Forum Politik und Gesellschaft Internationale Politik Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!

Internationale Politik Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!

Karl
Karl
Administrator

Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!
geschrieben von Karl
Hiermit gebe ich einem der wenigen Journalisten in Gaza eine Stimme:

[i]Sehr geehrte Damen und Herren,

heute sende ich Ihnen einen Hilferuf aus Gaza.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Lejeune
Freier Journalist

Friedrichsgracht 56, 10178 Berlin
derzeit erreichbar unter: +972 59 230 6392 oder +970 59 230 6392
Facebook: www.facebook.com/lejeune.berlin
Blog: martin-lejeune.tumblr.com

Gaza Stadt, der 31. Juli 2014
[/indent]


Hilferuf aus dem Gazastreifen.

Seit dem 22. Juli bin ich im Gazastreifen und ich kann einfach nicht glauben, was hier passiert. Ich erlebe die schlimmsten Tage meines Lebens. Alle Menschen in Gaza erleben die schlimmsten Tage ihres Lebens. Denn so massiv wie in dieser Wochen waren noch keine Angriffe auf Gaza. Hinter diesen Worten verbergen sich menschliche Tragödien. Die humanitäre Katastrophe in Gaza hat einen neuen Höhepunkt erreicht.

Der Krieg in Gaza ist ein Krieg gegen Zivilisten. Das sage nicht nur ich, sondern auch die Menschen in Gaza und die Journalisten, mit denen ich spreche, von denen einige so ziemlich sämtliche Kriege der letzten zehn Jahre abgedeckt haben (Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, etc...). Was hier passiert, hat eine besondere Qualität.

Überall schlagen Raketen ein. In Wohnhäuser, in denen Familien leben, in Moscheen, in denen Menschen beten. Am frühen Abend des 30. Juli bombardierte ein F16-Kampfjet das Wohnhaus, das bis dahin schräg gegenüber unseres Hauses stand. Wir saßen gerade auf dem Balkon als die Rakete 50 Meter entfernt einschlug. Kurz zuvor hörte ich noch einen Esel hysterisch wiehern, als ob er den Angriff schon ahnte und uns warnen wollte.

Trümmer fliegen in schneller Geschwindigkeit gegen unsere Hausmauer und verfehlen uns nur knapp. Wir sitzen plötzlich inmitten einer Staubwolke. Der Staub bedeckt meine Brillengläser und meinen Laptop. Der Staub knirscht zwischen meinen Zähen. Es dauert etwa eine halbe Minute bis sich der Rauch legt. Jetzt sehe ich den Vater, mit dem ich mich vorhin noch auf der Straße unterhalten habe, wie er sich mit seinen Kindern hinter einem Bagger verschanzt, um Deckung zu finden, falls ein zweiter Schlag folgt. Der Bagger steht auf einem Parkplatz gegenüber unseres Hauses und gehört einem Baumunternehmer. Ich laufe sofort zu den Trümmern des bombardierten Wohnhauses und sehe die Verletzten. Ich habe die Familie schon mehrmals in unserer Straße spazierengehen sehen. Ich filme mit meinem Handy wie die Rettungswagen eintreffen und die Verletzten ins Krankenhaus bringen. Auf der Straße liegen Steine, Scherben, umgekippte Strommasten.

Seit dem ich hier bin, wurden jeweils am hellichten Tag bei unbedecktem Himmel und bei freier Sicht zahlreiche zivile Ziele bombardiert. Zum Beispiel eine Mädchengrundschule der Vereinten Nationen in Beit Hanoun, in der sich Hunderte Flüchtlinge aufhielten, und dies, obwohl die UN zuvor die GPS-Koordinaten der Schule dem Generalkommando der israelischen Streitkräfte durchgegeben hatte. Ich erinnere schon gar nicht mehr die genaue Zahl der Toten und habe auch kein Internet, um es zu recherchieren. Auch wurde auch ein Park im Schatti-Flüchtlingslager, vor dessen Eingang acht Kinder spielten, die alle durch den Angriff getötet wurden, bombardiert. Und am späten Nachmittag des 30. Juli fielen der Bombardierung eines Marktes im Norden des Gazastreifens 17 Menschenleben zum Opfer. 160 Palästinenser wurden verletzt, die dort gerade ihre Einkäufe erledigten. Diese Aufzählung an Massakern an der Zivilbevölkerung ließe sich beliebig lang fortsetzen, da seit dem 8. Juli bereits um die 1000 Zivilisten getötet wurden. Ich kann nicht verstehen, weshalb die israelischen Streitkräfte so etwas tun. Weshalb werden offenbar gezielt zivile Ziele und große Menschenansammlungen bombardiert? Die genaue Kenntnis der zu attackierenden Ziele dürfte durch die allgegenwärtigen Aufklärungsdrohnen, die gestochen scharfe Bilder liefern, vorhanden sein. Weshalb töten die Bomberpiloten immer wieder vorsätzlich Frauen und Kinder? Welchen ethischen Maßstäben folgen diese Herren der Lüfte über Leben und Tod? Sie sitzen in den modernsten Kampfjets, die jemals entwickelt wurden und brüsten sich mit "zielgenauen Schlägen". Daß in einem Krieg Soldaten Soldaten töten müssen, ist durch das Völkerrecht legitimiert, aber Zivilisten gezielt zu attackieren, so wie die Familie in unserem Nachbarhaus, die Kinder im Park, die Flüchtlinge in der UN-Schule, das ist rechtlich durch keine Kriegsordnung gedeckt. Die Menschen im Gazastreifen fragen sich, weshalb deutsche und westeuropäische Regierungschefs diese Verstöße gegen internationale Konventionen nicht scharf verurteilen. Das sind Kriegsverbrechen, die hier jeden Tag im Gazastreifen durch die israelischen Streitkräfte verübt werden.

Auch Krankenhäuser, ein Wasserwerk und das einzige Kraftwerk des Gazastreifens wurden bombardiert. In unserem Viertel im Zentrum von Gaza Stadt, das "Beverly Hills" genannt wird und bis vor drei Wochen noch über eine ziemlich intakte Infrastruktur verfügte, hat niemand mehr fließendes Wasser. Wir waschen uns mit Wasser aus Plastikflaschen, die wir im Tante-Emma-Laden um die Ecke kaufen. Wir haben seit der Nacht auf den 29. Juli, in der das Kraftwerk bombardiert wurde, keinen Strom und kein Internet mehr. Das Festnetztelefon ist tot. Das Handy ist das einzige Kommunikationsmittel, das noch funktioniert, was natürlich auf Dauer sehr kostspielig ist. Diesen Text schreibe und versende ich im Al Deira Hotel, das über einen eigenen Generator verfügt und in dem die französische Nachrichtenagentur AFP ihr eigenes WLAN-Netz hat.

Es gibt kein Brot mehr im Gazastreifen. Es gibt nirgendwo mehr Brot zu kaufen. Wir essen das Brot, das die Ehefrau meines Gastgebers Maher zu Hause bäckt im Innenhof unseres Hauses in einem selbstgebauten Ofen, den sie mit Holzkohle befeuert. Wir tunken das Brot in Olivenöl und Za'tar, eine Paste aus Thymian, Sesam und Salz. Das essen wir jeden Tag. Selbst wenn es noch Brot zu kaufen gäbe, hätten wir kein Geld, um es bezahlen zu können. Seit Beginn des Krieges gibt es kein Bargeld mehr an den Geldautomaten, sind die Banken geschlossen, wurde das Finanzministerium komplett zerstört, funktionieren EC- und Kreditkarten nicht mehr. Wenn wir Mehl und Öl kaufen gehen im Laden um die Ecke, lassen wir anschreiben, so wie das alle derzeit tun müssen.

Es gibt kein öffentliches Leben mehr im Gazastreifen. Alle Behörden und Büros, fast alle Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Die Menschen gehen nur aus dem Haus, falls unbedingt nötig. Die Strände und Parks sind menschenleer. Die letzten vier Kinder, die am Strand Fußball spielten, sind von einer israelischen Rakete getötet worden. Es war kein Hamas-Kämpfer oder Raketenabschußrampen in der Nähe, berichteten Augenzeugen übereinstimmend.

Ich wohne in einem zweistöckigen Haus um die Ecke der am 29. Juli zerbombten Al Amin Moschee. Zehn Menschen lebten in dem Haus, bevor der Krieg begann. Jetzt sind es 70, die sich die zwei Wohnungen im Haus teilen. Meine Gastgeber haben 60 Flüchtlinge aus dem Norden des Gazastreifens, der dem Erdboden platt gemacht wurde, bei sich aufgenommen. Die Männer müssen im Hauseingang und im Hausflur schlafen, die Wohnungen sind den Kindern und Frauen vorbehalten. Auf so engem Raum mit fremden Menschen zusammen zu leben und nebeneinander zu schlafen ist für alle nicht leicht und Privatsphäre gibt es gar keine. Auch liegen die Nerven blank nach dreieinhalb Wochen Dauerbombardement, von dem ich ja nur anderthalb Wochen mitbekommen habe. Trotzdem verhalten sich alle 70 Bewohner der zwei Wohnungen immer ruhig und rücksichtsvoll, sind solidarisch und teilen das wenige miteinander, was sie noch haben: das selbstgebackene Brot, den Handy-Akku, die letzte Zigarette, ein Stück Seife zum Waschen. Ich war gestern in einem Kindergarten in unserem Viertel, in dem nachts 80 Menschen pro Gruppenraum schlafen.

Palästinenser sind so schlau wie die Libanesen, intelligent wie die Iraker, starke Kämpfer wie die Algerier und gastfreundlich wie die Syrer. Vielleicht ist es diese Vielzahl an guten Eigenschaften, die es den Menschen in Gaza ermöglicht, mit dieser schweren Situation umzugehen ohne zu resignieren. Trotz seit dreieinhalb Wochen anhaltender Bombardierung aus der Luft, zu See und zu Land spielen die Kinder noch tagsüber auf der Straße, singen die Frauen beim Brotbacken noch ihre Lieder, leisten die Männer noch immer Widerstand. Maher, mein Gastgeber, erklärt: "Unseren Willen zu leben und zu kämpfen, können keine Raketen und Granaten brechen."
geschrieben von Martin Lejeune


Karl
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf Karl vom 31.07.2014, 18:07:22
Crimmscher
Crimmscher
Mitglied

Re: Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!
geschrieben von Crimmscher
als Antwort auf dutchweepee vom 31.07.2014, 18:40:56
USA liefern Israel neue Munition.

Wenige Stunden nach dem tödlichen Beschuss einer Uno-Schule Gaza haben die USA Israel mit neuer Munition versorgt.

Die amerikanische Regierung entsprach damit einer israelischen Anfrage und Bitte um Hilfe.

Die Munition im Wert von umgerechnet 750 Millionen Euro stammt aus einem Zwischenlager der amerikanischen Armee auf israelischem Boden.

Das meldet die "Neue Züricher Zeitung" wie auch der "Chebsky Denik" vom 31. Juli 2014.

Am Vormittag in Böhmen gelesen.

Wir hätten 20 Atombomben der Amerikaner auf deutschem Boden im Angebot, allerdings ohne Zünder! Was aber nur Satire sein kann.

Schließlich ist Obama Friedens-Nobelpreis-Träger

Crimmscher

Anzeige

Re: Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Crimmscher vom 31.07.2014, 18:53:08
Langsam fehlen einem in der Tat sämtliche Wörter. Und das ist in meinem Fall auch gut so, denn die könnten arg
"robust" ausfallen. Bin gespannt wer sich aller zu Wort meldet, dass dies alles Lüge sei. In Sachen ableugnen und verniedlichen hat mir die Anne Will Sendung gestern Abend schon mehr als gereicht. Israel verschont die Zivilbevölkerung hat dieser Rudolf Dressler sich erdreistet zu sagen und natürlich war Michael Wolffsohn der gleichen Meinung. Ich würde diese Leute am liebsten in Urlaub schicken, nach Gaza.
Re: Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Es gibt eine Zusammenstellung von Appellen, an denen man sich beteiligen kann, oben auf dieser Seite: AI - Berichte Gaza
Hier sind auch die neuesten Stellungnahmen dazu von Amnesty International.

Gruß Marina
Karl
Karl
Administrator

Re: Hilferuf aus Gaza. Schaut nicht weg!
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 31.07.2014, 19:39:45
Danke Marina!

Ich schaue jetzt jeden Tag in den Blog von Martin Lejeune in der Hoffnung, dass er noch lebt. Karl

P.S.: Waffenruhe:
in einer gemeinsamen Erklärung von Kerry und Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon. "Während dieser Zeit sollen Zivilisten sofort benötigte humanitäre Hilfe und die Möglichkeit bekommen, lebensnotwendige Aufgaben zu erledigen. Dazu zählt die Beerdigung der Toten, die Versorgung der Verletzten und die Beschaffung von Lebensmitteln." Überfällige Reparaturen am Wasser- und Stromnetz sollen auch möglich sein. Quelle
geschrieben von Tagesschau.de

Anzeige

Karl
Karl
Administrator

Wichtig ist die Seriösität der Quelle
geschrieben von Karl
als Antwort auf Karl vom 01.08.2014, 07:31:32
Auf Tagesschau.de gibt es ein interessantes Interview zur Propaganda in den Medien.
Studien haben ergeben, dass die falsche Nachricht die doppelte Reichweite erzielt als ihre Korrektur.
...
Vielleicht war man am Anfang zu naiv und hat den Umfang von möglicher Propaganda unterschätzt. Sicher haben sich auch Journalisten in sozialen Netzwerken zu sehr einem gewissen Reichweiten-Geltungsdrang hingegeben, um schneller zu sein als alle anderen, um das eine spektakuläre Bild als erster zu veröffentlichen. Dabei ist und bleibt auch in digitalen Zeiten vor allem die journalistische Glaubwürdigkeit ein hohes Gut.
geschrieben von Konrad Weber im Interview mit Tagesschau.de

Es ist deshalb sehr gut, dass hier im ST Medienberichte grundsätzlich kritisch hinterfragt werden.

Karl
justus39
justus39
Mitglied

Re: Wichtig ist die Seriösität der Quelle
geschrieben von justus39
Wenn ein Journalist sich nicht ganz sicher ist ob seine Quelle die Wahrheit verkündet, dann wird er sich lieber dem gängigen Mainstream anpassen als eine gegenteilige Darstellung zu veröffentlichen, und da es nur sehr wenige Veröffentlichungen von der Gegenseite gibt, eignet sich eben die Mehrheit die bequeme Meinung der allgemeinen Medien an, und mit der Zeit glaubt sie es sogar.

justus
Tina1
Tina1
Mitglied

Re: Wichtig ist die Seriösität der Quelle
geschrieben von Tina1
als Antwort auf Karl vom 01.08.2014, 14:31:18
Auf Tagesschau.de gibt es ein interessantes Interview zur Propaganda in den Medien.
Studien haben ergeben, dass die falsche Nachricht die doppelte Reichweite erzielt als ihre Korrektur.
...
Vielleicht war man am Anfang zu naiv und hat den Umfang von möglicher Propaganda unterschätzt. Sicher haben sich auch Journalisten in sozialen Netzwerken zu sehr einem gewissen Reichweiten-Geltungsdrang hingegeben, um schneller zu sein als alle anderen, um das eine spektakuläre Bild als erster zu veröffentlichen. Dabei ist und bleibt auch in digitalen Zeiten vor allem die journalistische Glaubwürdigkeit ein hohes Gut.
geschrieben von karl

Es ist deshalb sehr gut, dass hier im ST Medienberichte grundsätzlich kritisch hinterfragt werden.

Karl
geschrieben von Konrad Weber im Interview mit Tagesschau.de


Genauso ist es Karl, ich habe mir deinen Linktipp angesehen. Da konnte ich genau das lesen was in meinem Link den ich auch schon mal hier reingestellt hatte ebenfalls geschrieben wurde. Also man muss da schon aufpassen und kritisch rangehen, am besten man glaubt von allen nur die Hälfte. Für die Medien ist es sehr schwer, sie können nicht wissen ob das alles richtig ist was sie an Material bekommen.
Tina
Crimmscher
Crimmscher
Mitglied

Re: Wichtig ist die Seriösität der Quelle
geschrieben von Crimmscher
als Antwort auf justus39 vom 01.08.2014, 16:33:46
Auch freie Journalisten sind einkommensabhängig.

Es wird zusammengeschustert wie der Markt der Presse es verlangt.
Objektivität und Wahrheiten kosteten manchen schon die Existenz,
manchmal wurden sie auch mit einem plötzlichen Tod bestraft.

Crimmscher

Anzeige