Forum Politik und Gesellschaft Internationale Politik Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?

Internationale Politik Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?

clara
clara
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von clara
als Antwort auf uki vom 25.12.2011, 11:15:06


Doch warum sollte die Türkei nicht anerkennen, dass er stattgefunden hatte, durch die Osmanen.

Frohe Weihnachten
-uki-
geschrieben von uki

Das frage ich mich auch. Osmanen sind nicht unbedingt mit Türken gleich zu setzen, also würde doch ein Bedauern der jetzigen Türkei wegen des immerhin auf ihrem Territorium statt gefundenen Völkermords guten Willen zeigen.

Frankreich scheint sich um Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei weniger Gedanken zu machen, als andere EU-Länder. Leider drängen Exportmöglichkeiten moralische Bedenken oft in den Hintergrund, was wohl kaum zu ändern ist. Die Türkei ist längst nicht das einzige Land, an dem Kritik geübt werden kann, aber noch möchte sie Mitglied der EU werden, weswegen sie schon aus diesem Grund die Armenierfrage im Sinne der in der EU festgelegten Menschenrechte lösen sollte.

Clara
yuna
yuna
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von yuna
als Antwort auf clara vom 25.12.2011, 13:59:50
[...]Osmanen sind nicht unbedingt mit Türken gleich zu setzen, also würde doch ein Bedauern der jetzigen Türkei wegen des immerhin auf ihrem Territorium statt gefundenen Völkermords guten Willen zeigen.[...]

Die Türkei ist offiziell stolz auf ihre Vergangenheit, auf ihre Geschichte. Das bestätigt sie zu jeder Zeit und immer wieder. Dazu gehört auch das Osmanische Reich. Erkennen sie den Völkermord an, sind sie automatisch in einer Täterposition. Sie müssten sich vom Osmanischen Reich trennen um weiter "Opfer" bleiben zu können. Dann hätten sie aber eben keine "mächtige" Vergangenheit mehr. Und hier ist der Knackpunkt, weshalb sie diese Geschehnisse leugnen und es als "Hass der Welt und besonders der EU auf die Türkei" hinstellen. Wer sich mal damit beschäftigt, was die Türkei alles anstellt, um seine Bevölkerung diesbzgl. die wildesten Verschwörungstheorien glaubhaft unterzujubeln, versteht schnell, warum sie so reagieren, wie sie reagieren.

Viele vergessen auch bei der Frankreich-Algerien-Geschichte, dass Frankreich im Gegensatz zur Türkei nicht wirklich leugnet. Du kannst in Frankreich überall rumerzählen, was sie den Algeriern antaten, du erzählst ihnen nichts neues. Versuch das aber mal mit den Armeniern in der Türkei. Dort ist es nämlich genau umgekehrt: Es nicht zu leugnen steht unter Strafe, weil du die Türkei damit beleidigst.

Du kannst auch anderen Völkern keinen Fremdenhass mehr vorwerfen, wenn deine Geschichte selbst einen Völkermord beinhaltet.
Der erste Satz, der bei Kritik gegen die Türkei von Erdogan kommt, ist doch praktisch immer: Und wieder mal zeigt es, was für ein gewaltiger Hass hier aus Europa der armen Türkei entgegen schlägt.
Verwundern da seine Reaktionen bzgl. dieses Themas noch?

Hier geht es um verletzten Stolz, ein belogenes Volk und einen Zwiespalt - will man eine mächtige Geschichte haben die aber einen Völkermord beinhaltet, oder will man auf einen Großteil seiner Geschichte verzichten, dafür aber seine Hände weiter in Unschuld baden?
Wählt man letzteres, fallen viele Standardargumente weg, die von türkischer Seite gerne in allen möglichen Lagen kommen. Sei es dem Volk gegenüber, um es zu motivieren oder zu lenken, oder sei es anderen Nationen gegenüber. Vieles baut eben auf die Geschichte des Osmanischen Reichs auf.

Will man sich also nicht entscheiden, schweigt man einfach alles tot.
Hinzu kommt ja noch, dass Hitler diesen Völkermord für seinen "eigenen" als "Inspiration" genommen haben soll.
senhora
senhora
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von senhora
Es gibt 7 anerkannte Völkermorde in der Geschichte (siehe Wikipedia) , Deutschland darf davon gleich zwei auf sein Konto schreiben, den Holocaust und die Vernichtung der Hereros, die Türkei ist mit dem Völkermord an den Armeniern, an den Pontos-Griechen und an den Aramäern dabei.

So wie ich es verstehe, leugnet die Türkei nicht die Ermordung unzähliger Armenier, sie bestreitet, dass dies ein Völkermord im völkerrechtlichen Sinne war.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in der Resolution 260 die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ beschlossen.
Diese Konvention definiert Völkermord als eine Handlung, "begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören." (Wikipedia)

Der Algerienkrieg wurde nicht als Völkermord eingeordnet.

Senhora

Anzeige

yuna
yuna
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von yuna
als Antwort auf senhora vom 26.12.2011, 18:36:59
[...]So wie ich es verstehe, leugnet die Türkei nicht die Ermordung unzähliger Armenier, sie bestreitet, dass dies ein Völkermord im völkerrechtlichen Sinne war.[...]

Dachte ich auch erst, dass es nur um den Begriff an sich geht. Aber wenn man mal die unterschiedlichsten Diskussionen zu dem Thema verfolgt - ob jung ob alt, äußern sich ja besonders Menschen türkischer Herkunft zu diesem Thema und bringen immer die gleichen 3 Argumente:

1) Die Armenier würden ihre Archive ja nicht öffnen, während man in der Türkei in sämtlichen Archiven herumwühlen könne (soweit ich weiß, ist es genau umgekehrt, aber da leg ich mich nicht fest)

2) Das alles sei eine Verschwörung der Welt und ganz besonders der EU und der Armenier, weil man Angst vor der aufstrebenden Weltmacht Türkei habe und neidisch sei.

und 3) (bezieht sich nun auf deinen Beitrag) Wo sind die 1,5Mio Leichen?

Sie bestreiten also nicht nur, dass es ein Völkermord war, sie bestreiten auch, dass mehr als eine "handvoll" Armenier zu Tode kam.
Ob das auch von offizieller Seite bestritten wird (also von der Türkei selbst) kommt für mich aus den Berichten nicht genug raus. Aber viele aus der Bevölkerung tun es scheinbar.
olga64
olga64
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von olga64
als Antwort auf yuna vom 27.12.2011, 11:59:51
Einen wichtigen Punkt haben Sie vergessen: Sarkozy versucht, die in Frankreich lebenden Armenier als Wähler zu gewinnen und auch der Türkei die Türe zur EU zuzuschlagen. Dabei vergisst er anscheinend, dass die Türkei, der Wachstums-Motor in Europa, daran anscheinend gar nicht mehr so interessiert ist, sondern sich seine Vormachtsstellung im Nahen Osten aufbaut (was Frankreich ebenso in die Quere kommt, da man dort ja selbst gerne wirtschaftlich erfolgreich sein möchte). Olga
yuna
yuna
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von yuna
als Antwort auf olga64 vom 27.12.2011, 16:21:42
Da kann man geteilter Meinung sein Frau Olga, denn praktisch versucht sich Frankreich schon seit längerer Zeit immer mal wieder an einer Erweiterung des Gayssot-Gesetzes, bisher scheiterten diese Versuche allerdings wegen wiederkehrender türkischer Proteste, da das Gesetz eben alle anerkannten Völkermorde abdecken soll.
Man darf also durchaus bezweifeln, dass es sich hierbei um ein reines Wahlkampfmanöver handelt, zumal der Bevölkerungsanteil der Armenier bei 0,5-0,7% liegt.

[...]Sarkozy versucht (...) der Türkei die Türe zur EU zuzuschlagen. Dabei vergisst er anscheinend, dass die Türkei, der Wachstums-Motor in Europa, daran anscheinend gar nicht mehr so interessiert ist(...)

Ja, deshalb heult ja Erdogan auch der Frau Merkel bei wirklich jedem seiner Besuche vor, warum sie die Aufnahme der Türkei in der EU nicht vorantreibt. Der will nach wie vor unbedingt in die EU. Dass die Türkei behauptet, sie sei nicht mehr daran interessiert, ist schlichtweg eine Trotzreaktion aus verletztem Stolz heraus.
Und die Türkei lebt genauso auf Pump wie andere Staaten, die jetzt wegen der Wirtschaftskrise taumeln, entsprechend ist es auch hier mehr Schein als Sein und nur eine Frage der Zeit, bis diese Blase platzt - mal abgesehen davon, dass der größte Teil des Landes immer noch in Armut lebt, wie mir kürzlich erst wieder berichtet wurde. Die Türkei muss bei diesem "Deal" genauso zurückstecken, wie Frankreich.
Das Opfer, das Frankreich bringen müsste wäre vergleichsweise gering, wenn es dafür endlich diese gesetzliche Erweiterung durchbringt und sich nicht erneut durch Drohungen, Demos und alberne Manöver einschüchtern lässt. Es wäre auch eine klare Botschaft, dass die Wahrheit vor Drohungen nicht kuscht.

Im Endeffekt ist also die Diskussion, ob nun Wahlkampfmanöver oder nicht zweitrangig, es geht um eine längst überfällige Angelegenheit.
Der Zeitpunkt wäre in den Augen der Türkei schließlich immer unpassend. Also warum nicht jetzt?

Anzeige

Medea
Medea
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von Medea
als Antwort auf hafel vom 24.12.2011, 12:49:03
- Zitat Hafel -

"Dabei war die Türkei ein Hoffnungsträger als Vermittler zwischen dem christlich geprägtem Europa und der islam-arabischen Welt aufzutreten."

- Zitat Ende -

Moin Hafel,
für mich war die Türkei (besonders unter Erdogan) nie ein
Hoffnungsträger in Sachen Orient und Okzident. Das nur
nebenbei.

Der Genozid am armenischen Volk ist ein ungeheuerliches
Verbrechen, den Film mit original Aufnahmen und Dokumenten,
den ich vor einiger Zeit in seinen unsäglichen Grausamkeiten
sah, läßt mich bis heute nicht los.

Die Türkei möchte diese Greueltaten herunterspielen -
Frankreich zeigt sich mutig, hat meine Sympathien in
dieser Sache.

Ich weise wie schon so oft auf den Roman von Franz Werfel
hin, den er unter dem Eindruck dieses fürchterlichen
Geschehens geschrieben hat:

Die vierzig Tage des Musa Dagh.

Dieser Genozid darf ebenso wenig vergessen werden wie
die Verbrechen an den Juden.


Ein gutes neues Jahr für Dich.

Medea.

schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von schorsch
als Antwort auf olga64 vom 27.12.2011, 16:21:42
Ich denke, dass es in Frankreich mehr wahlberechtigte Türken als Armenier gibt. Das mit der Wahlstimmenwerbung dürfte also kontraproduktiv sein.
sysiphus
sysiphus
Mitglied

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von sysiphus
Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen? - geschrieben von arno am 22.12.2011

"Sollte der französische Staat auf dieses Gesetz verzichten, weil der Völkermord vor fast 100 Jahren passierte oder weil die Beziehungen zwischen befreundete Staaten zerbrechen könnten? "

Warum erinnern mich diese Fragen an "das Dorf das alles wußte" und nichts unternahm? In der "sueddeutschen zeitung" gab es dazu am 14.09.2011, einen Artikel von Katja Auer und Olaf Przybilla

"Es war das Gesprächsthema des Ortes, die Leute machten Witze darüber: Aber niemand half der Frau, die von ihrem Vater missbraucht worden sein soll. In dem jahrelangen Inszest-Fall in einem Dorf in Mittelfranken schwiegen sowohl Opfer als auch Nachbarn."

Die Weltöffentlichkeit wußte und weiß von Verbrechen die von brutalen Machthabern an ihren Bevölkerungen verübt wurden und noch immer verübt werden. Was tun sie, die so um Frieden für die Menschheit (auch für die Individuen?) besorgt sind?

Manchmal entschließen sich einige aus der Völkergemeinschaft dazu das mörderische Handwerk der Tyranen zu beenden, was selbstverständlich nicht durch verhandeln oder Bitten erreicht werden kann. Es bleiben nur Sanktionen und deren Verschärfung, sind die wirkungslos, dann bleiben letztendlich Androhung und Einsatz von Gewalt.

Es ist auch vorgekommen, dass brutale Regimes wie das der Kriegsverbrecher und Massenmörder Slobodan Milosevic und Saddam Hussein. im Irak mit falscher Begründung, jedoch zu Recht bekämpft und eliminiert wurde.

sysiphus...





Karl
Karl
Administrator

Re: Wie weit darf sich ein Staat in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischen?
geschrieben von Karl
als Antwort auf sysiphus vom 31.12.2011, 12:20:38
Es ist auch vorgekommen, dass brutale Regimes wie das der Kriegsverbrecher und Massenmörder Slobodan Milosevic und Saddam Hussein. im Irak mit falscher Begründung, jedoch zu Recht bekämpft und eliminiert wurde.
Das Regime vielleicht, aber auch die Menschen? Wie würden Deine Worte wohl die Iraker empfinden, die jetzt nicht mehr leben und eliminiert wurden?

Man kann offenbar sogar Mord und Totschlag, Krieg und Raub rechtfertigen. Der Sieger hat immer Recht. Hat er das?

Iraqbodycount zählt auf Grundlage von mindestens zwei übereinstimmenden Berichten aus unterschiedlichen Medienorganen mindestens 89.111 (Stand 23. November 2008) getötete Zivilisten.
...
Eine im Oktober 2006 von The Lancet veröffentlichte und von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore durchgeführte Studie geht von 392.979 bis 942.636 zusätzlichen Todesfällen im Irak durch Kriegsfolgen aus, was bei einem Mittelwert von 654.965 Toten rund 2,5 Prozent der Bevölkerung entspricht.
...
Laut ORB (Opinion Research Business) sind im Zeitraum von März 2003 bis August 2007 zwischen 946.000 und 1.120.000 Iraker ums Leben gekommen (Stand Januar 2008).[18]
geschrieben von Wikipedia.de
Auch wenn die exakten Zahlen nicht bekannt sind, dürfen auch die Millionen Flüchtlinge nicht vergessen werden.

Der Irakkrieg war ein Verbrechen, das durch nichts zu rechtfertigen war und ist. Er war zudem eine strategische Dummheit, die kaum zu überbieten ist. Die Christen werden jetzt aus dem Irak vertrieben und der Iran triumphiert, weil die verbündeten Schiiten im Irak die Macht übernommen haben.

Karl

Anzeige