir bereits eine inklusive Gesellschaft oder sind wir noch weit davon entfernt? Ist Inklusion überhaupt auf jedem Gebiet sinnvoll? Können z.B. schwerstbehinderte Kinder in einer Regelschule optimale Bedingungen vorfinden oder besteht nicht eher die Gefahr, dass sie dort "untergehen"?

In einem anderen Thread kamen wir vom Hauptthema ab, als wir uns mit der schulischen Inklusion beschäftigten, darum möchte ich die Diskussion hier weiterführen. Hier, auf den Seiten 6 und 7 sind bereits einige Meinungen dazu.

Gruß Mane
DonRWetter
DonRWetter
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von DonRWetter
als Antwort auf mane vom 14.08.2015, 19:08:50
Ich kann, was das Thema Inklusion betrifft, mit eigenen Erfahrungen aufwarten, kann aber die Gesamtsituation in Deutschland nicht überblicken, geschweige denn beurteilen.

In dem Ort, in dem ich aufwuchs, existiert eine Einrichtung der Caritas, in der Gehandikapte aufwachsen, in den Kindergarten und zur Schule gehen, und in eigenen Werkstätten und eigenen Dienstleistungsabteilungen, angeleitet von ausgebildeten Kräften, arbeiten.

Beispielsweise war meine Mutter, die nicht gehandikapt ist, dort in der Wäscherei tätig und ich verbrachte auf dem Gelände meine Kindheit, will heissen, ich war täglich dort, besuchte den dortigen Kindergarten und hatte dadurch Kontakt zu allen Menschen, die da lebten und arbeiteten. Das war in meiner Wahrnehmung nicht irgendwie besonders oder ungewöhnlich.

Der Eine oder Andere konnte manche Dinge aus verschiedenen Gründen eben nicht so gut, dafür andere besser und irgendwie funktionierte das Zusammenleben sehr gut. Auch oder gerade, weil man vorurteilsfrei miteinander umging.

Dieser gute Umgang funktionierte m.E. nicht, weil die Beteiligten und Bewohner des Ortes vorurteilsfreier und einsichtiger waren, als in anderen Orten, sondern weil das Miteinander alltäglich war, man sich gegenseitig erlebte und daraus ein gutes Verständnis entstand.

Aufgrund dieser Erfahrungen bin ich Befürworter von Inklusion in allen Bereichen des Lebens. Davon profitieren alle Beteiligten.

Sicherlich sind Ausnahmen denkbar und erforderlich. Ich verzichte mal darauf, diese zu beschreiben, aber bei den Möglichkeiten, die uns Technik und Medizin beim Ausgleich von Handikaps bieten, wäre es sträflich, sie nicht zu nutzen.
bukamary
bukamary
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von bukamary
als Antwort auf DonRWetter vom 14.08.2015, 20:11:47
Für mich ist dieses Wort mittlerweile ein wenig negativ besetzt. Eine Gesellschaft die es notwendig hat die Inklusion diese mit Hilfe von Gesetzen Vorschriften etc. zu regeln hat in der Vergangenheit für mein Verständnis etwas versäumt. Das mag sein, dass es damit zusammenhängt, dass ich von klein auf schon mit gehandicapten Menschen zu tun hatte und immer noch habe, denn auch ältere Menschen werden wegen ihrer Pflegebedürftigkeit, weil sie an einer Depression leiden oder eine Demenz haben, gerne ausgegrenzt.
Dieser gute Umgang funktionierte m.E. nicht, weil die Beteiligten und Bewohner des Ortes vorurteilsfreier und einsichtiger waren, als in anderen Orten, sondern weil das Miteinander alltäglich war, man sich gegenseitig erlebten und daraus ein gutes Verständnis entstanden.

Es funktionierte weil es selbstverständlich war und weil man schon sehr früh angefangen hatte die Bevölkerung mit einzubeziehen, nicht zuletzt weil auch z.B. die Kinder aus dem Ort mitten in dem Parkähnlichen Geländer umherturnten. Ja ich kenne auch genau diese Einrichtung. Meine Mutter hat ebenfalls dort gearbeitet und ich selber habe dort ein mehrmonatiges Praktikum gemacht. (Ob ich irgendwann dem DonRwetter allerdings begegnet bin, das wiederum entzieht sich meinem Erinnerungsvermögen). Begriffe wie Integration oder Inklusion gab es damals nicht. Da spielte schon auch die Leitung eine ganz wesentliche Rolle (ist wohl heute auch noch so).
Ich habe auch aus einem anderen Grund meine Bauchschmerz. Ich habe immer wieder mal beobachtet, auch in speziellen Einrichtungen, dass Menschen mit einem Handicap, in noch übler weise ausgebeutet wurden. Diese Gefahr sehe ich auch gerade bei Autisten.
Die tatsache aber, dass wir offensichtlich Regeln für den Umgang mit menschen mit einem Hanicap benötigen heißt aber, dass das was Du DonRwetter so erlebt hast und womit ich groß geworden bin, eben nicht flächendeckend funktioniert. Und diese Erfahrung kann ich bestätigen. Viel wichtiger ist aber, dass der Umgang der Menschen mit und ohne Handicap einfach selbstverständlich wird und nicht nur auf bestimmte Zeiten und Situationen beschränkt ist und weil die Regeln das so wollen.

bukamary

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Lindensee
Lindensee
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von Lindensee
als Antwort auf DonRWetter vom 14.08.2015, 20:11:47
Ich kann, was das Thema Inklusion betrifft, mit eigenen Erfahrungen aufwarten, kann aber die Gesamtsituation in Deutschland nicht überblicken, geschweige denn beurteilen.

In dem Ort, in dem ich aufwuchs, existiert eine Einrichtung der Caritas, in der Gehandikapte aufwachsen, in den Kindergarten und zur Schule gehen, und in eigenen Werkstätten und eigenen Dienstleistungsabteilungen, angeleitet von ausgebildeten Kräften, arbeiten.

Beispielsweise war meine Mutter, die nicht gehandikapt ist, dort in der Wäscherei tätig und ich verbrachte auf dem Gelände meine Kindheit, ...

Hallo DonRWetter,
auch ich habe erste Erfahrungen mit Inklusion, bin aber irgendwie der Meinung, dass das, was Du beschreibst, eigentlich keine Inklusion im jetzigen Sinne ist.
Helft mir, wenn ich etwas falsches schreiben sollte.
Ich habe die betreffenden Passagen in Deinen Ausführungen, die mich zu meiner Auffassung führen, mal fett hervorgehoben.

In folgendem verlinkten Bild wird der Gedanke der Inklusion anschaulich beschrieben
(untere Hälfte des verlinkten Beitrages, das Bild mit den bunten Pünktchen):
Was Du beschreibst, würde ich in dem verlinkten Bild der 'Separation' bzw. gegebenenfalls der 'Integration' zuordnen.
DonRWetter
DonRWetter
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von DonRWetter
als Antwort auf Lindensee vom 14.08.2015, 23:26:04
Das war ja auch in einer Zeit, in der von Inklusion keine Rede war.

Ich will ausdrücken, daß, je selbstverständlicher der Umgang miteinander ist, desto einfacher eine Inklusion ist, die damals eben eher beiläufig war.
Lindensee
Lindensee
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von Lindensee
als Antwort auf DonRWetter vom 15.08.2015, 00:05:16
Danke DonRWetter für die Antwort.
Ja, ich kann Deinen Gedanken gut folgen.
Es ist eine Einstellungsfrage und auch Gewöhnungssache, miteinander gut umzugehen. Die Inklusion, von der jetzt alle sprechen, ist ein wünschenswertes Ziel. Man befindet sich auf dem richtigen Weg.

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DonRWetter
DonRWetter
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von DonRWetter
als Antwort auf bukamary vom 14.08.2015, 21:57:17
Moin bukamary



Ja, wir beide kennen diese Einrichtung, von der ich schrieb. Ob wir uns in der Zeit dort begegnet sind, kann ich nicht sagen, halte es aber für möglich.

In der Selbstverständlichkeit, also in der Notwendigkeit zum Alltäglichen, wie sie dort stattfand, liegt die Herausforderung für eine gelungene Inklusion.

Die Gesellschaft muss sich einfach von der Wahrnehmung einerseits Gehandikapter und andererseits nicht Gehandikapter (ich schreibe nicht "Normaler") trennen, sondern verinnerlichen, daß Menschen unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen und dort, wo das hinderlich ist, ausgeglichen werden muss.

In der Praxis stellt sich dann heraus, so jedenfalls meine Erfahrung, daß "die Gesellschaft" oder "der Staat" in Form von Gesetzen und Verordnungen weniger regeln muss, als erwartet oder befürchtet, sondern daß die Menschen untereinander das machen.

Ich bin allerdings nicht so blauäugig, daß es ganz ohne Regulierung gehen wird.
mane
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
Hallo Ihr Lieben,

Das ist ja witzig, dass Ihr beide, bukamary und DonRWetter am gleichen Ort aufgewachsen seid und dass Ihr Euch möglicherweise sogar kennt. Ein Wiedersehen in diesem Thread quasi.

Eure teilweise vergleichbare Kindheit hat dazu geführt, dass Ihr Menschen mit Behinderung unbefangen gegenübertreten könnt, was in unserer Gesellschaft leider noch nicht üblich ist. Ich glaube, dass der Durchschnittsdeutsche wenig Kontakt mit ihnen hat und entsprechend unsicher auf sie reagiert.
Ihr schreibt von Menschen mit "Handicap" oder von "gehandicapten" Menschen, ein Begriff, den ich ungern verwende, da er für mich beschönigend wirkt. Ist das nicht auch eine Barriere (im Kopf), die bedeutet, eine "Behinderung" nicht als das zu bezeichnen, was sie in Wirklichkeit ist?

Ihr schreibt von einem Miteinander, wo behinderte Menschen einfach dazu gehörten. Waren denn die Bedingungen so, dass diese auch die Möglichkeit hatten, am täglichen Geschehen teilzunehmen? Waren z.B. Kindergärten, Schulen, Arbeitsstätten, Freizeitmöglichkeiten für sie offen und barrierefrei erreichbar?

Ich kann, was das Thema Inklusion betrifft, mit eigenen Erfahrungen aufwarten, kann aber die Gesamtsituation in Deutschland nicht überblicken, geschweige denn beurteilen.


UN-Ausschuss: Inklusion ist in Deutschland mangelhaft

In diesem Blog berichtet eine selbst Betroffene, wie es lt. UN-Ausschuss, mit den Rechten von Menschen mit Behinderung in Deutschland aussieht. Der Orginalbericht ist ebenfalls dort zu finden.

Einige Beispiele:

- Der Menschenrechtsansatz der Konvention ist in vielen Bereichen weder verstanden, noch umgesetzt worden.

- Angemessene Vorkehrungen (z.B. Rampen) fehlen und führen zum Ausschluss von Menschen mit Behinderung.

- In den Bereichen Schule und Berufsleben ist die Inklusion unzureichend.

- Der Ausschuss kritisierte auch die Rolle von Institutionen. Das Thema Gewalt, das auch Du bukamary erwähnst, innerhalb und außerhalb von Institutionen werde vernachlässigt und eine unabhängige Monitorenstelle dazu fehle.

Mane
DonRWetter
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von DonRWetter
als Antwort auf mane vom 15.08.2015, 13:35:16
Ich finde den Begriff "gehandikapt" treffend. Er sagt zwar nichts anderes aus, als "behindert", hat aber meiner Meinung nach nichts Beschönigendes an sich, sondern beizeichnet letztendlich - nicht in der wörtlichen Übersetzung, sondern im heutigen Sinn dieses Begriffs - daß jemand in einem bestimmten Bereich nicht die gleich ausgeprägten Fähigkeiten hat, wie der Durchschnitt. Aus welchem Grunde auch immer.
mane
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Re: Auf dem Weg zur Inklusion
geschrieben von mane
als Antwort auf Lindensee vom 14.08.2015, 23:26:04

...auch ich habe erste Erfahrungen mit Inklusion...

In folgendem verlinkten Bild wird der Gedanke der Inklusion anschaulich beschrieben
(untere Hälfte des verlinkten Beitrages, das Bild mit den bunten Pünktchen):
Was Du beschreibst, würde ich in dem verlinkten Bild der 'Separation' bzw. gegebenenfalls der 'Integration' zuordnen.


Hallo Lindensee,

danke für das "Bild", welches die Unterschiede von Exklusion - Seperation - Integration - Inklusion, als veschiedene Konzepte des Zusammenlebens, sehr gut veranschaulicht.

Der Text dazu, zeigt, dass "soziale Inklusion" nicht als geschlossenes System betrachtet werden sollte. Wenn ich es richtig verstanden habe, und wie der "Supraleiter-Flashmob" es in dem Video darstellt, wandeln sich soziale Gruppen, um sich optimal entfalten zu können. Somit ist auch Inklusion offen (durchlässig?) zu gestalten.

Magst Du über Deine Erfahrungen mit Inklusion schreiben?

Mane

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