Internationale Politik Kinderarmut in Deutschland?

Globetrotter
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von Globetrotter
als Antwort auf jeweller vom 23.07.2020, 15:08:46
Herzlichen Dank für euere recht interessanten Beiträge.
Eigentlich wollte ich keine Lebensläufe, sondern nur ein JA oder NEIN.
Ich hätte vielleicht noch erwähnen sollen, Vergleiche die ihr euch aus dem Internet reinzieht brauch ich auch nicht. Da ich glaube keiner von den Teilnehmer hat eigene Afrika Erfahrung. oder? 

LG Hubert
 
geschrieben von jeweller

doch ich, ich habe sowohl in Kenia wie auch in Süd Afrika gelebt. Um deine Frage zu beantworten, es muß wohl leider stimmen. Also Ja

Da meine Enkelinnen noch nicht das Schulalter erreicht haben kenne ich persönlich keine armen Kinder, im Kindergarten ist mir nichts aufgefallen. Ich weiß aber das zum Schulanfang um ausgediente Rucksäcke etc gebeten wird. Ich lebe aber auch auf dem Land und nicht in einem Ballungsgebiet.
RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf olga64 vom 24.07.2020, 18:35:42
Es ist, wie in so vielen Bereichen, diese enorme Anspruchshaltung Betroffener , alles an andere zu delegieren, was in der eigenen Verpflichtung und Verantwortung liegt. Olga
Na ja ganz so sehe ich das nicht. Oft ist es so das die Betroffenen gar nicht wollen das sich das Jugendamt zu sehr einschaltet. Meine Tochter hatte einen Familienhelfer und wir hatten sehr guten Kontakt zu ihm. Er war sehr gut und auch sehr engagiert, aber er sagte auch das er in manchen Haushalten nicht sehr willkommen war. Manche möchten es aber auch gerne alleine schaffen. Jeder Fall liegt anders und es geht nicht immer nur um Kindesmißbrauch. 
Das Jugendamt hier im Landkreis ist sehr gut besetzt, das brachten sie auch in der TV Sendung die ich gesehen hatte. In anderen Landkreis / Städten sieht es anders aus, die können die Arbeit gar nicht schaffen.
LG Heidrun
olga64
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von olga64
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2020, 19:33:29

Vermutlich bin ich von meinen eigenen Erfahrungen mit dem Jugendamt (München) stark geprägt, die sehr positiv waren und die mir in meinem Leben als junger Mensch sehr geholfen hatten.
Ich wurde mit 15 Jahren Halbwaise. Meine Mutter war sichtlich überfordert mit er Erziehung von zwei Kindern (mein Bruder ist 5 Jahre jünger).
Als ich nach der Schule als Au Pair nach England wollte, hatte sie es verboten, weil sie mich schnellstens irgendwo arbeiten sehen wollte, um Geld zu verdienen.
Da ging ich selbst mit meinen 18 Jahren zum Jugendamt, wo sowieso ein amtlicher Vormund für mich bestellt war. Dieser Mann half mir sehr; er erlaubte mir die Tätigkeit in England und später noch in Frankreich, weil ich u.a. dadurch selbstständiger wurde und die Sprachen erlernen konnte.
Als ich zurückkam, war ich fast volljährig und durfte auch ausziehen von zu Hause und mein Leben so gestalten, wie ich es mir vostellte.
Diesen Mann habe ich noch lange besucht, auch als er als Vormund nicht mehr für mich zuständig war. Er war aber immer interessiert, wie es mit mir weitergegangen war.
Diese Möglichkeiten gibt es ja auch: Jugendämter können auch von den Kindern selbst kontaktiert werden, wenn es zu Hause unerträglich wird und dann müssen sie die Sache prüfen und weiterverfolgen.
DAss sie bei Erwachsenen in evtl. zerrütteten Familien nicht willkommen sind, liegt auf der Hand. Olga


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Pat
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von Pat

Die Kinderarmut ist leider wirklich ein stetig wachsendes Problem, aber die Ursache dafür sind keineswegs nur die Problemfamilien, oder die Hartz4 Empfänger, man sollte dabei nicht vergessen, für eine Familie mit zwei Kindern ist es nicht leicht, in Städten wie München, Stuttgart oder Frankfurt usw., überhaupt eine bezahlbare Wohnung zu finden. Davon sind auch oftmals Familien betroffen, die sich sehr wohl um eine eigenes Einkommen bemühen. In Stuttgart, oder in München, sind die Mieten in den letzten 5 Jahren deutlich über 20% gestiegen. Also was davor noch für 850 € im Angebot war, kostet jetzt schon über 1000 € (kalt) , und eine Wohnung zu diesem Preis überhaupt zu finden, ist in diesen Großstädten schon fast ein Glücksfall, und wenn schon, stehen doch meist 10-15 weitere Interessenten Schlange, und die mit dem besseren Einkommen werden natürlich bevorzugt.

Dagegen liegt der gesetzliche Mindestlohn immer noch bei 9,35 €. Nur mal so eine Beispielsrechnung.
Papa hat einen Job als Paketzusteller bei Hermes, oder GLS, erhält natürlich gerade mal den Mindestlohn,
grob gerechnet so ca. 1800 € Brutto, nach Abzug von Steuern, Kranken und Sozialversicherung bleiben
Netto ca. 1350 € Netto, Mama hat einen kleinen Teilzeitjob, leider Unterhalb des Mindestlohns, naja sie
bekommt so ca. 350 €, damit haben sie immerhin wieder 1700 €, dazu bekommen sie noch ca. 400 €
Kindergeld, also insgesamt 2100 € monatlich.  Familie, 2 Kinder, Großstadt, 3 Zimmerwohnung, Miete 1200 € kalt, Nebenkosten 120 €, Heizung 100 €, dazu kommt natürlich noch Strom, Telefon,  naja ca. 80 €,
damit sind sie bei 1500 € angekommen. Sie haben kein Auto, sind auf den ÖPNV angewiesen, 1 Kind und  Papa, also nochmals so ca 100 €.  Dann verbleiben noch 500 € monatlich für den täglichen Bedarf, also ca. 17 € täglich für die 4 Personen Familie. Für die Ernährung reichen sicher 350-400 € mtl., aber dazu kommt natürlich noch der übliche Haushaltsbedarf, Wasch-und Putzmittel, Zahnpasta, Duschgel usw. usw., und die Kinder benötigen dies und das für die Schule, dann wird es sehr, sehr knapp. Für Zeitungen, Bücher, Kino, Theater, Ausflüge, Computer, Tablets etc. reicht das Budget kaum noch, also Kultur, weiterführende Bildung, Erlebnisse, oder Unterhaltung usw. sind deshalb sehr selten, und oftmals gar nicht möglich.

Dies ist keineswegs ein Einzelfall, gerade in Großstädten sind davon viele Familien betroffen. Es gibt natürlich viel schlimmere Fälle von Armut, aber wenn den Kindern der Zugang zu Kultur, Bildung etc. kaum, oder garnicht möglich ist, kann man durchaus von Armut sprechen.

Viele halten diese Beschreibung vielleicht für Quatsch, nach dem Krieg war es doch viel schlimmer, aber Kultur und bildungsferne Jugendliche will doch auch keiner in unserer Gesellschaft.

Pat

 

olga64
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von olga64
als Antwort auf Pat vom 26.07.2020, 16:36:54

Bei Ihrer Rechnung vermisse ich einige wichtige Faktoren:

Bei einem solchen Verdienst wird keine Einkommenssteuer fällig.  DAs Existenzmimum (einkommenssteuerrechtlich) beträgt für 2020 9.408.Euro pro ERwachsenem.
Für die Kinder gibt es Kindergeld und wenn die Miete zu hoch ist, kann man Wohngeld beantragen. Olga

Pat
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von Pat
als Antwort auf olga64 vom 27.07.2020, 17:07:33
Bei Ihrer Rechnung vermisse ich einige wichtige Faktoren:

Bei einem solchen Verdienst wird keine Einkommenssteuer fällig.  DAs Existenzmimum (einkommenssteuerrechtlich) beträgt für 2020 9.408.Euro pro ERwachsenem.
Für die Kinder gibt es Kindergeld und wenn die Miete zu hoch ist, kann man Wohngeld beantragen. Olga
Ja Olga, sie haben natürlich recht, ich hatte es ja Beispielsrechnung genannt, und auch als grob
gerechnet bezeichnet. Klar fällt die Lohnsteuer weg, dann bleiben noch ca 1440 € Netto übrig,
hatte mich halt schon lange nicht mehr mit dem Thema beschäftigt, Wohngeld und Kindergeld steht der Familie natürlich auch zu, sofern sie es beantragen. Man kann da natürlich rechnen ohne Ende, ich wollte eigentlich nur zum Ausdruck bringen, die Mieten steigen ständig, und die Löhne stagnieren. Dies betrifft leider auch Familien die ein etwas besseres Einkommen haben, als z.B. die von mir beschriebene Familie.

Deshalb nur mal kurz eine andere Beispielsrechnung. Da ist natürlich auch nicht alles erfasst,
was evtl. an Zuschüssen fürs Kind noch möglich ist, aber auch nicht alle Kosten, z.B. für Kleidung usw.

Ehepaar, ein Kind, er Alleinverdiener, 3000 € Brutto, Kaltmiete für die 3 Zimmer Wohnung
1500 €, ist z.B. in München ja schon Standard, in guten Lagen kosten die doch noch
deutlich mehr. Da gibt es kein Wohngeld, denn das Gehalt liegt über der mtl. Einkommensgrenze.
Was bleibt denen dann noch übrig ??  Nettogehalt 2250 €, plus Kindergeld sind es dann etwa 2450 €.
Wieder mal ganz grob gerechnet, NK+Heizung 200€, Strom+Tel. 100€, Kleinwagen 200€, Lebensmittel 350€, Miete 1500€,  sind insgesamt 2350€, da bleiben noch 100€, nicht sehr üppig, zumal das Kind auch mal neue Turnschuhe braucht, oder ein Fahrrad vom Flohmarkt, usw.

Die Enkeltochter einer Freundin hatte Anfang 2019 eine 1-2 Zimmerwohnung in München gesucht,
möglichst mit guter Verkehrsanbindung zur Uni. Die ist fast verrückt geworden, ein Zimmer inkl.
Nebenkosten-Heizung locker mal 1000€. Das Studentenwerk hatte ihr aber freundlicherweise ein
nettes WG-Zimmer in Schwabing für ca. 650€ vermittelt, da kommt sie sogar zu Fuss zur Uni,
Glück gehabt.

Pat

 

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olga64
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von olga64
als Antwort auf Pat vom 28.07.2020, 10:57:35

In München waren die Mieten immer sehr hoch, was nicht unbedingt mit der Unfähigkeit der Politiker zu tun hat, sondern mit der schlichten Tatsache, dass alle hier wohnen wollen und zwar möglichst in der Stadt.
Um Wohnungen neu zu bauen,braucht man Baugrund und vor allem Investoren, die das finanzieren. Die lockt man nur an, wenn sie eine entsprechende Rendite für ihr eingesetztes Kapital erhalten.
DAbei ist die Stadt verkehrstechnisch gut erschlossen; schon einige S-Bahn-Stationen ausserhalb sieht es ganz anders aus und auch die Wohnungen werden günstiger und das Umfeld, inbesondere für Kinder, auch noch attraktiver.
Da gibt es dann leichter Kita-Plätze, Schulen sowieso usw.
Ich weiss ja wovon ich schreibe: ich habe selbst ein vermietetes 1 Zimmer Appartement in München als Eigentum und vermietet. Allerdings würde ich nicht an Studierende vermieten, weil mir die naturgemässe Fluktuation zu aufwendig wäre.
Ich habe diese Wohnung vor mehr als 40 Jahren gekauft (als Altersvorsorge), nie darin gewohnt, sondern sie immer vermietet - damit hat sie sich auch selbst finanziert.
Wenn ich zum Pflegefall werden sollte, verkaufe ich sie, womit sichergestellt ist, dass ich finanziell nicht von anderen abhängig bin - auch nicht vom Staat.

Selbst wohne ich ausserhalb von München, bezahle dort weniger Miete als es in München für eine vergleichbare Wohnung der Fall wäre und bin trotzdem mit Ärzten, Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten usw. bestens versorgt.
Wenn ich nach München möchte, fahre ich mit der S-Bahn ca 40 Minuten zum MÜnchner Marienplatz. Bei mir kommt allerdings dazu, dass mein Freund in Schwabing eine grosse, eigene Wohnung hat, wo ich natürlich auch oft bin.
Ein kleines, sehr altes Auto habe ich, weil es hier keine Busse gibt. Und dies deshalb, weil keine Nachfrage danach besteht - hier haben die Leute alle Autos.

Warum hat übrigens jemand, der in München lebt, ein Auto? Das geht doch wunderbar ohne? Mein Freund hat noch ein Auto, fährt es aber oft monatelang nicht; es steht praktisch nur in der Tiefgarage rum und er selbst benützt UBahn, Bus, Tram usw. oder manchmal "leisten" wir uns auch ein Taxi, wenn es später wird. Olga

Pat
Pat
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von Pat
als Antwort auf olga64 vom 28.07.2020, 17:09:41

Tja Olga, viele ihrer Argumente, auch ihre Einwände kann ich durchaus nachvollziehen, im Prinzip kann man manches auch ganz einfach auf Frankfurt übertragen. Ich bin vor einigen Jahren auch direkt an den Stadtrand gezogen, nicht außerhalb, aber selbst hier sind die Mieten deutlich günstiger, mit der U-Bahn 25 min. in die Innenstadt, oder 15 min zum nächsten Einkaufszentrum. Ansonsten ist hier im Umkreis von 500 m. auch alles vorhanden, Ärzte, Apotheker, Bäcker, Supermarkt usw., und man ist in wenigen Minuten im Grünen, es gibt sehr gute Radwege z.B. nach Bad Vilbel, oder nach Bad Homburg usw.. Hier leben sehr viele Familien mit Kindern, aber auch viele ältere Menschen, da eine Familie mit Kindern, oder auch Alleinerziehende, oder Rentner, mal locker 30-35 % an Mietkosten sparen. Es ist für die Familie mit 2 Kindern ja schon ein erheblicher Unterschied, ob sie 1000 €, oder 1500 € für die 3 Zimmer Wohnung
zahlen muss.

Trotzdem gibt es auch hier sowas wie „Kinderarmut“. Letztes Jahr meinte eine Bekannte, komm doch mal mit ins Kinderhaus, wir haben da schon länger ein Projekt, nennt sich „Hand in Hand“, da kochen, backen, basteln, werkeln, malen Senioren mit den Kindern, und es macht allen Spaß. Erst dadurch bin ich dann etwas aufmerksamer geworden, was bedeutet Kinderarmut, was kann man dagegen eigentlich tun, usw.?? Mir war dort schon bald aufgefallen, im Grunde kann fast jeder etwas dagegen tun, man kann einfach seine Zeit spenden, oder eine Sache spenden, und wer genug hat, der kann auch Geld spenden, all dies kann die Probleme der Kinder deutlich mindern.

In dem genannten Kinderhaus kann jedes Kind im Alter von 6-12 Jahren, ohne Anmeldung, von ca. 12:00 - 19:00 Uhr alle Angebote absolut kostenlos nutzen. Es gibt dort Hausaufgabenhilfe, Computerkurse, eine Bücherei, Sport, Tanzen, Theaterspiele, Ausflüge usw.usw. und es gibt auch offene Sprechstunden für die Eltern, m.E. auch sehr wichtig. Ähnlich wie die "Arche"

Sie hatten hatten ja schon angemerkt, ich hatte bei meiner Beispielsrechnung die Einkommenssteuer vergessen. Bei diesen Sprechstunden war mir aufgefallen, vielen alleinerziehenden Müttern war gar nicht bewusst wie sowas abläuft. Ihre Lohnsteuer wird ja bereits vom Arbeitgeber einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, und dort zum Jahresende zur Einkommenssteuer umgewandelt, zurück erhalten sie diese aber nur, wenn sie ihrer (Lohn)- Steuererklärung abgeben, und alle  Lohnsteuerabzugsmerkmale präzise angeben. Ähnlich geht es vielen auch bei Anträgen wegen Kindergeld, oder Wohngeld, so
manche Mama ist da einfach überfordert, da wären deutlich mehr Informations und Hilfsangebote erforderlich.

Aber sehr positiv war mir aufgefallen, auch die Kinder helfen sich gerne gegenseitig. Vor Weihnachten hatten wir zusammen Plätzchen gebacken, ein russischer Junge hat auch mitgemacht, er lebte aber noch nicht lange hier, und seine Deutschkenntnisse waren eher schwach, er konnte das Rezept nicht richtig lesen, und meine Tipps hat er auch nur schwer verstanden. Ein Mädel am Nachbartisch hat es bemerkt und sagte, Moment ich ruf mal die Lara, die kann russisch, die kam auch sofort, und hat ihm alles genau erklärt, hat wunderbar funktioniert.

Später beim Plätzchen essen hat sie mir dann erzählt, sie habe auch  mit ihm geschimpft, er sei nämlich diese Woche 3 mal viel zu spät zum Sprachkurs gekommen, und 5 min. vor Schluss, habe sie dann auch keine Lust mehr nochmals von vorne anzufangen.

Fand ich völlig O.K, arme Kinder die ausreichend Unterstützung bekommen, sind wirklich alles andere als doof.  Leider liegt das Projekt „Hand in Hand“ wegen Corona ja derzeit auf Eis, aber alle hoffen, dass es irgendwann wieder weiter geht.

Pat

olga64
olga64
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RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von olga64
als Antwort auf Pat vom 03.08.2020, 22:49:45

Liebe Pat,

ich möchte das nochmals verdeutlichen: ich gehöre zu den Menschen, die immer der Meinung waren, für unsere Kinder soll uns nichts zu viel sein, aber bitte, es soll auch diesen zugutekommen.
Ich plädiere auch schon seit langem dafür ,dass sämtliche Unterstützungsprogramme für Familien gesammelt werden sollten, um sie dann - gerne gestaffelt z.B. nach Alter der Kinder  - relativ unbürokratisch und in überschaubaren Summen auszubezahlen.
DAs funktioniert aber so nicht ,weil alle Bundesländer ihre eigenen Programme haben, teilweise natürlich auch, um WählerInnen an sich zu binden.

In Bayern ist man sehr grosszügig. Ich unterhielt mich kürzlich mit einer jungen Frau, die zwei kleinere Kinder hat. Mit allen Zulagen (Kindergeld, KitaZuschuss, ERziehungszuschuss usw.usw.) bekommt sie in einer bestimmten Altersgruppe pro Kinder ca 500. Euro pro Monat. Diese junge Frau sagte mir ganz ehrlich (was ich nachvollziehen konnte), dass sie dafür gerne für mehrere Jahre ihre Berufstätigkeit aufgeben würde, weil sie als Friseurin das Geld sehr viel härter erarbeiten müsste.

Und da habe ich dann wieder meine Probleme (und sagte es dieser jungen Frau auch): wenn die Beziehung auseinandergeht, wenn die Kinder nicht mehr in diesem Umfange bezuschusst werden, muss sie wieder beruflich Anschluss finden. Tut sie es nicht, ist sie auf dem besten Wege in die Altersarmut.

Kurz nach meiner Pensionierung tat ich mich mit einigen Leuten zusammen und wir bauten ein Hilfsprogramm für junge UnternehmerInnen auf, die alle im Kleingewerbe tätig waren, also Nagelstudio, Friseursalon mit wenigen Plätzen, Putzhilfen.
Was ich nie vergessen werde: zuerst mussten wir die mal aufklären,dass für alles Steuern, Versicherungen, Mieten usw. kalkuliert werden müssen, was sich auch in den Preisen für die Kunden niederschlagen soll.
Sie waren grossenteils der Meinung ,das, was sie einnehmen, könnten sie dann für das eigene Leben "verbraten". Solche Läden sind natürlich dem Untergang geweiht schon am Tage der Eröffnung.
Bei einigen gelang es uns, sie zu informieren und aufzuklären - bei den meisten nicht; die gibt es aber auch als UnternehmerInnen längst nicht mehr.
Was mir auch auffiel, ab einem gewissen Moment hören die auch nicht mehr zu, weil es sie nicht mehr interessiert, bzw. weil sie es - mit Verlaub - auch nicht kapieren.

Ein gutes Beispiel habe ich aber bis heute (und auch noch Kontakt): eine Putzhilfe, die schwarz einige Haushalte reinigte, konnte ich überreden, einen Putzdienst aufzumachen, sich MitstreiterInnen zu suchen und alles völlig legal anzumelden. Diese Leute sind hier sehr gefragt und der Stundenlohn liegt, wenn nicht schwarz gearbeitet wird, bei teilweise mehr als 20. Euro pro Stunde. DAs ist eine nun ein tüchtige Gruppe, die von den Kunden weiterempfohlen wird und sich teilweise vor Aufträgen gar nicht retten kann.
Corona hat dies natürlich auch gestoppt; jetzt geht es seit einigen Wochen aber wieder aufwärts. DAs freut mich und auch die Putzhilfen. Olga

Lissy52
Lissy52
Mitglied

RE: Kinderarmut in Deutschland?
geschrieben von Lissy52
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2020, 15:45:17

Ich habe einige Erfahrungen gemacht, da ich ca.13 Jahre im Jugendamt gearbeitet habe und mehrere Jahre  ehrenamtlich in der Familienhilfe. 
Geld ist nicht der Grund für Kinderarmut, zumindest nur sehr selten.

Ich habe  Familien und alleinerziehende Mütter erlebt, die ihren Kindern trotz Hartz IV  ein liebevolles und gutes Zuhause gegeben haben. Glückliche " finanziell arme " Kinder. Da wurde Kleidung und Spielzeug second hand gekauft , Kindergeburtstage organisiert und  Verantwortung und Fürsorge gezeigt.

Ich hatte aber auch Familien und Mütter, denen die Kinder egal waren, die Geld lieber für die eigenen Bedürfnisse ausgegeben haben. 
Einmal wurden wir vom Tierschutzverein angerufen, weil Nachbarn um das Wohl der Hunde besorgt waren. Die ganze Wohnung war voller Kot, Müll und vergammelten Essensresten.  Die Eltern waren mit Computerspielen beschäftigt oder haben geschlafen. 2 Kleinkinder wurden dann von uns und 3 Hunde vom Tierschutz mitgenommen. Das war das Schlimmste, was ich an Wohnung je gesehen hatte.  Das Jugendamt darf in solchen Fällen,zwar kurzfristig in Obhut nehmen, aber entscheiden muss immer das Familiengericht. 
Daher wird den Jugendämtern oft fälschlicherweise die Schuld gegeben.
Ich bin dann irgendwann mit dieser Arbeit nicht mehr zurecht gekommen und bin zu einer anderen Behörde gegangen. es war ein ständiger Kampf um Hilfe für Kinder und auch Familien, denn die Maßgabe war, möglichst wenig Hilfen, sparen, sparen, sparen.  DAS ist der Skandal in DE.


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