Literatur Ankündigung: Günter Grass' neues Buch "Grimms Wörter"

Ich habe von Günter Grass und seinem neuen Buch "Grimms Wörter" gehört.

Ich werde in der nächsten Zeit - bis zum Erscheinen - davon berichten:

Grass wird sein Buch im September vorstellen:

Grass und die Gebrüder Grimm - das finde ich ein kulturelles Hoch-Fest:

Als beliebiges Wort habe ich aus dem Grimmschen Wörterbuch "Grasbart" herausgesucht (in originaler Schreibweise; ohne Kommentar):

grasbart, m.
1) aus gras bestehender bart: Ahto (im finnischen epos) heiszt ... könig der wellen ... und wird gleich den römischen fluszgöttern mit grasbart geschildert JAC. GRIMM kl. schr. (1864) 2, 106.
2) als pflanzenname für den wiesenbocksbart, tragopogon pratensis L., vgl. HOLL wb. dt. pflanzenn. 48b.


"Grasbart" - Grimmsche Eintragung in dem dicksten, deutschen Wörterbuch

Das gefällt mir:

Die schöne Ankündigung des neuen Grass-Buches eines interessanten Buchhändlers:

Über Grass und die Grimmschen

"Mehr Licht" - unter diesem Titel, natürlich vom sterbenden Goethe entlehnt:

Mehr Licht! Die europäische Aufklärung weiter gedacht!


Eine Reihe von Lesungen, Gesprächen vom September bis November 2010 an der Ruhr:

"Mehr Licht" - Auch Grass nimmt an diesem Programm teil.

Grass und Grimm:

Grass in Duisburg am 28.10.2010

Schon im März 2010 hatte Grass von seinem neuen Buch berichtet, als er seine Stasi-Akte im dradio.de vorstellte: "Günter Grass im Visier - Die Stasi-Akte" (Christoph Links Verlag):

Grass kündigte an: "Grimms Wörter"

Ein großes Interview mit GG in der FR:
"Im Vakuum heiter bleiben".


Grass über Gott und die Welt... und MRR auch

Ich kann es mir nicht verkneifen, als Erläuterung zu der "grimmigen" Rechtschreibung die Gebrüder selber zu zitieren (als Beispiel, wie herrlich einfach und intelligent Orthographie sein kann, wenn man den fähigsten deutschen Sprachforschern nacheifern würde):

Jakob und Wilhelm Grimm: [Über Rechtschreibung]
(1854)

(…) Ich wollte auch den wust und unflat unsrer schimpflichen die gliedmaszen der sprache ungefüg verhüllenden und entstellenden schreibweise ausfegen, ja dasz ich dafür den rechten augenblick gekommen wähnte, war einer der hauptgründe mich zur übernahme des wörterbuchs zu bestimmen, dessen ganze ordnung fast an jeder stelle durch das beibehalten der unter uns hergebrachten orthographie sichtbar gestört und getrübt werden muste. es ist nichts kleines, sondern etwas groszes und in vielen dingen nützes seine sprache richtig zu schreiben. das deutsche volk hängt aber so zäh und unberaten an dem verhärteten schlimmen misbrauch, dasz es eher lebendige und wirksame rechte, als von seinen untaugenden buchstaben das geringste fahren liesze, unmittelbar mit dem ersten eindruck, den ein neu auftretendes wörterbuch hervor zu bringen im stande wäre, mit dem einflusz, den es allmälich üben könnte, schien es am schicklichsten zugleich die längst reife neuerung, vielmehr zurückführung der schreibregel auf ihre alte einfachheit zu verbinden; in der bewegung der zeit selbst hätte diese abkehr und wendung von dem bloszen schlendrian der letzten, nicht der früheren jahrhunderte minderes aufsehen erregt und sich unvermerkt den beifall oder die gewöhnung der menge gewonnen.
Als aber sonst überall in die jüngst verlassenen gleise zurück geschoben wurde, leuchtete ein dasz es nun unmöglich gewesen wäre hier in die ältesten wieder einzulenken; was geschehen konnte, war eine nur theilweise zu versuchende abhülfe und linderung des hervorstechendsten übels.
Welche wahl im einzelnen zu treffen sei, welche mittel einzuschlagen ratsam, darüber muste nothwendig die ansicht hin und her schwanken und diese unschlüssigkeit ist es eben, die in den letzten jahren längeren aufschub des wörterbuchs verursachte: rechtfertigung aber der unabweisbar gebliebnen, jedermann ins auge fallenden abweichungen von dem seitherigen schreibgebrauch wird nachher folgen. (...)

*

Jakob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 1. Leipzig: Hirzel 1854. S. VIII f.
[Aus der Einleitung; dann folgen die Regeln und die Begründung der einzelnen Entscheidungen…]

Der neue "Grass" erscheint in diesen Tagen:

SPIEGEL-GESPRÄCH zu diesem Thema:

"Oralverkehr mit Vokalen":
Der Nobelpreisträger Günter Grass über seine Verehrung für die Brüder Grimm, seine Heimat in der deutschen Sprache und seine Unzufriedenheit mit jungen Kollegen.

(In: DER SPIEGEL 33/2010. S. 118 - 122) (Noch nicht freigeschaltet.)


Grass wird darin nach dem neuen Buch, seiner eigenem Sprachbewusstsein und nach der Sprache seiner Enkel gefragt. Z.B.:

SPIEGEL: Die Jugendkultur hat ihren eigenen Sprachstil. Verstehen Sie immer, was Ihre Enkel meinen?
Grass: Aber ja.
SPIEGEL: Chill mal? Der ist total durch? Lass mal rüberwachsen?"

Und Grass "überträgt ganz selbstverständlich.

*
Kleinübung:


Wie lassen diese drei umgangsmäßigen Aussagen der Jugendsprache übersetzen bzw. erklären:

Chill mal!

Der ist total durch!

Lass mal rüberwachsen!

Wer hat Lust, verbal "mitzuenkeln"?

*

Schönen Tag - ob im Regen - ob bei angenehmer Lektüre - oder leckeren Essen und Getränk!

Das Grass-Gedicht - in der gescannten ZEIT-Fassung aus dem Jahre 1966 - ist so schlecht zu lesen, dass ich hier den Text als Gedicht neu einstelle:

Günter Grass:
Der Neubau

Beim Ausschachten,
im März,
stießen wir auf Scherben,
die vom Museum abgeholt wurden.
Das Fernsehen drehte die Übergabe.

Beim Ausgießen der Fundamente,
im Mai,
trat ein Italiener zwischen die Verschalung
und ging verschütt.
Ermittelt wurde menschliches Versagen.

Beim Versetzen der Fertigteile,
im Juni und Juli,
vergaß jemand seinen Henkelmann
in den Hohlräumen der Außenwände.
Diese Bauweise ist ein Isolierverfahren der Firma Schlepp.

Beim Installieren der Leitungen,
im späten September,
verschwanden Fotokopien und ähnliches Ostmaterial
hinter dem Putz.
Die Fernheizung wurde angeschlossen.

Beim Verlegen der Fußböden,
bevor im November die Anstreicher kamen,
verlagerten wir die Vergangenheit des Bauleiters Lübke
unter die Böden.
Später versiegelten wir das Parkett.

Jetzt,
ab Dezember,
ist der Neubau bewohnt;
doch klagen die Mieter über Nebengeräusche.
Sie werden sich gewöhnen müssen.
*
(1966; aus: „Ausgefragt“. 1967)

In der ZEIT gefunden:

Eine Rezension zu Grass' Buch, von Irene Radisch: "Es war einmal": S. Tipp!
Sie reklamiert aber den recht strengen Belehrton des Alten Buchstaben-Zausels!