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Innenpolitik Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit

miriam
miriam
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Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von miriam
Über dieses Thema wurde jahrzehntelang in Deutschland geschwiegen bzw. gelogen – wobei dies nur ein Teil dessen ist, über was alles hierzulande nicht gesprochen wurde, und wie über ehemalige Nazigrößen noch lange nach dem Krieg bzw. der so genannten Entnazifizierung, gerne Stillschweigen bewahrt wurde.

Unzählige von diesen Naziführern führten weiter in der BRD ein normales Leben, manche durchliefen erneut in der Politik oder aber in der Wirtschaft eine neue Kariere.

Wobei es nicht zu übersehen ist: viele wussten von den Laufbahnen der Diplomaten in Nazideutschland – und fanden die Art wie sie unbehelligt ein neues Leben anfangen konnten - nicht erwähnenswert, und schon gar nicht moralisch bzw. politisch zweifelhaft.

Nun ist das Buch von Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit - erschienen.

Die Recherchen bzw. das Verfassen dieses wichtigen Buches wurden vom ehemaligen Grünen-Außenminister Joschka Fischer im Jahre 2005 veranlasst.
Damit wurde auch der Name unter dem man das Amt auch noch kannte, "Haus der Anständigen" den breiten Kreisen bekannt, zugleich auch in Frage gestellt - besser gesagt: zunichte gemacht.

Dieser war der Name, welchen das AA während des Krieges und noch fünf Jahrzehnte danach, wenn man sich auf die Vergangenheit bezog, getragen hatte.
Eigentlich ist dieser Name ein Beweis für die Verlogenheit mit der Geschichte des Öfteren betrieben wird.

Welche waren die Behauptungen in denen sie sich gegenseitig verstärkten, diese Anständigen des ehrenwerten Hauses?
Nun – in erster Linie, dass man während des Hitler-Regimes natürlich einen geheimen Widerstand geleistet habe – und über die Existenz des Holocaustes, nichts gewusst habe.

Dabei belegt einer der Autoren des Buches, Eckart Conze: "Das Amt war von Anfang an, seit 1933, aktiv in die antisemitische Politik des NS-Regimes eingebunden.[---] Das beginnt mit der Rechtfertigung der ersten antisemitischen Maßnahmen, der April-Boykotte 1933, bis hin zur Mitwirkung an der Endlösung in den Jahren nach 1939 und insbesondere nach 1941."

Genau so war das Amt auch aktiv in der Politik gegen die besetzte Tschechoslowakei, in der terroristischen Verfolgung derer, die da einen mutigen Widerstand leisteten.

Als nach dem Krieg, in den 50. Jahren eine zwar zögerliche Aufdeckung der Geschehnisse während der Nazizeit anfängt, wird vom AA die Zentrale Rechtsschutzstelle eingerichtet.
Diese betreibt etwa 10 jahrelang eine regelrechte Strafvereitelung.

Man geht sogar so weit, jene Massenmörder die sich noch immer in Deutschland aufhalten und nun gesucht werden, zu warnen um ihnen die Flucht zu ermöglichen.

Dies ist der Fall von Alois Brunner (einer der wichtigsten Mitarbeiter von Eichmann), und von Klaus Barbie (der so genante Schlächter von Lyon).

Ich versuche morgen noch einiges zum Thema zu schreiben - würde es begrüßen, wenn auch andere dazu etwas schreiben.

Miriam


eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von eleonore
als Antwort auf miriam vom 01.11.2010, 02:02:36
@miriam,

ich möchte nicht unhöflich sein, aber zu diesen thema ist schon einiges geschrieben worden.

miriam
miriam
Mitglied

Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von miriam
Ich erlaube mir, das Thema trotzdem fortzusetzen.

Verblüfft war ich als ich manche Namen in diesem Buch las, und musste dabei feststellen, wie sehr wir dazu neigen, bei manchen Namen auch gleich zu glauben, dass sie über jeden Verdacht erhaben sind.

So zum Beispiel der Name von Weizsäcker.
Einer der Ranghöchsten im AA, war Ernst von Weizsäcker – bekanntlich nach von Ribbentrop, der Zweitmächtigste im AA. Ohne in allen Details nun zu gehen, möchte ich ein Dokument erwähnen, welches von Weizsäcker unterschrieben ist.

Auf die Bitte von Eichmann der Deportation von 6000 Juden aus Frankreich nach Auschwitz zuzustimmen, antwortet Weizsäcker in einem Vermerk:
"Kein Einspruch."

Dazu einer der Autoren des Buches, Moshe Zimmermann, sich erst auf das "Haus der Anständigen" berufend:

"Das ist immer eine Ausrede für die Kollaborateure. Es kann immer noch schlimmer werden.[--]
Aber wenn jemand wie Weizsäcker bereit ist, Dokumente zu unterschreiben, die mit der Vernichtung von Juden zu tun haben, muss man sich die Frage erlauben: Was wäre noch schlimmer, als das, was er hätte verhindern können oder wollen."

Nach dem Krieg, findet der so genannte "Wilhelmstraßen-Prozess" statt - es wird in diesem Rahmen 21 Diplomaten der Prozess gemacht.

Auch Ernst von Weizsäcker wird da angeklagt - und dabei unter anderem von seinem Sohn Richard von Weizsäcker, verteidigt. Dessen Argumentation im Rahmen der Verteidigung: Staatssekretär Weizsäcker sei nach der Machtübernahme der Nazis im Amt geblieben, um "Schlimmeres zu verhindern".

Persönlich finde ich diese Art zu argumentieren im Rahmen einer Verteidigung, nicht verwerflich.

Die Rolle des Vaters - Ernst von Weizsäcker, als mächtiger Diplomat, bleibt für mich aber verwerflich.

Miriam




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olga64
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Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von olga64
als Antwort auf miriam vom 01.11.2010, 08:05:36
Die operative Rolle des Herrn von Weizsäcker endete ja erst als er Gesandter im Vatikan wurde. Schlimm finde ich die Veröffentlichungen "die Juden sollen jetzt das Land verlassen, sonst verlieren sie ihr Leben und sind selbst Schuld" und zu Thomas Mann: der Staat hat sich die Äusserungen von ihm jetzt lange genug angehört - immerhin war Mann Nobelpreisträger - er wurde so beschimpft als er bereits in die Schweiz emigriert war.
Details zu der Rolle des AA in der Nazizeit liegen seit Jahrzehnten von dem englischen Autor Browning vor, wurden aber erst jetzt in die deutsche Sprache übersetzt.
In meinem Bekanntenkreis macht eine junge Dame derzeit ihre berufliche Laufbahn im AA - ab sofort ist das neue Buch für diese Menschen Pflichtlektüre. Wollen wir hoffen,dass der falsch verstandene Corpsgeist des AA wirklich ausgerottet ist und dort nur noch junge Menschen mit Demokratieerfahrung tätig werden. Der Rest der noch verbliebenen ewig Gestrigen wird wegsterben - scheinheilige, codierte Nachrufe sollte sich unser Land ersparen. Olga
miriam
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Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von miriam
als Antwort auf olga64 vom 01.11.2010, 15:36:06
Danke Ihnen Olga für Ihren klugen Beitrag.

Ich werde nun zwei Fakten zusammenfügen, auch auf die Gefahr heraus, dass man die Verbindung nicht verstehen wird. Ich denke auch, dass diese Verbindung eher für mich relevant ist – denn ich bin ja nicht in diesem Land geboren.

Heute Nacht, habe ich bis spät an diesem Thema geschrieben, nachdem ich Einiges dazu gelesen hatte und es fast nicht glauben konnte.
Natürlich sind die Fakten belegt – und ich finde es auch klug, dass dieses Buch von vier Autoren verfasst wurde.

Hier endet das Eine.

Am Vormittag habe ich mir dann die Trauerfeier aus Hamburg zu Loki Schmids Tod angesehen – und habe eines begriffen: in Deutschland geht mit dieser Generation dessen fast schon symbolische Figuren Helmut Schmidt und Loki Schmidt gewesen sind, eine Zeit zu Ende.

Ich idealisiere diese Zeit nicht, denn an ihrem Anfang stehen die Geschehnisse des AA – und die Menschen die versucht hatten, die schändliche Vergangenheit zu kaschieren, sich dabei sogar einfallen ließen die Zentrale Rechtsschutzstelle einzurichten (ich schrieb darüber in meinem erten Beitrag).

Doch eben deswegen: es ist der enorme Verdienst einiger Menschen wie Helmut und Loki Schmidt, dass aus diesem Land eine Demokratie wurde.
Es wurden die Prozesse geführt die uns bekannt sind, zum Beispiel die Auschwitz-Prozesse, die wir einigen sehr Mutigen zu verdanken haben, zum Beispiel dem Richter und Staatsanwalt Fritz Bauer, aber auch Thomas Harlan soll hier erwähnt werden, da er unendlich viel dazu beigetragen hat, die notwendigen Dokumente zu den Geschehnissen in Auschwitz, ausfindig zu machen. (Thomas Harlan, Sohn des Regisseurs von Jud Süß, Veit Harlan, starb vor 2 Wochen, am 16 Oktober 2010).

Zurück aber zum heutigen Vormittag: ich war zutiefst betroffen als ich Helmut Schmidt sah, von seiner Tochter bzw. Schwiegersohn im Rollstuhl geschoben – und verglich dieses Bild mit anderen sehr aktuellen Bildern, zum Beispiel jene von Sarrazin, stolz seinen Bestseller präsentierend, oder aber die Bilder mancher heutigen Politiker.

Für mich ist es ein beängstigender Vergleich. Ich hoffe dass ich mir nie ernsthaft die Frage stellen muss, ob es klug war, seinerzeit nach Deutschland zu kommen.

Gruß von Miriam

olga64
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Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von olga64
als Antwort auf miriam vom 01.11.2010, 16:56:18
Liebe Miriam, ich bin meinem Heimatland Deutschland gegenüber seit dem Zeitpunkt, wo ich (politische) Zusammenhänge begreifen lernte, immer kritisch. Aber bedingt durch viele Aufenthalte und Reisen in andere Länder weiss ich heute, dass es trotz allem ein gutes Land ist, das mir als einer Frau der Nachkriegs-Generation ein selbstbestimmtes und freies Leben ermöglichte.
In Ihrer Aufzählung, die ich voll und ganz ebenso sehe, fehlt für mich aber Willi Brandt. Seinen Kniefall in Warschau fand ich gerade für Deutsche epochal - ich besuchte diese Stätte während eines Polen-Aufenthaltes und unterhielt mich dort auch lange mit Polen. Ich hatte endlich einmal das GEfühl für kurze Zeit, nicht in diesem Übermasse schuldig zu sein.
Was Sarrazin anbelangt: Angebot und Nachfrage. Wenn keiner dieses Buch will, werden auch nicht über eine Million verkauft. Ob es jeder der Käufer liest - sei dahingestellt - ich glaube es nicht. Es wird in wenigen Monaten als Taschenbuch erscheinen, dann nochmals einen Hype erleben (wenn S. dann nicht schon seit nächstes Buch veröffentlicht) - dann wird verramscht, dann ist es vorbei (wohl auch mit dem Thema). Dass dieser Mann S., der rhetorisch so unbegabt ist mit so einem trockenen Stoff so viel Erfolg hat - ich gönne es ihm (ich lese das Buch nicht und möchte es auch nicht - dies ist mein Beitrag zu dieser Sache).
Bleiben Sie also in unserem Land und versuchen Sie mit uns komischen Deutschen klarzukommen, was sicher nicht immer leicht ist. Aber auch wir haben seit unseren mörderischen Exzessen in zwei Weltkriegen und nun ausgestattet mit mehreren Sprachen und Kenntnis anderer Länder und Nationen schon dazugelernt, wie ich subjektiv finde. Alles Gute Olga

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miriam
miriam
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Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von miriam
als Antwort auf olga64 vom 01.11.2010, 17:04:55
Danke Ihnen Olga – schon wegen meiner Familie (zu der auch vier Enkelkinder gehören die natürlich einmalig sind), ist die Frage einer erneuten Auswanderung völlig illusorisch.

Meines Erachtens ist es aber sehr wichtig, eben um hier zu bleiben, sich alle positiven Seiten des Landes von Zeit zu Zeit zu vergegenwärtigen, aber auch die negativen, bzw. beängstigenden Aspekte.

Natürlich habe ich unverzeihlicherweise Willy Brandt vergessen. Ich erinnere mich an einem Rückflug aus Israel – und wie einer der Stuarts plötzlich auf mich zukam und mir mitteilte, dass Willy Brand gestorben sei.
Wir standen noch lange in einem kleinen Vorraum – und sprachen über den großen Mann. Und natürlich über den legendären Kniefall.

Liebe Grüße

Miriam

silhouette
silhouette
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Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von silhouette
als Antwort auf miriam vom 01.11.2010, 02:02:36


Man geht sogar so weit, jene Massenmörder die sich noch immer in Deutschland aufhalten und nun gesucht werden, zu warnen um ihnen die Flucht zu ermöglichen.

Dies ist der Fall von Alois Brunner (einer der wichtigsten Mitarbeiter von Eichmann), und von Klaus Barbie (der so genante Schlächter von Lyon).


Miriam




Autsch! Dem Klaus Barbie wurde in den 80er Jahren in Frankreich der Prozess gemacht. Nach 4 Prozessjahren wurde er zu lebenslänglich verurteilt. Ein paar Jahre später starb er im Knast in Lyon an Krebs.

Von Brunner hieß es zuletzt, er halte sich in Syrien versteckt. Falls er dort noch lebt, wäre er mittlerweile 98 Jahre alt. Offenbar konnte ihn dort nicht einmal der Mossad ausfindig machen.

Recherchiere halt noch ein bisschen, du findest sicher noch genug interessantere Namen für das AA selber. E. von W gehört sicher dazu, aber dafür wurde er auch von den Richtern der Alliierten in Nürnberg verurteilt. Wer sein Hilfsverteidiger war, spielt in einem Rechtsstaat keine Rolle, wo jeder Angeklagte ein Recht auf den Verteidiger seiner Wahl hat.

olga64
olga64
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Re: Das Auswärtige Amt und die NS-Vergangenheit
geschrieben von olga64
als Antwort auf miriam vom 01.11.2010, 17:26:26
Liebe Miriam,

auch ich weiss noch genau, wo ich war als Willy Brandt starb (im Auto auf dem Weg in die Firma) und wie ich weinte. In Sachen Willy Brandt kann man uns Deutsche, oder einen Teil von uns, auch gut kennenlernen: ein Volk, das soviel Unheil über die Welt brachte, regte sich bei Willy Brandt darüber auf, dass er "Vaterlandsverräter" und ein "uneheliches" Kind war. Diese Art wird mich immer an meinen Landsleuten stören und ich kämpfe schon mein Leben lang, so nie zu werden!
Ihnen alles Gute - ich hoffe sehr, wir finden noch viele uns interessierende Themen, um so angeregt und in so gutem Stile miteinander diskutieren zu können. Olga

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