Forum Politik und Gesellschaft Innenpolitik Rüffel für die deutsche Justiz

Innenpolitik Rüffel für die deutsche Justiz

carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von carlos1
als Antwort auf adam vom 24.01.2011, 14:06:12
"Menschenrechte können nie voll ausgeschöpft werden, weil sie sich auch gegenseitig eindämmen. Zum Beispiel die Rechte auf Leben und Freiheit: ..." adam


Grundrechte sind nicht geeignet, um mit ihnen einen Staat zu regieren. Es sind ursprünglich Abwehrrechte des Individuums gegenüber dem Staat gewesen(18. und 19. Jhd.). In diesem Falle waren sie ein unentbehrliches Korrektiv, sind es heute noch. Die schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit haben dafür gesorgt, dass sie in die Verfassung aufgenommen wurden und zwar als nicht mehr aufzuhebender Bestandteil (auch nicht durch Zweidrittelmehrheit) der Verfassung. Man braucht auch nicht alle Möglichkeiten ausnutzen, die die Grundrechte bieten, um einen Staat zu ruinieren. Es genügt ansatzweise schon der Versuch weniger Einzelner oder eine Übertreibung, um zu einer Verwirklichung einer Utopie (etwa der völligen Gleichheit aller) zu gelangen.

Sich widersprechende Rechte wie Freiheit und Gleichheit dämmen sich wohl nicht gegenseitig ein. Vielmehr sind es Menschen/Bürger, die in diesen Idealen (besser: Utopien) ein beherrschendes notwendiges Organisationsprinzip der Gesellschaft sehen, sich bekämpfen und um die Verwirklichung ihrer Ideen ringen.
c

adam
adam
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von adam
als Antwort auf carlos1 vom 24.01.2011, 22:04:43

@carlos,

ich hatte ja auf die folgende Aussage von Dir geschrieben:
Für mich ist die entscheidende Frage im Zusammenhang mit den Grundrechten, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der die Grundrechte von allen bis zum letzten ausgeschöpft würden.


Wir sind uns doch darüber im Klaren, daß dieses "bis zum letzten Auschöpfen" schon in den Kleinigkeiten des täglichen Lebens nicht funktioniert.

Grundrechte sind für alle da. Kann ein Verbrechen Grundrechte mindern? Müssenen wir einfach damit leben, daß ein Verbrechen mit Verbüßung von Lebenslänglich abgegolten ist? Oder können wir im Fall der Sicherungsverwahrung die lebenslängliche Haft bis zum Tod verstehen? Können wir damit argumentieren, daß die vollkommene Verwirklichung der Grundrechte nur ein unerreichbares Ideal ist? Die Sicherungsverwahrung gleicht einem Absprechen der Grundrechte.

--

adam


carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von carlos1
als Antwort auf adam vom 24.01.2011, 22:38:00
@adam

Wir liegen auf der gleichen Linie, adam. Ich machte meinen letzten Beitrag an dem etwas zu mechanischen Bild von der "gegenseitigen Eindämmung von Freiheit und Leben". Grundrechte werden nicht durch andere Grundrechte "eingedämmt", sondern durch staatliche Gesetzgebung. Schulpflicht z. B. bedeutet im Grunde staatlichen Zwang. Sie ist aber sinnvoll. Durch einen Arbeitsvertrag unterwirft sich ein Rechtssubjekt Anordnungen der Unternehmensleitung. Im Straßenverkehr dürfen wir nicht rasen, wie wir wollen etc. Vorbeugend wollte ich sagen, dass in diesem Bild der Eindämmung kein Automatismus gedacht werden darf. Wichtig ist aber, dass die staatliche Gesetzgebung an die Grundrechte gebunden ist. Mit einem Begriff wie Freiheit kann viel Unfug getrieben werden. Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit hat Grenzen eben dort, wo Rechte anderer berührt werden.

Die Fragwürdigkeit einer Bestrafung als Sühne habe ich schon erwähnt. Nachträgliche Sicherungsverwahrung als Verlängerung der Strafe auf Lebenszeit widerspricht dem Geist der Menschenrechte. Da gehen wir in der gleichen Richtung, adam.

Können Menschen sich ändern? Diese Frage stellt sich mir immer noch. Die Praxis der Erfahrung gibt keinen Anlass zu übertriebenem Optimismus.

c.

Anzeige

Medea
Medea
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von Medea
als Antwort auf carlos1 vom 25.01.2011, 10:01:42
"Können Menschen sich ändern? Diese Frage stellt sich mir immer noch. Die Praxis der Erfahrung gibt keinen Anlass zu übertriebenem Optimismus." (Carlos)

Genau diese Gedanken machen mir die größten Bauchschmerzen bei der Vorstellung, nach Verbüßung der langjährigen Haftstrafe einen erneut potentiellen Täter in die Freiheit zu entlassen.

Es sind ja keine Einzelfälle, in denen wieder Mordopfer zu beklagen sind von "ordnungsgemäß" aus dem Strafvollzug nach Hause geschickten.

Wie kann sichergestellt werden, daß so ein Mensch keine Möglichkeit mehr zum Mord an Kindern, Frauen, Mitmenschen findet?

Ist sein "Recht" entlassen zu werden höher zu bewerten als seine möglicherweise schon wieder geplanten Verbrechen?

Medea.



adam
adam
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von adam
als Antwort auf Medea vom 25.01.2011, 10:15:17
@medea,

darum drehte sich ja die Diskussion und die theoretische Betrachtung hat gezeigt, wie schwierig die Aufgabenstellung und die Beurteilung ist.

Wie sehr die Praxis an der Theorie leidet, hat mir gestern wieder das lebende Bild eines Vaters bei "Beckmann" gezeigt, dessen Tochter von einem Wiederholungstäters mißbraucht und ermordet wurde. Daß hier gehandelt werden muß, ist auch meiner Meinung nach völlig klar.

Die TV-Diskussion hat mich an die Aussage eines Kollegen erinnert, der zwei Kinder hat. In einer ähnlichen Diskussion sagte er: "Wenn jemand meinen Kindern etwas zu Leide tut, stehe ich bei der Entlassung des Täters mit einem Gewehr vor dem Gefängnistor!"

Eine Aussage, die mein Verständnis hat, sosehr sie auch gegen das Gesetz ist.

--

adam
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Medea vom 25.01.2011, 10:15:17
"Wie kann sichergestellt werden, daß so ein Mensch keine Möglichkeit mehr zum Mord an Kindern, Frauen, Mitmenschen findet?

Ist sein "Recht" entlassen zu werden höher zu bewerten als seine möglicherweise schon wieder geplanten Verbrechen?"

Medea.


Nichts kann sicher gestellt werden, auch wenn nach menschlichem Ermessen und Voraussicht von Gutachtern nichts passieren wird. Allerdings handelt es sich bei Nichtentlassung nach verbüßter Strafe um eine Verletzung bestehenden Rechts. In diesem Fall wäre das Recht das Opfer. Zugegebenermaßen ein Abstraktum. Das Recht aber ist als ein hohes Gut zu betrachten.

Ich habe in einem Beitrag bereits darauf hingewiesen, dass es bei immer mehr Menschen zu einer mangelhaften Ausbildung des Rechtsbewusstseins kommt.

Viele Grüße
c.

Anzeige

urmelviech
urmelviech
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von urmelviech
als Antwort auf carlos1 vom 25.01.2011, 22:32:51
Stellen sich bei mir einige Gedanken.

Recht und Gesetze sind Normen und Regeln allgemeingültig für alle und immer.

Nur einhalten muss Sie keiner. Er kann es, muss es aber nicht.

Das ist der Preis der Freiheit, der Sieg des Einzelnen über die Mehrzahl.

Die Allgemeinheit hat das auszuhalten.

Die Opfer haben das Schicksal zu ertragen,

Pervertierte Demokratie ?

In der Barbarei des Mittelalters wurde gebrandmarkt und den Dieben die Hände abgehackt, Todestrafe usw..
Ein radikale Lösung.

Wie soll das in der heutigen Zeit geschehen mit Fussfesseln oder Observation ?

Es ist immer eine Standpunkts- oder Brachtungsweise, ob ich michvor oder hinter einem Gitter befinde.

Es ist die Freiheit, jeder kann Straftaten begehen, aber nicht jeder nimmt die Chance dazu wahr.

Schluss ! Ich mache mir keine Gedanken, ich habe keine Absicht straffällig zu werden und hoffe auch nicht

Opfer zu werden. Denn, dann muss ich mir erst Recht keine Gedanken machen.
lemuria
lemuria
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von lemuria
als Antwort auf urmelviech vom 26.01.2011, 10:05:46
Die Observation eines Einzelnen rund um die Uhr, kostet den Steuerzahler pro Monat etwa 250000 Euro!!!

carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von carlos1
als Antwort auf urmelviech vom 26.01.2011, 10:05:46
Ich habe mir oft Redensarten anhören müssen, wie sicher die Menschen im Hitlerreich leben konnten. Frauen konnten sogar ohne Angst in der Nacht sich auf den Straßen bewegen. Klar. Die Sadisten und Kriminellen konnten sich in den KZs und anderswo austoben. Beim Lesen deines Textes beschleicht mich wie so oft das Gefühl, dass die menschliczhe Zivilisation und Kultur nur ein dünner Firniß ist. Darunter brodelt es. Widersprechen muss ich energisch: Gesetze müssen eingehalten werden. Ohne Wenn und Aber.

Der Jahresbericht des Wehrbauftragten lässt erkennen, dass es in der Bundeswehr im Führungsverhalten erhebliche Mägel gibt. "Insbeosndere jungen Mannschaftsdienstgraden und unerfahrenen Vorgesetzten fehlt es bisweilen an Wissen und Gespür ,wann die Grenzen zum Dienstvergehen beziehungsweise zur Straftat überschritten werden." Auf diesen Aspekt habe ich in einem früheren Beitrag hingewiesen. Die Bundeswehr ist eine Bürgerarmee und auch ein Abbild dieser Gesellschaft. Seien es Verkehrsdelikte, Steuervergehen, Mobbing im Betrieb, Bildungswesen etc. die Grenzen werden durch den Einzelnen immer weniger erkannt und nicht respektiert.
Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Rüffel für die deutsche Justiz
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 26.01.2011, 12:40:28
Ich denke, wenn jemand als derartig gemeingefährlich eingestuft wird und das wird wohl nicht ohne die diversesten Gutachen möglich sein, dann spricht doch alles für die zwanghafte Einweisung in eine psychiatrische Klinik wegen Fremdgefährdung und nicht für eine Rundumbewachung.

Das zu dem betreffenen Fall!
---------------------------------

Schaun, was andere Länder in diesen Fällen tun und ob das konform mit den Menschenrechten ist.

--------------------------------

Ansonsten ist alles, was einer weiteren Verluderung des Rechtsempfindens Vorschub leistet und sogar auf die präventive Inhaftierung von Vielleichttätern abzielt, ein gewaltiger Schritt zurück. Nicht, dass ich jetzt eine echte Gefahr sehe, wie Tucholsky es in den 20 er Jahren hellsichtig vorausgesagt hat, aber es sollte jeder Einsatz der Strafgewalt, der die Möglickeit eines gewaltigen Mißbrauchs in sich birgt, vermieden werden. Zu unser aller Wohle!

Ich denke, die nun vom EU-Menschenrechtshof ausgesprochene Beurteilung war einigen oder sogar vielen von denen, die dieses Gesetz beschlossen haben, durchaus klar - aber man bediente populistisch das Volk und das gesunde Volksempfinden mit der wunderbaren Ausrede "Wir wollen ja, aber die EU läßt uns nicht". Sodass nun diskutiert wird, ob nicht jeder, der irgendwann einmal vielleicht schwer- oder nur leichtkriminell werden könnte, nicht vorbeugend eingesperrt werden soll!

Man nahm also eine Abstumpfung des Rechtempfindens inkauf.

Anzeige