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Internationale Politik Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra

miriam
miriam
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Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra
geschrieben von miriam
Diesen beeindruckenden Artikel, übernehme ich von Kulturzeit (3sat) - er ist mit Material von dpa und tm verfasst - ich denke, dass er unter "Internationale Politik" - seinen richtigen Platz hat:



Der Dirigent Daniel Barenboim (68) will sich bald einen Traum erfüllen. "Mit dem West-Eastern Divan Orchestra möchte wir im Gaza-Streifen, auf dem Tahrir-Platz in Kairo und auch in Israel auftreten", sagte der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden nach einem Auftritt mit seinem israelisch-arabischen Orchester an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea.

Am 21. August 2011 spielt das Orchester in der Berliner Waldbühne, danach folgen Konzerte in Köln, wo alle neun Sinfonien Ludwig van Beethovens erklingen sollen. Die Aufstände in der arabischen Welt seien ein Grund zur Hoffnung. "Die Revolte, aber auch die Atomkatastrophe von Fukushima, hat gezeigt, wie zerbrechlich die Weltordnung ist, wie schnell autokratische Regierungen zu Ende gehen können", sagte Barenboim.

Konzerte an Grenzen

Am 15. August 2011 hatte der argentinisch-israelische Dirigent zum Abschluss einer Asien-Tournee an der waffenstarrenden innerkoreanischen Grenze Beethovens 9. Sinfonie vor 8000 Zuhörern aufgeführt. Das Orchester sei mittlerweile ein Symbol für die Möglichkeiten, mit Musik über politische Gräben hinweg zur Verständigung beizutragen, und habe schon viele Nachahmer gefunden, sagte Barenboim. "Wenn ich auf die Politiker gehört hätte, wäre aus dem Orchester nie etwas geworden." Barenboim hatte das West-Eastern Divan Orchestra 1999 mit dem in Ägypten geborenen Literaturwissenschaftler Edward Said (1935-2003) als Zeichen für die Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern gegründet.

Eine Initiative lateinamerikanischer Intellektueller, darunter Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, will den in Argentinien geborenen Dirigenten am 17. August 2011 für den Friedensnobelpreis vorschlagen. "Dazu möchte ich eigentlich nichts sagen", erklärte Barenboim. "Entweder man bekommt den Preis, und dann muss man sich gut überlegen, was man dazu sagt, oder man bekommt den Preis nicht - dann sollte man lieber schweigen."

Am 18. August 2011 wird das West-Eastern Divan Orchestra in Luzern auftreten, am Freitag bei den Salzburger Festspielen.

In Berlin wird das Orchester Beethovens 8. und 9. Sinfonie aufführen.

16.08.2011 / Kulturzeit mit Material von dpa / tm

Re: Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 17.08.2011, 18:48:17
Barenboim ist wunderbar. Und er hat schon eine Menge Angriffe wegen seines Engagements ertragen müssen. Ich würde mich riesig freuen, wenn er den Friedensnobelpreis bekommen würde. Wenn ihn einer verdient hat, dann ganz bestimt er.
JuergenS
JuergenS
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Re: Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra
geschrieben von JuergenS
Nur solche Menschen können die Welt verändern, der kümmert sich um keine Konventionen!



silhouette
silhouette
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Re: Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra
geschrieben von silhouette
als Antwort auf JuergenS vom 17.08.2011, 19:18:05
Mich würde das narrisch freuen, wenn dieser Preis mal wieder für das vergeben würde, wofür er gedacht war, und nicht als politisches Signal für einen Dissidenten, das nicht viel hilft, oder als Vorschusslorbeeren an einen Politiker.

Wer's lesen mag:
(an dieser deutschen Version hatte ich die Ehre, sehr aktiv beteiligt zu sein)

Thomas Immanuel Steinberg
Der Dirigent Barenboim zitierte...
...die israelische Unabhängigkeitserklärung und brachte damit die israelische Rechte in Aufruhr.



Am 9. Mai 2004 erhielt Daniel Barenboim, der schon mit etlichen Preisen für sein politisches Engagement geehrt wurde, vom Staat Israel den hoch angesiedelten Wolf-Preis für sein künstlerisches Lebenswerk, zusammen mit dem Cellisten Rostropowitch.

Schon im Vorfeld der Preisverleihung war es zu Protesten gekommen. "Israels Nobel-Preis" wird von Staatsvertretern ausgehändigt, nicht aber verliehen. Der Parlamentsvorsitzende war der Zeremonie unter Protest fern geblieben, da er die Verleihung an Barenboim nicht verhindern konnte. Der Juror Professor Alexander Berg sprach anschließend ebenfalls von einer Provokation. Er entfaltete während der Verleihung ein selbstgefertigtes Plakat, dessen Schriftzug "Musik macht frei" an das "Arbeit macht frei" der KZs erinnerte.

Hier die deutsche Übersetzung von Barenboims hebräisch gehaltener Rede bei der Preisverleihung vor der Knesset:

"Ich möchte der Wolf-Stiftung meine tiefe Dankbarkeit für die große Ehre ausdrücken, die mir heute zuteil wird. Diese Anerkennung ist für mich nicht nur eine Ehre, sondern auch eine Quelle des Ansporns zu weiterer kreativer Tätigkeit.

Im Jahre 1952, vier Jahre nachdem Israel seine Unabhängigkeit erklärt hatte, kam ich als 10-jähriger Junge mit meinen Eltern aus Argentinien nach Israel.

Die Unabhängigkeitserklärung war uns Ansporn und Inspiration, an die Ideale zu glauben, die aus uns Juden Israelis machten. Dieses bemerkenswerte Dokument bekennt sich zu der folgenden Verpflichtung: „Der Staat Israel wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten.“

Die Gründerväter des Staats Israel, die die Erklärung unterzeichneten, verpflichteten auch sich und uns, "sich für Frieden und gute Beziehungen mit allen benachbarten Staaten und Völkern einzusetzen."

In tiefer Sorge frage ich heute, ob die Besetzung und Kontrolle eines anderen Volkes mit Israels Unabhängigkeitserklärung in Einklang gebracht werden kann. Wie steht es um die Unabhängigkeit eines Volkes, wenn der Preis dafür ein Schlag gegen die fundamentalen Rechte eines anderen Volkes ist? Kann es sich das jüdische Volk, dessen Geschichte voller Leid und Verfolgung ist, erlauben, angesichts der Rechte und Leiden eines benachbarten Volkes in Gleichgültigkeit zu verharren? Darf sich der Staat Israel unrealistischen Träumen hingeben, die den Ehrgeiz beinhalten, den Konflikt ideologisch zu lösen, anstatt als Ziel eine pragmatische, menschliche Lösung anzustreben, die auf sozialer Gerechtigkeit beruht?

Ich glaube, dass trotz aller objektiven und subjektiven Schwierigkeiten die Zukunft Israels und seine Stellung in der Familie der aufgeklärten Nationen von unserer Fähigkeit abhängig sein wird, das Gelöbnis unserer Gründungsväter, wie es in der Unabhängigkeitserklärung für immer festgehalten ist, zu erfüllen.

Ich bin seit jeher der Meinung, dass es für den jüdisch-arabischen Konflikt weder eine militärische noch eine moralische oder strategische Lösung gibt. Weil aber eine Lösung unumgänglich ist, frage ich mich: Warum noch warten? Aus diesem Grund gründete ich mit meinem verstorbenen Freund Edward Said einen Workshop für junge Musiker aus allen Ländern des Nahen Ostens, Juden und Arabern.

Obwohl Musik Kunst ist, darf Musik nicht ihre Grundsätze in Frage stellen, und auf der anderen Seite ist Politik die Kunst des Kompromisses. Aber wenn die Politik über die Grenzen der Gegenwart hinausblickt und sich um die höheren Ziele des Möglichen bemüht, wird sie dort die Musik wiederfinden. Musik ist die Kunst dessen, was die Imagination erschaffen kann, eine Kunst frei von allen mit Worten aufgezwungenen Grenzen, eine Kunst, die bis in die Tiefen der menschlichen Existenz vordringt, und eine Kunst von Klängen, die alle Grenzen sprengt. Als solche kann die Musik die Gefühle und die Phantasie von Israelis und Palästinensern in neue, bisher undenkbare Welten führen. Deshalb habe ich beschlossen, das mit dem Preis verbundene Geld für Projekte der Musikerziehung in Israel und Ramallah zur Verfügung zu stellen.

Ich danke Ihnen."


Mit einer Retourkutsche der Ideologen und Fundamentalisten war zu rechnen; sie kam, fiel aber dürftig und plump aus. Noch während Barenboims Rede gab es im Parlament Tumulte, bei denen sich unverständlicherweise Israels Präsident Moshe Katsav und - erwartungsgemäß - ganz besonders die Erziehungsministerin Limor Livnat unrühmlich hervortaten. Da sie allerdings gegen Barenboims Fragen keine Argumente vorbringen konnten, versuchten sie es mit der sophistischen Verdrehung, Barenboim sei ein "Provokateur" und habe "Israel attackiert" - die in diesem Pauschalvorwurf derzeit oft versteckte Absurdität, er sei daher auch antisemitisch, verkniffen sie sich.

Barenboims Entgegnung an Katsav und Livnat war ebenso schlicht wie überzeugend: "Ich habe nicht Israel attackiert, sondern einfach nur die Unabhängigkeitserklärung zitiert und rhetorische Fragen gestellt. Sie haben entschieden, das anders zu interpretieren." Gegenüber Ha'aretz und Jerusalem Post erklärte Barenboim später, wenn es provokativ sei, Israels Unabhängigkeitserklärung zu zitieren, "dann bin ich stolz darauf, ein Provokateur zu sein".
geschrieben von http://www.steinbergrecherche.com/barenboim.htm
Karl
Karl
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Re: Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra
geschrieben von Karl
als Antwort auf silhouette vom 17.08.2011, 22:31:33
Danke, Silhouette, für diesen Beitrag. Ich freue mich, dass zu Daniel Barenboim offenbar ein breiter Konsens vorhanden ist. Ich bin auch voller Hoffnung, dass irgendwann die israelische Mehrheit den Wert ihrer Unabhängigkeitserklärung erkennt. Karl

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