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Lebenshilfe Mein Vater vereinsamt langsam

heike1974
heike1974
Mitglied

Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von heike1974
Hallo,
ich habe mich hier mal als Angehörige angemeldet. Es geht um meinen Vater, der leider keinen PC & Internet hat. Mein Vater wird im November 68, ist Rentner und verwitwet. Meine Mutter starb leider im Mai diesen Jahres an Krebs. Sie waren fast 40 Jahre verheiratet und mein Vater kommt natürlich überhaupt nicht damit klar. Ich selber bin 34 und lebe schon lange nicht mehr zu Hause. Ich habe versucht, ihn zu unterstützen, aber er reagiert teilweise sehr aggressiv. Er ist in ein tiefes Loch gefallen und kommt da auch nicht mehr raus. Er hat auch überhaupt keine Idee, was er mit seinem Leben noch anfangen kann. Er arbeitet am Wochenende in einer Taxizentrale, aber da fühlt er sich nicht so wohl. Er besitzt kein Auto und finanziell haut es auch überhaupt nicht hin. Er leiht sich oft Geld von mir. Ich versuche mich zwar, um ihn zu kümmern, bin aber zeitlich auch eingebunden und habe selber keinen Führerschein. Oft macht er mir auch Vorwürfe, ist sauer, redet nicht mehr mit mir. Wenn ich etwas sagen will, blockt er sofort ab. Ich kann ihm nichts recht machen. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Wie kann ich ihm helfen? Was für Möglichkeiten gibt es für ihn? Er hat leider auch keine Freunde. Seine Söhne aus erster Ehe leben in einem anderen Bundesland und es gab fast 30 Jahre keinen Kontakt.

Viele Grüße--
heike1974
miriam
miriam
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von miriam
als Antwort auf heike1974 vom 19.10.2008, 15:27:34
Liebe Heike,

deine Schilderung ist mir sehr nah gegangen. Und ich kann mir vorstellen, wie sehr die Art deines Vaters dein eigenes Leben belastet.

Eigentlich sollte man sehr rechtzeitig Interessen entwickeln, um nach dem Berufsleben nicht in ein schwarzes Loch zu fallen. Er scheint dies nicht getan zu haben - und versucht nun anderen die Schuld für die Leere die nach dem Tod deiner Mutter entstanden ist, zuzuschieben.

Vielleicht ist mein Ton etwas streng - aber mir geht es eigentlich um folgendes: ich versuche dir zu erklären, dass nicht du die Verantwortung trägst, für das was er selber eigentlich versäumt hat.

Hat dein Vater vielleicht einen guten Hausarzt mit dem du sprechen könntest? Ein Aussenstehender (im Sinne von: nicht zur Familie gehörend), könnte ihm eher einiges sagen, vielleicht auch einen Ausweg mit ihm zusammen finden.

Käme vielleicht ein Altenheim für ihm in Frage? Er ist etwas jung dafür (nach meiner Ansicht!) - aber da wäre er mit Menschen zusammen, die mehr oder weniger zu seiner Generation gehören.

Ich wünsche dir viel viel Mut für deine schwierige Rolle.

Liebe Grüße

Miriam

angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf heike1974 vom 19.10.2008, 15:27:34
.... lass ihm mehr Zeit .... Männer trauern meist viel länger und intensiver als Frauen .... ich habe das bei meinem Bruder (60) erlebt, dessen Frau vor 2 Jahren nach langer Krankheit starb und der sich völlig eingeigelt hatte, sehr viel rauchte und seinen Schmerz oft in zu viel Alkohol ertrank. Erst seit kurzem hat er das Rauchen und Trinken ganz aufgegeben, lacht auch wieder und lebt vor allem wieder vorwärts ..
--
angelottchen

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hafel
hafel
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von hafel
als Antwort auf heike1974 vom 19.10.2008, 15:27:34
Moin moin Heike; meine Vita ist etwas kongruent die Deines Vaters..... ich bin 70 und ebenso verwitwet. Natürlich musst Du Deinem Vater eine angepasste Trauerzeit zugestehen. Vermutlich war er in seiner Ehe wenig "verselbständigt", wurde er von allen Seiten "bemuttert".
Ich habe diese "Einsamkeitsprobleme" schon deshalb nicht, da ich derart vielerlei Interessen habe, dass meine mir zur Verfügung stehende Zeit kaum ausreicht alles abzudecken. Deshalb haben Hobbies einen besonders hohen Stellenwert.... besonders im Alter.
Wenn Dein Vater tierlieb ist (aber NUR DANN !!!) überrede ihn doch sich ein Tier (Hund oder Katze) zuzulegen. Damit wäre er nicht mehr einsam und hätte dann auch eine Verantwortung. Hinzufügen möchte ich allerdings, dass ein Tier nicht zum Nulltarif zu haben ist, es auch ein wenig Geld kostet.
--
hafel
heijes
heijes
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von heijes
als Antwort auf miriam vom 19.10.2008, 15:51:09
Liebe Heike, auch mir ist deine Frage sehr nahe gegangen.
Du schreibst, dass deine Mutter im Mai verstorben ist, da ist für deinen Vater nach 40 Jahren Ehe, die Zeit von Mai bis jetzt eine sehr kurze Zeit.
Trauer aufarbeiten ist für den Betroffenen Schwerstarbeit und das erste Jahr ist das Schlimmste, lass ihm bitte Zeit. Es ist ganz natürlich, dass er so reagiert, auch wenn es für die Angehörigen schwer zu ertragen ist. Sei einfach für ihn da,nimm ihn in den Arm, auch wenn er noch so sehr grummelt, lacht und weint gemeinsam wenn ihr über deine Mutter sprecht. Aber lebe auch dein Leben.
Ich weiß nicht ob für deinen Vater so etwas wie eine Trauerbegleitung sinnvoll ist, aber gibt einfach mal in die Suchmaschine die Begriffe Trauer, Trauerbegleitung, Trauerhilfe ein.
Ich setze dir mal einen neutralen Link, der den Begriff Trauer und die verschiedenen Phasen der Trauer erklärt.
--
heijes
nachtigall
nachtigall
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von nachtigall
als Antwort auf hafel vom 19.10.2008, 16:21:00
Liebe Heike

Wie gut ich dich verstehen kann und es spricht sehr für dich dass du deinem Vater helfen möchtest.

Der Tod deiner Mutter / seiner Frau ist noch sehr nahe. Trauerarbeit erfordert aber viel Zeit. Zeit in der man kaum fähig ist sich auf Neues ein zu lassen. Zeit in der man die Einsamkeit sucht, um loslassen zu können, um traurig, um eventuell auch mal wütend zu sein, aber auch Zeit für all das Schöne dass man mit einem Partner erlebt hat dankbar zu sein. Das gelingt nicht von heute auf morgen. Muss man doch auch mit der neuen Situation fertig werden – einen neuen Weg finden.
In dieser Zeit ist der Trauernde besonders empfindlich und verletzlich. Viele Menschen empfinden eine „Einmischung“ von aussen, mag sie auch noch so gut gemeint sein, als Belästigung, Bevormundung oder als unerwünschtes Ablenken.
Trauerarbeit braucht Zeit, viel Zeit, bitte lass sie deinem Vater. Es braucht aber auch sehr viel Feingefühl wenn du deinen Vater aus diesem, wie dir scheint trübsinnigen Dasein heraus holen möchtest..
Lass ihn den Zeitpunkt um wieder aktiv am Leben teilzunehmen selber bestimmen. Lass ihn von sich aus über seine Sorgen und Nöte sprechen. Aber vor allem bedränge ihn nicht mit Vorschlägen was er unternehmen soll , wie er seinem Leben mehr Sinn geben soll. Versuche bitte nicht ihn für irgend etwas zu überreden. Er, und nur er alleine muss mit seinem Leben fertig werden. Reich ihm die Hand dazu dass er es schafft, ganz diskret und gib ihm das Gefühl dass du ihn verstehst, dass du immer für ihn da bist, dass du ihm zuhören kannst aber auch dass du ihm zubilligst traurig und manchmal e bissel kratzbürstig zu sein. Gib ihm Nähe und Liebe, schenke ihm eine Umarmung...........

Ich wünsche dir viel Geduld, Feingefühl und Kraft.
Larissa

PS vor Jahren habe ich meinen Mann verloren, ich weiss was es heisst traurig zu sein.

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schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von schorsch
als Antwort auf heike1974 vom 19.10.2008, 15:27:34
Sage zu ihm: "Vater, du weisst wo ich wohne. Wenn du mich brauchst, dann sag es. Aber ich will mich nicht in dein Leben einmischen. Schliesslich hast du mich ja auch zu einem selbständigen Menschen erzogen!"

--
schorsch
ingo
ingo
Mitglied

Hoffentlich
geschrieben von ingo
als Antwort auf schorsch vom 20.10.2008, 09:56:22
haben alle Recht, die geschrieben haben, dass Dein Vater "Zeit braucht". Ich fürchte allerdings das Gegenteil. Schorsch hat Recht, und ich würde Deinem Vater das Gleiche sagen (vielleicht nicht den letzten Satz). Ähnliches musste ich bei meinem miterleben; nur, dass er mir gegenüber weiterhin liebevoll war. Aber verkraftet hat er den Tod meiner Mutter nie. Auch wenn er fünf Jahre nach ihr an Herzversagen gestorben ist, kann man ebensogut glauben, dass er an gebrochenem Herzen gestorben ist. Du wirst für ihn nichts ändern können. Mitleid darfst Du mit ihm haben; aber mitleiden darfst Du nicht. Das Einzige, was Du tun kannst, ist, Dich selbst zu schützen. Ein schlechtes Gewissen darfst Du nie haben, und wenn Du es doch hast, rate ich Dir zu ärztlicher Hilfe für Dich. Man darf auch als gesunder Mensch mal einen Psychotherapeuten in Anspruch nehmen, um etwas Handwerkszeug zur bekommen. Alles Gute!
--
kreuzkampus
navallo
navallo
Mitglied

Re: Mein Vater vereinsamt langsam
geschrieben von navallo
als Antwort auf heike1974 vom 19.10.2008, 15:27:34
Du hast nicht mitgeteilt, in welcher Weise sich die Aggressionen (verbal? körperlich?) äußern. Es ist kaum möglich, Rat zu geben im Umgang mit einem Menschen, dessen nähere Lebensumstände man nicht genauer kennt. Ich gehe mal davon aus, daß dein Vater ein körperlich und geistig weitgehend (=altersentsprechend) gesunder Mann ist.

Es gibt gewisse Techniken, jemanden aus einer Lethargie zu holen. Aber, wie hier mehrfach betont wurde, Trauerarbeit braucht Zeit. Die ist einzurechnen.

Beispiel:
Kleide Vorschläge nie in Vorwürfe. Der alternative Trick besteht darin, ihm mitzuteilen, wie du selbst dich in einer bestimmten Situation fühlst. Er wird dann nicht so sehr sich zuliebe, sonder Dir zuliebe, aktiv.

Sag also niemals: „Unternimm doch mal was! Du mußt doch nicht den ganzen Tag rumsitzen/fernsehen/dich vergraben/....“ (=Du-Botschaft)
Sondern (= Ich-Botschaft): „Es macht mich sehr betroffen, wenn ich sehe, daß es dir nicht gut zu gehen scheint. Ich (/Wir) möchte am Wochenende nach / ins..., hast Du Lust mitzukommen?“
Oder
Ich hab gesehen, daß im Garten/Wohnung/Haus ... noch ... zu tun ist. Wollen wir mal am Wochenende...“

Wenn er grantelt, versuch Dich nicht in Gegenreden, halt lieber mal die Klappe und laß ihm Zeit, sich zu beruhigen. Oft läßt sich später vernünftiger reden. Lerne geduldiges Zuhören.

Akzeptiere, wozu er sich entscheidet. Mit das Deprimierendste, was Älteren angetan werden kann, ist, ihnen die Freiheit eigener Entscheidungen abzunehmen. Vielleicht rüttelst du ihn erst beim 5ten oder 6ten Anlauf auf. Gib nicht auf! Erwarte nicht von einem Psychotherapeuten – wie hier vorgeschlagen – daß er Deine Probleme löst. Und um Trost zu spenden, gibt es noch andere.

Klingt vielleicht alles etwas banal. Eigenes Verhalten auf andere einzustellen ist jedoch leichter, als andere zu ändern.

--
navallo
ingo
ingo
Mitglied

Navallo:
geschrieben von ingo
als Antwort auf navallo vom 20.10.2008, 17:25:29
Erwarte nicht von einem Psychotherapeuten – wie hier vorgeschlagen – daß er Deine Probleme löst. Nein--aber das ist für mich das, was man heute "Angehörigenberatung" nennt. M.E. geht es bei sowas nicht nur um "Trost". Wenn Du aber meinst, dass das auch ein Pastor/Pfarrer tun kann.....okay....womöglich.
--
kreuzkampus

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