Literatur Arbeiterlyrik

Milan
Milan
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Arbeiterlyrik
geschrieben von Milan
Das Lied vom Klassenfeind

Text: Bertolt Brecht
Bekannte Interpretation: Ernst Busch

Als ich klein war, ging ich zur Schule
und ich lernte, was mein und was dein.
Und als da alles gelernt war,
schien es mir nicht alles zu sein.
Und ich hatte kein Frühstück zu essen,
und andre, die hatten eins:
Und so lernte ich doch noch alles
vom Wesen des Klassenfeinds.
Und ich lernte, wieso und weswegen
da ein Riss ist durch die Welt?
Und der bleibt zwischen uns, weil der Regen
von oben nach unten fällt.

Und sie sagten mir: Wenn ich brav bin,
dann werd ich dasselbe wie sie.
Doch ich dachte: Wenn ich ihr Schaf bin,
dann werd ich ein Metzger nie.
Und manchen von uns sah ich,
der ging ihnen auf den Strich.
Und geschah ihm, was dir und was mir geschah,
dann wunderte er sich.
Mich aber, mich nahm es nicht wunder,
ich kam ihnen frühzeitig drauf:
Der Regen fließt eben herunter
und fließt eben nicht hinauf.

Da hört ich die Trommel rühren,
und alle sprachen davon:
Wir müssten jetzt Kriege führen
um ein Plätzlein an der Sonn.
Und heisere Stimmen versprachen uns
das Blaue vom Himmel herab.
Und herausgefressene Bonzen
schrien: Macht jetzt nicht schlapp!
Und wir glaubten: Jetzt sind's nur mehr Stunden,
dann haben wir dies und das.
Doch der Regen floss wieder nach unten,
und wir fraßen vier Jahre lang Gras.

Und einmal, da hieß es auf einmal:
Jetzt machen wir Republik!
Und der eine Mensch ist da dem ändern gleich,
ob er mager ist oder dick.
Und was vom Hungern matt war,
war so voll Hoffnung nie.
Doch was vom Essen satt war,
war hoffnungsvoll wie sie.
Und ich sagte: Da kann was nicht stimmen
und war trüber Zweifel voll:
Das stimmt doch nicht, wenn der Regen
nach aufwärts fließen soll.

Sie gaben uns Zettel zum Wählen,
wir gaben die Waffen her.
Sie gaben uns ein Versprechen,
und wir gaben unser Gewehr.
Und wir hörten: Die es verstehen,
die würden uns helfen nun.
Wir sollten an die Arbeit gehen,
sie würden das übrige tun.
Da ließ ich mich wieder bewegen
und hielt, wie's verlangt wurde, still
und dachte: Das ist schön von dem Regen,
dass er aufwärts fließen will.

Und bald darauf hörte ich sagen,
jetzt sei alles schon eingerenkt.
Wenn wir das kleinere übel tragen,
dann würd' uns das größere geschenkt.
Und wir schluckten den Pfaffen Brüning,
damit's nicht der Papen sei.
Und wir schluckten den Junker Papen,
denn sonst war am Schleicher die Reih.
Und der Pfaffe gab es dem Junker,
und der Junker gab's dem General.
Und der Regen floss nach unten,
und er floss ganz kolossal.

Während wir mit Stimmzetteln liefen,
sperrten sie die Fabriken zu.
Wenn wir vor Stempelstellen schliefen,
hatten sie vor uns Ruh.
Wir hörten Sprüche wie diese:
Immer ruhig! Wartet doch nur!
Nach einer größeren Krise
kommt eine größere Konjunktur!
Und ich sagte meinen Kollegen:
So spricht der Klassenfeind!
Wenn der von guter Zeit spricht,
ist seine Zeit gemeint.
Der Regen kann nicht nach aufwärts,
weil er's plötzlich gut mit uns meint.
Was er kann, das ist: er kann aufhör'n,
nämlich dann, wenn die Sonne scheint.

Eines Tags sah ich sie marschieren
hinter neuen Fahnen her.
Und viele der Unsrigen sagten:
Es gibt keinen Klassenfeind mehr.
Da sah ich an ihrer Spitze
Fressen, die kannte ich schon,
und ich hörte Stimmen brüllen
in dem alten Feldwebelton.
Und still durch die Fahnen und Feste
floss der Regen Nacht und Tag.
Und jeder konnte ihn spüren,
der auf der Straße lag.

Sie übten sich fleißig im Schießen
und sprachen laut vom Feind
und zeigten wild über die Grenze.
Und uns haben sie gemeint.
Denn wir und sie, wir sind Feinde
in einem Krieg, den nur einer gewinnt.
Denn sie leben von uns und verrecken,
wenn wir nicht mehr die Kulis sind.
Und das ist es auch, weswegen
ihr euch nicht wundern dürft,
wenn sie sich werfen auf uns, wie der Regen
sich auf den Boden wirft.

Und wer von uns verhungert ist,
der fiel in einer Schlacht.
Und wer von uns gestorben ist,
der wurde umgebracht.
Den sie holten mit ihren Soldaten,
dem hat Hungern nicht behagt.
Dem sie den Kiefer eintraten,
der hatte nach Brot gefragt.
Dem sie das Brot versprochen,
auf den machen sie jetzt Jagd.
Und den sie im Zinksarg bringen,
der hat die Wahrheit gesagt.
Und wer ihnen da geglaubt hat,
dass sie seine Freunde sind,
der hat eben dann erwartet,
dass der Regen nach oben rinnt.

Denn wir sind Klassenfeinde,
was man uns auch immer sagt:
Wer von uns nicht zu kämpfen wagte,
der hat zu verhungern gewagt.
Wir sind Klassenfeinde, Trommler!
Das deckt dein Getrommel nicht zu!
Fabrikant, General und Junker
unser Feind, das bist du!
Davon wird nichts verschoben,
da wird nichts eingerenkt!
Der Regen fließt nicht nach oben,
und das sei ihm auch geschenkt!

Da mag dein Anstreicher streichen,
den Riss streicht er uns nicht zu!
Einer bleibt und einer muss weichen,
entweder ich oder du.
Und was immer ich auch noch lerne,
das bleibt das Einmaleins:
Nichts habe ich jemals gemeinsam
mit der Sache des Klassenfeinds.
Das Wort wird nicht gefunden,
das uns beide jemals vereint!
Der Regen fließt von oben nach unten,
und Klassenfeind bleibt Klassenfeind.
schorsch
schorsch
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Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Milan vom 02.06.2016, 17:33:56
Er hat es zwar irgendwie treffend formuliert. Aber mussten es denn sooo viele Worte sein?

Ich mache es kürzer:

"Der Klassenfeind ist immer der Andere!"

Übrigens: Ich war 50 Jahre lang Arbeiter....

....und werde es wohl bis zu meinem Lebensende bleiben!
rehse
rehse
Mitglied

Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von rehse
als Antwort auf schorsch vom 03.06.2016, 10:05:39
Ja, aber...
Da gibt es schon große Unterschiede zwischen Arbeiter und Arbeiter! Habe es extra kurz gehalten.

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Elenore
Elenore
Mitglied

Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von Elenore
als Antwort auf rehse vom 03.06.2016, 10:19:07
Was gibt es für einen Unterschied zwischen 'Arbeiter und Arbeiter'?
Mit Verlaub, das hätte ich gerne verifiziert, wenns keine Umstände macht ...
Grüße
Elenore
Elenore
Elenore
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Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von Elenore
als Antwort auf schorsch vom 03.06.2016, 10:05:39
Früher waren die Arbeiter stolz auf diese Bezeichnung; haben sich solidarisiert, waren gewerkschaftlich aktiv und haben ständig gegen 'die da oben' gekämpft - mit mäßigem Erfolg, aber mit Erfolg, der jetzt Stück für Stück wieder weggewaschen wird.
Rot war eine stolze Farbe; leider verblasst sie zusehends, wird zu Mischfarben, weiß nicht mehr so recht, nach welchem Eck sie fallen, wohin sie schwanken soll ...
Eine Desaster! Das ist meine subjektive Meinung dazu ...
Also Schorsch: Das ist doch absolut in Ordnung, dass Du Arbeiter warst und bleiben wirst ...
Grüße
Elenore
schorsch
schorsch
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Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Elenore vom 03.06.2016, 15:06:53
Ja, gerade diese Woche habe ich das wieder schmerzlich zu wissen bekommen: Ich sagte zum Hammer: "Hau dort auf den Nagel!" Er hat mich falsch verstanden und den falschen erwischt: meinen linken Daumen-Nagel! )(

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Milan
Milan
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Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von Milan
Seit dem Godesberger Verrat der SPD gibt es keine Arbeiterpartei
in Deutschland die sich für die Klasseniteressen der Arbeiter einsetzt .

Milan

Trotz dem bin ich stolz auf meine Klasse die Arbeiterklasse.
Gillian
Gillian
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Re: Arbeiterlyrik
geschrieben von Gillian
als Antwort auf Milan vom 04.06.2016, 20:16:17
Und weil der Mensch ein Mensch ist,
drum braucht er was zu Essen bitte sehr!
Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt,
das schafft kein Essen her ...

Und weil der Mensch ein Mensch ist,
drum braucht er auch Kleider und Schuh.
Es macht ihn ein Geschwätz nicht warm
und auch kein Trommeln dazu.

Und weil der Prolet ein Prolet ist,
hat er Stiefel im Gesicht nicht gern.
Er will unter sich keinen Sklaven sehn
und über sich keinen Herrn.

Drum links zwei drei ...
wo dein Platz Genosse ist,
reih dich ein in die Arbeiter-Einheitsfront,
weil du auch ein Arbeiter bist.

(Auch von Brecht/Eisler, und von Ernst Busch gesungen)
Milan
Milan
Mitglied

[b]Es beginnt erst der Mensch,[/b]
geschrieben von Milan
als Antwort auf Gillian vom 05.06.2016, 15:58:35
Es beginnt erst der Mensch,
wo die Ausbeutung endet,
wo das Brot, das du ißt,
keinen würgt,
wo die Frau ihren Pfennig
nicht tausendmal wendet,
wo das Leben das Leben verbürgt.

Es beginnt erst der Mensch,
wo das Sterben verständlich
weil die Jahre
zur Neige gelebt
und wo endlich
der menschliche Friede unendlich,
wo das Schwert
keine Gräber mehr gräbt.

Es beginnt erst der Mensch,
wo die Herzen erklingen,
wo die Flame der Menschlichkeit brennt
und wo Hände
die toten Gesteine bezwingen,
wo der Mensch
sich zum Menschen bekennt.

Max Zimmerring
Allegra
Allegra
Mitglied

Re: [b]Es beginnt erst der Mensch,[/b]
geschrieben von Allegra
als Antwort auf Milan vom 06.06.2016, 10:42:49
Lied eines Clowns

Da trabt nun die Herde der stolzesten Pferde
geschmückt mit Glöckchen und Busch.
Man sieht sie grad eben zum Ausgange streben,
ein letzter und festlicher Tusch.
Des Schulreiters silberne Peitsche knallt,
die Pferde verschwinden, der Beifall schallt.
Nun ist die Manege ganz leer:
doch halt, wer kommt hinterher?
Der kleine Mann muß hinterher den Mist auskehren,
den Mist, den die andern gemacht,
er schippt ihn fort, tut es ohn Aufbegehren.
Ich weiß nicht, warum man da lacht.

S‘ gibt Pferde dieser Welt, die sich im Lichte wiegen,
mal gehen sie fort und lassen ihre Äppel liegen!
Der kleine Mann muß hinterher den Mist auskehrn,
er tut’s, es ist halt seine Pflicht!
Und nur bitteschön, er muß sich gegen eines wehren:
Der „dumme August“ nein, das ist er nicht.

Im Zirkus der Welt ist es ähnlich bestellt,
da stehn Herrn im Scheinwerferschein,
sie stehlen die Seelen, krakeelen, befehlen
und glauben bald, Götter zu sein.
Das Volk ist ihnen wie zum Bedienen da,
und eines Tags stehen Ruinen da,
der Zirkus zerbrochen und leer!
Doch halt, wer kommt hinterher?
Der kleine Mann muss hinterher den Mist auskehren,
den Mist, den die andern gemacht.
Er schippt ihn fort, tut es ohn‘ Aufbegehren,
er hatte es sich schon gedacht.

Die Großen dieser Welt, die sich im Lichte wiegen,
mal gehen sie fort und lassen üble Sachen liegen.
Der kleine Mann muß hinterher den Mist auskehren,
und ahnt dabei den nächsten Zimt!
Verdammt noch mal, man muß sich doch dagegen wehren,
daß man uns nur als „dummen August“ nimmt!

Liedvortrag des Clowns Grock (Alfred Baldhoff – al. Adrian Wettach)
übertragen aus einer privaten Tonbandaufzeichnung
weitere Angaben priv.

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