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Internationale Politik Wahlen in Libyen: Welchen Weg geht das Land?

luchs35
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Wahlen in Libyen: Welchen Weg geht das Land?
geschrieben von luchs35
Erstmals seit 47 Jahren dürfen an diesem Wochenende 2,8 Millionen wahlberechtigte Libyer an die Wahlurne, der erste Schritt zu ihrer (eigenen) Demokratie, von der die meisten Libyer vermutlich noch gar nicht wirklich wissen, wie sie aussehen wird, denn sie können in ihren Erfahrungswerten nicht auf eine demokratische Kultur zurückgreifen. Nur ältere Libyer werden sich noch an Wahlen 1965 unter dem damaligen König Idris erinnern.
Unter Gadhafi waren politische Parteien ohnehin verboten, er war der alleinige Herrscher.
Noch weiß niemand, wie die Wahlen ausgehen werden. 3700 Kandidaten und Kandidatinnen bewerben sich um den Einzug in den Nationalkongress. Sicher ist bislang nur, dass die sogenannte "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" , ein Zweig der Moslembruderschaft, stark abschneiden wird.

Konkurrenz bietet aber die Partei von Abdel Hakim Belhaj, einem Militärkommandanten mit viel Charisma, der früher eine enge Beziehung zu AlQaida unterhielt und während des Aufstandes eine große Rolle spielte. Aber auch die im Exil gegründete Nationale Front und die Allianz der Nationalen Kräfte unter dem ehemaligen Interims-Ministerpräsidenten Mahmud Jibril greifen neben weiteren Splitterparteien nach der Macht.

Nicht zu übersehen , auch an diesem Wochenende gab es bereits wieder im Osten Libyens heftige Unruhen mit Toten, denn dieses ölreiche Gebiet wünscht einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Regierungspolitik, die im Westen Libyens noch die Übermacht hat.
Dann kommt noch der Anspruch der religiösen und islamistischen Parteien dazu, die der Sharia eine größere Position im Grundgesetz einräumen wollen gegen den Widerstand der Gegner, die den säkularen Teil des Landescharakters erhalten wollen.

Und eines dürfte ebenfalls sicher sein: Verliererinnen werden wohl die Frauen sein , die nach wie vor um ihre politische Präsenz kämpfen müssen, obwohl alle politschen Gruppierungen aufgerufen waren, jeden zweiten Platz auf ihrer Liste mit einer Frau zu besetzen.
Bislang gelang es aber nach dem "Aufbruch in die Freiheit" lediglich einer einzigen Frau , in den Stadtrat der Rebellenhochburg Bengasi gewählt zu werden.

Luchs35
Karl
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Re: Wahlen in Libyen: Welchen Weg geht das Land?
geschrieben von Karl
als Antwort auf luchs35 vom 08.07.2012, 14:49:36
Heute meldende Zeitungen, dass der liberale Kandidat Mahmud Dschibril in Tripolis und Bengasi vorne liegt. Die Muslimbruderschaft liegt erst an zweiter Stelle. Ich vermute, dass sich Abdu darüber freut und hoffe, dass sich die Ergebnisse landesweit bestätigen lassen.

Karl
luchs35
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Re: Wahlen in Libyen: Welchen Weg geht das Land?
geschrieben von luchs35
als Antwort auf Karl vom 09.07.2012, 08:02:18
So wie es bis jetzt aussieht hat die liberale "Allianz der Nationalen Kräfte" unter Mahmoud Jibril (oder Dschibril) die Nase vorn. Jibril, einstiger Vertrauter von Gadhafi, der sich auf die Seite der Aufständischen schlug und später Interims-Ministerpräsident wurde, dürfte eine schwierige Arbeit vor sich haben, um aus den regionalen Unterschieden ein gerechtes Miteinander zu machen.

Was bedeutet die "libereale Ausrichtung"? Sie versteht sich in erster Linie als Gegensatz zu "religiös", obwohl Jibril betont, dass er seine Politik auf religiösen Werten aufbauen will. Seine Vorstellungen von Politik bedeute für ihn : Frieden und Demonkratie, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Weltoffenheit. betont er.

Allerdings braucht er dazu eine breite Koalition, die alle Kräfte im Land auffordert , eine Allianz aus allen politischen Kräften zu bilden, weil das Land alle Strömungen benötigt - auch die der Minderheiten wie beispielsweise der Tuareg - um die Verfassung zu bilden , was die wichtigste Aufgabe dieser Nationalkonferenz sein wird.

Wirkliche Verlierer scheint es bislang bei diesen Wahlen wenige gegeben zu haben, denn es gab nur im Osten Libyens durch eine kleine Minderheit gewalttätige Ausschreitungen, aber sonst scheint dieser Wahlkampf geordnet und fair und ohne Schmutzkampagnen abgelaufen zu sein.

Jibril will mit einer Dezentralisierung reagieren, um auch jene zu beruhigen, die sich vielleicht aus religiösen oder anderen Gründen benachteiligt fühlen könnten.

Er machte den Vorschlag, dass die verfassungsgebende Kommission von 60 Leuten mit gleich vielen Leuten aus den historischen Regionen besetzt wird.

Mit unseren "westlichen" Augen betrachtet, hört sich das gut und auch demokratieweisend an.
Das endgültige Wahlresultat wird erst in 1-2 Tagen bekannt gegeben, aber große Überraschungen werden nicht mehr erwartet.

Ich bin gespannt wie du, Karl, was abdu zu allem sagen wird, denn auch ich habe teilweise diese Einschätzung nur aus Gesprächen mit einer Schweizer Kollegin, die seit Wochen vor Ort die Tendenzen beobachtet.

Luchs

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