Innenpolitik Hessische Zustände

hb730
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Hessische Zustände
geschrieben von hb730
Eine sehr gute Darstellung der „hessischen Zustände“ ist in der Druckausgabe der ZEIT vom 7.11.08 zu finden (Hass in Hessen von Matthias Geis). Leider nicht in der Online-Ausgabe. Wer die Richtigkeit des Abdrucks sowie die <>Auslassungen überprüfen will, wird sich die Druckausgabe kaufen müssen. Wer die hessischen Zustände kennt, dem wird verständlich, dass der ehemalige SPD-Innenminister Bökel seinen derzeit amtierenden CDU-Nachfolger Bouffier gebeten hat, die Pressekonferenz der „vier Anständigen“ durch die Polizei schützen zu lassen. So ist es auch geschehen …


„Das Scheitern von Andrea Ypsilanti ist kein Zufall. Nirgendwo sonst in Deutschland bekämpfen sich Politiker so brutal wie hier.

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Der Traum, den Andrea Ypsilanti ein Jahr lang „gegen alle Widerstände“ verfolgt hat, ist geplatzt. Nichts scheint nun passender als der Satz, den Kurt Beck schon im März nach dem ersten gescheiterten Versuch gesagt hatte: „Man läuft nicht zweimal mir demselben Kopf gegen dieselbe Wand.“ Dabei trieben den damaligen SPD­Chef keine bösen Vorahnungen. Er sprach nur aus, was selbstverständlich schien: Einen zweiten Versuch, in Hessen eine Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken zu bilden, würde es nicht geben. Kurz darauf begannen in Hessen die Vorbereitungen für den nächsten Anlauf.

„Eine Zäsur in der deutschen Geschichte“« hatten hessische CDU-Funktionäre in den letzten Tagen Ypsilantis Vorhaben düster beschworen. Doch statt mithilfe der Linken entmachtet zu werden, stehen die hessische Union und ihr Anführer Roland Koch urplötzlich vor einem unerwarteten Comeback. Im Gegenzug erlebt die Landes-SPD das größte Desaster der Nachkriegsgeschichte. Ihren Beinahe­Wahlsieg vom Januar hat sie restlos verspielt, die Vorsitzende, die mir ihren Plänen die Republik ein Jahr lang in Atem hielt, steht vor ihrem politischen Ende. Aber als Andrea Ypsilanti am Montagabend im Landtag vor einer Pappwand der SPD-Fraktion ihre „maßlose Enttäuschung“ über ihre abtrünnigen Kollegen formulierte, trat sie nicht zurück. Sie reagierte mit Trotz. Selbst jetzt wirkte sie, als wollte sie gleich wieder zum Sturz Roland Kochs aufrufen.

Aber das Desaster der hessischen SPD ist zu groß, das Projekt Linkswende und sein Scheitern sind zu aberwitzig, als dass sich das alles auf die Marotten der Spitzengenossin zurückführen ließe, ihren Machtwillen, ihre Sturheit, ihre Selbstüberschätzung. Zu sehr erinnert dieses ganze hessische Jahr an die Art, wie hier von jeher Politik betrieben wird. Lange bevor Ypsilanti antrat, war Hessen ein Ort der ideologischen Grabenkämpfe, der beispiellosen Polarisierung, der vergifteten Atmosphäre. Hier gehen die Protagonisten schon immer aufeinander los wie sonst nirgends Dregger gegen Börner, Fischer gegen Koch und Kanther. Wer in Hessen mitmischt, hat diesen kompromisslosen Zug ins Unbedingte: Koch ohnehin, Ypsilanti hat schnell gelernt. In Hessen hat Alfred Dregger die CDU zum „Kampfverband“ geformt und ein Law-and-Order-Mann wie Manfred Kanther hielt noch den Rechtsbruch für erlaubt, wenn dabei die Mittel zur Bekämpfung des Gegners heraussprangen. Kochs entfesselter Wahlkampf und Ypsilantis „Koch-muss-weg“-Kampagne waren nur die letzten Kulminationspunkte der erbitterten Auseinandersetzung. Wer sich fragte, wie die hessische SPD nahezu geschlossen auf den Wortbruch und den Pakt mit der Linkspartei einschwenken konnte, findet in der wüsten Tradition der hessischen Verhältnisse am ehesten eine Erklärung.

Bislang war es vor allem die hessische CDU, die Stolz auf ihre bedingungslose Geschlossenheit zeigte. Ausgerechnet auf diesem Feld hat Ypsilanti in den zurückliegenden Monaten versucht, die CDU zu schlagen. Wer sich in der SPD gegen den Linkskurs aussprach, durfte auf Toleranz kaum rechnen. Wie auch? Wo im Landtag jede Stimme zählte, war für Dissidenten kein Platz. Von „Irritationen" mochte Ypsilanti nur sprechen, nachdem sie ausgeräumt waren. Immer wieder erklärte sie, wie sicher sie sich aller notwendigen Stimmen sei. Noch am Wochenende versprach sie ihrer Partei den PolitikwechseI, „auf den alle so lange gewartet haben“. Dabei war die Mehrheit der Wähler in Hessen gegen das Projekt. Die SPD wollte es bis zum Schluss nicht wahrhaben. Und Ypsilanti musste hoffen, dass die breite öffentliche Ablehnung keinen weiteren SPD-Abgeordneten zum Nein bewegen würde außer Dagmar Metzger, die sich früh dazu bekannt hatte.

Drei weitere - Jürgen Walter, Carmen Everts, Silke Tesch - haben sich am Ende noch gefunden. Gegen die erdrückende Mehrheit ihrer Partei bekundeten sie offen ihre Ablehnung. Wer den Konformitätsdruck der letzten SPD-Parteitage gespürt hat, ahnt, dass diese Entscheidung Mut brauchte.

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Für Roland Koch ist das alles ein unfassbarer Glücksfall. In der Wahlnacht vom 27.Januar war er nach einem unsäglichen Wahlkampf ohne Mehrheit und schien politisch am Ende. Am 3.November ist er der große Gewinner. Als er am Montagnachmittag in der Staatskanzlei auftrat, fiel das Wort Demut. Den vier SPD-Abgeordneten, die ihn mit ihrer Gewissensentscheidung aus einer ausweglos erscheinenden Zwangslage befreiten, bekundete er Respekt. Selbst die, die an »diesem schwierigen Tag viele ihrer Träume verloren haben«, erwähnte der amtierende Landesvater. Fast ein Jahr lang war er politisch gelähmt, vom Geschick seiner Kontrahentin abhängig. Nun weiß Koch, dass er darangehen kann, die Dinge wieder nach seinen Vorstellungen zu ordnen. Dass Koch nun auf die Idee kommen könnte, den gefallenen Genossen etwas anzubieten, darf man getrost ausschließen. Jetzt, wo der politische Gegner sich selbst zugrunde gerichtet hat, kommen ihm Neuwahlen gelegener. Er selbst, oder auch ein anderer CDU-Kandidat, wird dann die Niederlage vom Januar auslöschen.

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Fast wäre Tarek Al Wazir am Dienstag als hessischer Umweltminister vereidigt worden, 23 Jahre nach Joschka Fischer. Bevor der in Hessen Minister wurde, hatte er im Bundestag die unverschärntesten Reden gehalten und sich davor in Frankfurt als Straßenkämpfer betätigt. Die Grünen verhinderten, dass Anfang der achtziger Jahre in Hessen der bekennende Weltkriegsveteran Alfred Dregger an die Macht kam. Auch damals brauchte es einen Wortbruch, den der aufrechte SPD-Ministerpräsident Holger Börner beging, um sich mithilfe der ihm zuriefst suspekten Grünen an der Macht zu halten. Er tat es schweren Herzens. An der tiefen Verbitterung der Union änderte das nichts. Es war die Zeit, in der ein Grüner im Hessischen Landtag einen US-General mit Blut bespritzte. Jamaika lag noch jenseits aller Vorstellungen.

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hb730
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von hb730
als Antwort auf hb730 vom 09.11.2008, 22:48:54
gerade bei "Feierabend Arena" gelesen:

nach dem "SPIEGEL" von heute sind die Zustände in der hessischen SPD noch viel schlimmer, als in dem Beitrag geschildert.

Man wundert sich, dass die Spitze der Bundespartei nicht eingreift und für Ordnung sorgt. Denn was hier abgeht, ist kein ausschließlich hessisches Problem. Es wird die gesamte Partei betreffen.

Die Hoffnungen auf Müntefering waren verfehlt. Er hat nichts bewirkt - im Gegenteil - seine Stellungnahme zu Hessen ist eher "ein in die Knie gehen" ...
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hb730
dunkelgraf
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von dunkelgraf
als Antwort auf hb730 vom 10.11.2008, 16:13:53
Was soll die ganze Aufregung? Die hessische SPD greift dem vor, was der ganzen SPD noch blüht. Entweder die SPD verabschiedet sich von seiner Blockade-Haltung gegen die Linken, oder sie wird nach und nach zerrieben. In einem schmerzlichen Lernprozeß hat sich die hessische SPD dazu durchgerungen, mit der Linken zusammenzuarbeiten, was vernünfig und zukunftsorientiert ist. Und diesen Prozeß hat die Gesamt-SPD noch vor sich, wenn sie sich nach dem nächsten Debakel von ihren rechten Führern wie Müntefering und Steinmeier befreit hat.
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schorschie2
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von schorschie2
als Antwort auf dunkelgraf vom 10.11.2008, 16:50:02
Ja, Dunkelgraf, Deine Ausführungen kann ich uneingeschränkt teilen.
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schorschie2
hb730
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von hb730
als Antwort auf dunkelgraf vom 10.11.2008, 16:50:02
Wenn das deine Wunschträume sind, dann werden sie wohl nicht in Erfüllung gehen. Manchmal - insbesondere in Hessen - könnte man wirklich den Eindruck haben, die SED würde in absehbarer Zeit die SPD-Organisation und alle ihre (verbliebenen) Mitglieder übernehmen. Aber soweit wird es sicher nicht kommen. Schließlich weiß man, dass DIE LINKE zu 85 Prozent aus den Gebieten der ehemaligen DDR, also im wesentlichen aus ehemaligen SED-Mitgliedern besteht. Die Altersschichtung ist demtentsprechend. Also ist damit zu rechnen, dass sich das Problem "SED-Ansprüche" biologisch löst.

Die 15 Prozent Wessi-Mitglieder DER LINKEN haben eine entsprechende Vergangenheit - und viele, die meisten der westlichen Führungsmitglieder sind nach unseren Maßstäben Versager im wahrsten Sinne des Wortes (Laffo, Maurer und andere). Wie es scheint, wird es in nächster Zeit Nachschub für die "Versager-Gruppe" geben.

Also, was soll's? Die Wunschtraum-Hoffnungen werden im Sand verlaufen.
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hb730
susannchen
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von susannchen
als Antwort auf hb730 vom 12.11.2008, 13:07:44
Die Zeit heilt Wunden, die mit Vergangenheit gehen langsam dahin, es wird so kommen wie dunkelgraf es schrieb, da geht gar kein Weg dran vorbei!
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susannchen

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hb730
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von hb730
als Antwort auf susannchen vom 12.11.2008, 13:57:08
es geht nicht um Wunden, es geht um Verbrechen, die von einem Unrechtsstaat an Menschen begangen wurde. Das ist sicher die wichtigere Hälfte der Miete. Die andere Hälfte ist die Tatsache, dass die SED-Nomenklatura einen ganzen Staat - ein Gemeinwesen mit 17 Millionen Menschen - gegen die Wand gefahren hat. Wann gab es je in Mitteleuropa einen Staatsbankrott dieser Art? Nicht zu vergessen, dass der SED-Staat in den letzten zehn Jahren seines Bestehens von der BRD finanziell über Wasser gehalten wurde.

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hb730
susannchen
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von susannchen
als Antwort auf hb730 vom 12.11.2008, 15:03:03
Wunden sind das Resultat aus Verbrechen!
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susannchen
hafel
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von hafel
als Antwort auf hb730 vom 09.11.2008, 22:48:54
Die SPD in Hessen wird auch bei der nächsten Wahl kaum ein "Bein an Deck" bekommen. Ich habe gestern die "Johannes B.Kerner-Sendung" im ZDF gesehen und kann ich mir den Kandidaten aus Gießen-Land, Thorsten Schäfer-Gümbel, absolut nicht als neuen Ministerpräsidenten vorstellen. Gestern saß er bei Kerner wie ein Primaner oder Notkonfirmand neben seiner "Chefin" Ypsilanti, deren Worte er brav "nachbabbelte".
Andrea Ypsilanti wiederholte bei Kerner noch einmal gebetsmühlenhaft den historischen Anspruch der hessischen SPD. Sie vergass zu sagen, dass ihr dazu das Notwendigste fehlt.... nämlich eine Mehrheit.

Wenn ich mir die Zukunftsaussichten für dieses Land beschaue, so kann ich nur sagen: "armes Hessen".

hafel



hafel
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Re: Hessische Zustände
geschrieben von hafel
als Antwort auf dunkelgraf vom 10.11.2008, 16:50:02
Deine "sozialistischen Wünsche" werden nicht eintreffen. Glaube mir das!! Gewinner aus dem SPD-Desaster in Hessen, wie auch auf Bundeseben, wird die CDU sein und NICHT die Linke. Es wird unvermeidbar werden, dass R. Koch bei der nächsten Wahl eine deutliche Mehrheit erhält..... was mit Sicherheit nicht mein Wunsch ist!!!! Dafür hat aber die SPD mit Hilfe der Linken alles getan, dass es so kommt.

Da magst Du Dein sozialistisches DDR-System noch so sehr hinter her himmeln, es hatte real nichts mit dem Ideen von K. Marx und R. Luxemburg zu tun. Das Vorbild der DDR war immer die Sowjetunion Lenins, Stalins, Chruschtschows und Breschnews gewesen. Doch wer will dahin zurück? Planwirtschaft komplett mit Plaste und Elaste.... Bespitzelungen, Unfreiheit und Schießbefehl. Glaube mir, das will außer den wenig Linken hier niemand.
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hafel

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