Innenpolitik Der Terror der anderen

margit
margit
Administrator

Der Terror der anderen
geschrieben von margit
"Unbescholtene Bürger aus der Mitte der Gesellschaft seien verantwortlich für Gewalt gegen Asylunterkünfte, heißt es. Das stimmt nicht, zeigen Recherchen von ZEIT ONLINE.", so beginnt der Artikel "der Terror der anderen" in der ZEITONLINE vom 23.2.16.

Die Autoren sind der Vergangenheit der Gewalttäter gegen Flüchtlingsunterkünfte nachgegangen und zu dem Schluss gekommen, dass es sich keineswegs um unbescholtene Bürger aus der Mitte der Gesellschaft handelt, wie es offizielle Stellen behaupten.
Das Team der ZEIT hat die 65 Fälle von 279 gewaltsamen Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte genauer untersucht, in denen überhaupt ein Tatverdächtiger gefunden werden konnte.
Die ZEIT kommt zu dem Schluss, dass die Gewalttäter oft Menschen sind, die bereits vorher extremen rechten Ideen anhingen. Viele seien nicht organisierte Mitglieder rechter Gruppen, sondern Einzelpersonen, die einer rassistischen, ausländerfeindlichen und extremistischen Ideologie anhingen und sich von ihr zum Handeln aufgefordert fühlten. So fände die Radikalisierung häufig über Internet-Communities ohne persönliche Kontakte statt.
Dass es den Tätertyp des "unbescholtenen Bürgern" beim Bundeskriminalamt (BKA) überhaupt gibt, hat nach den ZEIT-Recherchen mehrere Ursachen, die in der Art der Statistik lägen und auch darin, dass die Bundesländern nicht gern in der Rechtsextremismus-Statistik vorkämen. Auch sei es für die Gerichte einfacher, ein Urteil wegen Brandstiftung allein zu fällen als zusätzlich auch noch nach den Hintergründen zu recherchieren. So würden Täter zwar wegen der Straftat verurteilt, Ermittlungen wegen Terrorismus fänden aber nicht statt.

Ich finde den gesamten Artikel (Seite 1-3) lesenswert, auch wegen der darin enthaltenen aktuellen Statistiken.

Margit
Karl
Karl
Administrator

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Karl
als Antwort auf margit vom 23.02.2016, 21:30:15
Einige Zitate aus dem Artikel sind es wert, hier direkt lesbar gemacht zu werden:
Recherchen von ZEIT ONLINE zeigen, dass die These vom neuen Tätertyp so nicht stimmt. Vielmehr geht die Gewalt oft von Menschen aus, die schon vorher extrem rechte Ideen pflegten. Viele von ihnen sind keine organisierten Neonazis, keine bomberbejackten Skinheads, keine eingetragenen NPD-Mitglieder, keine Kameradschaftsaktivisten. Aber sie hängen einer rassistischen, ausländerfeindlichen und extremistischen Ideologie an und fühlen sich von ihr zum Handeln aufgefordert. Es ist keine neue Mitte, die Flüchtlinge jagt. Vielmehr radikalisieren sich Einzelpersonen und kleine Gruppen unabhängig von rechtsextremistischen Organisationen. Gestützt und getragen von der aggressiven öffentlichen Debatte steigern sie sich in Hass hinein und wenden schließlich Gewalt an. Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten. Dafür nehmen sie sogar Tote in Kauf.
geschrieben von Zeit-Online

Sehr interessant die folgende Passage, die erklärt, warum die Motivation für rechtsradikale Taten oft nicht in den offiziellen Berichten benannt wird:
Die BKA-Theorie fußt auf den Daten von Polizei und Verfassungsschutz. Wer dort nicht auftaucht, weil er nie gefasst oder aus Datenschutzgründen wieder gelöscht wurde, gilt als unauffällig. Das ist fachlich korrekt, verzerrt aber vermutlich das Täterbild und damit die politische Analyse. Das ist nicht die Schuld des BKA. Die Beamten können nur zählen, was ihnen aus den Bundesländern mitgeteilt wird und was Gerichte verurteilen. Sie registrieren Taten und Strafen, keine Gesinnungen. Daraus jedoch abzuleiten, dass all diese Täter keine Rechtsextremen sind, ist gewagt.

Trotzdem scheinen viele Polizisten und viele Staatsanwälte diese Sicht zu übernehmen. Die Bundesländer sind offensichtlich nicht erpicht darauf, mit vielen Fällen in der Rechtsextremismus-Statistik vorzukommen. Anders lässt sich kaum erklären, dass selbst der Brandanschlag auf die geplante Asylunterkunft im sachsen-anhaltinischen Tröglitz im April 2015 nicht als rechtsmotivierte Straftat eingestuft wird, sondern in der Kategorie Sonstige verschwindet.
geschrieben von Zeit-Online


Erschreckend, dass rechtsradikale Taten in ganz Deutschland vorkommen. Die Gründe für die lokalen Häufungen werden im Artikel auch analysiert.
Quelle.
Seit vielen Jahren schon warnen Sicherheitsbehörden vor radikalen Islamisten, sogenannten einsamen Wölfen, die sich im heimischen Wohnzimmer unbeobachtet zu Terroristen wandeln und scheinbar aus dem Nichts gefährliche Taten verüben. Dasselbe Muster zeigt sich nun unter Rechtsradikalen. Aktivisten begehen im ganzen Land Anschläge, um so das gesellschaftliche und politische Klima zu verändern.
geschrieben von ZEIT-Online

Ich denke, dass hiermit meine bereits öfters hier geäußerte These, dass wir es mit Terror und Terroristen zu tun haben, bestätigt wird. Es ist höchste Zeit zum Handeln, der Verfassungsschutz und die Bundesanwaltschaft dürfen nicht länger auf dem rechten Auge blind bleiben.

Karl
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Mareike
als Antwort auf margit vom 23.02.2016, 21:30:15
Der wichtigste Satz in diesem Artikel ist für mich folgender:
" .. Gestützt und getragen von der aggressiven öffentlichen Debatte.. "

Es ist eben nicht der Terror der Anderen.

Die Hölle,_das_sind_die_anderen

Mareike

Anzeige

Karl
Karl
Administrator

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Karl
als Antwort auf Mareike vom 24.02.2016, 10:00:15
Ich vermute, der Titel wurde gewählt, um deutlich zu machen, dass in unserem Land der Terrorismus eben nicht nur von Islamisten ausgeht, sondern größtenteils von Rechtsextremisten. Mit Sartre hat das m. E. nichts zu tun.

Karl
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Karl vom 24.02.2016, 09:51:09
Passend zur Thematik:
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-01/altena-fluechtlinge-feuerwehrmann-anklage-mord

" D. hatte im Oktober zusammen mit einem Freund ein Nachbarhaus angezündet, weil er nebenan keine Flüchtlinge wollte. Er sei fremdenfeindlich, aber nicht rechtsextrem, fand die Staatsanwaltschaft, ermittelte wegen gemeinschaftlicher schwerer Brandstiftung und setzte Dirk D. wieder auf freien Fuß. Sie erklärte, D. sei nicht in der rechten Szene vernetzt und habe die Tat aus einer "persönlichen Überzeugung" heraus begangen, nicht aus einer politischen.

Die Bewertung der Staatsanwaltschaft hatte für Unverständnis gesorgt. In dem Haus, das Dirk D. angezündet hatte, lebten zu diesem Zeitpunkt sieben Menschen.

Das Landgericht Hagen revidierte diese Entscheidung nun."

Mareike
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Karl vom 24.02.2016, 10:03:34
Ich erlaube mir mal eine Stellungnahme zu verlinken mit exakt dem gleichen Titel:
http://www.kassandra21.de/2015/11/14/der-terror-der-anderen/
Zitat aus diesem Schreiben:
"Es ist exakt dieser Albtraum, vor dem die Menschen aus Syrien und dem Irak fliehen, die jetzt vor unseren Grenzen stehen, die ins Land kommen und dann mit Gewalt und Terror begrüßt werden, wenn Nazis ihre Asylbewerberheime anzünden. Ja, ich setze solche Menschen gleich mit anderen, die mit automatischen Waffen wahllos in eine Menschenmenge schießen. Das in Deutschland nicht noch mehr Menschen verletzt oder getötet worden sind bei den bisher mehr als 500 Anschlägen auf Asyl- und Hilfseinrichtungen in diesem Jahr, ist nur der Tatsache geschuldet, daß die für Asylbewerber vorgesehenen Gebäude zum Zeitpunkt der Anschläge meistens noch leere Gebäude waren."

Es ist 5 vor zwölf ...

Mareike

Anzeige

Karl
Karl
Administrator

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Karl
als Antwort auf Mareike vom 24.02.2016, 10:37:50
Hallo Mareike,

"5 vor 12" ist noch eine optimistische Einschätzung. An einigen Orten scheint die kritische Masse erreicht, so dass sich das Problem aufschaukeln könnte. Zuschauen darf die Mehrheitsgesellschaft nicht mehr, sondern dieser Terror von rechts ist eindeutig als solcher zu kennzeichnen und muss mit der gleichen Härte bestraft werden wie Terror von links oder von Islamisten. Es gibt keinen guten Terror.

Karl
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Karl vom 24.02.2016, 12:57:34
Drum meine Betonung auf noch - noch vorwiegend leere Gebäuden.

Dennoch ist es nicht getan mit Verfolgung und Bestrafung von dingfest gemachten Terroristen.

Terror kommt nicht aus dem Nichts.

Eine Ursache, "ein Faktor für die Entfaltung des Terrorismus ist, dass ein Staat den Terroristen wenige oder keine Grenzen setzten kann oder will. Wenn also die politische Ordnung wankt, staatliche Dienstleistungen fehlen oder das Gewaltmonopol nicht ausgeübt wird."

Wir wissen immer bestens Bescheid, wenn es die Anderen sind.
Vergl.:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ursachen-des-terrorismus-wenn-die-staatliche-ordnung-wankt.2243b0af-d80c-4d20-9e1a-5b21679ce574.html

"Von Nutzen ist es, einen Schritt zurückgehen und zu versuchen, die Rahmenbedingungen zu beschreiben, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen."

Mareike
Karl
Karl
Administrator

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Karl
als Antwort auf Mareike vom 24.02.2016, 13:30:48
Ich stimme Dir umfassend zu.

Karl
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Der Terror der anderen
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Karl vom 24.02.2016, 14:05:55
Das ist erfreulich.

Vielleicht haben wir so auch eine Basis nähere Überlegungen anzustellen, ohne dass gleich wieder der Vorwurf der Relativierung und Nähe zu rassistischem Gedankengut jede Erörterung unmöglich macht.

Nehmen wir Pegida:
Pegida ernst nehmen heißt nicht automatisch Verständnis für Entgleisungen aufzubringen.
Es heißt: hinschauen und fragen, was ist falsch gelaufen.

Unter welchen Vorgaben wurde zB der Aufbau Ost betrieben.
Wer hat daran verdient oder zumindest gehofft zu verdienen?
In welchen Projekten wurde von wem investiert?
Wer sind die Gewinner?
Wer die Verlierer?

"„Sachsen ist wirklich seit einiger Zeit außer Kontrolle“, meint der Berliner Rechtsextremismusforscher Hajo Funke: „Es ist vor allem ein Versagen der Polizei – und ein Versagen der politischen Führung, des Ministerpräsidenten und des Innenministers.“

Der Bautzener CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann sieht auch sozio-ökonomische Ursachen dafür, warum in Sachsen derart viele Menschen anfällig für rechte Parolen sind. Dass Sachsen von seiner Partei und dem früheren Koalitionspartner FDP als Billiglohnland gepriesen wurde, sei im Rückblick ein großer Fehler: „Es hat viele der besten Leute aus dem Land getrieben“, meint Schiemann.

Die Folge: In der Provinz sind oft die geblieben, die anderswo keine Chancen hatten und Neuankömmlinge wie die Flüchtlinge nun als Bedrohung wahrnehmen. Schiemann verweist auf die Bevölkerungsentwicklung in Ostsachsen seit 1991. Rund ein Viertel der Einwohner sei inzwischen weg, oft junge und gut ausgebildete Frauen. Noch immer pendelten Tausende Ostsachsen jede Woche zur Arbeit in den Westen.

Die Belastungen der letzten 25 Jahre waren für viele Familien brutal. Im Westen ist das weitgehend unbekannt“, sagt Schiemann. Eine Legitimation für Fremdenhass sei das aber nicht."

http://www.volksstimme.de/deutschland-welt/politik/fremdenfeindlichkeit-warum-immer-wieder-sachsen

Mareike

Anzeige