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Internationale Politik Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen

carlos1
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Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von carlos1
In der Zeit des seit 70 Jahren schlimmsten weltwirtschaftlichen Abschwungs plant die chinesische Regierung die Eröffnug einer neuen Aktienbörse. GEM (Growth Enterprise Market) wird sie heißen und in Shenzhen, an der Grenze zu Hongkong, soll sie stehen. Der Zeitpunkt scheint schlecht gewählt, denn die einzige andere chinesische Börse in Shanghai meldet für ihre Aktien im Kursverlauf zwei Drittel Kurswertverlust und erholt sich nur langsam. Die Aktien vor allem junger (mind. 3 Jahre alt) und privater kleiner Firmen (bis 3 Mio Dollar Eigenkapital) sollen in Shenzhen gehandelt werden.

Die kommunistische chinesische Führung verfolgt mit ihrem Plan langfristige Ziele. Sie will ihren Einfluss an den internationalen Kapitalmärkten stärken und sieht gerade in der Schwächephase der großen Industriestaaten die Chance an relativer Stärke zu gewinnen. So kündigte China auch an künftig Handelsunternehmen in Renmimbi (chin. Währung) zuzulassen. Damit will sie die chinesische Währung voll konvertibel machen und Shanghai zu einem internationalen Finanzzentrum ausbauen.

Premier Wen Jibao brachte es letzten Monat auf den Punkt. Die gegenwärtige Situation erfordere mehr Reformen nicht weniger. Im übrigen sei es leichter die chinesischen Kapitalmärkte in einer Rezessionsphase zu stärken, wenn die Überhitzungsgefahr nicht so groß sei. China will die gegenwärtige Situation auf den Weltmärkten nutzen, um langfristig Nutzen davon zu tragen.

China hat in seiner Geschichte in schweren Zeiten häufig den Mut zu einschneidenden Entscheidungen gefunden. Zaubern werden auch sie nicht können.

Ist es im Falle Chinas der Mut oder der Mut der Verzweiflung, eine Lebensphilosophie oder eine Art schöperischer Marxismus?


longtime
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von longtime
als Antwort auf carlos1 vom 11.05.2009, 07:52:26
Schöpferischer Marxismus...?
Das kann an ZEIT-Berichte aus dem Jahre 1969 erinnern über Prager Verhältnisse:

Es geht in dem folgenden Zitat um den tschechischen Philosophen Ivan Svitak:

"Als im Frühsommer die Manöver des Warschauer Pakts veranstaltet wurden, mußte die Gerade des hoffnungsvollen Anlaufs verlassen werden. Die Gefahr einer Intervention ließ sich nicht mehr übersehen, auch wenn Svitak noch verkündete: „Schöpferischer Marxismus freier Menschen — welcher Horror für die vereinigten Apparate aller Länder!"
Die „Preßburger Deklaration" bezeichnet er als den Pakt der Neostalinisten gegen die Souveränität des Volkes.
Doch das Pathos des Aufrufs „An das Volk der Tschechoslowakei" nach dem Einmarsch am 21. August täuscht nicht darüber hinweg, wie wenig skeptisch Svitak im Grunde eingestellt war.
Die Perspektive ist in den „Zehn Geboten für einen erwachsenen Intellektuellen" umrissen.
Svitak gibt epiktetsche Ratschläge, deren raffinierte Naivität uns mit Respekt erfüllt."

*

Aus einem 40 Jahre alten Text von Jarmila Hoensch, in der ZEIT.
- Was uns das sagt? "Modus procedendi...?" - Oder: "Lapsus linguae aut lapsus memoriae"? - Oder: "Metabasis eis allo genos."


--
longtime
dutchweepee
dutchweepee
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[off topic]
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf longtime vom 11.05.2009, 08:54:00
@longtime

...und was hat Deine Antwort mit dem interessanten Beitrag von Carlos zu tun?

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schorsch
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von schorsch
als Antwort auf carlos1 vom 11.05.2009, 07:52:26
Da Geld bekanntlich die Welt regiert - und weil die Chinesen bekanntlich hartnäckige, langfristig denkende Menschen sind -, ist absehbar, dass China in einigen Jahrzehnten DIE führende Nation der Erde sein wird!

--
schorsch
luchs35
luchs35
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von luchs35
als Antwort auf carlos1 vom 11.05.2009, 07:52:26
Der chinesische Schritt in Richtung Ablösung des US-Dollars als Weltwährung ist gerade jetzt in der Zeit der internationalen Finanzschwäche so ungewöhnlich nicht, wenn man bedenkt, dass China der mit Abstand der grösste Gläubiger der USA ist und durchaus schon heute in der Lage wäre, diverse Hahnen zuzudrehen.
--
luchs35
carlos1
carlos1
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Re: [off topic]
geschrieben von carlos1
als Antwort auf dutchweepee vom 11.05.2009, 10:59:34
Hallo Dutch, die Antwort hat longtime u. a. in seinen Anmerkungen zum Schluss gegeben (Metabasis - der logische Fehler des Sprunges von einem Gebiet auf ein fremdes, nicht zur Sache gehöriges Gebiet und der damit verbundenen Begriffsverwechselung (ARISTOTELES, De coel. I 1, 268b 1; vgl. Quintil., Instit. or. IX, 5, 23). Ich bin überrascht, dass longtime Bezug nimmt auf 1968, aber er tut das mit Recht. Marxisten sahen und sehen ihre Weltanschauung als "schöpferisch" an. Der Marxismus sei eine Philosophie, die das Handeln für das Denken transparent mache und es voran zu treiben versuche, indem sie über es hinausgeht.

Was überrascht an der heutigen chinesischen Entwicklung ist die Tatsache, dass die wirtschaftliche Öffnung in Richtung Weltmarkt durch den Reformer Deng nach dem Tode Maos keine Gegenbewewgung ausgelöst hat. Dessen Idee von der permanenten Revolution, der Forsetzung der Revolution auf unbegrenzte Zeit, mit nicht absehbarem Ziel in immer neuen revolutionären Stößen (ähnlich der Kulturrevolution) steht bei dem heutigen Pragmatismus scheinbar nicht mehr zur Debatte. Ziel der Revolution nach Mao sollte aber sein, den Egoismus und die Hierarchien in der Gesellschaft abzuschaffen und die Bildung neuer "Parteibourgeoisien" zu verhindern.

Das Konjunkturprogramm der chinesischen Regierung mit rd 830 Mrd Dollar wird vor allem an Staatsbetriebe (Konzerne) gehen. Die Regierung will aber mehr: Das von den Familien in großer Menge angesparte Geld für die Krankheitsvororge in geschätzter Höhe von über 2 Billonen Dollar, soll ebenfalls für eine Konjunkturbelebung nutzbar gemacht werden. Deshalb auch die Mögliochkeit des Erwerbs von Aktien kleiner innovativer privater Unternehmen an der neuen Börse in Shenzhen. Privatunternehmen haben die Möglichkeit sich über die Börse zu finanzieren, der Staat trägt also kein Risiko dabei, die Arbeitskräfte sind vorhanden und Umweltverschmutzer in großem Stil sind bei privaten Kleinunternehmen weniger zu befürchten. Ökonomische Kompetenz und Vertrauen in die Zukunft ist den Chinesen nicht abzusprechen.

Mao liegt in seinem Sarg auf dem Platz des Himmlischen Friedens (vielleicht auch wo anders). Was würde er zu dieser Entwicklung sagen?

c.


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carlos1
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von carlos1
als Antwort auf luchs35 vom 11.05.2009, 17:11:10

"....Schritt in Richtung Ablösung des US-Dollars als Weltwährung ist gerade jetzt in der Zeit der internationalen Finanzschwäche so ungewöhnlich nicht..." luchs35

Es wird viel darüber gesprochen, aber mit die Ablösung des Dollars als Leitwährung wird so schnell nicht kommen, nicht in nächster Zukunft. China ist im Vergleich mit den USA immer noch ein Leichtgewicht vergleicht man das BSP beider Länder. Gemessen am totalen globalen Output beträgt der Anteil von Chinas Wirtschaft 10%, bei den USA 25%. Das mit der Gläubigerposition stimmt zum Teil schon. Über 2 Billionen Dollar an ausländischem Kapital hat die chinesische Zentralbank angehäuft, Ergebnis der Exporterfolge der chineischen Wirtschaft auf den internationalen Märkten. Dies Geld besteht aber nicht nur aus US-Währung. Euro und andere Währungen sind im Korb auch enthalten. Wie die zukünftige Entwicklung laufen wird, wenn die chinesische Konsumbereitschaft gestärkt werden soll, muss erst noch sich herausstellen. Die Wachstumsraten einer Volkswirtschaft bei relativ niedrigen Ausgangswerten und ungesättigten Märkten sind von der Statistik her (niedrigere Bsasiwerte) immer höher. Vergleichbar ist das z.B. mit den Wachstumsraten in der Bundesrepublik in den 50er Jahren. Teilweise lagen sie über 10%. In einer Rezessionsphase 1956 oder 195/58 (aus dem Kopf zitiert, Abweichungen möglich) lag sie bei rd +4%. Von solchen Werten können wir selbst in besten Wachstumsphasen heute nur noch träumen. Fachleute zweifeln die Zahlenwerke der chinesischen Statistik mit den hohen Wachstumsratgen übrigens an. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft wird schon wegen wachsender Umweltpobleme und u. a. Energieversorgungsengpässen (Kraftwerke mit hohem Schadstoffausstoß) behindert werden. Quantitatives Wachstum allein macht nicht selig. Bessere Umweltstandards haben auch in Europa die Wachstumsragten sinken lassen, waren aber nicht allein dafür ausschlaggebend.

c.

luchs35
luchs35
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von luchs35
als Antwort auf carlos1 vom 11.05.2009, 21:49:41
Selbstverständlich muss man diese Überlegungen im Auge behalten, Carlos, aber man darf auch nicht übersehen, dass Chinesen die Eigenschaft der unendlichen Geduld haben. Auch gelegentliche Rückschläge bringen sie nicht von ihren Zielen ab, egal ,was es sie kostet.

Wenn man den chinesischen Lebensweg, die Philosopien, die fast stoische Zähigkeit jedes Einzelnen betrachtet, auch die Leidensfähigkeit dieses Volkes , wenn es um Ziele geht, bin ich mehr denn je überzeugt, dass hier eine Macht heranwächst, die die Welt an die Zügel zu legen vermag.

Leider muss ich jetzt weg, aber sicher kann ich die Betrachtungen später noch fortsetzen, allein weil ich es ungeheuer spannend finde, die ganzen Bewegungen in China zu beobachten.


--
luchs35
carlos1
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von carlos1
als Antwort auf luchs35 vom 12.05.2009, 10:14:33
"....allein weil ich es ungeheuer spannend finde, die ganzen Bewegungen in China zu beobachten." luchs

@ luchs, allein mit ökonomischen Betrachtungen werden wir dem Phänomen China sicher nicht gerecht. Da gebe ich dir Recht. Aber alles auf einmal geht auch nicht. Der Blick sollte aber hin und wieder und vielleicht immer öfter auf China gerichtet sein. Die reiche chinesische Kulturtradition, chinesiche Philosophie (Konfuzianismus) haben auch beigesteuert zu dem wirtschaftlichen Erfolg. Allerdings ist China bis heute noch ein Entwicklungsland mit einigen wenigen weiter entwickelten Zentren, mit einem Hunderte Mio zählenden Heer von oft arbeitslosen Wanderarbeitern und ausufernder Korruption.

c.
schorsch
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Re: Erstaunlicher Schritt der chinesischen Regierung - neue Börse in Shenzhen
geschrieben von schorsch
als Antwort auf carlos1 vom 13.05.2009, 07:18:35
....... Die reiche chinesische Kulturtradition, chinesiche Philosophie (Konfuzianismus) haben auch beigesteuert zu dem wirtschaftlichen Erfolg.........

c.


Mao & seine Pseudo-Genossen haben Jahrzehnte lang versucht, genau diese alten Traditionen auszurotten. Glücklicherweise ist es ihnen nicht vollständig gelungen.

--
schorsch

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