Forum Politik und Gesellschaft Innenpolitik Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?

Innenpolitik Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?

carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Demographischer Wandel - Nur eine Frage subjektiver Befindlichkeit?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf niederrhein vom 02.04.2010, 04:09:36
Künftiger Fachkräftemangel? Wir haben jetzt schon einen ganz gravierenden Fachkräftemangel...."

„Dabei ist ein riesiges Potential vorhanden, das nur angezapft werden müsste: Unter den Millionen von Arbeitslosen gibt`s mindestens 10 %, die jetzt geschult werden müssten um dann, wenn wieder Hochkonjunktur herrschen wird, bereit für Aufgaben zu sein.“ schorsch



@ schorsch
Aus diesem riesigen Reservoir von Arbeitslosen werden sich nicht die gewünschten Hochqualifizierten durch Umschulung herausfiltern lassen, wie du meinst. Die Firmen hier im Südwesten suchen im Moment ihre qualifizierten Arbeitskräfte unter allen Umständen zu halten. In diese haben sie investiert.


„…müssen wir uns nicht damit abfinden, dass ein immer größer werdender Teil der
Bevölkerung gar nicht mehr vom Arbeitsmarkt gebraucht wird?“ arno



Die Tatsachen scheinen dies zu bestätigen. Die Arbeitsgesellschaft, wie sie uns seit der frühen Neuzeit überliefert ist, wird verschwinden. Die Arbeit hatte in ihr einen herausragenden Stellenwert. Max Planck, der berühmte Physiker und Nobelpreisträger (gestorben 1947) hielt 1947 in Göttingen einen Vortrag (Scheinprobleme der Wissenschaft), in dem er sich dazu äußerte:


„Die Arbeit ist das, was unserem Lebensschiff erst den richtigen Tiefgang gibt, und für die Einschätzung des Wertes dieser Arbeit gibt es eine untrügliches Merkmal altehrwürdigen Ursprungs, ein Wort, das für alle Zeiten das letzte maßgebende Urteil ausspricht: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Max Planck



Dies Urteil am Ende des Gelehrtenlebens gesprochen (Planck starb 1947), erscheint mir heute sehr streng, geprägt von protestantisch-kapitalistischem Erfolgsstreben, ungerecht im Urteil gegenüber denen, die heute keine Arbeit finden oder sie verloren haben Dem Bibelspruch am Ende des Zitats geht ein anderer Vers voraus: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig sind sie aber reißende Wölfe.


Hier geht es um das Ethos der traditionellen uns vertrauten Arbeitsgesellschaft, das die Geschichte der Neuzeit bestimmt hat. Protestantismus und Preußentum haben dafür gekämpft, ebenso die großen Bürgerrevolutionen des Westens (England, Frankreich, Amerika), die amerikanischen Nordstaaten im Bürgerkrieg gegen die Sklavenhalterstaaten des Südens, die sozialistischen Bewegungen und die russische Oktoberrevolution. Immer richtete sich in diesen Bewegungen die Spitze gegen die Müßiggänger, Mönche und Heilige, Adelige, Grund- und Kapitalbesitze, alle also, die von der Arbeit anderer lebten statt sie selber zu leisten. Egal ob in der bürgerlichen oder proletarischen Verkleidung hat die Arbeitsethik hierzulande den Rang einer Ersatzreligion gewonnen. Max Planck spricht bezeichnenderweise von der Sinnstiftung der Arbeit im LEBEN. Was aber, wenn diese Arbeitsethik vergeht, zerbricht, außer Kraft gesetzt wird? Ist das das Ende der Arbeitsgesellschaft oder der Arbeit im herkömmlichen Verständnis? Wenn die Arbeitsgesellschaft Voraussetzung des Aufstiegs Deutschlands war, bedeutet der Abgesang der Arbeitsgesellschaft den Niedergang Deutschlands oder der Zivilisation? 1958 hatte Hannah Arendt bereits, als noch niemand daran dachte, das Ende der Arbeitsgesellschaft beschrieben. In Aussicht stehe eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist (tatsächlich wurden die 60er Jahre ein Zeitalter der Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik), die einzige Tätigkeit, die sie noch versteht, was verhängnisvoller nicht sein könnte. Arendt hat also mehr Tätigkeiten im Blick als nur die herkömmliche Arbeit und meint damit, dass nicht das Ende der Arbeit überhaupt kommen wird; sie sieht eher nicht einen Mangel an Arbeit, vielmehr eine mangelnde Orientierung im Hinblick auf potenziell neue Arbeitsmöglichkeiten. Ihre Ansicht scheint mir zukunftweisend zu sein, geeignet auch, um Zukunftsängste zu zerstreuen oder zu mindern.


Die klassische Klassengesellschaft, die Karl Marx – dank Friedrich Engels – auf dem Stand der Dinge von 1840 bis 1850 beschrieben hat, basierte auf der Struktur des Dampfmaschinenzeitalters. Mit ihr verband er die Lehre vom Weltenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, das mit dem Endsieg der Arbeiterklassen enden wird. Lenin hat als überzeugter Marxist – jedenfalls hielt er sich für einen solchen – vom Kommunismus als der Sowjetmacht plus Elektrifizierung gesprochen. Aber er übersah dabei ganz, dass das Zeitalter der Elektrotechnik völlig neue Bedingungen schuf, die eine Dezentralisierung ermöglichten, so wie auch der Diesel- und Ottomotor. Der Mittelstand (Handwerker, Kleinproduzent) bekommt eine Chance, wie Württemberg gegenüber dem Ruhrgebiet oder der Bauer auf seinem Traktor gegenüber dem Großgrundbesitzer auf dem Dampfpflug. Überall, wo die Kommunisten die Macht hatten, verschwanden die gemäß ihrer auf dem Stand von 1840 dogmatisch erstarrten Theorie angeblich unzeitgemäßen Kleinproduzenten und Großkombinate, Agrarfabriken verdrängten die Bauern, Handwerker, Klein und Mittelstandsunternehmer.


Karl Marx muss solche ironischen Winkelzüge der Geschichte und leninistisch-stalinistische Bocksprünge in der Geschichte vorausgeahnt haben als er in der Deutschen Ideologie (Thesen über Feuerbach) 1845/47 schrieb:


„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ Karl Marx



Die Praxis ist die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist nicht die Theorie von Dogmatikern. Die Zukunft ist schwieriger vorherzusagen als Niedrrheins Pessimismus erahnen lässt. Wir sollten uns heute fragen, ob nicht das Zeitalter der Computer und Informationstechnologie/Informatik sich nicht ebenso grundlegend von den Formen der überlieferten Arbeitsgesellschaft und der sie prägenden Technologie (Elektrotechnik und Chemie) unterscheidet wie die letztere vom Zeitalter der Dampfmaschine. Das kann natürlich Zukunftsängste aufkommen lassen. Zukunftsangst kann die Zukunft prägen. Sie hat sehr viele mögliche Ursachen, ohne dass wir sie jetzt genauer bestimmen müssten. Wenn Niederrhein meint, dass ihre subjektive Meinung keine Rolle spiele, so gilt das nur für jeweils einzelne Meinungen, aber nicht für unsere Einstellung insgesamt gegenüber der zu gestaltenden Zukunft. Die Arbeitsgesellschaft der Vergangenheit ist nicht zu retten, obwohl alles getan wird, um das Unmögliche zu erreichen. Eine völlig neue politische Welt benötigt eine neue politische Wissenschaft meinte Alexis de Tocqueville in seinem Buch über die Demokratie in Amerika, geschrieben vor fast 200 Jahren.


Mit der Bezeichnung Informationsgesellschaft ist nicht alles ausgesagt. Bildungsgesellschaft, weil Bildung immer wichtiger werden wird, kommt dem Problem näher. Die Informationstechnologie eröffnet neue Möglichkeiten; werden sie aber genutzt? Rückgang der Bevölkerung muss nicht zwangsläufig in geringerer Produktivität enden, im Gegenteil. Das Leben muss nicht zwangsläufig sinnentleerter sein.

c.
Lotte-aus-Aurich
Lotte-aus-Aurich
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Ein weiteres Problem
geschrieben von Lotte-aus-Aurich
als Antwort auf arno vom 31.03.2010, 11:44:47
Zwar weiß ich nicht, ob der demographische Wandel speziell 'Wohnungsmangel und Umweltprobleme' hervorrufen wird, aber das Folgende wird sicher diesen demographischen Wandel verstärken.

Nach einem Bericht in der Welt (Welt am Sonntag), dem aktuelle Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zugrundeliegen, verlieren die Deutschen verlieren die Lust am Heiraten, gegenüber 1980 habe sich die Heiratswahrscheinlichkeit halbiert.
Es heißt dort, 'dass unter den Jüngeren jede dritte Frau und sogar knapp 40 Prozent der Männer niemals den Bund der Ehe eingehen werden'. 'Besonders die ostdeutschen Männer tun sich schwer auf dem Heiratsmarkt. Blieben von ihnen 1980 gerade einmal zwölf Prozent lebenslang unverheiratet, sind es mittlerweile 41 Prozent'.

Ich zitiere:
'Mittlerweile lebt in 39,5 Prozent der Haushalte ein Alleinstehender. In Deutschlands Single-Hauptstadt Berlin liegt die Quote gar bei 54 Prozent. Und es sind keineswegs in erster Linie ältere Menschen, die allein wohnen, weil ihr Partner gestorben ist. „Für die Singularisierung sind vor allem die 25- bis 45-Jährigen verantwortlich“, sagt Stefan Fuchs vom Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie.'

Damit wird die Geburtenrate noch weiter sinken.

Lotte

schorschie2
schorschie2
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Re: Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?
geschrieben von schorschie2
als Antwort auf arno vom 31.03.2010, 11:44:47
Der demographische Wandel ist ein hochgespieltes Thema von seiten der Politk um den Bürger noch leichter manipulieren zu können.Um alt gegen jung auszuspielen und es fallen ja genügend Wähler darauf rein. Wer weiß denn wirklich was für unvorherbar gesehene Entwicklungen sich in anderer Form stellen.
Um beim Bürger leichter Kürzungen durchsetzen zu können, muß man ihm halt Angst machen und dies war von jeher ein Rezept der CDU und die alten Menschen fallen immer wieder darauf herein.
Da wurde vorm Russen ständig gewarnt und vorm Kommunismmus heute sind sie mit den kommunistischen Führern per Du. Da wurde vor der Verstaatlichung gewarnt und heute machen sie es selber um die Bankrott-Banker zu zügeln und so könnte man dies beliebig weiterführen.
Diesen politischen Märchen-Onkeln sollte man nicht glauben, sondern sie in die Wüste schicken.
schorschie2

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schorschie2
schorschie2
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Re: Ein weiteres Problem
geschrieben von schorschie2
als Antwort auf Lotte-aus-Aurich vom 05.04.2010, 04:06:49
Brauchen wir überhaupt so viele Menschen, der Arbeitsprozess kann sie heute schon alle nicht beschäftigen. Eine sinkende Geburtenzahl löst auf andere Art wieder viele Probleme. Die Vorhersagen unserer sogenannten Eliten sind noch nie eingetroffen.
JuergenS
JuergenS
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Re: Ein weiteres Problem
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf schorschie2 vom 06.04.2010, 11:33:27
schorschie 2:
den vorletzten Beitrag hast du durch Übertreibung entwertet, den folgenden teile ich, lass aber sogenannt weg, dann passt er.

Servus
carlos1
carlos1
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Re: Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf schorschie2 vom 06.04.2010, 11:29:21
"Der demographische Wandel ist ein hochgespieltes Thema von seiten der Politk um den Bürger noch leichter manipulieren zu können.Um alt gegen jung auszuspielen und es fallen ja genügend Wähler darauf rein." schorschie 2


Der demografische Wandel stellt als Phänomen zunächst einmal die Zahl der Geburten fest und liest daraus den Altersaufbau ab. Dahinter steckt keine Verschwörung, auch keine Manipulation übelwollender Regierungen. Wir wissen genau, wieviele Menschen einer Altersgruppe im Jahre 2060 oder 2050 leben werden, wenn keine außerordentlichen Vorkommnisse auftreten und eine normale Sterblichkeit vorausgesetzt.

Wie Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in 50 Jahren genau aussehen werden, können wir nicht so genau vorhersagen. Wir wissen nur, dass weniger Menschen weniger verbrauchen werden, andere Bedürfnisse etwickeln können etc.

Die Leistungen des Sozialstaates sind von der Zahl der Beschäftigten abhängig. Allerdings auch von der Produktivität.

c.

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tristan
tristan
Mitglied

Re: Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?
geschrieben von tristan
als Antwort auf JuergenS vom 02.04.2010, 17:15:36
Einige von euch sprechen davon, was wir uns unsere Politiker tun müssen. Mich, bald 70 betrifft es sicher nur noch am Rande direkt, sodass ich auch kaum etwas beitragen kann,ich bin eher unvermeidlicher Teil des Problems.
Ausserdem erinnere ich mich daran, dass sich viele Politiker darin einig sind, dass die klaffende Lücke durch die schwindende Bevölkerungs-Zahl durch Einwanderung ausgeglichen werden muß.

Ich jedoch meine, dass alles ruhig ablaufen kann, wenn die Übergänge allmählich erfolgen und die Politik parallel, durchaus mit zeitlichem Vorlauf, steuert. Aber auch die Bevölkerung selbst darf sich ja auch was einfallen lassen, nicht immer nur auf die Politik warten.
Denn ein gebremstes Bevölkerungs-Wachstum ist doch erstrebenswert für die Welt.


Damit teilst Du meine Meinung, Heigl. Leider ist der Lauf der Welt nicht ruhig und gelassen. Was besser wäre. Sondern hektisch, schnell. Eine Zeitbombe halt, die nix und Niemand aufhält. Warum auch? Die, die die Bombe zünden, profitieren von ihr und die, die in der Zeitbombe umkommen werden: Wen interessieren Menschen. Schicksale? Ach...

*gefühlsduseligegrüße*
Tristan
JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf tristan vom 06.04.2010, 23:02:32
Danke, Tristan, so eine Reflexion hat mir gefehlt, du jedoch bist auf meine individuelle Betrachtung eingegangen, die vom mainstream abweicht. Jammern wird es ohnehin viel geben. Servus.
arno
arno
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Re: Warum soll der demographische Wandel eine Zeitbombe sein?
geschrieben von arno
als Antwort auf schorschie2 vom 06.04.2010, 11:29:21
Hallo, schorschie2,

Der demographische Wandel ist ein hochgespieltes Thema von Seiten der Politik um den Bürger noch leichter manipulieren zu können


das ist in der Tat so! Vielen Dank für Deinen Beitrag!

Uns soll über den demographischen Glauben gemacht werden, daß das Sozialsystem nicht länger finanzierbar sein soll und dass sich es eine mangelnde Generationengerechtigkeit entwickelt.

Das ist falsch!

Bei der Finanzierung der Renten verschweigen die Politiker, das weitere Bevölkerungsgruppen
im Sozialsystem aufgenommen werden könnten, damit mehr Geld in das System eingebracht werden kann.
Ich denke dabei an die Minister, Abgeordnete, Beamte, Selbstständige und andere politische Möglichkeiten.
Ich halte den demographischen Wandel nicht für eine Zeitbombe!
Für eine Zeitbombe halte ich die ungerechte Verteilung des steigenden Reichtums!
Renten müssen nicht gekürzt werden!

Der Reichtum ist nicht zwischen den Generationen, sondern innerhalt der Generationen
ungerecht verteilt. Das ist die Schere zwischen Arm und Reich!

Die Politiker sind gefordert!

Viele Grüße
arno

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