Innenpolitik Streit um Bürgergeld

ingo
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von ingo

Ich werfe mal einen weiteren Gedanken in den Ring:
Sowohl Hartz 4, als auch das Bürgergeld wären überflüssig gewesen, wenn man das Bundesozialhilfegesetz behalten und es alle paar Jahre den Gegebenheiten angepasst hätte. Im BSHG war übrigens, wie auch bei Hartz 4, festgelegt, dass angemessene Heizkosten übernommen werden. Warum das beim 'Bürgergeld zunächst vergessen wurde, weiß ich nicht; aber das war ein echter Konstruktions-Schnitzer! Das habe ich vor ein paar Wochen hier auch schon mal gesagt.
Wenn das BSHG beibehalten worden wäre, hätte man auch den Vorteil gehabt, dass alle Paragrafen höchstrichterlich ausgeurteilt waren. Mit Hartz 4 ging die Klagerei von vorne los, und das Gleiche passiert nun mit dem Bürgergeld. Es wird Jahre dauern, bis hier alle Paragrafen gerichtlich geklärt sind.
Hubertus Heil ist m.E. ein "Überzeugungstäter". Er glaubt fest daran, dass er im Sinne der Geringverdiener und der Sozialleistungsempfänger handelt. Leider stolpert auch er über die vielen politischen Fallstricke, die eine Sozialgesetzgebung bereit hält. Ich habe ihm übrigens vor wenigen Monaten geschrieben, dass ich empfehle, die 300 € Gaszuschuss an Sozialleistungsempfänger  nicht jetzt auszuzahlen, sondern den Betrag mit der Jahresabrechnung zu verknüpfen. Warum? Weil Menschen jetzt in die Versuchung kommen, das Geld für Weihnachtgeschenke oder für die Ratentilgung bei Otto zu verwenden. Im Frühjahr werden viele mit ihren Jahresrechnungen beim Jobcenter aufschlagen und die Übernahme beantragen. Theoretisch in Ordnung, wenn beim Bürgergeld nur die "angemessenen" Heizkosten übernommen werden; praktisch aber ein Unding, weil die Kosten tatsächlich doch übernommen werden müssen......allerdings als Darlehn. Zurück zum BSHG: Darlehn gab es auch damals schon; aber es war gerichtlich ausgeurteilt, dass monatliche Tilgungen 10-20 DM nicht übersteigen dürfen. Das wurde schon bei Hartz 4 ausgehebelt. Da hat man rotzfrech bis zu 100 € monatlich einbehalten. Das geht aus sozialethischer Sicht überhaupt nicht! Nun höre ich mal besser auf......
 

olga64
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von olga64
als Antwort auf ingo vom 07.11.2022, 18:35:27

Es bringt m.E. gar nichts, jetzt über Fehler von H 4 zu lamentieren, die bei Ausarbeitung und Einführung des GEsetzes vor fast 20 Jahren gemacht wurden und zwar von der damaligen rot-grünen Regierung.
Einer der grössten Fehler ,die damals gemacht wurden, war, nicht parallel zu dieser Leistung auch den Mindestlohn zu installieren, was erst Jahre später geschah.

Für mich ist entscheidend, dass wir aktuell fast 1 Mio freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt haben und sich nach meiner Logik doch realistische Möglichkeiten bieten könnten, den einen oder anderen Empfänger solcher Transferleistungen zu bewegen, sich zu bewerben und den eigenen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren.
Natürlich muss weiterhin denen geholffen werden, die zu krank sind, um berufstätig zu sein oder deren persönliche Ausbildungsbiografie noch Zeit benötigt, um sie für den Arbeitsmarkt einzusetzen.
Und natürlich auch für Leute, die zu Beginn einer Erwerbstätigkeit noch Aufstockung benötigen, um davon auch leben zu können. Das wäre die richtige Motivation, um Menschen zu befähigen, selbst für ihr Leben verantwortlich zu sein.
Dafür sollte Geld ausgegeben werden. Olga

RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ingo vom 07.11.2022, 18:35:27
Ich vermute mal ganz frech, dass die 300 Öcken im Dezember wohl das Weihnachtsfest verschönern sollen. Das betrifft ja auch uns alle. Kaufen wir also Geschenke für die Enkel. (Wir haben keine und schenken uns seit Jahren nichts, wir können das Geld aufheben.)

Ein anderer spaßiger Termin war das 9-Euro-Ticket zur Entlastung der Pendler... passend in den Sommerferien! 
Ich glaube nicht, dass das zufällig in die Zeit passt, das ist geplant.

Simiya

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ingo
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von ingo
als Antwort auf olga64 vom 07.11.2022, 19:12:15

@olga64:
-Ich "lamentiere" nicht über Hartz 4, sondern beschreibe/ziehe Parallelen, die zum Verständnis des Wechsels zum  Bürgergeldes beitragen sollen.

-Leistungsempfänger zu motivieren ist leider schon immer ein Kampf gegen Windmühlen gewesen. Und weil wir inzwischen  schon die vierte oder fünfte Generation/Familiendynastie versorgen, ist die Vermittlung von Menschen, deren Großeltern sich mit ihrem Leben/ Zustand bereits abgefunden hatten, nahezu unmöglich geworden. Die Vermittler in den Jobcentern haben schon längst resigniert. Ich erinnere mich an ein Gespräch vor über 20 Jahren, als mir ein Vermittler mit Schulterzucken erzählte, dass er im Vormonat einen einzigen Menschen vermittelt hatte. Bessere Ergebnisse wird es heute gewiss nicht geben. Nun könnte ich noch darüber schreiben, dass "Arbeitsentwöhnung" m.E. eine Krankheit ist. Aber diesen Ausflug erspare ich mir.

werderanerin
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von werderanerin
als Antwort auf olga64 vom 07.11.2022, 19:12:15

Ich möchte deine Gedanken noch dahingehend ergänzen, als das Sozialleistungen auch weiterhin an Regeln geknüpft werden müssen. Hartz 4 war dabei kein optimales Beispiel, weil die Leute quer Beet beispielsweise dazu verpflichtet wurden, irgendeine Weiterbildung o.ä. zu absolvieren, ob sie wollten oder nicht, um weiterhin Leistungsempfänger bleiben zu können.
Kaum jemand im Jobcenter hatte auf Interessen geachtet..., dabei mache ich den Mitarbeitern keinen Vorwurf, sie haben nur politische Ziele umgesetzt.

Natürlich gibt es auch hier immer Unterschiede, diejenigen, die sich selbst bemühen und nicht warten, bis "das Amt" etwas findet. Es gibt aber eben auch diejenigen, die es sich gemütlich machen im Sozialstaat und dann auch immer Wege finden, sich zu drücken. Ich meine hierbei ganz ausdrücklich nicht diejenigen, die unverschuldet oder krankheitsbedingt arbeitslos geworden sind!

Was ich aber eben auch denke..., zukünftig müssen auch die Jobcenter mehr bieten, um viel mehr "Harzer" oder dann Bürgergeldempfänger zu motivieren, ihr Leben wieder selbst in den Griff zu bekommen und Arbeit als etwas Sinnvolles zu empfinden. Dazu müssen aber gute Anreize geschaffen werden, wo es sich lohnt, aufzustehen.

Ich stelle z.B. infrage, warum kann nicht auch ein Leistungsempfänger an den Heizungskosteneinsparungen beteiligt sein...wäre das nicht auch für diejenigen ein Muss, sich Gedanken zu machen oder sind sie kein Teil der Gesellschaft...?

Wenn nun ein "modernes" Bürgergeld auf den Weg gebracht werden soll, dass auch den heutigen Zeiten und Veränderungen entspricht, sollte es wirklich modernisiert werden und dazu gehört auch die Arbeit der Jobcenter insgesamt aber eben auch, die Einbeziehung der Leistungsempfänger. 

Das Miteinander muss mehr verzahnt werden, die Zielrichtung muss klar sein.

Kristine

ingo
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von ingo
als Antwort auf werderanerin vom 08.11.2022, 11:26:19

@werderaerin: """... zukünftig müssen auch die Jobcenter mehr bieten, um viel mehr "Harzer" oder dann Bürgergeldempfänger zu motivieren"""
Wenn Du so eine Anforderung stellt, dann bitte ich Dich, mal konkret zu erklären, wie das besser als bisher stattfinden soll. Die Forderung zu stellen, ist einfach; aber es braucht auch Lösungsvorschläge. Und ich sage: Es gibt keine. Die einzige Möglichkeit, Menschen, die nicht arbeiten mögen, zu motivieren, ist die Kürzung der Bezüge. Das war bisher erfolglos und wird es  weiter bleiben. Nächste Maßnahme : Forbildung. Das ist schon lange Mist und wird es bleiben. Vor über 20 Jahren war der Renner der "Schweißerschein". Der größte Blödsinn des Jahrhunderts. In der Folgezeit gab  es die '"Bewerbungstrainings". Toll! Damit waren Menschen für einige Wochen aus der Statistik raus, und die, die diesen dämliche Kurs veranstaltet haben, haben sich goldene Nasen verdient. Eine Sache, die ich in Berufszeiten gerne gehabt hätte, hat nicht funktioniert: Arbeitgeber zu bezuschussen, die jemanden für einfache Arbeiten eingestellt haben. Konkreter Fall: Ein Tankstellenpächter hatte einen einfach gestrickten Menschen  zum Sauberhalten der Tankstelle beschäftigt. Ich kannte beide, und der Job war für beide Seiten absolut in Ordnung. Es war mir innerhalb des Hauses (Jobcenter) nicht möglich, dass diesem Arbeitgeber ein Lohnzuschuss bezahlt wurde. Der Pächter hätte ihn dauerbeschäftigt!
Das war ein Ausflug in die Wirklichkeit. Und die Vermittler in den Jobcentern können keinen Arbeitgeber verpflichten, jemanden einzustellen, der eigentlich nicht arbeiten will. Ich erinnere mich durchaus an Zeiten, in denen die Vermittler mit Kunden zu Arbeitgebern gegangen sind, bezweifele aber sehr, dass sie dafür heute überhaupt noch motiviert sind. Wenn man 1000 Misserfolge hatte, müsste man als Vermittler selber motiviert werden.
Also, @werderanerin: Erkär' mir bitte, wie Vermittler motiviert werden können, zu motivieren.....


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Der-Waldler
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf ingo vom 08.11.2022, 14:08:03

Guten Tag, Ingo.

Ich lese Deine Beiträge mit großem Interesse.

Was sagst Du denn dann zu dem immer wieder diskutierten "Bedingungslosen Grundeinkommen"? Würde das nicht viele dieser Probleme lösen? Ich bin da hin und her gerissen... Einerseits haben meine Frau und ich immer für unseren Lebensunterhalt gearbeitet und kann mir nicht vorstellen, "vom Staat" alimentiert zu werden. Andererseits sehe ich (wie Du) absolut keinen Weg, wie man diesen doch nach wie vor gleichbleibend hohen Prozentsatz  der Langzeit-Hartz-IV-er motivieren könnte, da bin ich ganz Deiner Meinung: ich glaube auch, bei vielen geht das nicht mehr.

Schönen Gruss

vom Waldler

werderanerin
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von werderanerin
als Antwort auf ingo vom 08.11.2022, 14:08:03

Wir wissen alle, dass die Rahmenbedingungen immer von der Politik gemacht werden und somit auch Lösungsvorschläge für eine Verbesserung beinhalten müssen, sonst wäre das "neue Bürgergeld" keine Neuerung.
Es gibt genug Expertenkommissionen, die ihre Erfahrungen mit einbringen können, nein müssen, damit sich Fehler nicht wiederholen, aber wichtig finde ich, man muss sich der Zeit anpassen und ggf. auch "anders" denken.

Ich weiß, dass Motivation schwer ist und ggf. auch bleiben wird aber es kann doch nicht nur Kürzung der Bezüge DIE einzige Möglichkeit sein, Leistungsempfänger zu motivieren...

Vielleicht müssen Arbeitsangebote einschl. zielgerichteter Umschulungen oder Fortbildungen noch mehr auf den Einzelnen zugeschnitten werden, was heißen könnte, bei den vielen offenen Stellen noch intensiver mit den entspr. Firmen zusammen zu arbeiten, um Lösungen und Einsatzmöglichkeiten zu finden. 

Dafür werden Expertenkommissionen eingesetzt, um Lösungen zu finden.

Kristine

ingo
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von ingo
als Antwort auf werderanerin vom 08.11.2022, 15:48:26

@werderanerin: Deine Wünsche sind leider Träume. Nichts von dem, was Du glaubst, ist realisierbar. Wenn wir einander gegenüber säßen, würde ich Dir das auch erklären; aber nicht schriftlich hier. Ich habe übrigens im Laufe der Jahre schon sehr viel dazu erklärt. Wir befinden uns in einer Sackgasse, aus der auch das Bürgergeld kein Ausweg ist. Eine Möglichkeit gäbe es: Das wären Arbeitslager; aber das meinst Du ganz gewiss nicht und ich erst Recht nicht.

ingo
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RE: Streit um Bürgergeld
geschrieben von ingo
als Antwort auf Der-Waldler vom 08.11.2022, 14:55:02

@Der-Waldler: Der frühere dm-Chef war ja ein Verfechter des "Bedingungslosen Grundeinkommens". Diese Meinung war auch für mich gewöhnungsbedürftig. Angesichts des heutigen Standes der Diskussionen glaube ich aber, dass kein Weg darum herumführen wird.....😞 Gut, dass Du es angesprochen hast.


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