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Internationale Politik Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane

miriam
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Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von miriam
"Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane" - war der Titel des erschütterndem Aufsatzes des Dichters Paul Eluard, veröffentlicht in der letzten Ausgabe der "Lettre francaises" – Aufsatz in dem er über diese große Tragödie die am 10 Juni 1944 stattfand, berichtet.

Oradour-sur-Glane wurde von der SS durch einem gezielten Brand vernichtet – und mit der Ortschaft auch alle 624 Einwohner, die man zuvor in die Kirche des Dorfes eingesperrt hatte.

Es überlebten fünf der Bewohner, da sie sich zum Teil unter den Toten befanden – und sich später befreien konnten.

Geblieben - und bewusst auch von weiterem Zerfall bewahrt, sind die Ruinen von Oradour – ein Mahnmal den wir in der Schule kennen gelernt hatten, hauptsächlich durch die Literatur der Résistance, durch Dichter wie Paul Eluard, Louis Aragon, oder Jean Tardieu.

Von Jean Tardieu stammt das Gedicht Oradour – dessen ersten zwei Strophen ich hier einsetze.

Oradour

de Jean Tardieu

Oradour n’a plus de femmes
Oradour n’a plus un homme
Oradour n’a plus de feuilles
Oradour n’a plus d’église
Oradour n’a plus d’enfants

Plus de fumée plus de rires
Plus de toits plus de greniers
Plus de meules plus d’amour
Plus de vin plus de chansons...

(Teil 2 des Beitrags folgt)

Miriam
miriam
miriam
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Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von miriam
Ein Zeitzeuge schreibt dazu:

"Ich ging in die Richtung der entdeckten Massengräber.
Die Ansicht war entsetzlich. In mitten der Ruinen, ragten brennende menschliche Knochen hervor...

Im Garten des Arztes sah ich die noch glühenden Reste des Skeletts eines Kindes, dessen Schädel und Beinknochen bereits verschwunden waren.

Die Zahl der Getöteten schien mir sehr hoch...

Auch wenn die meisten Körper nur noch als Asche vorhanden waren, entdeckte ich manchmal doch noch menschliche Züge.

In der Sakristei, hielten sich zwei kleine Jungen umarmt.

Ende des Zitates - Text wurde von mir stark gekürzt.

Gestern, 3. September 2013, besuchte für das erste Mal ein Repräsentant der Bundesrepublick Deutschland, dieses Mahnmal des Grauens: der Bundespräsident Joachim Gauck, in Begletung des Französischen Präsidenten Francois Hollande. In ihrer Begletung, einer der Überlebenden von damals.

Bewegende Momente – die in Worte fast nicht wiederzugeben sind.

Miriam

marianne
marianne
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Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von marianne
als Antwort auf miriam vom 05.09.2013, 12:58:17
Danke, Miriam!
Marianne

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myrja
myrja
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von myrja
als Antwort auf miriam vom 05.09.2013, 12:58:17
Ja Miriam,

es ist so entsetzlich, dass mir die Worte fehlen. Immer wieder versuche ich mir vorzustellen, wie das für die armen Menschen damals gewesen sein muss. Ich kann es nicht.

So kann ich nur in stiller Trauer derer gedenken, die damals auf so unvorstellbar grausame Weise ihr Leben lassen mussen.

Schön, dass in diesem Jahr erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt bei der Gedenkfeier anwesend sein durfte, um auch das Bedauern und Mitgefühl der Nachfolgegeneration zum Ausdruck zu bringen.

Die Geste von Hollande und Gauck sich an den Händen zu halten und auch den alten, überlebenden Herrn mittig an die Hand zu nehmen, tat besonders gut. Es zeigt doch, dass Vergebung in gemeinsamer Trauer möglich ist.

Möge so etwas wie in Oradour, nie wieder passieren!!!

Myrja
olga64
olga64
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Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von olga64
als Antwort auf myrja vom 05.09.2013, 14:35:35
Ich hatte im Vorfeld von dieser "Geisterstadt" schon einen langen Artikel in der Südd. Zeitung gelesen. Unfassbar, dass sadistische Nazimörder noch am Ende des Krieges die BEvölkerung in zwei getrennten Bereichen zusammengetrieben haben und kaltblütig ermordeten. Der alte Herr war einer der wenigen Überlebenden und rettete sich, weil die Leichen der anderen, die erschossen wurden auf ihn fielen. Er stellte sich tot, auch als ein Nazi-Soldat einen Fuss auf ihn stellte, um dem darunterliegenden Mann, den er noch für lebendig erachtete, den "Gnadenschuss" zu verpassen.
Der alte Herr traf dann weitere zwei Überlebende und sie flohen in den Wald, wo sie überlebten. Einer trennte sich von der Gruppe und wurde dann doch noch von Deutschen erschossen.
Dieser Ort weigerte sich lange, mit dem französischen Staat Kontakt zu haben und natürlich auch mit Deutschen. Immerhin haben Deutsche in Frankreich ca 250.000 Zivilisten jeglicher Altersgruppen ermordet plus gleiche Menge an Soldaten.
Ich fand die Rede des Herrn Gauck dieses Mal sehr gut; nur die Händchenhalte-Geste erinnerte mich zu sehr an Kohl und Mitterand vor vielen Jahren (schon damals verunsicherte sie mich sehr).
Der Besuch des Herrn Gauck war richtig und wichtig - er befindet sich ja seit einiger Zeit auf Reisen zu solchen Plätzen, wo die Nazi-Mörder besonders unfassbare Gräueltaten verübten. Olga
miriam
miriam
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von miriam
als Antwort auf myrja vom 05.09.2013, 14:35:35


http://www.3sat.de/imperia/md/images/kulturzeit/2013/09_september/01_10/0409_oradour1_n.jpg[/img]

Danke Euch beiden - Marianne und Myrja, eigentlich wäre noch so viel über Oradour und andere solche Orte zu sagen, ich denke aber, dass dieses Bild der drei älteren Herrn - alles an Gefühle und Gedanken beinhaltet, und Sätze überflüßig macht.

Und doch möchte ich einem Menschen noch danken - obwohl sie nicht mehr lebt:

Frau E. war im Gymnasium unsere französisch-Lehrerin - und sie hat uns, noch jungen Menschen die Geschichte - die ja fast noch Gegenwart war, mit viel Gefühl vermittelt.
Und auch wenn sie eigentlich eine [i]Überlebende
war, stand über alles was sie uns beigebracht hat, ein Gedanke: verzeihen!

Liebe Grüße

Miriam

Olga - wir haben zeigleich geschrieben, deswegen erwähnte ich Sie nicht.

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olga64
olga64
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Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von olga64
als Antwort auf miriam vom 05.09.2013, 15:38:32
Danke Miriam. Meine grosse BEstürzung kommt auch daher, dass ich bislang davon nichts wusste. Kein Wunder - es gibt zu viele Plätze weltweit, wo deutsche Soldaten sadistisch bis zum Schluss agierten. Und da gibt es immer noch Menschen, die diesen Wehrmachtssoldaten eine weisse Weste verpassen wollen. Mit jedem solcher Plätze wird mir immer bewusster, dass wir Deutsche diese Schuld nie abtragen können - wir können nur dankbar sein, wenn uns andere aus dem Kreis der Betroffenen die Hand zur Versöhnung reicht. Olga
wandersmann
wandersmann
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von wandersmann
als Antwort auf miriam vom 05.09.2013, 15:38:32
Aber mit Hollande trauert hier ein franz. Präsident um die auf grausamste Weise masakrierten Zivilisten, und zeigt sich tief erschüttert, während er andererseits keinerlei Skrupel besitzt, auf der dünnen Basis unbewiesener Tatsachen einen Krieg gegen Syrien zu führen, bei dem es mit Sicherheit auch zu einer hohen Zahl von Toten unter der Zivilbevölkerung kommen wird, die genauso wie die Opfer von Oradour keine Schuld an ihrem Schicksal haben werden.

@ olga64

Die Mörder von Oradour waren keine Wehrmachtsangehörige, sondern Mitglieder der Waffen-SS, die enthemmte fanatische Variante des deutschen Soldaten im 2. WK.
Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von Mareike
als Antwort auf miriam vom 05.09.2013, 12:58:17
Liebe Miriam

Bewegende Momente,

für Dich in besonderem Maße und da war mein erster Impuls: Still sein! Nur gedanklich dabei sein.

Heute halte ich ein Buch in der Hand, vorgestern bestellt, mit dem Titel: Seelische Trümmer - Geboren in den 50er und 60er-Jahren. Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas.

Ich bin 1946 in den Niederlanden geboren. Ein Nachkriegskind. Meine Eltern waren nicht traumatisiert.

Dennoch hat der 2. Weltkrieg und die Folgen mein Leben geprägt.
Und das gilt für JEDEN von uns.

Sehr unterschiedliche Emotionen werden wir haben wenn wir mit dem Schicksal der Menschen aus Oradour-sur-Glane konfrontiert werden.
Wenn auch das Entsetzen darüber was Menschen erleiden mussten und müssen uns wiederum vereint.

Das Bild: Joachim Gauck, 1946 geb. in Rostock
Francois Hollande, 1954 geb. in Rouen, Seine-Maritime)
Hébras Robert, 88 Jahre alt, Überlebender des Massakers.

Es lohnt sich, sich die Lebensläufe der 3 Männer anzuschauen und zu vergleichen. Wie unterschiedlich geprägt von ihrer Vergangenheit.

Hébras Robert wird auch heute noch mit der AUFARBEITUNG konfrontiert:
"... die Wunden können jederzeit wieder aufreißen, wie ein anhängiges Gerichtsverfahren gegen Robert Hébras zeigt. Der Verband der elsässischen Zwangsrekrutierten „Adeif“ hat gegen Hébras geklagt, weil er in seinen Stundenprotokollen über das Drama von Oradour bezweifelte, dass die elsässischen Soldaten zu den Mordorgien in Oradour gezwungen waren. „Ich bin geneigt zu glauben, dass die sogenannten Zwangsrekrutierten aus freien Stücken handelten“, schrieb Hébras.
... er (wurde)deswegen vom Berufungsgericht in Colmar zur Zahlung eines symbolischen Euro sowie der Gerichtskosten in Höhe von 10.000 Euro verurteilt. "

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/staatsbesuch-in-frankreich-eine-geste-der-versoehnung-12559355.html

Mareike
clara
clara
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von clara
als Antwort auf wandersmann vom 05.09.2013, 17:34:38


Die Mörder von Oradour waren keine Wehrmachtsangehörige, sondern Mitglieder der Waffen-SS, die enthemmte fanatische Variante des deutschen Soldaten im 2. WK.

Das stimmt, entlastet aber "normale" Wehrmachtsoldaten nicht (natürlich nicht alle), die in vielen Kriegsgebieten ähnliche Verbrechen begingen. Die von unverbesserlichen "Alten Kameraden" und Neonazis angefeindete Wehrmachtsausstellung vor Jahren zeigte dies anschaulich.

Die Mission des Bundespräsidenten war richtig und wichtig, auch im Interesse des derzeit etwas kränkelnden deutsch-französischen Verhältnisses. Deutschland muss verständlicher Weise von Zeit zu Zeit durch solche Gesten zeigen, dass es heute ein völlig anderes Land ist.

Clara

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