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Internationale Politik Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?

ingo
ingo
Mitglied

Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von ingo

Mit der Libyen-Konferenz am Sonntag ist ja ruck-zuck gegangen. Irgendwann am Anfang der Woche habe ich das als einfache Meldung gehört, ohne zuerst zu wissen, wer überhaupt kommt; und vor zwei Tagen habe ich erfahren, wie hochkarätig diese Konferenz besetzt ist. Außer Trump kommt da ja so ziemlich alles, was Rang und Namen hat. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Das muss Frau Merkel "gestrickt" haben.....Sie hat gerufen, und alle kommen. Nicht schlecht! Man darf sie auch mal loben.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm, und zwei Hände voll Demos sind auch angekündigt. Was die Gegner dieses Treffens m.E. nicht begreifen, ist, dass  man jede auch noch so geringe Chance wahrnehmen  muss, um einem Frieden näher zu kommen. Jeder weiß, dass Waffen nichts bringen, und auch der Dümmste muss ahnen, wie brandgefährlich die Lage gerade ist.
Ich denke auch, dass es am Sonntag nicht nur um Libyen gehen wird, sondern dass Gegner und Verbündete auch die Gelegenheit nutzen werden, sich informell über Nah- und Fernost zu unterhalten. Und das kann  nicht falsch sein.
Großes Sicherheitsaufgebot vor Libyen-Konferenz
 

Karl
Karl
Administrator

RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von Karl
als Antwort auf ingo vom 18.01.2020, 11:56:25

@ingo*,

das sehe ich wie Du.

Karl

aixois
aixois
Mitglied

RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von aixois
als Antwort auf ingo vom 18.01.2020, 11:56:25

@ingo

so ruck zuck nun ja auch wieder nicht . Diese Konferenz wurde seit Monaten in Zusammenarbeit mit der UN und allen anderen Konfliktparteien intensivst vorbereitet. Von deutscher Seite weil DE aktuell als neutraler  Makler zwischen beiden Seiten fungieren kann und einiges an Ansehen geniesst.

Die Notwendigkeit einer Verhandlungslösung wurde virulent, seit sich im Frühjahr 2019 abzeichnete, dass Chalifa Haftar durch die Übernahme weiter Teile Südlibyens auch für West-Libyen (GNA-Tripolis) gefährlich werden könnte (Angriff auf Tripolis) und die USA sich im April von Sarrasch ab- und Haftar zuwendeten. Durch die Ausdehnung des Einflussbereichs der Türkei und Erdogans offenes Eingreifen in zugunsten der GNA (government of national accord - von radikalislamistischen Milizen unterstützt)  - ohne massive Waffenlieferungen der Türkei hätte Tripolis sich gegen Haftar nicht behaupten können.

Da beide Seiten militärisch keinen eindeutigen Sieg erringen können und das Risiko eines langen, blutigen Konflikts mit Eskalationspotential besteht,  muss in Berlin versucht werden eine Verhandlungslösung zu erreichen, die  zunächst auf eine Stabilisierung des labilen Kräftegleichgewichts abstellt. Ohne eine strikte externe Kontrolle eines Waffenstillstands und besonders eines Waffenembargos wird das nicht gehen. Da die USA sich nicht offiziell einbringen wollen, werden sich die Europäer aktiv beteiligen müssen, bes. Frankreich aber auch Deutschland wird ohne einen neuen Einsatz nicht herumkommen, will man vermeiden, dass  z.B. die Türken eine aktive Rolle bei einer (Selbst-) Überwachung spielen.
Daneben wird es zu erheblichen Unterstützungen (via UN) für die Zivilbevölkerung (Lebensmittel, Infrastrukturen, medizinsiche Versorgung ...) kommen müssen, wie auch für die Flüchtlinge, was auch bedeutet, dass  die hochkriminellen Milizen beiseite geschafft (entwaffnet ?) werden müssen, was wohl ohne Gewalt nicht gehen wird. Erst danach kann versucht werden langsam einen Befriedungsprozess zu starten, der - wenn alles gut läuft- irgendwann mal zu Wahlen führen wird.

Die Berliner Konferenz ist nur möglich geworden, weil hier die USA und Russland beide an einem  "Strang" ziehen und Russland sich seine Präsenz (Militärbasis ?) im zentralen Mittelmeer langfristig sichern kann.

Für die EU ist das der erste Test,  wie ernst sie es mit ihrer neuen "geopolitischen" Rolle (vdLeyen) meint, oder ob sie in Ermangelung von Einigkeit, diesen Part (zunächst) nur ein paar 'Vorreitern' überlässt. Eins ist jetzt schon sicher (und scheint in Berlin begriffen worden zu sein): Deutschland als "Friedensstifter" muss jetzt antreten und seine Möglichkeiten ausschöpfen. Viele Augen sind auf 'uns' gerichtet, umsonst wird  das nicht sein.

Für Nah-und Fernost ist in Berlin keine Zeit. Es wird schon schwierig genug sein, informell die Interessen der nicht teilnehmenden Griechen und Tunesier 'abzudecken'.

 


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ingo
ingo
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RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von ingo
als Antwort auf aixois vom 18.01.2020, 17:13:06

Danke für die Informationen zur Vorgeschichte, aixois. Erstaunlich, dass da quasi an mir vorbeigezogen ist, obwohl ich mich täglich sehr umfassend über das Weltgeschehen informiere.

aixois
aixois
Mitglied

RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von aixois
als Antwort auf ingo vom 18.01.2020, 18:38:25

wurde auch nicht an die "grosse Glocke" gehängt aus verschiedenen Gründen,nicht zuletzt eines möglichen Scheiterns in letzter Minute (siehe Haftars letzlich nur verbale Zusage zum Waffenstillstand nach seiner Abreise aus Moskau).
Obwohl das Kanzleramt die Einladungen bekannt gemacht hatte :

"Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in Absprache mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu einer hochrangigen Libyen-Konferenz nach Berlin eingeladen. Die Einladung richtet sich an folgende Länder und Organisationen: USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Vereinigte Arabische Emirate, Türkei, Republik Kongo, Italien, Ägypten, Algerien, sowie die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Afrikanische Union und die Arabische Liga. Darüber hinaus werden der libysche Premierminister Fayez Al Sarraj und General Chalifa Haftar ebenfalls nach Berlin eingeladen."  https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/libyen-konferenz-in-berlin-1712310
 

wollte Seibert vor der Presse am Freitag so tun, als wisse man noch nicht mal wer teilnehmen werde., d.h. weder die Vorbereitungen noch die Konferenz selbst sind 'leichte Kost' und da rumpelt es sich ganz schön im back stage. Man kann nur hoffen,  dass etwas  mehr als nur die (schon sehr positive) Tatsache des "Stattfindens" dabei heraus kommt. Es täte der deutschen Diplomatie gut, und nicht nur ihr.

Ich denke gelegentlich auch an die vielen durchgearbeiteten Nächte, Dienstreisen etc. nicht nur der Diplomaten, auch der Sicherheitskräfte, die wohl wie auf Kohlen sitzen werden und hoffentlich etwas Freizeit kriegen, wenn alles gut verlaufen ist.
So oft hat Berlin ja nicht solche 'delikaten' - Geschichte schreibenden -  Treffen zu managen .

Die SWP (einer der wichtigsten think tanks der Regierung in aussenpolitischen Fragen) hatte übrigens die Idee schon mal im Frühjahr 2019 angesprochen, ich glaube in einem Artikel von Wolfram Lacher, einem Libyenkenner.

Siehe auch sein Interview im DLF von letzter Woche :

https://www.deutschlandfunk.de/libyen-europaeer-sind-nicht-bereit-druck-auf-haftars.694.de.html?dram:article_id=467569

 
RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf aixois vom 18.01.2020, 19:14:56
Mir ist grad mal so drum,
unsere Kanzlerin zu loben.


👍

Clematis
 

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ingo
ingo
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RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von ingo
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 18.01.2020, 19:43:20

Mir "ist auch mal wieder danach", Clematis. Nicht jeder hätte soviel Prominenz an einen Tisch bekommen. Und da werden auch einige 4-Augen-Gespräche in kleinen Büros geführt werden.

MarkHell9229
MarkHell9229
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RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von MarkHell9229
Erdogans Politik in Libyen bedroht Europas Sicherheit
 
 
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Am Sonntagnachmittag empfängt Merkel im Bundeskanzleramt Vertreter aus mehr als zehn Ländern, die Einfluss auf den Libyen-Konflikt haben. Zum Libyen-Gipfel werden türkische Präsident Erdogan, der russische Staatschef Wladimir Putin, US-Außenminister Mike Pompeo, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Libyens Ministerpräsident al-Sarradsch und sein Gegner General Haftar erwartet. Bundeskanzlerin Angela Merkel strebt eine Verpflichtung aller in Libyen aktiven Staaten an, auf Waffenlieferungen zu verzichten und den Waffenstillstand einzuhalten.

Erdogan hatte kurz nach Neujahr den Beginn einer türkischen Truppenverlegung nach Libyen bekannt gegeben. Auserdem, Dschihadisten, die von der Türkei bezahlt und ausgebildet werden, sollen ebenfalls auf Sarradschs Seite kämpfen. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte, werden gerade etwa tausend in Syrien rekrutierte Kämpfer in der Türkei für ihren Einsatz in Libyen trainiert. Syrische Dschihadisten von Erdogan– insbesondere al-Kaida- und IS-Kämpfer aus Idlib – nach Libyen gebracht wurden, nehmen bereits aktiv an den Kämpfen in Tripolis teil. Außerdem, die Türkei wiederum liefert Waffen von Premierminister Fayiz al-Sarradsch trotzt der UN Waffenembargo. Die Regierung in Ankara steuert zudem Drohnen, Feuerwaffen, Munition und gepanzerte Fahrzeuge bei. Die Türkei unter Erdogan will in Libyen ihre Machtanspruch um jeden Preis sichern, um Zugang zu den libyschen Ressourcen zu bekommen.

Zugleich die Fortsetzung des Konfliktes in Libyen verstärkt die Migrationskrise in Europa. Das Land gilt als wichtigstes Transitland für Migranten, die über das zentrale Mittelmeer in die EU gelangen wollen.

Karte_Flüchtlingskrise_in_Europa_2015.png

Das Land hat sich durch das Kriegsgeschehen mit Willkürherrschaft und Schwäche der staatlichen Institutionen in den vergangenen Jahren außerdem zu einem der wichtigsten Transitstaaten für Flüchtlinge auf dem Weg Richtung Norden entwickelt. Und der Konflikt treibt noch mehr Menschen in die Boote. Ein friedliches Libyen könnte die Zahl der Fliehenden auf dem Mittelmeer reduzieren. Weniger Menschen hätten einen Fluchtgrund und außerdem könnten die Grenzen besser überwacht werden. Deswegen hat die EU, und Deutschland, ein Interesse an einem möglichst stabilen Staat. Europa muss den prinzipienfesten Standpunkt einnehmen, um die ungesetzliche Einmischung den ausländischen Truppen anzuhalten.

 
ingo
ingo
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RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von ingo
als Antwort auf MarkHell9229 vom 19.01.2020, 10:36:52

Sorry, Marc; aber Dein Beitrag gehört wohl in den Erdogan-Thread. Außerdem ist das, was Du eingestellt hast, hinreichend bekannt. 
Mein Themenansatz ist nicht, hier Schuldzuweisung zu betreiben, sondern über Verhandlungsbemühungen zu diskutieren. Heute sitzen ja noch ganz andere Verantwortliche am Tisch.

aixois
aixois
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RE: Libyen-Konferenz in Berlin: Ja/Nein?
geschrieben von aixois
als Antwort auf ingo vom 18.01.2020, 20:12:34

Ja, diese Konferenz könnte in der Tat eine Zäsur in der deutschen (und bedingt auch EU) Außenpolitik darstellen. Ob die Kanzlerin dazu geschoben werden musste oder ob sie die Kraft war, die die anderen an den 'Verhandlungstisch zog, wird sich noch zeigen. Ohne Rückendeckung und Unterstützung der beiden Großen (RUS - USA) und einem bereits existierenden "UN-Dach" (und der Stimmenthaltung im Sicherehitsrat 2011) wäre es nicht gegangen.

Es wird auf jeden Fall ein spannender Testfall für die Möglichkeiten einer diplomatischer Konfliktbewältigung, gesichert durch konkrete humanitär-wirtschaftliche aber auch militärische Begleitung.

Da kann man nur wünschen, dass die Berliner Buletten (oder Currywürste ?) und ein paar Molle mit Strippe oder auch Weisse mit Schuss bei den Teilnehmern allen Verstand und alle Vernunft freisetzen, damit man später mal vom "Berliner Friedensprozess" sprechen kann, der auch  zu einer 'Initialzündung' einer gemeinsamen EU Politik eines "gestalteten Multilateralismus" neben den drei 'Großen' führt.

Warum Trump nicht nach Berlin kommt wenn er in zwei Tagen nach Davos geht ? Ist die Materie zu komplex oder ist er so unter Stress daheim ? Er hätte ja endlich mal einen Abstecher nach Kallstatt machen können zu seinem Vaterhaus und vor Ort medien(Wahlkampf -) wirksam ein Gläschen guten Pfälzer Weins trinken...
 


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